an der tagblattstrasse

28
Aug
2009

Geliftete alte Frauen

Das Alter ist neuerdings ein grosses Thema. Auch die Ausstellung Golden Agers & Silver Surfers im Kunsthaus Baselland ist ihm gewidmet. Frau Frogg war an der Vernissage. Und es hat sich gelohnt: Die Bilder einer Videoinstallation haben sich auf ihrem geistigen Auge richtig eingebrannt: Jene von "Forever" von Julika Rudelius.


(Quelle: www.acc-weimar.de)

Die Künstlerin zeigt vier Frauen an ihren Swimming Pools in Florida. Alle haben die fünfzig überschritten. Alle haben sich selber zum Kunstwerk gemacht: Ein Heer von Schönheitschirurgen, Stylisten, Coiffeuren und Fitness-Trainern muss an ihnen gearbeitet haben. Alle räkeln sich in ihrer Schönheit und ihrem Reichtum. Rudelius lässt sie über sich selber reden.

Ich stand wie gebannt vor dem Monitor, der das Video zeigte. Ich konnte und konnte nicht weggehen, bevor ich den ganzen, rund halbstündigen Streifen gesehen hatte - obwohl oben an der Bar Freunde herumstanden. Ich bewunderte die Schönheit dieser Frauen - obwohl sie in keinster Weise meinem Ideal entspricht. Ich hörte mit Genugtuung, dass solche Frauen nichts als amerikanische Platitüden von sich geben. Ich wartete darauf, dass eine dieser gereiften Grazien sich gehen lassen würde, dass kleine Risse auf diesen strahlenden Fassaden sichtbar würden. Und sie wurden es: Hier zeigt eine der Vier Zeichen von Anspannung.


(Quelle: images.artnet.com)

Ich war nicht die einzige, die beeindruckt war: Noch Stunden später hörte ich Freundinnen diskutieren, welche der vier Frauen ihnen am besten gefallen habe. Und da waren Künstlerinnen und bekennende Lesben dabei. Also nicht Frauen, die dem bei uns gängigen bürgerlich-patriarchalen Schönheitsideal nachhängen.

26
Aug
2009

Schweiz wartet

Gestern Abend, 20.35: Herr T. kommt zur Tür herein. Die Tagesschau läuft. Herr T. sagt: "Hallo", und dann: "Na? Sind sie jetzt endlich da, die beiden?" Ich muss ihn gar nicht fragen, wen er meint. Er meint die beiden Geschäftsleute, die in Libyen immer noch festgehalten werden. Gäbe es für den Zustand des Wartens eine Mess-Skala von 1 bis 10, die Nation stünde darauf zur Zeit gerade auf der Stufe 9.

16
Aug
2009

Sommernacht im Büro

Wieder einmal bin ich als Nachtschattengewächs im Einsatz. In unserem neuen Büro haben wir eine Klimaanlage. Sie kühlt richtig ordentlich. Zuweilen gehe ich nach draussen, um mich ein wenig aufzuwärmen.

14
Aug
2009

Desinfiktion

Gestern um 16.30 Uhr an der Frontsitzung* unserer Redaktion: Wir, rund ein Dutzend Redaktoren, gehen unsere Stoffe für die heutige Zeitung durch. Auch der Kollege Aufseher stellt seine Themen vor. Aufseher präsentiert sich gern als Boulevardsau. Er sagt etwas über die Schweinegrippe. Er will etwas von "Desinfektion" sagen und sagt "Desinfiktion".

Die Redaktorin und gelernte Literaturkritikerin Frogg findet den Versprecher richtig poetisch. So passend zu diesen Zeiten steigender Verunsicherung. Alle fabulieren schon seit Wochen über ein Problem, das real noch gar nicht existiert.

"Desinfiktion! Gutes Wortspiel", sagt sie fröhlich in die versammelte Runde.

"War nur ein Versprecher...", sagt er. Er sieht richtig verlegen aus.

Da wird mir klar, dass wir uns wohl gründlich missverstehen. Er glaubt bestimmt, er habe "Desinficktion" gesagt.

