16
Feb
2010

Teppich weg

Ich bitte um Nachsicht für mein ungewöhnlich langes Schweigen. Mir ist in den letzten Tagen, als hätte mir jemand eine Schlinge um den Hals gelegt und den Teppich unter meinen Füssen weggezogen. Eigentlich wollte ich Euch Song Nummer neuneinhalb aus der Kollektion "10 Songs" kredenzen. Aber ich vertrage heute keine laute Musik.

Ausserdem war ich zum Hörtest im Spital. Der Hörtest war soweit ok. Der Arzt riet mir dennoch, mein Pensum zu reduzieren. Endgültig. "Wenn sie so weiter arbeiten wie früher, verlieren Sie Ihr Gehör", sagte er.

Über eine Pensenreduktion denke ich zwar ohnehin schon lange nach. Im Moment arbeite ich auch reduziert, weil ich noch unendlich viele Ferientage zu Gute habe. "Ich kann es mir leisten, weniger zu arbeiten", dachte ich in meinen guten Stunden. "Ich bin frei. Ich werde Lebenskünstlerin!" Ich bin nie anspruchsvoll gewesen. Irgendwie würde ich schon über die Runden kommen. Und vielleicht würde ich eines Tages doch noch die Kraft haben, ein Buch zu schreiben.

Aber der Rat des Arztes zwang mich, meine Situation ernsthaft unter die Lupe zu nehmen. Ein Budget zu machen (was ich noch nie in meinem Leben getan habe. Ich hatte immer Geld in Hülle und Fülle, auch als ich studierte und von 1100 Franken im Monat lebte). Diesmal musste ich feststellen: Es wird knapp. Verdammt knapp. Manchmal muss ich an meinen viel zu früh verstorbenen ersten Liebsten Guido denken. Er pflegte scherzhaft zu sagen: "Lieber reich und gesund als arm und krank." Was Guido damals nicht gewusst haben kann: Paradoxerweise ist kranksein ziemlich teuer, auch wenn man eine gute Krankenversicherung hat.

Und da ist noch etwas anderes: Meine Karriere ist damit faktisch vorbei. Auch das kommt zwar nicht besonders überraschend. Ich dümple schon längere Zeit in einem stillen Karriere-Nebengewässer. Nicht dort, wo die grossen Hechte ihre Runden drehen. Solange ich gesund war, konnte ich mir aber noch sagen: "Das ist vorübergehend. Wartet ab, ich komme wieder!" Bis im Oktober sah es sogar so aus. Aber jetzt weiss ich: Dümpeln ist das beste, was mir noch passieren kann. Ich meine, seien wir ehrlich: Wer will eine Arbeitskraft, die jede Minute einen Hörsturz hinlegen kann?!

Aber, hey: Ich bin erst 44! Ich muss noch 20 Jahre lang meinen Lebensunterhalt verdienen!

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punctum - 17. Feb, 00:11

Ach, Mist. Wirklich genug Grund, sich erst mal teppichlos am Boden zu fühlen. Trotzdem ... Es wird sich eine Lösung finden. Und: Du KANNST schreiben! Und das ist schon auch was Besonderes. (Ich weiß ja, wie blöde das alles klingt, wenn einem eher nach Heulen zumute ist, trotzdem - unterschätze Deine Möglichkeiten nicht. Und meine guten Gedanken hast Du auf jeden Fall!)

diefrogg - 17. Feb, 13:52

Danke für den Zuspruch!

Es klingt merkwürdig. Aber ich habe Zuspruch in den ganzen Monaten nie so nötig gehabt wie jetzt!
Not quite like Beethoven - 17. Feb, 10:34

Oh. Bin ein wenig sprachlos. Wollte aber dennoch mitteilen, dass versuche, Ihnen in all die Verunsicherung etwas positive Energie hineinzuwünschen.

diefrogg - 17. Feb, 12:08

Danke für die...

positive Energie. Ich glaube, ein Teil davon ist bereits hier angekommen! Darf ich mir die Frage erlauben: Weshalb sprachlos? Scheint es ihnen verwerflich, dass ich einen "guten" Hörtest so nebenbei abtue? Oder sind Sie sprachlos über den Rat des Arztes? Beides würde ich aus Ihrer Perspektive sehr wohl verstehen.
Not quite like Beethoven - 18. Feb, 14:32

