im meniere-land

31
Dez
2009

Zu Silvester

Freunde, der Eintrag von gestern erwies sich als guter Anstoss für ein paar Gedanken zum kommenden Jahr. Sollte es einmal hart werden, so denkt dran:

1) Man ist stärker als man glaubt.
2) Falls man doch schwach werden sollte, ist meistens jemand da, der einem das Leben rettet.

Ich werde selber auch dran denken müssen. Mein gutes Ohr ist über Nacht wieder schwer abgestürzt. Noch weiss ich nicht, was ich tun soll. Aber ich bin fest entschlossen: Ich will 2010 wieder ein halbwegs normales Leben führen.

Euch allen Wünsche ich nur das Beste!

21
Dez
2009

Ich rieche Hundehaare

Als ich mit miserablem Gehör im Spital war, sagte eine Krankenschwester zu mir: "Wissen Sie, wenn Sie nicht mehr so gut hören, dann müssen Sie sich einfach sagen: Jetzt müssen die anderen Sinne ran!" Dazu hatte sie diesen Ton, mit dem einem manche Menschen Optimismus und Hoffnung quasi zwangsfüttern wollen. Ich weiss, sie meinen es gut. Und doch erreichen sie bei mir damit meistens nur, dass ich spucke oder eine Schnute ziehe. Mir ist lieber, man anerkennt es, wenn meine Lage beschissen ist. Wenn das jemand tut, dann bemühe ich mich meistens, nicht mehr zu jammern.

Aber item. Das Thema "andere Sinne" hat für Leute mit schwachen Ohren dennoch etwas für sich. Auch Herr Nottquitelikebeethoven hat ihm einen Eintrag gewidmet.

Nun, was die Augen betrifft, konnte ich meiner Krankenschwester leider nicht das erhoffte getröstete Lächeln entgegenhalten. Für eine 44-Jährige sehe ich zwar ganz ordentlich. Aber ich bin leicht kurzsichtig. So leicht, dass ich meistens in matchentscheidenden Momenten die Brille nicht aufhabe.

Aber mein Geruchssinn, ja, der ist in manchen Belangen geradezu extraordinär. Gestern zum Beispiel sass ich weit vorne in einem halb vollen Bus. Irgendwann roch ich: Irgendwo in diesem Bus befindet sich ein Hund. Ein nasser Hund, wohl ein Grosser mit langen Haaren. Wääck! Frau Frogg rutschte auf ihrem Sitz herum, schnüffelte und guckte und murmelte vor sich hin: "Ich schmöcke Hundehoor! Ich schmöcke Hundehoor", wie weiland der Leibhaftige im Märchen Der Teufel mit den drei goldenen Haaren (der allerdings Menschenfleisch roch). Aber sie sah keinen Hund. Erst fast bei der Endstation sah sie eine Frau mit einem kleinen Spaniel aussteigen. Am hintersten Ende des Busses.

Da fragte sich die Frogg lebhaft: Welchen Sinn kann es für einen Menschen des 21. Jahrhunderts haben, einen so kleinen, harmlosen Hund in einem Bus zu riechen? Das ist ja eine zusätzliche Beeinträchtigung, aber sicher keine Hilfe und kein Ersatz für eine Behinderung!

Nun ja... in einem gewissen Sinne ist es das eben doch. Es verursacht bei mir das gleiche Gefühl der Genugtuung wie wenn ich an einem guten Tag von unserem vierten Stock aus die Waschmaschine im Keller hören kann. Und ausserdem: Lieber ärgere ich mich con brio über einen stinkigen Hund als gar nichts von meiner Umwelt mitzubekommen!

19
Dez
2009

Wettlauf gegen Taubheit

In den letzten Tagen konnte ich am Morgen jeweils ziemlich gut Musik hören. Nicht am Radio oder auf Stereo, da klingt alles viel zu falsch. Aber auf YouTube und MP3 gehts ganz gut. Und ich darf nicht wählerisch sein: Häufige Schwindelanfälle und abendliche Taubheit erinnern mich stets daran, dass ich möglicherweise nicht mehr viel Zeit habe. Also liefere ich mir selber jeden Morgen einen Wettkampf gegen die Taubheit und höre Musik.

Hier ein Müsterchen. Für mich Kleinstadtmenschen eine Art persönliche Utopie - mit Augenzwinkern, aber auch leiser Sehnsucht:



Den Tipp habe ich übrigens von redder, der ein Händchen für gute YouTube-Videos hat.

