an der tagblattstrasse

4
Jan
2011

Tag des Selbstmitleids

Es gibt einen Internationalen Tag der Händehygiene (12.Mai). Einen Tag des Europäischen Notrufs 112 (11. Februar). Sogar einen Tag des chronischen Erschöpfungssyndroms (12. Mai). Einen internationalen Tag des Selbstmitleids gibts nicht. Das ist ein Manko, finde ich. Ein gelegentlicher Anfall von Selbstmitleid ist gut für die Psychohygiene und schärft den Blick auf die Realität. Deshalb erkläre ich hiermit den 4. Januar zum internationalen Tag des Selbstmitleids. Ich habe allen Grund dazu, wie dieser Überblick zeigt:

7.30 Uhr: Als ich nach dem Aufstehen meine Nachttischlampe löschen will, knalle ich mit der Birne gegen das Schrägdach. Aua!

7.35 Uhr: Ein Blick auf die Waage bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen: Nie, nie wieder werde ich dieses elende Pfund los, das ich über die Feiertage angesetzt habe!

10 Uhr: Heute habe ich schwierige Kunden. Ich muss mich von einer Kuh beleidigen lassen, die etwa einen halb so hohen IQ hat wie ich. Kann man noch tiefer sinken?

10.30 Uhr: Ich brauche Hilfe bei einer Kleinigkeit und gehe zum Kollegen Räucherstäbchen. Einer feiner Mensch, der hier Tag für Tag einen Job ausführt, mit dem er der Weltöffentlichkeit nicht auffällt. Nicht mehr jung. Gefangen in seiner beruflichen Tretmühle. Er greift zur Computer-Tastatur. Seine Hände zittern. Seltsam. Wenig später scheint mir, als steige leichter Träschgeruch aus dem Becher auf seinem Pult. Horror! Ich arbeite in einer Bude, in der Menschen still dem Alkohol anheim fallen! Ich muss hier noch zwanzig Jahre arbeiten. Ich verdiene hier mein Gnadenbrot!

14 Uhr: Man kann noch tiefer sinken. Es gibt Dinge, von denen ich mir geschworen habe, dass sie nie durch meine Hand in eine Zeitung gelangen werden. Eines von ihnen wird morgen die Seite 22 unseres Blatts zieren. Ich habe es dorthin gestellt. Naja, niemand wird deswegen sterben oder unschuldig ins Gefängnis kommen. Aber trotzdem! Ich weiss jetzt: Man kann bodenlos tief sinken.

Der Tag ist zum Glück bald vorbei. Morgen überlege ich mir, ob ich etwas für meinen Kollegen Räucherstäbchen tun kann. Wäre gut, wenn ichs bis am 24. Januar wüsste. Dann ist Welttag der sozialen Kommunikation.

27
Dez
2010

Kleine Sünden

Auch bei mir haben die Feiertage auf die Waage geschlagen. "Heute gibts keine Schokolade nach dem Mittagessen", sagt sich Frau Frogg streng. Auf dem Weg zur Arbeit schwenke ich in den Coop, um Obst zu kaufen. Dort sehe ich ein Körbchen Litschi für sagenhafte Fr. 2.70.

Ich greife zu, denn ich liebe Litschi. Alles an ihnen. Auch ihre Schale, die aussen so bräunlich und höckrig ist. Zieht man sie ab, so offenbart sie ihre seidig glänzende Innenseite. Zartrosa. Wenn ich Litschis schäle, muss ich immer an eine erotische Szene mit knistriger Unterwäsche denken.

Erst nach der Kasse erlaube ich mir, es zu sehen: Die Früchte sind aus Madagaskar.

Normalerweise kauft Frau Frogg nur Lebensmittel aus der Schweiz oder wenigstens aus Europa - naja, ausser der einen oder anderen Banane und dem Kaffee natürlich. "Dafür gibts heute keine Schokolade!" bekräftigt Frau Frogg.

Aber sie hat die Rechnung ohne die Lage im Büro gemacht. Hier ist über die Feiertage die Heizung ausgefallen. Am Mittag in der Cafeteria isst Kollege Fröhlich mit dem Schal. Kollege Barbarossa hat sich die Winterjacke übergezogen. Es sieht aus wie in Russland. Dort werden viele öffentliche Gebäude nicht geheizt. In Altersheimen tendiert die Temperatur im Winter oft gegen Null. Die Bewohner sitzen im Wintermantel im Aufenthaltsraum und stossen beim Reden weisse Wolken aus.

