25
Apr
2009

Spuk im Grossraumbüro

Einen Abend pro Woche amte ich bei uns auf der Redaktion als Nachtschattengewächs. Dann gehört es zu meinen Aufgaben, bis Mitternacht die letzten Agenturmeldungen abzuwarten. So kann ich zuschauen, wie meine Redaktionskollegen Mann für Mann nach Hause gehen. Ich bleibe da. Um Mitternacht gehen auch die letzten Leute von der Seitentechnik. Wenn ich dann noch eine Kleinigkeit zu erledigen habe, bin ich allein im Büro.

Mutterseelenallein in einem Grossraumbüro, in dem zu geschäftigen Zeiten um die 50 Leute ihre Tastaturen behämmern, mehr oder weniger laut diskutieren, blödeln oder fernsehen. Kopfhörer sind unter uns Kollegen weit verbreitet. Manchmal muss man sich einfach konzentrieren können.

Nachts um 00.00 Uhr aber ist es still dort. Nur mein Computer surrt dann noch und sonst ein paar Geräte, die niemand abstellt. Und Schlag Mitternacht geschieht jede Nacht kurz etwas äusserst Unheimliches: Eine Luftschutzsirene mit Schalldämpfern heult auf. Fragt mich nicht, was das sein soll. Sie pfeift auf, orgelt sich durch ein paar Tonleitern, dann wird es wieder still.

Neulich hatte ich etwas Kleines zu erledigen und sass so um 00.10 Uhr noch über meinen Göppel* gebeugt - mit dem Rücken zu einer Reihe von Schreibtischen. Da höre ich plötzlich leise Geräusche hinter mir. Als würde eine Hand über die auf diesen Schreibtischen verstreuten Papiere streichen. Ich drehte mich um. Da war niemand. Kein Mensch und, nein, auch kein Insekt. Und windstill ist es zwischen diesen Kunststoffwänden sowieso.

Ich machte mich wieder an die Arbeit, doch da war diese unsichtbare Hand wieder.

Freunde, ich habe noch nie Angst gehabt nachts in diesem Büro. Im Gegenteil: Ich mag die nächtliche Ruhe dort. Ich empfinde es als so etwas wie ein Privileg, an einem Ort allein zu sein, wo sonst nie jemand allein ist. Aber jetzt bekam ich Angst. "Ein Gespenst!" dachte ich. Doch da sprach die Stimme der Vernunft: "Hey, das Büro ist kein Jahr alt. Wer sollte denn hier spuken?!"

Doch ich dachte an die vielen Zeitungsredaktoren, die ihre Jahre hier an der Tagblattstrasse verbracht haben. Zeitungen werden zwischen den unterschiedlich alten Mauern dieses Hauses seit Jahrzehnten gemacht. Vielleicht hat da so ein Schreiberling aus dem letzten Jahrtausend noch irgendeine Rechnung offen. Oder ein Gemeinderat aus der Umgebung, der sich von uns einst mies behandelt fühlte, sucht posthume Rache. Aber wer sollte das sein? War er mir wohl gesonnen? Überhaupt: Hatte ich Feinde im Haus? Nein, ich habe keine Feinde im Haus (was viel über meine Stellung darin sagt, aber das ist eine andere Geschichte).

Dennoch war an Arbeit nicht mehr zu denken. Ich packte notdürftig meine Papiere weg und verliess fluchtartig das Haus. Erst auf der Strasse fühlte ich mich wieder sicher.

Zu Hause konnte ich lange nicht einschlafen. Ob meine Haare über Nacht ergraut sind, kann ich allerdings nicht beurteilen. Sie sind ja getönt.


* Schweizerdeutsches Wort, das ursprünglich fahrbare Untersätze aller Art bezeichnete. Heute aber auch für Computer gebräuchlich, zumindest bei uns in der Gegend.
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