17
Dez
2009

Hinaus in die Welt

Seit dem 30. Oktober war ich genau ein Mal in einem Restaurant und genau ein Mal in einem Kino. Heute aber fand ich, es sei Zeit, wieder in die Welt hinaus zu gehen. Ich liess mich von meiner Freundin Ella ins Kunstmuseum locken.

Nun ist unser Kunstmuseum ein schicker Bau. Aber er liegt am versifftesten, düstersten, abgefucktesten Ende der Bahnhof-Unterführung. Eine schmale Treppe verbindet Unterführung und Museum. Eine von der Sorte, an der man stets Urin zu riechen glaubt. Auch dann, wenn sie gar nicht nach Urin riecht.

Am Fuss der Treppe sehe ich einen Typen mit zottiger Frisur verkrümmt dastehen. Er hält sich mit der einen Hand am Geländer fest. Die andere hat er vor dem Schritt. Er atmet schwer. Mein Ohrenleiden hat mich für die Bedrängnisse meiner Mitmenschen sensibler gemacht (hoffe ich wenigstens). Ich will ihm helfen, gehe auf ihn zu, er reagiert nicht. Ich zögere noch einen Moment. Dann wird mir klar, dass ich gar nicht weiss, ob sich
- dieser Typ gerade einen herunterholt
- ob er daran ist, sich einen Schuss zu setzen
- oder ob er als Lockvogel für hilfsbereite Frauen dasteht, die in dieser finsteren Ecke um ihr Portmonee gebracht werden wollen.

Aha. Ich bin wieder von dieser Welt, denke ich. Ich lasse ihn in Ruhe. Er steht ja noch, so schlimm kann es nicht sein.

Im dritten Raum der Ausstellung werde ich dann selber hilfsbedürftig: Die Wände dort sind gleich grau wie der Boden. Das bringt meinen labilen Gleichgewichtssinn aus dem Konzept. Ich habe einen Schwindelanfall und muss mit dem Allerwertesten testen, welche der grauen Wände der Boden ist. Ella schleppt mich hinaus. Der Schwindel geht vorbei.

Später im Restaurant merke ich dann, wie fehlhörig ich bin. Es klingt dort die ganze Zeit, als würden an allen Nebentischen ein riesige Töpfe mit Wasser kochen.

Dennoch möchte ich den Ausflug nicht missen. Vor allem nicht jene Zeit, die wir vor einer Videoreproduktion dieses Gemäldes verbrachten.


(Gemälde von Felix Edouard Vallotton, Videoarbeit von Judith Albert).

Derweil der Teller mit Messer und Peperoni auf dem Video langsam eingeschneit wurde, redeten wir (leise, wir waren an einer Ausstellung) über dieses Buch. Und diese DVDs (und noch ein paar andere). Bis das Stilleben mindestens dreimal eingeschneit war. Da war ich glücklich. Ich kann noch ein Zwiegespräch im öffentlichen Raum führen. Es war ein schönes Gespräch.

12
Dez
2009

Keine Freudentränen

Wochenlang habe ich gebetet, dass ich irgendwann wieder Musik hören kann. Lange Zeit konnte ich es nicht, weil sie in meinen Ohren einfach zu beschissen klang. Alle Gitarren verstimmt, alle Synthesizer fehlprogrammiert, alle Pauken kaputt, dazu Tröten, Scheppern und Gurgeln. Ich wollte unbedingt noch einmal, wenigstens noch einmal, das sagenhafte Gitarrensolo von "Stairway to Heaven" ohne Fehltöne hören. Und ein paar andere Songs von anderen Bands, klar. Aber "Stairway to Heaven", das war besonders wichtig. Als junges Mädchen habe ich den Song oft gehört. Achtlos. Er kam ja jeden Tag am Radio (damals hörte unsereiner SWF 3, seither kenne ich jedes Kaff im Schwabenland wegen der Verkehrsmeldungen). Erst in der Frühphase meiner Hörstürze besann ich mich auf die schiere Brillianz dieses Solos.

Hier eine Live-Version:



Heute morgen war es soweit. Die Töne sind wieder da und sitzen, die Nebengeräusche sind fast weg.

Ich erwartete, in Freudentränen auszubrechen.

