11
Jul
2010

Am Berg gescheitert

Nach dem Glückserlebnis im Val Plavna suchte ich die Herausforderung am Berg. Nichts geringeres als der Felsenweg im Val d'Uina sollte es am nächsten Tag werden.


(Bild Quelle www.bce.98.ch)

Natürlich hatte ich ein paar Bedenken. Ich meine: Ich fahre wegen meiner Schwindelanfälle nicht mehr Auto. Wie ich es mit Bergtouren halten soll, hat mir nie jemand gesagt. Ich habe zu fragen vergessen. Und wenn Du die Menière'schen Krankheit hast, rennt Dir nie einer nach, um Dir einen guten Ratschlag zu geben. Das weiss ich inzwischen.

Der Weg sei gut gesichert, versicherte mir Herr T. immerhin. Er sei schon als Kind dort oben gewesen.

Ob das stimmte, fand Frau Frogg nie heraus. Denn sie scheiterte schon am Aufstieg über einer Felswand. Der war nicht gut gesichert. Da gab es ein Feld mit Schneeresten zu überwinden. Dann kam ein schräger Holzbalken, der einzige Halt in einer Steilwand. Und kaum darüber hinweg gekraxelt, sah Frau Frogg schon die nächste Gefahrenzone ohne Extra-Sicherung für Meniere-Patientinnen.

Ich verspürte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube. Und über Schwindel weiss ich inziwschen eins ganz sicher: Er wird schlimmer, wenn er unter keinen Umständen da sein sollte. Ich bestand auf Umkehr, und zwar unmissverständlich.

Herr T. war not amused. Ist er einmal losgezogen, so lässt er sich ungern so kurz vor dem Ziel stoppen. Aber man muss zu seiner Ehrenrettung sagen: Er verhielt sich wie ein Gentleman.

Auf dem Rückweg sahen wir zwei Mittfünfzigern mit Mountain-Bikes zu. Sie quälten unverzagt ihre Zweiräder jenen Pfad hoch, an dem ich so kläglich gescheitert war. "Pah! Zwei Dienstleistungs-Sklaven, die sich etwas beweisen müssen!" lästerte Frau Frogg.

Aber die Niederlage traf sie tief. Sie stieg nicht nur vom Berg hinunter, sie tauchte tief hinab in ein älteres Ich. Sie war wieder die pummelige Drittklässlerin, die unten stand, wenn die anderen oben auf der Kletterstange sassen. Die bei der Teamwahl zum Völkerball-Spiel bis zuletzt aussen vor blieb. Die einen Schrecken vor dem Reck hatte.

Der Weg zurück durchs Val d'Uina war lang und dunkel. Erst nach einer Weile sah ich wieder den Wald, den Bach, die Blumen. Es waren die Worte unseres Vermieters, des Pfarrers, die mich schliesslich trösteten. "Haben sie die Blumen gesehen?" hatte er gefragt. Und dann: "Man muss die Blumen nicht beim Namen kennen. Man muss sie nur sehen."

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acqua - 12. Jul, 22:24

Was du über Kletterstangen und Recks und dergleichen schreibst kann ich ja soo gut nachvollziehen. Aber jetzt musst du dich doch nicht als Versagerin fühlen. Schliesslich ist es der doofe Menière der nicht den Berg hochkommt, nicht du. Aber schade um die schöne Bergtour ist es natürlich schon. Vielleicht kannst du dich demnächst mit einer kleinen Genusswanderung trösten?

diefrogg - 13. Jul, 11:09

Das stimmt...

