8
Mai
2013

Von Büchern erschlagen

Neulich habe ich am Fernsehen Erdbeben-Modellfilme für Tokio gesehen. Man sah eindrücklich, wie bei einem Beben Stärke 7 "Büros zu tödlichen Fallen werden", wie es im Text hiess. Das Problem sind die Büchergestelle. Sie schütteln erst ihre Last ab und krachen dann um. Oft so, dass sie den Menschen in den Büros den Fluchtweg abschneiden. Im Video unten sieht man etwas Ähnliches.



Vage ging mir durch den Kopf, dass ich ja meist inmitten meiner Bücher schlafe. Dann vergass ich die Sache wieder. Doch gestern Abend war ich kränklich und hatte eines jener Stimmungstiefs, bei denen ich leicht weinerlich und sehr furchtsam werde. Und da gerade keine anderen Katastrophen die Existenz von Frau Frogg bedrohen, begannen sich meine Ängste auf meine Bücherbretter zu fixieren. Die Gestelle sind hoch, an sich wackling und auch noch zum Bersten voll. Eines davon würde bei einem Erdstoss mit Sicherheit auf mich fallen.

Herr T. lachte mich aus. Aber gänzlich abwegig sind meine Befürchtungen nicht. Wir hatten letztes Jahr ein Erdbeben Stärke 4,2. Hier mehr über die Erdbeben-Wahrscheinlichkeit in der Schweiz.

Mein Blick fiel vor allem auf die drei dicken, in Leinen gebundenen Romane oben links. "Hardbacks" nennt man so etwas in der Buchhändler-Fachsprache - und sie sind nicht nur hart, sondern auch schwer. Sie gehören Herrn T. Es sind Romane von Upton Sinclair. Meine Berechnungen ergaben, dass sie mir wie Projektile an den Kopf knallen würden.

Einer von ihnen heisst "Weltende".

4
Mai
2013

Das Kind und der Porsche

Mit meinem Gottenbub Tim (8) auszugehen, ist erfrischender als ein Bad im Meer an einem Hitzetag. Nur die letzten zwei- bis dreihundert Meter Fussweg bis zu seinem Zuhause sind oft etwas anstrengend. Ich bin mir nicht sicher, ob jeweils der Gottenbub in den Seilen hängt - oder vielleicht doch die Gotte.

Ich denke mir dann irgendeine Clownerei aus, damit es leichter geht. Mittlerweile glaube ich, der Slapstick und die Standup-Comedy sind überhaupt nur entstanden, weil unsere steinzeitlichen Vorfahren auf ihren langen Tagesmärschen ja den Nachwuchs irgendwie bei der Stange halten mussten. Wer die besten Faxen machte, hatte einen evolutionären Vorteil.

Letztes Mal sagte ich: "Stell dir vor, vor 150 Jahren gab es Leute, die mit Schildkröten an der Leine spazieren gegangen sind! Sie gingen sooo langsam!" Wir probieren es aus. Aber er hat schnell genug hat ruft: "Jetzt gehen wir mit einem Eichhörnchen an der Leine!" Wir hoppeln los. Ein paar Meter, dann ruft er: "Schildkröte!" Wir fallen brüsk in die Zeitlupe zurück.

Dann ruft er: "Jetzt so schnell wie ein Porsche Turbo!" Wir spurten. "Schildkröte!" ruft er. Wir bremsen. Dann er: "Jetzt wie ein BMW!"

Ich bin froh, dass wir bei ihm zu Hause sind, bevor wir ein ganzes Autoquartett durchhaben.


(Quelle: http://fotos.autozeitung.de)

Einen leichten, poetischen Soundtrack aus der Schweiz zu dieser Story gibts hier.



BAUM: "She smiles". Aus der Schweiz.

1
Mai
2013

Schlimmes Hagelwetter

Eben ist ein heftiger Hagelschauer über der Stadt Luzern niedergegangen.


(heute, ca. 18 Uhr auf unserem Balkon)

Die Körner sind baumnussgross und prasselten auf unsere Dachfenster wie Steine. Ich bekam panische Angst um unsere Fensterscheiben.

Noch heute Morgen habe ich japanische Kirschblüten und Magnolienbäume in ihrer weissen Pracht bewundert. Zum Glück! Wahrscheinlich war das eben ihr Ende.

Himmelherrgottnochmal!!! Wird das Wetter eigentlich nie mehr normal?!