Ich habe schon zweieinhalb Stunden gefroren. Jetzt schreit jede Faser meines Körpers nach Kohlehydraten. Als Barbarossa herzhaft in einen Torino-Stängel beisst, kann ich nicht mehr an mich halten. Ich hole mir auch einen aus dem Automaten. Man muss zu diesen Schoggistängeln anmerken: Das sind massive Dinger. Nicht umsonst heisst Schokolade in dieser Grösse und Form hierzulande "es Branchli" - von Französisch: "la branche", der Ast. Wobei die helvetische Verkleinerungsform nur ein Eindeutschungs-Zeichen ist. Man könnte jemanden erschlagen mit so einem Torino-Branchli. So eins esse ich.

Später am Nachmittag sitze ich dann im Büro und schäle sorgsam ein paar Litschi-Früchte. Ich frage mich, ob es meinen CO2-Fussabdruck vergrössert, dass ich sie gekauft habe. Und ob es furchtbar verwerflich wäre, am Feierabend zu Hause auch noch ein heisses Bad zu nehmen.

21
Nov
2010

Ich prügle mein Pferd

Vor Volksabstimmungen habe ich jeweils besonders viel zu tun. In der letzten Woche sogar rekordverdächtig viel. Zum Erstenmal seit meinem Hörsturz habe ich wieder Achtstundentage hingelegt. Vier. Und einen Sonntagnachmittag. Ich war himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Manchmal war ich froh, dass ich es noch - oder wieder - kann. Dann wieder frass Sorge an mir. Werde ich in der Lage sein, diesen Berg Arbeit anständig zu bewältigen? Würde ich es schaffen, ohne dass meine ohnehin in diesen kalten Novembertagen etwas labilen Ohren Schaden nehmen?

Neulich sagte ein Bekannter zu mir: "Ich weiss schon. Du gehörst zu den Leuten, die früher das Pferd geprügelt haben, bis es umfiel. Und jetzt weisst Du nicht, wie viel Du ihm noch zumuten kannst." Sowas darf nur jemand zu mir sagen, den ich sehr gut mag.

Ich bin froh, wenn nächsten Sonntag erst mal das Gröbste vorüber ist.

30
Okt
2010

Bericht aus der Kampfzone

Eben komme ich von der Demo zämestah in Bern zurück.

Zwei Zitate aus den Reden:

"Bald wird niemand mehr für die Invalidenversicherung bezahlen wollen. Denn wenn man sie braucht, ist sie nicht mehr da." Peter Wehrli, Zentrum für selbstbestimmtes Leben.

Katharina Prelicz ihrerseits, Grüne Nationalrätin, berichtete von ihrer Arbeit in der Personalabteilung einer grösseren Firma in den neunziger Jahren. Allmählich seien die Jobs für aus gesundheitlichen Gründen leistungsschwächere Mitarbeiter verschwunden. "Ich bekam von der Firmenleitung dann jeweils den Auftag: 'Melden Sie diese Leute bei der IV an'. So war das damals. Es ist auch heute noch so." (Nur eine Rente bekommt heute keiner mehr einfach so, weil er über 50 und seinem Arbeitgeber zu krank ist).

Die Forderung: Die Arbeitgeber sollen per Gesetz dazu veranlasst werden, Arbeitsplätze für Behinderte zu schaffen. Frühestens dann soll sich die Politik Gedanken über die Streichung von Renten machen. Besser noch wäre eine gerechte IV.

Ich war angenehm überrascht, dass unter den gegenwärtigen politischen Vorzeichen überhaupt ein paar Unentwegte sich darüber Gedanken darüber machen, wie eine faire Invalidenversicherung aussehen könnte. Es waren nicht sehr viele. Ein paarhundert Köpfe. Es dürfen ruhig noch mehr werden!

Edit: Mehr über die Demo bei Mia.

Und jetzt zur Auflockerung ein schön kitschiger Soundtrack zu Halloween:

24
Okt
2010

Mama und das Kruzifix

Mutter Frogg sagt schon zum zweiten Mal: "Weisst Du, ich verstehe das wirklich auch nicht! Warum sollte man in einem Schulzimmer kein Kreuz aufhängen dürfen?! Wo doch manche muslimischen Mädchen schon mit dem Kopftuch zur Schule gehen dürfen!"

Ich habe ihr bereits zu erklären versucht, dass das nicht dasselbe ist. Dass in den Augen der Richter für eine öffentliche Einrichtung andere Regeln gelten als für Individuen. Sie will es nicht begreifen. Ich muss jetzt gröberes Geschütz auffahren.