Das mit dem Reck hat ja eigentlich nichts mit dem Meniere zu tun (SEHR wahrscheinlich). Und was die Genusswanderungen anbetrifft:, kann ich jetzt freudig Neuigkeiten vermelden: Wir fliegen nächste Woche noch für ein paar Tage nach London. Da wird Städtewandererin Frogg voll auf ihre Rechnung kommen! Aber sonstiges Genusswandern gerne auch wieder mal mit Dir!
books and more - 12. Jul, 23:41

Am Wochenende haben wir das Klettern auch abgebrochen; weil ich plötzlich nicht mehr so gut beieinander war und trotzt bester Angebundenheit das Fracksausen bekam in der Steilwand (vermutlich wegen Hungers o. dergl. nach mehreren Stunden Aktion). "Die Umkehr ist's, die den Bergsteiger ziert!" (Luis Trenker o.ä.)

acqua - 12. Jul, 23:44

Hätten Sie die Schokolade doch gescheiter gegessen, Herr books! Sein Handy kann man ja auch anders zerstören.
Ist man gescheitert, ist man gescheiter.
diefrogg - 13. Jul, 11:11

Toll, wenn man für sowas...

sogar Luis Trenkers Segen bekommt! Das mit der Schokolade lese ich heute Abend nach, versprochen! Da habe ich offenbar etwas verpasst!
steppenhund - 12. Jul, 23:56

Also ich ziehe bildlich gesprochen den Hut vor Ihnen. Ob mit oder ohne Meniere, ob mit oder ohne Kondition - sich in den Bergen bescheiden zu können und umzukehren ist einfach ein Zeichen der Intelligenz. Und das machen schließlich auch die leistungsfähigsten Spitzensportler.
Ich halte es zwar schon mit dem Spruch: Nur wer Unmögliches anstrebt, wird Mögliches erreichen. Doch nur der, welcher seine eigenen Grenzen kennt, darf sich an das Unmögliche heranwagen.
-
Und der Ausflug in die Vergangenheit kann auch anders besetzt sein. Meine Frau, aus Bremen stammend, kannte keine Berge, die höher als 50 Meter sind. (Weyerberg in Worpswede)
Trotzdem kletterte sie in den Jahren unserer jungen Ehe mit mir einen gesicherten Vierer auf die Sella (Südtirol) hoch. Sie ist klein und hatte bei manchen Spreizschritten schon Schwierigkeiten. Doch insgesamt gesehen kletterte sie wie eine Gams.
Wenn ich mir heute die Bilder ansehe, die ich damals gemacht hatte, mache ich mir fast in die Hosen. Steil, exponiert, zwischen den Beinen der Blick ins Tal, das sich ungefähr 200 Meter darunter befindet.
So ändern sich die Zeiten.

diefrogg - 13. Jul, 11:14

Tatsächlich...

Die Jahre machen einen generell sensibler für Gefahren. Offenbar gilt das auch in den Bergen. Kompliment an Ihre Frau! Nicht alle Nordlichter arrangieren sich leicht mit Bergen. Ich kannte eine Baslerin (!), die vor dem Pilatus (2300 Meter) zurückschreckte. Zitat: "Nein, das ist ja ein richtiger felsiger Berg. Das gefällt mir nicht. Da gehe ich nicht hoch."
Kätzerin - 13. Jul, 02:17

Im Schulsport....

war ich wie Du. Jedenfalls immer die Letzte. Einmal wurde mir bei der Zeugnisnote Gnade vor Recht gewährt, weil ich mir stets so viel Mühe gegeben hab. :-(

diefrogg - 13. Jul, 11:15

Ja, der Schulsport...

Der hat manch tapferes Kind für den Rest seines Lebens traumatisiert! Zu mir hat mal eine Turnlehrerin gesagt: "Ich verstehe das einfach nicht! Sonst bist Du doch ganz normal!"
testsiegerin - 13. Jul, 11:57

Es ist mutig, einen Berg hinaufzuklettern. Und noch mutiger ist es, umzukehren. Das hat mein damaliger Paragleitlehrer auch gesagt, und ich bin so manchesmal mit dem schweren schirm wieder vom berg runtergewandert, weil sich der wind gedreht hat oder ich Angst hatte. Auch ohne Meniere'sche Krankheit.
Kein Grund, sich als Versagerin zu fühlen. Ich weiß schon, das ist leichter gesagt als getan. Aber ich finde dich sehr mutig.

diefrogg - 15. Jul, 13:11

Unbeantwortet...