Weder noch. Ging nur darum, dass ich gerne was sagen, mich bemerkbar machen wollte, doch zu der beschriebenen Situation nicht recht was zu sagen wußte.
Den okayen Hörtest hatte ich gar nicht so bemerkt, mehr die allgemeine Erschöpfung und die Frage wie man unter so volatilen Bedingungen im Beruf weitermacht. Wenn man ständig mit allem rechnen muss. Wären Sie ein Unternehmen oder eine Behörde, ich würde sagen Sie brauchen Rechtssicherheit gegenüber ihrem Gehör.
diefrogg - 18. Feb, 18:23

Ja, die Situation...

ist tatsächlich ziemlich kompliziert. Ich kann einfach nur von Tag zu Tag hoffen, dass alles gut läuft. Gewisse Szenarien denke ich im Moment erst gar nicht durch. Sowieso nicht schriftlich. Sie erschrecken mich (noch) zu sehr. Ja, "Rechtssicherheit" vom Gehör... das wär was! Danke jedenfalls fürs Mitdenken...
katiza - 17. Feb, 16:12

Ich schick dann auch mal Zuspruch und Energie und Kraft und eine Umarmung. Und vielleicht führt das alles letztendlich dazu, dass ich eines Tages Ihr Buch lesen werde: Dort ist Ihre Karriere nämlich weit besser aufgehoben als in den Hecht-Gewässern, davon bin ich überzeugt!!!!!!(Übrigens auch davon, dass Sie es schreiben werden)

walküre - 17. Feb, 17:17

"Wer will eine Arbeitskraft, die jede Minute einen Hörsturz hinlegen kann?! "

Gegenfrage:
Hat ein Arbeitgeber eine Mitarbeiterin verdient, deren unbestreitbare Fähigkeiten er offensichtlich nicht zu schätzen weiß ? (Stichwort Nebengewässer, und zwar schon vor Ihrer Erkrankung)

diefrogg - 17. Feb, 18:20

Good point,

Frau Walküre (sage ich jetzt mal ohne falsche Bescheidenheit ;) Wobei die Versetzung nicht GANZ vor meiner Erkrankung kam. Sowohl ich als auch mein Arbeitgeber wussten damals schon, dass meine Ohren ein heikler Punkt sind...
Pia Butzky - 21. Feb, 16:14

Frau Frogg, ich bin vom Quasi-Beethoven-Blog gerade zur dir rübergeschwappt, deshalb schreibe ich erst jetzt und so spät. Habe auch noch nicht alles gelesen, aber schon mehrmals heftig bestätigend genickt beim Querbeet-Lesen "Ja, kenne ich." Wichtig ist, sich nicht so weitschweifende Sorgen zu machen, sondern immer nur das, was man im Moment gerade schaffen kann. Der Tipp stammte von einer (gesunden) Kollegin, die mal sagte: "Was ich heute kann, mache ich heute. Und morgen mache ich dann das, was ich morgen schaffe. Anders geht´s nicht." Das gilt auch für Lebensplanung. In meinen schlimmsten Zeiten mit fortschreitender Ertaubung, Hörschwankungen und Meniere-Anfällen konnte ich lange Zeit nur in 10-Minuten-Phasen denken. Da war alles so extrem schwer, dass ich nur die nächsten 10 Minuten überblicken konnte. Morgens konnte ich nicht an Mittags denken, das war schon nicht mehr zu schaffen, dazu waren die Tage zu schwer.

ABER DAS WIRD BESSER. Heute bin ich taub, mit CI wieder hörend, seit Jahren schwindelanfallfrei (*juchhuuuuh) und völlig angstfrei. Morgens beim Aufstehen denke ich an die Dinge, die ich an dem Tag gern wuppen möchte. Und muss nicht mehr panisch am Ohr schubbern, um den Hörrest zu kontrollieren. Wenn ich früher gewusst hätte, dass ich alles schrittweise hinbekomme, hätte ich mir nicht soviel Sorgen machen müssen. Also grübele jetzt nicht über die nächsten Jahre, oder über Geldverdienen in 20 Jahren. Du musst HEUTE keine Lösung finden für die vielen unbekannten Tage in der Zukunft. Nur für heute oder höchstens die nächste Woche.

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