Statt dessen setzte sich eine miese, kleine Traurigkeit zwischen meine Rippen und breitete sich aus. Schliesslich war sie es, die mich zum Weinen brachte.

Ich wusste: Ich werde nie mehr dieselbe sein wie früher.

Bin ich undankbar?

11
Dez
2009

Im Kühlschrankgewitter

Vergangene Nacht hatte Frau Frogg einen kleinen Schwindelanfall. Seither hört sie auf dem rechten Ohr wieder richtig gut.

Zwar bin ich immer noch lärmempfindlich und trage draussen weiter Ohropax. Doch heute tat ich etwas ganz Wunderbares. Etwas, was ich seit Wochen nicht mehr ohne Entsetzen über den Zustand meines Gehörs hatte tun können. Wer nie an einer Tieftonschwerhörigkeit gelitten hat, wird mein Glück darüber schwerlich nachvollziehen können. Aber ich erzähle es Euch trotzdem: Als ich im Coop einkaufte, blieb ich vor dem Kühlschrank mit den Fischstäbchen und den Pangasiusfilets stehen. Dann zupfte ich mir das Ohropax aus dem rechten Ohr. Und dann liess ich mich vom Kühlschrankgesurr duschen, etwa eine halbe Minute lang. Ich konnte es wieder hören, und es klang, wie Kühlschrankgesurr zu klingen hat. Für mich war das wie ein Bad in einem Wasserfall auf einer tropischen Trauminsel.

9
Dez
2009

Bescheuerte Versicherung 2

Neulich habe ich mein Problem mit der Callmed-Krankenversicherung geschildert.

Heute Mittag hatte ich alle Formulare für eine Versicherungsänderung ordentlich ausgefüllt. Ich freute mich: Laut dem netten Sachbearbeiter vom Montag gab es eine unbürokratische Lösung für mein Problem. Dennoch ging ich persönlich zur Versicherung. Ich wollte sicher sein, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Und siehe da: Ein neuer Sachbearbeiter, neue Schickanen: Jetzt brauche ich noch die Bestätigung eines Ohrenarztes, dass ich tatsächlich an schwankender Hörminderung auf beiden Ohren leide. Dass ich deswegen manchmal nur schwer telefonieren kann. Und dass deswegen eine kurzfristige Versicherungs-Änderung Sinn macht. Der Versicherungsheini erklärte: "Sonst gibt das bei der Revision des Bundesamtes möglicherweise ein Problem." Und man brauche das Gutachten bis 31. Dezember, jawoll.

Freunde, ich habe ein dünnes Nervenkleid zur Zeit. Ich bin schier in Tränen ausgebrochen, als er das sagte.

Ich ging dann sofort zu meinem Ohrenarzt, was sich zum Glück mit einem Spaziergang einrichten liess. Er selber war gerade nicht da. Seine Arzthelferin kennt mich mittlerweile. Sie wiegte bedauernd den Kopf: "Tja... das ist ein Gutachten... dafür braucht der Herr Professor mindestens zwei Wochen."

7
Dez
2009

Tränen, Tränen, Tränen

Am Samstag ging ich spazieren. Ich sah, wie drei Schwäne nebeneinander den Göttersee hinunterflogen. Ich hörte, wie ihre Schwingen aufs Wasser aufschlugen. Sonst hörte ich ausser dem Gedröhn in meinen Ohren nicht besonders viel. Dennoch war ich für einen Moment lang eins mit mir und der Welt.

Zu Hause griff ich dann nach Wochen unablässiger Lektüre seichter Kost zu diesem Buch:


Denn mir wurde klar: Die Welt hat drängendere Probleme als mein Ohrenleiden. Es schien, dass mich die Welt wieder hatte.

Doch gestern hatte ich noch einmal einen schweren Rückfall in die Abgeschiedenheit meiner Krankheit. Ich war bei meinen Eltern zu Besuch und hing dort in meinem Zimmer herum. Ich brach in Tränen aus und konnte kaum noch zu weinen aufhören. Ich weinte, einfach weil ich traurig war. Ich weinte um mein verlorenes gutes Ohr. Ich weinte, weil alles, was ich höre, schrecklich klingt. Ich weinte, weil ich mich als das missratenste und nutzloseste Kind im Quartier meiner Eltern fühlte. Und weil sie sich trotzdem so viel Mühe um mich geben.

