im meniere-land

3
Apr
2010

Ostern bei Frau Frogg

Eine schmerzhafte Entzündung im Hals beunruhigt mich seit vier Tagen: Sie gefährdet mein Gehör. Ich bekämpfe sie mit Vitamin C, frischer Luft, genügend Schlaf und Tee.

Wenn ich Angst bekomme, bete ich den Psalm Nr. 23 herunter oder rufe die drei gitarrenbewehrten Schutzpatrone meines Gehörs um Beistand an:


Jack White


Peter Green


Jimmy Page.

Opium fürs Volk? Kein Problem. Hauptsache, es wirkt. Es wirkt.

20
Mrz
2010

Gegen Selbstmitleid

Ja, ich geb's zu: Ich habe mich in den letzten Wochen dem Selbstmitleid anheim fallen lassen. Bei Frau Nachtschwester habe ich Medizin dagegen gefunden.

18
Mrz
2010

Neun Uhr morgens

Es ist neun Uhr morgens, mitten unter der Woche. Ich sitze da und habe noch ein bisschen Zeit zum Lesen. Ich lese dieses Buch.
Es hat seinen Weg jetzt auch zu mir gefunden. Es ist ein sehr berührendes Buch, eine gelungene Kreuzung zwischen Four Weddings and a Funeral und The Love Song of J. Alfred Prufrock und Love Story. Für meinen Jahrgang. Genau für meinen Jahrgang. Oh, wie ich den jungen Dexter und die junge Emma wiedererkenne als Prototypen meines Jahrgangs!

Meine Freundin Helga fällt mir ein. Sie ist in einer ähnlichen Situation wie ich und gar nicht so unglücklich darüber. "Ich meine, überleg mal", hat sie neulich gesagt, "wer ausser uns hat Zeit um neun Uhr morgens ein Buch zu lesen." Sie geniesst das. Ich versuche mich davon zu überzeugen, dass ich es auch geniesse. Es gelingt mir. Beinahe.

6
Mrz
2010

Positiv denken

Und doch glauben Sie,... dass die Pest auch ihr Gutes hat, dass sie die Augen öffnet, dass sie zum Denken zwingt!"
Der Arzt schüttelte ungeduldig den Kopf.
"Wie alle Krankheiten auf dieser Erde. Aber was für die Übel dieser Welt gilt, das gilt auch für die Pest. Das kann ein paar wenigen dazu verhelfen, grösser zu werden. Wer jedoch das Elend und den Schmerz sieht, die die Pest bringt, muss wahnsinnig, blind oder feige sein, um sich mit ihr abzufinden."


Aus Albert Camus: Die Pest
Hamburg, Rowohlt Taschenbuch 1991, S. 83.

27
Feb
2010

Pures Glück

Gestern Abend sass ich mit dem Poeten in der Beiz. Nach 20 Uhr füllte sich das Lokal und der Geräuschpegel stieg beträchtlich. Da merkte ich plötzlich: Der Lärm störte mich nicht. Ich brauchte keine wächsernen Freunde, keine Ohropax. Hörte keine Tauchsieder. Ich konnte mich bestens verständigen.

Was für ein Glück!

20
Feb
2010

Warum ich?

Ich zermartere mir gerade das Hirn mit der Frage: "Warum ich?". Warum habe ich die Menière'sche Krankheit? Warum habe ich sie auf beiden Ohren?

Neulich hat ein Arzt zu mir gesagt: "Wenn Sie Ihr Arbeitspensum nicht reduzieren, denn verlieren Sie Ihr Gehör." Das legt auch den Gedanken nahe: Wenn ich anders gelebt hätte, wäre vielleicht alles anders. Dann wäre mein gutes Ohr letzten Herbst vielleicht nicht ausgestiegen. Dann würde ich nicht in ständiger Angst vor dem nächsten Hörsturz leben. Dann würde ich nicht da stehen, wo ich heute stehe: Ein Esel am Berg. Ziemlich beladen. Ohne Ausblick auf einen einigermassen attraktiven Weg. Und ohne jemanden, der mir sagt, wos langgeht.

Und so frage ich mich:

1) Ginge es mir heute besser, wenn ich Berufsziel Nummer 1 verfolgt hätte und in einer Bibliothek eine ruhige Kugel geschoben hätte? Dann würde ich heute nicht in einer Krisenbranche arbeiten, in der der Jobs schneller verschwinden als in der Landwirtschaft. Aber, nein, es würde mir nicht besser gehen. Wahrscheinlich hätte ich keine ruhige Kugel geschoben. Wahrscheinlich hätte ich mich ein Berufsleben lang die Tatsache gequält, dass mir die für den Beruf der Bibliothekarin nötige Pedanterie so etwas von abgeht!

2) Aber vielleicht hätte ich dann Teilzeit gearbeitet und mein Buch früher geschrieben Nein, hätte ich wahrscheinlich nicht. Irgendwie wäre mir doch immer das Bedürfnis in die Quere gekommen, eine Karriere hinzulegen, mit der man sich auch bei den Nachbarn meiner Eltern zeigen kann.

