20
Feb
2010

Warum ich?

Ich zermartere mir gerade das Hirn mit der Frage: "Warum ich?". Warum habe ich die Menière'sche Krankheit? Warum habe ich sie auf beiden Ohren?

Neulich hat ein Arzt zu mir gesagt: "Wenn Sie Ihr Arbeitspensum nicht reduzieren, denn verlieren Sie Ihr Gehör." Das legt auch den Gedanken nahe: Wenn ich anders gelebt hätte, wäre vielleicht alles anders. Dann wäre mein gutes Ohr letzten Herbst vielleicht nicht ausgestiegen. Dann würde ich nicht in ständiger Angst vor dem nächsten Hörsturz leben. Dann würde ich nicht da stehen, wo ich heute stehe: Ein Esel am Berg. Ziemlich beladen. Ohne Ausblick auf einen einigermassen attraktiven Weg. Und ohne jemanden, der mir sagt, wos langgeht.

Und so frage ich mich:

1) Ginge es mir heute besser, wenn ich Berufsziel Nummer 1 verfolgt hätte und in einer Bibliothek eine ruhige Kugel geschoben hätte? Dann würde ich heute nicht in einer Krisenbranche arbeiten, in der der Jobs schneller verschwinden als in der Landwirtschaft. Aber, nein, es würde mir nicht besser gehen. Wahrscheinlich hätte ich keine ruhige Kugel geschoben. Wahrscheinlich hätte ich mich ein Berufsleben lang die Tatsache gequält, dass mir die für den Beruf der Bibliothekarin nötige Pedanterie so etwas von abgeht!

2) Aber vielleicht hätte ich dann Teilzeit gearbeitet und mein Buch früher geschrieben Nein, hätte ich wahrscheinlich nicht. Irgendwie wäre mir doch immer das Bedürfnis in die Quere gekommen, eine Karriere hinzulegen, mit der man sich auch bei den Nachbarn meiner Eltern zeigen kann.

3) Hätte ich nicht alles daran setzen sollen, ein Buch zu schreiben? Naja, die finanzielle Unsicherheit dieses Unterfangens hätte mich wahrscheinlich gesundheitlich auch ruiniert.

4) Was, wenn ich Kinder gehabt hätte? Dann wäre ich möglicherweise an der Doppelbelastung von Mutterschaft und Karriere gescheitert.

Hätte... wäre... Fest steht: Ich hatte schon Probleme mit meinem linken Ohr als ich 16 war. Als ich 20 war, als ich 22 und 25 war. Wahrscheinlich sass ich mit meinem rechten Ohr einfach auf einer Zeitbombe, die früher oder später sowieso hochgegangen wäre.

Aber das sagt mir noch nicht, wie es weitergehen soll.

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walküre - 21. Feb, 14:01

Dass eine Krankheit latent vorhanden ist, muss ja nicht zwingend heißen, dass sie zum Ausbruch kommt, denke ich mal.
MEIN Ansatz (MEINER, wohlgemerkt !) wäre in dieser Situation, darüber nachzudenken, wann und warum mein (Berufs-)Leben aus den Fugen geraten ist und ob die zur Auswahl gestanden habende Möglichkeiten tatsächlich meinen eigenen Wünschen entsprochen haben und wenn ja, ob sie es noch immer tun.

diefrogg - 21. Feb, 14:49

Nein, muss sie nicht...

Tatsache ist bei mir bloss, dass sie es immer wieder getan hat, seit ich 16 bin. Aber danke fürs Mitdenken und für den möglichen Denkansatz. Was meinen jetzigen Job anbetrifft: Ich habe mich damit versöhnt. Alles andere wäre im Moment sozialer Selbstmord (und ein grosses gesundheitliches Risiko). Ich frage mich im Moment eher, was ich mit der vielen Freizeit anfange, die ich habe und haben werde. Irgendwann werde ich wieder die Energie haben, in dieser Zeit etwas Sinnvolles zu tun.
Not quite like Beethoven - 21. Feb, 14:10

Oh, interessant, Sie haben also auch einmal Berufe in Bibliothek oder Archiv abgelehnt, weil sie sich nicht als pedantisch genug empfanden. :-)
Und was das weitergehen angeht: Mal abegesehen von der langfristigen Perspektive, gibt's nicht irgendeine Richtung, in die Ihr Herz oder Bauch sie zieht? Weil wenn schon Krise, wann sonst sollte man dann solchem Ziehen folgen? Leichter gesagt als getan, ich weiß, ich weiß. Aber dennoch...

diefrogg - 21. Feb, 14:55

Ach, Sie also auch?!