Dabei sollte ich allmählich genug geweint haben. Ich weine seit dem 30. Oktober täglich. Das war der Tag, an dem ich ins Spital musste. Als sie mir die Nadel mit dem Cortison ins Ohr gestossen hatten, lag ich da. Vor meinem geistigen Auge sang Robert Page "I'll give you every inch of my love" und ich brach in Tränen aus. So frech, so unbeschwert, so englisch, so Rock'n'roll. Und vielleicht alles vorbei für mich.

In den wechselhaften Wochen danach schein es, als müsste jeder Aspekt meines Lebens betrauert sein: Meine nie geborenen Kinder; meine dahinsiechende Grossmutter; die Tatsache, dass auch meine Eltern älter geworden sind; die Tatsache, dass Herr T. da war; die Tatsache, dass er nicht da war; die Erinnerung an meine viel zu früh verstorbene erste Liebe; dass ich vielleicht nie mehr mit meinen Lieblingskollegen zusammenarbeiten werde; mein Stolz auf meinen Beruf; mein Stolz auf mein Gehör; mein Stolz auf... Ich weiss nicht, ob das je wieder aufhört.

Aber eins weiss ich: Heute las ich wieder Ziegler. So viel Wissen. So vieles, was uns Westlern so dringend gesagt gehört. Und immer zu wenig Zeit, es zu sagen. Immer diese Eile. Ziegler schreibt genau wie er spricht: atemlos, eindringlich, getrieben. Auch wenn das Thema ernst ist: Ich musste lächeln.

4
Dez
2009

Bescheuerte Versicherung

Ich glaubte, etwas Kluges zu tun: Im September schloss ich für das kommende Jahr eine so genannte Callmed-Krankenversicherung ab. Das bedeutet: Bevor ich einen Arzt aufsuche, muss ich eine 0800-Nummer meiner Krankenkasse anrufen. So spare ich Prämien. Und die Krankenkassen scheinen ganz erpicht darauf, ihre Versicherten in ein solches System zu stecken.

Das war, bevor die Hörstürze auf meinem guten Ohr begannen.

Unterdessen habe ich gemerkt, dass die Sache einen Haken hat: Vielleicht gibt es auch in Zukunft Tage, an denen ich wegen meiner Meniere-Erkrankung auf beiden Ohren miserabel höre. So schlecht, dass ich gar nicht telefonieren kann. Und wahrscheinlich hätte ich genau an jenen Tagen das Bedürfnis, einen Arzt oder gar das Spital aufzusuchen.

Gestern hörte ich ganz ordentlich. Deshalb beschloss ich, bei der Callmed-Versicherung nachzufragen, ob sich das Problem irgendwie lösen liesse.

Nun heisst es ja, man werde bei diesen Callmed-Zentren mit medizinisch geschulten Leuten verbunden. Aber die Callcenter-Frau, die ich am Telefon hatte, schien den Begriff Meniere'sche Krankheit noch nie gehört zu haben. Als ich ihr mein Problem schilderte, blieb ihr dann vollends die Spucke weg. Freunde, ich höre ja nicht besonders gut. Aber ich konnte sehr wohl hören, wie die Frau einen furchtbar dümmlichen Blick bekam, als sie stammelte: "Ja, dann... dann... ändern Sie wohl besser Ihre Versicherung wieder."

Das würde auf Grund dieser Erfahrung tatsächlich gern. Aber leider ist das Anfang Dezember nicht mehr möglich. Es erstaunt mich, dass die Frau am Telefon das nicht gewusst hat.

Edit 7. Dezember: Ich kann bis Ende Jahr meine Versicherungspolice doch ändern. Dem Himmel sei Dank!

2
Dez
2009

Schlimmes Erwachen

Gestern Abend telefonierte ich noch mit meiner Freundin Ella. Ich schaute fern, mit und ohne Untertitel. Ich hörte unten auf der Strasse Autos vorbeifahren und weit weg die Züge.

Heute Morgen: Nur das Gejodel und Georgel in meinem Ohr.

Vor ein paar Tagen hörte ich noch Gebrabbel am Radio, dann konnte ich vorübergehend wieder Nachrichten hören. Eben fragte ich Herrn T,: "Läuft das Radio"?

Er sagte Ja. Ich hörte nur verschneites Stimmrauschen.

Und das schlimmste ist: Ich weiss nicht, was ich machen soll. Im Spital haben sie getan, was sie konnten. Wenn ich jetzt anrufe, werden sie mich nur abwimmeln.
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