3) Hätte ich nicht alles daran setzen sollen, ein Buch zu schreiben? Naja, die finanzielle Unsicherheit dieses Unterfangens hätte mich wahrscheinlich gesundheitlich auch ruiniert.

4) Was, wenn ich Kinder gehabt hätte? Dann wäre ich möglicherweise an der Doppelbelastung von Mutterschaft und Karriere gescheitert.

Hätte... wäre... Fest steht: Ich hatte schon Probleme mit meinem linken Ohr als ich 16 war. Als ich 20 war, als ich 22 und 25 war. Wahrscheinlich sass ich mit meinem rechten Ohr einfach auf einer Zeitbombe, die früher oder später sowieso hochgegangen wäre.

Aber das sagt mir noch nicht, wie es weitergehen soll.

16
Feb
2010

Teppich weg

Ich bitte um Nachsicht für mein ungewöhnlich langes Schweigen. Mir ist in den letzten Tagen, als hätte mir jemand eine Schlinge um den Hals gelegt und den Teppich unter meinen Füssen weggezogen. Eigentlich wollte ich Euch Song Nummer neuneinhalb aus der Kollektion "10 Songs" kredenzen. Aber ich vertrage heute keine laute Musik.

Ausserdem war ich zum Hörtest im Spital. Der Hörtest war soweit ok. Der Arzt riet mir dennoch, mein Pensum zu reduzieren. Endgültig. "Wenn sie so weiter arbeiten wie früher, verlieren Sie Ihr Gehör", sagte er.

Über eine Pensenreduktion denke ich zwar ohnehin schon lange nach. Im Moment arbeite ich auch reduziert, weil ich noch unendlich viele Ferientage zu Gute habe. "Ich kann es mir leisten, weniger zu arbeiten", dachte ich in meinen guten Stunden. "Ich bin frei. Ich werde Lebenskünstlerin!" Ich bin nie anspruchsvoll gewesen. Irgendwie würde ich schon über die Runden kommen. Und vielleicht würde ich eines Tages doch noch die Kraft haben, ein Buch zu schreiben.

Aber der Rat des Arztes zwang mich, meine Situation ernsthaft unter die Lupe zu nehmen. Ein Budget zu machen (was ich noch nie in meinem Leben getan habe. Ich hatte immer Geld in Hülle und Fülle, auch als ich studierte und von 1100 Franken im Monat lebte). Diesmal musste ich feststellen: Es wird knapp. Verdammt knapp. Manchmal muss ich an meinen viel zu früh verstorbenen ersten Liebsten Guido denken. Er pflegte scherzhaft zu sagen: "Lieber reich und gesund als arm und krank." Was Guido damals nicht gewusst haben kann: Paradoxerweise ist kranksein ziemlich teuer, auch wenn man eine gute Krankenversicherung hat.

Und da ist noch etwas anderes: Meine Karriere ist damit faktisch vorbei. Auch das kommt zwar nicht besonders überraschend. Ich dümple schon längere Zeit in einem stillen Karriere-Nebengewässer. Nicht dort, wo die grossen Hechte ihre Runden drehen. Solange ich gesund war, konnte ich mir aber noch sagen: "Das ist vorübergehend. Wartet ab, ich komme wieder!" Bis im Oktober sah es sogar so aus. Aber jetzt weiss ich: Dümpeln ist das beste, was mir noch passieren kann. Ich meine, seien wir ehrlich: Wer will eine Arbeitskraft, die jede Minute einen Hörsturz hinlegen kann?!

Aber, hey: Ich bin erst 44! Ich muss noch 20 Jahre lang meinen Lebensunterhalt verdienen!

9
Feb
2010

Sieg um 17 Uhr

Fast täglich beginnt mein gutes Ohr so um 16 Uhr zu schwächeln. Der Tinnitus klingt tauchsiederig, manchmal wird sogar ein Pfeifen draus. Die Tieftöne werden dünn oder beginnen zu gurgeln. Ich weiss nie, wie schlimm es bis zum späten Abend wird. Das macht mich im besseren Fall kämpferisch, im schlechteren Fall fahrig und ängstlich. Deshalb gehe ich am Abend nur noch selten aus. Ich bin dann eine schlechte Gesprächspartnerin.

Gestern gurgelten die Tieftöne schon um 14 Uhr mittags. Laute Töne gaben ein knistriges Echo in meinem Ohr. Ganz schlechtes Zeichen! Ich war im Büro. Wenn ich Zeit gehabt hätte, hätte ich Panik geschoben.

Um 15.30 Uhr begann ich Reiswaffeln in mich hineinzustopfen. Das stoppt manchmal den Gehörverlust.

Um 16 Uhr entdeckte ich irgendeine innere Kraft, die mich auf die Zähne beissen und kämpfen liess. Um 17 Uhr war das schlimmste vorbei. Ich hörte wieder fast normal. Ich war stolz. Ich hatte einen Sieg errungen.

Aber manchmal frage ich mich, wie viele Siege ich noch erringen muss.