bleibt nach solchen Entscheiden ist ja immer die Frage: War es wirklich gefährlich, oder war ich einfach nur ängstlich? Das macht mir Ihr Vergleich mit dem Paragliding noch deutlicher: Man weiss es nachher nie, weil man es nicht versucht hat. Ich glaube, mit wachsender Erfahrung werden aber auch solche Entscheide leichter...
Wüstenfuchs - 16. Jul, 22:21

Ich glaube beim Gleitschirmle und beim Bergwandern ist das eigentlich ganz einfach: lieber einen Flug oder eine Wanderung weniger, dafür aber um so mehr später davon. Egal ob es tatsächlich gefährlich war oder nicht, ausschlaggebend ist das eigene Gefühl. Und wer mal richtig Angst bei einem Flug oder einer Wanderung hatte, der wird danach keine/n mehr machen.
Aber im Vertrauen: bei dem Weg wirds mir auch ohne Meniere schwindlig...!
diefrogg - 16. Jul, 22:23

Jetzt echt oder...

wegen dem Bild?
katiza - 15. Jul, 11:45

Ich glaube auch, dass Umkehren mutig ist und klug. Ich bin ein ganzes Schulschwimmsemester einmal wöchentlich am 3-m-Sprungturm umgekehrt - trotz nach mir rufender, mir Mut machen der Klasse. Später habe ich den Sprung dank Trick eines Onkels doch geschafft, sogar das 5-m-Brett und einmal das Zehner. Heute sehe ich das so, es gibt Dinge, die muss ich nicht erleben, ich muss mich nicht quälen um irgendjemanden (meistens mir und dem jüngeren Ich) etwas zu beweisen. Das Schönste ist: Sie haben die Blumen gesehen!

diefrogg - 15. Jul, 13:13

Ja, da haben Sie recht...

Frau katiza. Und sie zeigen, was es im Zweifelsfall in manchen Lebenslagen braucht: einen Trick, einen Kompromiss, etwas Hilfe... und plötzlich ist umkehren nicht mehr nötig. Wobei... am Berg sieht das natürlich wieder anders aus.
Herr T - 15. Jul, 12:16

Chavorgia dal Quar

Der Felsenweg im Val d'Uina ist 100 Jahre alt. Wie die Bilder vom Jubiläumsfest vor vier Tagen zeigen, bin nicht der einzige Fan dieses Bauwunders im Bereich Wanderwegbau. Und wie die Geschichte und Bauabrechnung zeigen, konnte die Gemeinde Sent - ganz im Gegensatz zu anderen Tunnelbauten in den Alpen - dieses Projekt mit einem Gewinn abschliessen. Und auch auf der anderen Seite des Schlinigpasses, in Mals im Vinschgau, ist man ganz begeistert, dass dieser sichere und – für damalige Verhältnisse – bequeme Übergang ins Unterengadin nun schon 100 Jahre alt ist. Der Vinschger schreibt, dass Il Quar damals eine einmalige Marketingsmassnahme gewesen sei, um den Hochgebirgstourismus anzukurbeln - selten war Marketing derart nachhaltig... Anyway waren wir wahrscheinlich für Menière-Patientinnen einfach etwas zu früh da: Im zum Teil recht ausgesetzten Einstieg zum Quar lag stellenweise noch Schnee und die nachwinterlichen und vorjubiläumsmässigen Instandstellungsarbeiten am Felsenweg waren noch nicht abgeschlossen. Das heisst: Ganz so sicher und bequem war der Felsenweg nun auch wieder nicht. Abgesehen davon lauerte unten im Tal auch noch der Bär.

diefrogg - 15. Jul, 13:05

Meine Kapitulation...

sollte natürlich kein Urteil gegen "Deinen" Weg sein! So wollte ich das keinesfalls verstanden wissen. Der Weg und ich waren einfach nicht kompatibel! Wenn DER Weg für damalige Verhältnisse bequem war, dann bin ich wieder einmal froh, dass ich nicht damals in den Bergen herumirren musste!
Was den Bären betrifft: Den hätten wir eigentlich sehen müssen. Wir waren ihm doch immer so punktgenau auf den Fersen!
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