Haben Sie denn einen Berufswechsel vorgenommen, als Sie schon schlechter hörten?
Tja, mein Herz und mein Bauch... Ich möchte mich irgendwo engagieren, das merke ich schon. Politisch oder so. Ich möchte wieder einmal eine Meinung haben und sie vertreten dürfen (in meinem gegenwärtigen Job darf ich das nicht). Und schreiben. Und ich will Geld verdienen, verdammt. Es gibt so vieles, was ich möchte. Ich weiss nur noch nicht wie...
Not quite like Beethoven - 24. Feb, 22:20

Ich sehe das grad jetzt erst. Ja, habe ich. Und so richtig angekommen bin ich seither noch nirgendwo. Ansonsten sehe ich das genauso wie Sie.
Pia Butzky - 21. Feb, 15:39

Liebe Frau Frogg.
Mal ein Wort von einer Meniéreschen zur anderen Meniérschen: Nicht grübeln! Die Ärzte haben keine Erklärung für Meniére und sind hilflos. Für die Ärzte ist Hilflosigkeit aber nicht gut auszuhalten, deshalb schieben sie es auf "Stress", einfach so, dann hat der Patient den schwarzen Peter. Aber die meisten Meniere-Erkrankten haben keinen Stress (außer der Krankheit) oder bemerken keine Verbesserung bei Stressreduzierung. Das ist eben einfach Quatsch. Ich habe einem Arzt gesagt: "Wenn Stress die Ursache wäre, müssten Sie krank sein und ich gesund." Da hat er mich ganz erstaunt angesehen und ich merkte, dass er mich verstanden hatte.

Das Hörvermögen macht, was es macht, es ist mit mir Achterbahn gefahren, egal was ich tat! Jetzt ist endlich Stillstand da mit CI. Das ist viel leichter auszuhalten, als die unendliche Quälerei mit den fiesen Schwankungen. Himmel, was war ich verzweifelt! Also, Frau Frogg, das ist jetzt erstmal kein Trost für dich, aber es geht wirklich wieder aufwärts mit der Lebensfreude, wenn Meniere das Ohr taub macht und man ein CI haben kann. Wenn mir das früher jemand gesagt hätte, ich hätte denjenigen vor Wut vor den Bus gestoßen. Ist aber die Wahrheit.

Nicht grübeln, aber instinktiv die Dinge tun, die Spaß machen, Kraft bringen ... einfach nur angenehm sind, das können ganz kleine alltägliche Dinge sein.

diefrogg - 21. Feb, 15:58

DANKE, DANKE, DANKE,

Frau Butzky! Das ist wahrscheinlich der hilfreichste Kommentar, den ich je erhalten habe. Was nicht heissen soll, dass ich nicht die meisten Kommentare hier schätzen würde. Aber Sie sprechen mir aus jenem Teil der Seele, den ich in meinen klareren Studen sehe! Und wenn ichs mehr recht überlege, so habe ich über die Kommentare von Ärzten schon genau dasselbe gedacht! Ich werde diesen Kommentar ausdrucken und rahmen lassen!

Pia Butzky - 21. Feb, 16:44

Oh, jetzt bin ich aber auch gerührt. Danke meinerseits! Freut mich jetzt sehr, dass ich Sie unterstützen konnte!
Was ich übrigens selbst über "Stress" und Meniére erlebt habe, bestätigen noch ganz viele andere Meniére-Erkrankte, die im Urlaub, in Entspannung oder bei schönen Erlebnissen genauso unvorhersehbar böse Anfälle bekamen, wie die Hörstürze ausblieben in eindeutig starken Belastungszeiten - eben nicht logisch! Die Ärzte spielten dann einfach das alberne Rechthabespiel "Naja, Sie dürfen sich auch nicht zu sehr freuen, das ist ja auch Stress." oder "Naja, am Strand liegen und den Wolken zusehen, ist ja auch nicht so gut, Sie sollten sich mehr bewegen" oder "Naja, das Radfahren ist ja auch anstrengend, Sie sollten mehr Ruhe einhalten, sich hinlegen." *kopfschüttelundlach*

Meniére ist so simpel nicht beherrschbar. Leider. Aber wenn Sie, liebe Frau Frogg, den Meniére nicht abstellen können, dann eben alles andere Negative außen rum. Also: sich konzentrieren auf die guten Dinge und positives Gegengift spritzen bei negativen Gedanken. Das beeinflusst nicht unbedingt das Gehör, aber Ihre Gelassenheit und Ihr Wohlbefinden. That´s it.

(Können Sie auch ausdrucken, sieht mit Kirschholzrahmen supergut aus ... )
seifenblasenpusterin - 21. Feb, 18:02

weißt du... dieser eintrag war jetzt bemerkenswert für mich, weil ich mir nämlich wegen meines kiefers ganz ähnliche gedanken gemacht habe; und weiß doch, genau wie du, daß es alles unsinn ist. der konjunktiv führt in den ruin. liebe grüße mal wieder :)

diefrogg - 22. Feb, 22:29

Dann wünsche ich Dir...

schnell gute Besserung!
acqua - 21. Feb, 19:15

Hmm... Ich wollte ja eigentlich schreiben, dass der Satz deines Arztes im Umkehrschluss heisst, dass du dein Gehör behältst, wenn du dein Arbeitspensum reduzierst. Aber nach den Kommentaren von Pia Butzky ist dieser Gedanke wohl obsolet.