"Mama, Du warst doch bei Nonnen in der Grundschule, nicht? Also. Diese Nonnen haben Dir doch jeweils gesagt, dass Dein Vater nicht in den Himmel kommt. Weil er reformiert ist." Sie nickt. "Grossmutter Walholz hat doch früher immer erzählt, wie Du deswegen zu Hause draussen auf der Treppe gesessen und geweint hast." Sie nickt. "Also, Mama", sage ich, "Würdest Du es denn in Ordnung finden, wenn der Staat den Wahrheitsgehalt von solchem Schwachsinn auch noch unterstreicht - indem er Kreuze in Schulzimmern aufhängt?"

"Ja, so kann man das wirklich sehen", sagt sie zögernd. Sie hat es endlich begriffen! Halleluja!

Und wenn ich hier schon gegen die katholische Kirche wettere, gleich noch eine andere Geschichte: Ich kannte früher eine nette ältere Dame in einer mittelgrossen katholischen Schweizer Stadt. Sie war in den dreissiger Jahren aus Deutschland in die Schweiz gekommen, ihr Vater war Jude, sie selber protestantisch. Sie heiratete einen jungen Mann aus einer angesehenen katholischen Familie, blieb aber ihrem eigenen Bekenntnis treu. 1942 verlor sie ihr erstes Kind an den plötzlichen Kindstod. Der plötzliche Kindstod ist, weiss Gott, nichts, was man einer jungen Mutter wünscht.

"Als es passiert war, kam der Pfarrer von der Kirche am Hauptplatz mich besuchen", erzählte die alte Dame, "Er sagte zu mir: 'Sehen Sie, Frau X., das ist jetzt die Strafe dafür, dass Sie nicht konvertiert sind!"

Ich muss an dieser Stelle anmerken: Ich bin selber immer noch katholisch. Dennoch: Ich finde, dass der Bundesgerichts-Entscheid von 1990 das Beste ist, was uns in dieser Frage passieren konnte.

22
Okt
2010

Ein Deutscher flieht

In diesen Stunden verlässt ein deutscher Staatsangehöriger mit seiner Familie fluchtartig seine bisherige Wohngemeinde Triengen im schweizerischen Kanton Luzern. Der Hintergrund: Ihn störten die Kruzifixe in den Schulzimmern, die seine beiden Kinder besuchten. Er verlangte, dass die Schulleitung sie entfernte. Er bekam Morddrohungen.

Um diese Geschichte überhaupt zu verstehen, muss man wissen: Die luzerner Landschaft ist eine zutiefst katholische Weltgegend. Noch im vorletzten Jahrhundert zogen ihre Bewohner gegen den protestantisch dominierten Bundesstaat ins Feld - zum Glück erfolglos. In den letzten Jahrzehnten hat allerdings auch hier der religiöse Eifer merklich nachgelassen - wie überall sonst auch.

Doch dem wahrscheinlich ziemlich wirrköpfigen Freidenker aus Deutschland gelang es, die Geister der alten Zeiten wieder zu wecken. Er setzte sein Begehren mit Verweis auf ein Bundesgerichtsurteil aus dem Jahre 1990 durch. Die Kreuze verschwanden. Und die Christenheit der Luzerner Landschaft erwachte schlagartig und warf sich in die Brust. In Bergen von Leserbriefen mahnte sie die christlischen Grundwerte unseres Landes an. Sie verlangte nach dem Schutz der Mehrheit vor der Minderheit. Und nach und der Toleranz der Wenigen für die Vielen und derlei mehr.

Einverstanden: Der Mann hat kein Gramm Sensibilität im Leib. Sonst hätte er gemerkt, dass er seinen Kindern mit seiner Forderung keinen Gefallen tat. Er hätte den Kompromissvorschlag des Gemeinderates nicht ausgeschlagen und mit dem Gang vors Bundesgericht gedroht.

Aber Morddrohungen?! Hallo?!

Da würde ich jetzt doch erwarten, dass in der Luzerner Landschaft ein paar Leute sich auch tatsächlich auf christliche Grundwerte besinnen und dies der Öffentlichkeit kundtun. Ich meine: Soweit ich weiss, spielen bei den christlichen Grundwerten die 10 Gebote eine Rolle. Eines davon lautet: "Du sollst nicht töten." Daraus lässt sich doch sicher mühelos die Regel ableiten: "Du sollst keine Morddrohungen verschicken."

