17
Jun
2009

Eine Türkin will reisen

Woran denkt Ihr, wenn Ihr an türkische Frauen denkt. An Kopftücher? Naja, wenn dem so ist, dann bin ich vielleicht selber nicht unschuldig daran. Deswegen. Höchste Zeit, Euch mit der Türkin bekannt zu machen, die Acqua und ich besser kennen lernten. Ein Kopftuch zu tragen lag dieser Frau fern.

Wir trafen sie in Üçağız, auf einer Bootstour. Die Reise sollte um zehn Uhr beginnen. Doch unsere neue Bekannte führte sich ein, indem sie uns warten liess. Sie kam erst kurz nach 10.15 Uhr. Als sie dann grazil ins Boot hüpfte, übersah sie unsere kritischen Blicke und verlor keine Zeit mehr. Innert der nächsten Stunde versuchte sie unsere Reisepläne radikal zu ändern. Und sie eroberte sie unsere Herzen - und jenes des jungen Bootsmannes.

Sie heisst Funda. Erst konnte ich mir ihren Namen nicht merken, aber später lieferte sie uns eine Eselsbrücke. "Ich heisse Funda, aber ich bin keine Fundamentalistin", lachte sie. Nein, wahrlich nicht! Mit ihren hellen Haaren und den blonden Streifchen hätte sie eine junge Griechin sein können. Oder eine Holländerin. Das einzige, was an ihr entfernt an Musliminnen erinnerte, waren ihre fröhlichen, gelben Pluderhosen. Sie nahmen sich wie eine augenzwinkernde Anspielung an die ländliche Welt rund um uns aus. Sie arbeitet in der Tourismusbranche in einer Stadt an der türkischen Südküste und hat dort bereits Karriere gemacht.

Dass sie zu spät gekommen war, gehörte zu ihrem Auftritt. Sie gibt sich gerne etwas zerstreut. Sie hatte diesen leichten Charme, der Männer dazu bringt, alles für einen zu tun. Und der zuweilen einen eisernen Willen versteckt. Uns und den Bootsmann jedenfalls hätte sie beinahe dazu gebracht, unsere ganzen Pläne über den Haufen zu werfen und ganz woanders hin zu fahren als ursprünglich vorgesehen. Wenn wir nicht vergessen hätten, dass es in Üçağız keinen Bancomaten gibt, wären wir Funda bis ans andere Ende dieses zauberhaften Buchtensystems gefolgt. So aber waren wir etwas knapp bei Kasse. Wir blieben beim kurzen Bootstrip nach Kekova und Simena. Dort liess uns der Bootsmann allein, nicht ohne Funda um ihre Handy-Nummer gebeten zu haben. Wir setzten uns ins Restaurant und redeten. Wenn gerade nicht ihr Handy düdelte.

Irgendwann stellte sich heraus, dass es so oft klingelte, weil jenem Tag ihr 26. Geburtstag war.

Ihre Reise nach Üçağız war also so etwas wie ein Geburtstagsausflug. Dass sie allein war, schien sie keine Minute zu stören. Sie hatte schon jede Menge Bekannte in Üçağız. Obwohl sie erst gestern angekommen war. Sie genoss die Reise, aber eigentlich war auch klar: Irgendwann wollte sie noch weiter reisen. Nach Kuba. Oder Thailand. Oder die USA. "Und in die Schweiz?" fragten wir. Wahrscheinlich nicht", sagte sie. "Es ist so schwierig, ein Visum für den Westen zu bekommen! Erst recht seit 9/11." Sie wartete gerade vergeblich auf ein Visum für die Vereinigten Staaten. Und dann gäbe es da noch ein anderes Problem: "Wenn Du jung und aus der Türkei bist, dann haben die im Westen Angst, dass Du bei ihnen arbeiten willst. Die lassen Dich erst herein, wenn Du in der Türkei ein Haus besitzt oder verheiratet bist." Und beider sei bei ihr nicht der Fall. "Heiraten würde mir nie einfallen", sagte sie, "Aber vielleicht heirate ich, nur damit ich ein Visum bekomme und im Westen reisen kann!" Welch seltsame Formen der Scheinehe unsere Welt hervorbringt!

Es ist bedauerlich, dass Leute wie Funda gewissermassen in ihrem Land eingesperrt bleiben. Ich meine: Die Frau kann besser reisen als viele Europäer, die mir begegnet sind. Sie hat ein lebhaftes Interesse für die Welt um sich. Sie liest, sie will Dinge wissen, sie ist kontaktfreudig. Und sie versteht die Gastfreundschaft - was einem auch als Gast hilft. Mir hat sie das Grundprinzip der türkischen Gastfreundschaft erklärt: "Meine Mutter hat immer gesagt, an müsse die Bedürftigkeit des Gastes sehen und verstehen - und zwar als grundsätzliche, menschliche Bedürftigkeit."

Naja, was hier etwas theoretisch klingen mag, klang aus ihrem Mund und auf Englisch echter und menschlicher als jedes Bekenntnis eines professionellen westlichen Touristikers.

Am nächsten Tag musste Funda zurück zur Arbeit. Aber sie hatte keine Fahrgelegenheit. Wie und ob überhaupt sie es dennoch schaffen würde, wurde ein ständiges Thema für den Rest Tages, eine Art Running Gag. Unschuldig lächelnd erzählte sie von ihrer Unart, nach jeder Reise ein paar Tage zu spät zur Arbeit zurück zu kommen. Sie hatte sogar schon versucht, ihren Chef zu erreichen, um ihn um eine Verlängerung zu bitten. Am Ende jenes Tages hatte ich ein lebhaftes Bild ihres Chefs vor Augen. Er raufte sich die Haare so sehr, dass ich nicht sah, ob er überhaupt noch welche hatte.

Am nächsten Tag sahen wir sie nur noch kurz.

Aber später hörten wir, sie sei pünktlich gewesen. Gerade noch.
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