* Für Nicht-Zeitungsmenschen: Die Frontsitzung einer Zeitung findet jeweils gegen Abend statt. Die versammelten Redaktoren entscheiden dort, welche Stoffe auf der Front der Ausgabe des nächsten Tages präsentiert werden.

4
Aug
2009

Hände reinigen, bitte!

Ich hatte eigentlich geglaubt, die Kunst des Händewaschens seit ungefähr anno 1969 tadellos zu beherrschen. Doch heute früh, als ich eine der Toiletten in unserem Bürogebäude betrat, fand ich dort eine Flasche mit Desinfizierlösung vor. Dazu am Spiegel eine Anleitung in dieser Art:


(Quelle: www.mrsa-net.nl)

Sie belehrte mich eines Besseren. Daraus zu schliessen, dass die Schweinegrippe auch ihr Gutes hat, finde ich aber etwas verfrüht.

15
Jun
2009

Zwischenfall mit Polizeiauto

Um 11 Uhr heute Morgen will ich zu Fuss die Tagblattstrasse überqueren. Bei der üblichen Ampel. Sie steht auf Rot, aber da ist Null Verkehr. Die Strasse liegt da wie ausgestorben. Sie jetzt nicht bei Rot zu überqueren, wäre widersinnig. Deshalb tue ich, was ich in den letzten zehn Jahren bestimmt schon hundert Mal getan habe: Ich ignoriere die Ampel und tipple hinaus auf die Strasse. Ich habe gerade drei Schritte gemacht, da donnert aus dem Nichts ein Auto auf mich zu.

Ich mache einen Sprung auf die Seite. Es kommt zum Stillstand. Zwischen uns gerade noch zehn Zentimeter. Zum Glück! Sonst würde ich Euch aus dem Spital schreiben. Oder gar nicht.

Als erstes sehe ich: Verdammt, das ist ein Polizeiauto! Ich denke: "Uii! Das gibt Ärger!"

Dann fährt mir der Schreck ein und die Knie beginnen mir zu zittern. Ich hopple aufs Trottoir gegenüber.

Da lässt der Polizist die Autoscheibe hinunter und beginnt zu brüllen. "Wenn es Rot ist, ist es Rot! Das gilt auch für Sie!"

Ich will mich zaghaft rechtfertigen, doch im Grunde weiss ich: Gegen Polizisten und andere Autoritätspersonen sollte man sich nicht wehren, wenn man allein ist. Vor allem dann nicht, wenn sie am längeren Hebel sind. Und er ist am längeren Hebel. Juristisch betrachtet habe ich hier gar nichts zu melden.

"Ja, ja, schon gut!" brummle ich, immer noch verdattert, da geht seine Scheibe wieder hoch und er röhrt davon. Er muss aus dieser elenden Seitenstrasse gekommen sein. Als er in die Strasse einbog, schaute er wahrscheinlich nach Links statt nach vorn und gab wegen der Steigung der Seitenstrasse ziemlich Gas. Ich glaube, er ist genauso heftig erschrocken wie ich. Und irgendetwas am Polizistendasein befähigt einen, in solchen Momenten zu brüllen statt nur zu zittern (wie ich es wahrscheinlich auch getan hätte, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre). Eigentlich bewundernswert.

"Na, wenigstens hat er Dir keine Busse gegeben!" sagte eine Kollegin beim Mittagessen.

10
Jun
2009

Spaziergang mit Kind

Soll mir nie mehr jemand erzählen, Kinder kämen als unbeschriebenes Blatt zur Welt und würden alles von ihren Eltern und anderen Bezugspersonen lernen,auch das Geschlechterrollenverhalten. Seit ich gestern mit meinem Göttibub die Tagblattstrasse hinunterging, weiss ich, dass Kinder schon mit vier ganz selbständig Dinge sehen, die zu sehen ihnen mit grosser Wahrscheinlichkeit niemand beigebracht hat.