Man müsste jederzeit genug Abstand vom eigenen Leben haben, so dass man aus jeder Situation das Beste machen könnte. Mir fallen nämlich ganz viele Dinge ein, die ich in deiner Situation mit reduziertem Arbeitspensum machen würde. Aber eben: Wenns um mich selber geht schaffe ich das leider nicht. Oder sagen wir, nicht oft.

diefrogg - 22. Feb, 18:49

Ja, dieser Gedanke...

ist tatsächlich obsolet. Vielleicht MUSS ich ja auch wirklich gar nichts tun und DARF im Moment die Zeit geniessen, die meinem Gehör noch bleibt.
punctum - 22. Feb, 22:48

Das ist bestimmt ein guter Ansatz. Die Frage "Warum ich" ist verständlich, aber eben nicht zu beantworten. Es ist fies, gemein, hinterhältig und ungerecht. Aber vielleicht zwingt es Dich, wirklich weniger zu arbeiten - und daraus dann das Beste zu machen. Ohne Zwangsruhe würdest Du vielleicht nie dazu kommen, Dein Buch zu schreiben? Und tust es vielleicht jetzt? (Oder halt bald - oder etwas ganz anderes.) Und vielleicht stellst Du in einem Jahr oder so fest, dass genau das in Wirklichkeit das Richtige für Dich war?
diefrogg - 24. Feb, 17:49

Nun ja,....

die Sache mit dem Buch... Da glaube ich nicht mehr so recht dran. Nachdem ich in letzter Zeit jedes Mal einen Hörsturz bekam, wenn ich wieder daran arbeiten wollte, habe ich die Idee zurückgestellt.
Kätzerin - 22. Feb, 02:41

Pia Butzky

hat Dir liebenswerterweise auch den 10. Kommentar unter den Eintrag vom 16. gesetzt, er scheint mir nahezu unbeachtet, dabei verdient er höchste Anerkennung. Wenn nicht gar eine güldene Einrahmung. ;-)

diefrogg - 22. Feb, 18:48

Danke für den Hinweis...

Frau Kätzerin! Ich habs schon gesehen und denke noch über die Antwort nach!
Bubi40 - 22. Feb, 18:02

ein nicht ganz ernst gemeinter rat ...



beste grüße

diefrogg - 22. Feb, 18:46

Tjaaa,... Tucholski in Ehren!

Aber DAS sieht bei mir etwas anders aus. Kein Schnaps, den ich trinken könnte, wäre so gut wie der Gesang nur schon meiner Heizung am Abend! Von Musik fangen wir gar nicht erst an!
jueb - 25. Feb, 02:07

Bin ja - plusminusnix - Ihr Jahrgang, Frau Froschkuss, und frage mich, so um diese Uhrzeit, immerhin ist heute Margot Käßmann hute zurück getreten - sagt Ihnen das was? - die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland - auch ein Schicksal - ich weiß - und ich habe auch Rotwein getrunken, viel, bin aber deswegen doch nicht bei Rot über die Ampel gefahren und muss deshalb nicht zurücktreten (von was auch), wollte aber etwas ganz anderes sagen, dass nämlich in meiner - oder darf ich "unserer" Generation sagen?! - alle so gut ausgebildet sind, studiert, verakademisiert, dass da doch ganz dolle exorbitante Karrieren zu erwarten gewesen wären bei dieser unglaublichen Nachkriegs-Klugheit und Bildung, und wenn man sich zu einer solchen daran anknüpfenden Karriere nicht aufschwingt, dann hat man eben versagt - ganz egal ob mal Haarausfall hat, Pickel oder behindert ist. Aber das ist ein Irrtum. Es ist die große Kränkung dieser Generation, dass sie ihre Eltern finanziell nicht einholen können. Trotz Bildung, Eifer und Überstunden.

diefrogg - 26. Feb, 12:51

Danke für diesen....

klugen Beitrag, Herr Jueb! Im Falle unserer Familie stimmt er nicht ganz: Mein Bruder hat den Aufstieg geschafft, auf den wir beide programmiert waren (meine Eltern stammen aus sehr bescheidenen Verhältnissen, Aufstieg war das grosse, wenn auch nie offen diskutierte Thema). Wahrscheinlich muss ich den Kürzeren ziehen, um die Statistik in der Balance zu behalten. Irgendwie ist das ein tröstlicher Gedanke. Gut, dass ich wenigstens in Genuss eines Studiums kam. Ich war die erste Frau in 300 Jahren verbriefter Familiengeschichte, die eine Universität von innen gesehen hat.
Die Affäre um Frau Kässmann habe ich mitgekriegt. Schon seltsam, wenn Bischöfinnen so viel trinken... Aber im Grunde geht es einen ja nichts an, was da dahintesteckt.
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