10
Jun
2009

Spaziergang mit Kind

Soll mir nie mehr jemand erzählen, Kinder kämen als unbeschriebenes Blatt zur Welt und würden alles von ihren Eltern und anderen Bezugspersonen lernen,auch das Geschlechterrollenverhalten. Seit ich gestern mit meinem Göttibub die Tagblattstrasse hinunterging, weiss ich, dass Kinder schon mit vier ganz selbständig Dinge sehen, die zu sehen ihnen mit grosser Wahrscheinlichkeit niemand beigebracht hat.

Die Tagblattstrasse hinunter gehe ich seit einem Jahrzehnt mindestens einmal die Woche. Meistens allein. Ich weiss längst, dass dort ein alter Handwerker-Betrieb mit einem riesigen Metallgerüst im Hof steht. Ich bin mir nicht sicher, wozu es gut sein soll. Es ist mächtige drei Meter hoch und stammt eindeutig aus dem industriellen Zeitalter. Viel Beachtung habe ich ihm trotzdem nie geschenkt. Mir gefallen zwar diese historischen Zeugen des Industriezeitalters schon. Aber eher auf Reisen. Nicht auf dem Weg von und zur Arbeit. Ein stetiges Interesse an den Errungenschaften der Technik ist etwas für Männer, findet Frau Frogg.

Wobei auch Tims Vater, so weit ich weiss, kein besonderes Interesse an mächtigen Stahlgestellen in Hinterhöfen an den Tag legt. Und auch seine Mutter, Veronika, tut das eher nicht, glaube ich (correct me if I'm wrong). Hat Tim wohl in der Waldspielgruppe eine Betreuerin, die mit offenem Mund vor einem alten Saurer-Lastwagen oder einem offenen Schlossereitor stehenbleibt?

Als Tim jedenfalls mit offenem Mund stehenblieb, wusste ich erst gar nicht, was er eigentlich sah. Das ist mir mit ihm auch schon passiert. Einmal blieb er in der Stadt mit offenem Mund vor einem ziemlich wüsten Chaos stehen und blickte mit staunenden Augen ins Durcheinander. Als ich fragte: "Was siehst Du denn da?!", sagte er ehrfürchtig: "Eine Baustelle!"

Diesmal fragte er: "Was ist das?!"

Endlich sah ich das Stahlgestell, das er meinte. Aber ich wusste halt nicht, was es war. Ich werde es herausfinden!

Und dass Du auf dem Nachhauseweg so weinen musstest, tut mir leid. Nächstes Mal nehmen wir den langen Weg! Versprochen!

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seifenblasenpusterin - 11. Jun, 11:18

an die unbeschriebene-blatt-theorie glaube ich auch nicht mehr, seitdem ich eigene kinder habe. herzliche grüße mal wieder :)

diefrogg - 11. Jun, 11:43

Die herzlichen Grüsse...

erwidere ich gern! Was die unbeschriebene-blatt-theorie betrifft, habe ich genau heute einen hoch interessanten Aufsatz von Naomi Klein im Zürcher TagesAnzeiger gelesen. Klein, in den neunziger Jahren Verfechterin des strikt anti-biologistischen amerikanischen Feminismus, anerkennt, dass die Forschung mittlerweile wichtige Hinweise geliefert hat, dass Männer- und Frauenhinweise verschieden sind. Das führt sie zum Schluss: "Das bedeutet nicht, dass Männer und Frauen nicht versuchen sollten, auf die Wünsche des anderen einzugehen ... Doch es könnte bedeuten, dass wir einander besser verstehen und geduldiger sind, wenn wir kommunizieren. Ebenso wenig implizieren die jüngsten Forschungsergebnisse, dass Männer (oder Frauen) überlegen wären oder rechtfertigen gar boshafte Diskriminierung. SIe deuten darauf hin, dass eine pluralistischere Gesellschaft, die für Unterschiede offen ist, besser lernen, arbeiten und lieben kann.
acqua - 11. Jun, 13:35