Die Tagblattstrasse hinunter gehe ich seit einem Jahrzehnt mindestens einmal die Woche. Meistens allein. Ich weiss längst, dass dort ein alter Handwerker-Betrieb mit einem riesigen Metallgerüst im Hof steht. Ich bin mir nicht sicher, wozu es gut sein soll. Es ist mächtige drei Meter hoch und stammt eindeutig aus dem industriellen Zeitalter. Viel Beachtung habe ich ihm trotzdem nie geschenkt. Mir gefallen zwar diese historischen Zeugen des Industriezeitalters schon. Aber eher auf Reisen. Nicht auf dem Weg von und zur Arbeit. Ein stetiges Interesse an den Errungenschaften der Technik ist etwas für Männer, findet Frau Frogg.

Wobei auch Tims Vater, so weit ich weiss, kein besonderes Interesse an mächtigen Stahlgestellen in Hinterhöfen an den Tag legt. Und auch seine Mutter, Veronika, tut das eher nicht, glaube ich (correct me if I'm wrong). Hat Tim wohl in der Waldspielgruppe eine Betreuerin, die mit offenem Mund vor einem alten Saurer-Lastwagen oder einem offenen Schlossereitor stehenbleibt?

Als Tim jedenfalls mit offenem Mund stehenblieb, wusste ich erst gar nicht, was er eigentlich sah. Das ist mir mit ihm auch schon passiert. Einmal blieb er in der Stadt mit offenem Mund vor einem ziemlich wüsten Chaos stehen und blickte mit staunenden Augen ins Durcheinander. Als ich fragte: "Was siehst Du denn da?!", sagte er ehrfürchtig: "Eine Baustelle!"

Diesmal fragte er: "Was ist das?!"

Endlich sah ich das Stahlgestell, das er meinte. Aber ich wusste halt nicht, was es war. Ich werde es herausfinden!

Und dass Du auf dem Nachhauseweg so weinen musstest, tut mir leid. Nächstes Mal nehmen wir den langen Weg! Versprochen!

21
Mai
2009

Seltsamer Betriebsausflug

Kollege Eisenherz und die Frogg sitzen im Thermalpool. Laues Wasser umfächelt uns. Wir plaudern seit mindestens einer halben Stunde so intensiv wie wir in bald zehn Jahren Kollegenschaft nicht geplaudert haben. Irgendeine Unterwasserdüse hat gerade aufgehört, mit ihrem Gesprudel fröhlich quietschende Kinder an uns vorbeizutreiben. Da sagt er: "Weisst Du, wenn Du mich fragst, war das erst der Anfang."

Für einen Moment ist es, als würde sich eine Wolke vor die Sonne schieben. Denn Eisenherz meint die Kündigungwelle, die während meiner Ferien über unseren Betrieb gegangen ist. Mittlerweile wissen wir, welche unserer Kollegen sie mit sich gespült hat. Wir haben eine Wirtschaftskrise. Der Inseratemarkt ist zusammengebrochen. Und, sagt Eisenherz: "Jetzt werden doch überall immer mehr Leute arbeitslos. Wenn die ihre nächste Aborechnung bekommen, überlegen sie sich gut, ob sie noch eine Zeitung brauchen oder nicht."

Er hat zweifellos Recht.

Da sitzen wir, mitten in einer wahnwitzig schönen Landschaft. Die Sonne scheint uns wie irr ins Gesicht. Wir reden weiter, noch viel länger. Uns trennen so viele Dinge, dass es ein Wunder ist, dass wir uns so gut verstehen.

Dem Buffet später spreche ich mit aussergewöhnlichem Genuss zu. Wir Kollegen begegnen uns mit einer neuen Art von Freundlichkeit. Keiner von uns weiss, wo er in einem Jahr sein wird.

28
Apr
2009

Frage zu Schutzmasken

Diese Schweinegrippe wirft Fragen auf, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie einmal stellen würde. Zum Beispiel: In unserer Zeitung steht, die Migros hätte noch 7,5 Millionen Schutzmasken auf Lager. "Aber das reicht doch nirgends hin!" sagt die Frogg, auf einmal ganz Hausfrau. "Ich meine: Dieses Land hat 7 Millionen Einwohner. Und wie oft muss man so eine Maske wechseln?"