31
Jan
2010

Mein Comeback

Es geht mir relativ gut (in Gesprächen klopfe ich mir jeweils an dieser Stelle mit der Faust dreimal an den Schädel. Dazu sage ich: "Holz aalänge")*. An den meisten Tagen höre ich am Morgen auf dem rechten Ohr annähernd 100 Prozent. Ich höre sogar links etwas besser. Nur die Abende sind öfter begleitet von Gepfeife, Gegurgel und Hörnachlass.

Dennoch schien es mir letzte Woche an der Zeit, mein Comeback im öffentlichen Leben unseres Städtchens in die Wege zu leiten. Am Montag bot sich eine gute Gelegenheit: Herr T. hatte Mitstreiter aus der Kulturszene zum Essen eingeladen. Leute, mit denen ich früher öfter beruflich zu tun gehabt hatte.

Nun, die Gäste kamen, setzten sich und... begannen über Geld zu streiten. Ich hätte es wissen müssen. Kulturschaffende reden fast immer über Geld. Und wenn sie nicht über Geld reden, dann streiten sie über Geld. Sie stritten höflich. Aber so ausdauernd, dass darob das Essen in Vergessenheit geriet. Und zu spät essen hat verhängnisvolle Folgen für Frau Frogg's Gehör: Meistens stürzt mein gutes Ohr ab, wenn ich zu lange nichts zu mir nehme.

Da mich der Streit langweilte, zog ich mich in mein Zimmer zurück. Als mein Ohr abzustürzen begann, schlich ich in die Küche und holte eine Schale voller Gemüse aus den wartenden Pfannen. Aber es war schon zu spät. Als der Abend endlich gemütlich wurde, war mein Gehör auf einem Tiefpunkt und meine Laune ebenfalls. Ich ging früh zu Bett.

Am nächsten Tag bot sich bereits ein weiterer, diesmal richtig öffentlicher Anlass zum Üben: ein Podium. Das Thema hat nicht viel zur Sache. Es ging um ein kulturelles Luftschloss unseres Städtchens. Klingt alles wunderbar, wird aber sehr wahrscheinlich scheitern. Am Geld. Mir gings aber sowieso nicht um die Sache. Mir gings ums Sehen und Gesehen werden. Ich sorgte vor und ass (mein Ohrenleiden wird mich zur Kugelfröschin machen). Ich ging hin. Ich sah. Ich hörte. Ich merkte: Ich habe mich verändert. Ich brauche es weniger, beachtet zu werden.

Am Schluss stand ich an der Bar, mit Herrn T., einem alten Bekannten aus der Polit-Szene und meiner Stadtparlamentarierin, von der ich bislang nur den Namen und das politische Programm gekannt hatte. Sie ist jung, bildschön und entschlossen, etwas zu leisten (Herr T. und ich sind uns noch unseins, ob sie auch klug ist. Aber ich halte zu ihr.).

Es war ein schöner Abend. Noch musste ich mich der Frage nicht stellen, was ich dereinst an einem Podium machen werde, wenn ich es nicht mehr richtig verfolgen kann. Erst dem Heimweg klang mein Ohr, als wäre ein Tauchsieder drin. Aber am nächsten Tag fühlte ich mich gut. Als wäre alles wie früher.


* "Holz aalänge" heisst auf Deutsch: Holz berühren. Indem man Holz berührt kann man nach einem bei uns verbreiteten Aberglauben Übel abwenden: jenes Übel, das man zu provozieren droht, indem man zu erkennen gibt, dass man mit dem Lauf einer bestimmten Sache zufrieden ist.

2
Jan
2010

Jemandem wehtun

Mein Gehör ist in der Nacht noch weiter abgestürzt. Ausser dem aufgeregten Tinnitus-Gesinge in meinem Kopf höre ich in der Wohnung fast gar nichts mehr. Mittlerweile finde ich in diesem Zustand sogar Hoffen zu anstrengend. Ich habe doch schon so viel gehofft, so oft gewartet! Was kann ich anderes tun als einfach hinzunehmen, was als nächstes kommt?

Aber manchmal verspüre ich den merkwürdigen Wunsch, jemandem weh zu tun.

Meiner Mutter zum Beispiel. Wenn sie sagt: "Es wird Dir nichts anderes übrig bleiben, als wieder zu arbeiten. Auch wenn Du gar nichts mehr hörst." Sie kann ja nicht wissen, welchen Schmerz sie mir mit diesem Satz zufügt. Ich kann es ihr auch nicht erklären. Sie hat sogar recht. Aber ich habe den perversen Wunsch, es ihr heimzuzahlen. Ihr irgend etwas zu sagen, was ihr ebenso wehtut.

Oder Herrn T. Wenn er sagt: "Was willst Du jetzt wieder den Ohrenarzt anrufen?! Du wirst ja sowieso taub! Akzeptier es doch einfach!" Dann würde ich ihn, ehrlich gesagt, am liebsten ohrfeigen. Sehr heftig.
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Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
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auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

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