Das freut acqua, die Biologistin mit feministischer Streifung, wenn die Fundi-Feministinnen das jetzt auch so sehen.
diefrogg - 11. Jun, 13:41

Mich auch,

Ich muss es ehrlich sagen! Für mich war in den letzten Jahren wenig so befreiend wie die Entdeckung des Biologismus. Endlich konnte ich sein wie ich wollte und wusste: Ich muss nicht wie ein Mann funktionieren!
veronikaha - 14. Jun, 00:11

Mech im Tütü

Friedfertiger gemässigter Feminismus: was mich selbst betrifft, kann ich dir beipflichten, aber punkto Kindererziehung bin ich skeptisch. Dass Kinder Sachen sehen, die wir kaum beachten - einverstanden. Dass dies oft monströse Sachen sind, winzig klein oder unheimlich gross, auch einverstanden. Aber ich kann bezeugen, dass unsere Tochter ebenso oft bei einer Baustelle stehen blieb, weil ich nämlich im Wochentakt mit ihr die Geburt einer ganzen Turnhalle samt Schulhaus obendrauf mitverfolgt habe, vom ersten Bagger bis zum letzten Sträuchlein im sogenannten Park ringsherum. Der Unterschied ist primär der, dass die meisten Erwachsenen dieses Interesse von Jungen und Mädchen unterschiedlich wahrnehmen und bestätigen.
Zudem: Die Rolle der Grosseltern wird in der Sozialisierung unterschätzt: Unser Bub geht viel öfters auf Entdeckertour mit dem Grossvater als es das Mädchen erlebte. Die bekommt dafür unterdessen Lob von der Grossmutter, wenn sie schön hilft in der Küche. Das hab ich jetzt davon, dass ich auswärts arbeite und die Kinder einmal pro Woche auch von den Schwiegereltern betreut werden...
Immerhin sorgt die Geschwisterkonstellation für lustigen Ausgleich: am Donnerstag übten die beiden spontan eine Zirkusvorstellung ein. Zuerst war der Junge Löwe, Äffchen und Bär, dann Balletschüler. Er trug die Balletsachen der grossen Schwester, samt Tütü, und bewegte sich ganz grazil und andächtig...
Ganz egal welcher Art: vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst für gemeinsame Entdeckungstouren!

diefrogg - 14. Jun, 12:43

Das glaube ich,

dass das Kerlchen gern und gut tanzt, mit Tütü und ohne! Er war ganz begeistert, als Herr T. ihm neulich Natacha Atlas auflegte. "Das ist gute Musik", sagte er in fachmännischem Ton und wiegte gekonnt die Hüften! Danke auch für den Widerspruch. Ich hatte schon gedacht, er würde nicht mehr kommen. Darf ich mir die Antwort noch eine Weile überlegen? Ich muss nämlich gleich arbeiten gehen! Mit lauter Männern nota bene, was wahrscheinlich meine Wahrnehmung von Geschlechterrollen in den letzten Jahren massgeblich geprägt hat.
diefrogg - 17. Jun, 17:55

Als "friedfertige

Feministin" möchte ich eigentlich lieber nicht verstanden werden (um Die jetzt doch noch eine Antwort zu geben). Aber kämpferisch ist man besser nur dort, wo man dabei nicht selbstmörderisch ist (was nicht heisst, dass ich nicht Kollegen habe, die ein deftiges Stück feministische Analyse hier und da zu schätzen wissen. Aber im Grossen und Ganzen sind da, wo ich heute bin, mit Feminismus keine Mehrheiten zu gewinnen).
Und natürlich hast Du Recht: Vielleicht hat ja Deine Tochter das Zeug zur Bauingenieurin. Spricht nicht viel dagegen. Trotzdem würde ich Dir gerne einmal das Buch von Simon Baren Cohen ausleihen. Es hat mein Leben verändert, gerade weil es biologistisch und nicht soziologisch argumentiert.
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