25
Apr
2009

Spuk im Grossraumbüro

Einen Abend pro Woche amte ich bei uns auf der Redaktion als Nachtschattengewächs. Dann gehört es zu meinen Aufgaben, bis Mitternacht die letzten Agenturmeldungen abzuwarten. So kann ich zuschauen, wie meine Redaktionskollegen Mann für Mann nach Hause gehen. Ich bleibe da. Um Mitternacht gehen auch die letzten Leute von der Seitentechnik. Wenn ich dann noch eine Kleinigkeit zu erledigen habe, bin ich allein im Büro.

Mutterseelenallein in einem Grossraumbüro, in dem zu geschäftigen Zeiten um die 50 Leute ihre Tastaturen behämmern, mehr oder weniger laut diskutieren, blödeln oder fernsehen. Kopfhörer sind unter uns Kollegen weit verbreitet. Manchmal muss man sich einfach konzentrieren können.

Nachts um 00.00 Uhr aber ist es still dort. Nur mein Computer surrt dann noch und sonst ein paar Geräte, die niemand abstellt. Und Schlag Mitternacht geschieht jede Nacht kurz etwas äusserst Unheimliches: Eine Luftschutzsirene mit Schalldämpfern heult auf. Fragt mich nicht, was das sein soll. Sie pfeift auf, orgelt sich durch ein paar Tonleitern, dann wird es wieder still.

Neulich hatte ich etwas Kleines zu erledigen und sass so um 00.10 Uhr noch über meinen Göppel* gebeugt - mit dem Rücken zu einer Reihe von Schreibtischen. Da höre ich plötzlich leise Geräusche hinter mir. Als würde eine Hand über die auf diesen Schreibtischen verstreuten Papiere streichen. Ich drehte mich um. Da war niemand. Kein Mensch und, nein, auch kein Insekt. Und windstill ist es zwischen diesen Kunststoffwänden sowieso.

Ich machte mich wieder an die Arbeit, doch da war diese unsichtbare Hand wieder.

Freunde, ich habe noch nie Angst gehabt nachts in diesem Büro. Im Gegenteil: Ich mag die nächtliche Ruhe dort. Ich empfinde es als so etwas wie ein Privileg, an einem Ort allein zu sein, wo sonst nie jemand allein ist. Aber jetzt bekam ich Angst. "Ein Gespenst!" dachte ich. Doch da sprach die Stimme der Vernunft: "Hey, das Büro ist kein Jahr alt. Wer sollte denn hier spuken?!"

Doch ich dachte an die vielen Zeitungsredaktoren, die ihre Jahre hier an der Tagblattstrasse verbracht haben. Zeitungen werden zwischen den unterschiedlich alten Mauern dieses Hauses seit Jahrzehnten gemacht. Vielleicht hat da so ein Schreiberling aus dem letzten Jahrtausend noch irgendeine Rechnung offen. Oder ein Gemeinderat aus der Umgebung, der sich von uns einst mies behandelt fühlte, sucht posthume Rache. Aber wer sollte das sein? War er mir wohl gesonnen? Überhaupt: Hatte ich Feinde im Haus? Nein, ich habe keine Feinde im Haus (was viel über meine Stellung darin sagt, aber das ist eine andere Geschichte).

Dennoch war an Arbeit nicht mehr zu denken. Ich packte notdürftig meine Papiere weg und verliess fluchtartig das Haus. Erst auf der Strasse fühlte ich mich wieder sicher.

Zu Hause konnte ich lange nicht einschlafen. Ob meine Haare über Nacht ergraut sind, kann ich allerdings nicht beurteilen. Sie sind ja getönt.


* Schweizerdeutsches Wort, das ursprünglich fahrbare Untersätze aller Art bezeichnete. Heute aber auch für Computer gebräuchlich, zumindest bei uns in der Gegend.
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