Ich habe mich ja schweren Herzens daran gewöhnt, dass die Errungenschaften der Aufklärung in diesem Land für die meisten nicht viel mehr als ein dünner Lack sind. Kratzt man leicht daran, dann merkt man: Hier wollen die meisten rationalen Argumenten gar nicht zugänglich sein. Wird sich nun herausstellen, dass auch dieses Getue über christliche Grundwerte nur eine dünne Farbschicht ist? Stehen dahinter nichts als die dicken Mauern von Ur-Instinkten? Etwa diesem: "Hier regiert das Recht des Rudels!"Oder diesem: "Jeder Fremde ist zuerst einmal ein Feind." Oder diesem: "Wenn er nicht hört und Du bist stärker, dann hau ihn!"

20
Okt
2010

Zämestah



via Mia und Journalistenschredder.

8
Mai
2010

Burka-Debatte

Auch die Schweiz hat jetzt ihre Burka-Debatte. Vom Aargau aus breitete sie sich in Windeseile aus und erreichte sehr schnell auch die Innerschweiz - jene Weltgegend, wo die Schweiz noch wirklich Schweiz ist und es auch bleiben will. Unverzüglich taten die Sittenwächter der Region ihre Meinung zum Thema kund. "Burkas müssen jetzt verboten werden, sonst breiten sie sich auf unseren Strassen schnell aus, so wie es mit dem Islam passiert ist", schreibt etwa René Kuhn in einem Leserbrief.

Über Kuhn muss man sagen: Er weiss, was sich für Frauen gehört. Mit seinen Tiraden über "linke, verfilzte Weiber" sorgte er vor einiger Zeit schweizweit für Aufsehen. Sie brachten ihn etwas verfrüht um Amt und Würden als SVP-Präsident und Grossstadtrat der Stadt Luzern. Man kann davon ausgehen, dass Herrn Kuhn das Wohlergehen verschleierter Frauen nicht sehr am Herzen liegt. Wahrscheinlich eher das Wohlgefallen der hiesigen männlichen Frauen-Betrachter. Sollte es zu einer Abstimmung über Burkas kommen, prophezeit Kuhn allerdings, so sei einem Verbot eine "80-Prozent-Zustimmung" sicher. Burka-Gegner könnten dann aufatmen: Der Ganzkörperschleier würde verboten, bevor überhaupt je eine gänzlich verhüllte Frau den Boden der Urschweiz betreten hätte.

Doch schon zeichnen sich Probleme ab. Heute war es in der Zeitung zu lesen: Investoren aus Katar wollen die alten Hotelkästen auf dem Bürgenstock totalsanieren! "300 Millionen für neues Resort", titelt die Neue Luzerner Zeitung. Wer die wirtschaftliche Wetterlage am Vierwaldstättersee kennt, weiss: Da werden sich ein paar Innerschweizer jeden Finger einzeln lecken. Denn die Hotelkästen im Kanton Nidwalden sind seit Jahren marode. Auf Geld für ihre Sanierung wartet man schon lange sehnlichst.

Aber was soll man tun, wenn die schwerreichen Herren aus Katar dereinst mit ihren verschleierten Ehefrauen die Vorzüge ihrer Hotels geniessen wollen?

Man wird wohl beim Burka-Verbot Sonderregelungen für Investoren-Gattinnen einführen müssen. Die ehrenwerten Männer aus Katar werden sich nicht einfach vorschreiben lassen, welche Körperteile ihrer Frauen sie dem Blick der Alpensöhne aussetzen wollen. Und vielleicht wollen sich ja die Gattinnen sogar selber verhüllen. Eine Spezialkommission wird einen Ausnahmenkatalog erarbeiten müssen. Um glaubwürdig zu bleiben, wählt man dann am besten Herrn Kuhn zu ihrem Präsidenten.

19
Jan
2010

Arbeiten ist bescheuert

Vor einer Woche habe ich an dieser Stelle vollmundig behauptet, arbeiten sei schön. Darf ich jetzt das genaue Gegenteil behaupten? Arbeiten ist bescheuert: Kostendruck, Gemurkse, Zeitdruck, Herumdiskutieren, Produktionsdruck, Gemurkse, Kritik, Stress, Gemurkse, Kostendruck, Streit, Zeitdruck... es hört nie auf. Gestern hat es mir zum Erstenmal seit Jahren wieder den Schlaf geraubt.

7
Jan
2010

Wieder Arbeiten

Den eleganten, schwarzen Mantel anziehen
Ins Büro stiefeln
In diese Aura von Freundlichkeit und Kompetenz schlüpfen, die Frau Frogg dort hat (meistens)
Wieder die Alte sein

Mit Kollegen scherzen
Arbeiten ist schön
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Freni - 28. Nov, 20:21
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Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
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diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

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