Bezaubernder Roman

Um zu erklären, was ich an dieser Liebesgeschichte so bezaubernd finde, beginne ich am besten mit einer Leseprobe:

"Das Unheil war vergangenen November über mich hereingebrochen.
In keiner Weise ahnend, was mich dort erwarten würde, radelte ich morgens fröhlich zur uniwersitejt; im Rucksack verstaut Laptop, Notizblock, Schreibetui, zwaj bichlech über Wirtschaft und eine Banane mit einem brojnen Fleck. Es war ein wolkenloser, aber ausgesprochen kalter tog, und als ich die Uni betrat, beschlug meine briln sofort. Nachdem ich sie abgenommen ... hatte, stieg ich die ... Treppe zum Vorlesungssaal hinauf. Vor dessen Tir hatte sich eine Stauung von Menschen ergeben. Ich stelle mich an.
Da rief neben mir eine junge froj: 'Laura!'"
...
Noch nie hatte ich eine derart scheijne froj erblickt, und unwillkürzlich sprach ich leise den Segensspruch beim Sehen von Bäumen oder anderen Geschöpfen von aussergeöhnlicher Schönheit..."
(Seite 35).

Was Ihr an diesem Text als nicht Hochdeutsch erkennt, ist nicht etwa Schweizerdeutsch, wie die Nationalität des Autors Thomas Meyer vermuten liesse - sondern Jiddisch. Meyers Erzähler Motti (kurz für Mordechai) Wolkenbruch ist ein junger, orthodoxer Jude aus Zürich Wiedikon. Doch Meyer gelingt in diesem Buch ein Kunststück, an dem sich viele Schweizer Autoren vergeblich abmühen: Es amalgamiert eine Mundart so stimmig mit der Hochsprache, dass wir mit seinem Roman ein leuchtendes, kleines Kunstwerk vor uns haben.

Die Mundart ist ja ein Kreuz für die Schweizer Autoren. Ob "Frühstück", "Morgenessen" oder "Zmorge" - ob "Strassenbahn" oder "Tram": Jeder, der über das Leben in der Schweiz schreibt, muss den für seine Kunst richtigen Abstand zu ihr finden. Wer ihr zu nahe tritt, wird schwer lesbar oder klingt volksdümmlich. Wer sich zu weit von ihr entfernt, wirkt leblos - oder wie ein ahnungsloser Deutscher.

Nur wenigen Autoren gelingt nebst dem sprachlichen Spagat auch noch eine runde Geschichte, die zur Turnübung passt. Meyer ist einer von ihnen. Sein junger Held Motti steht zwischen der jüdischen Tradition und dem westlichen Stadtleben im 21. Jahrhundert. Die ganze Story dreht sich um die Frage, was er wählen wird.

Der Roman ist auch deshalb köstlich, weil er mit sehr irdischer Komik aufwartet - und seinen Figuren doch mit einer himmlischen Zärtlichkeit begegnet.

24
Apr
2013

Blüten, Buddha und Maria

Wenn wir Schweizer das Wort "Blueschtfährtli" in den Mund nehmen, denken wir dabei an alte Zeiten. Das Wort "Bluescht" bezeichnet laut Duden Blüte oder das Blühen - und es wirkt auf uns schon archaisch, weil es aus Blüten etwas Wucherndes, Unzählbares macht wie die englische Sprache aus "sheep" oder "fish".

Wenn wir "Blueschtfährtli" sagen, dann grinsen wir und denken an einen fiktiven Grossvater. Wir stellen uns vor, wie er an einem Prachtstag im Mai seinen Wagen aus der Garage holt. Wie er Grossmutter hineinpackt und mit ihr - und Hut - durch frühlingserweckte Landschaften gondelt.

Der fiktive Grossvater hätte für sein Blueschtfährtli das Luzerner Seetal gewählt. Es ist zwar berüchtigt für seine Autoraser, aber eine Augenweide und berühmt für seine Kirschen. So wählten auch wir das Seetal für unseren Blueschtspaziergang. Wir ahnten zwar, dass es noch zu früh ist für die Kirschblüte. Auch wir haben einen rekordverdächtig langen Winter gehabt. Aber dass uns in Ballwil dieser Buddha vor einem Laden noch im Winter-Outfit empfing, fanden wir denn doch übertrieben.



Wir liessen uns nicht entmutigen - auch wenn die Obstbäume tatsächlich noch kahl waren, wie man auf dem Bild unten sieht.



Die Anlage im Hintergrund warf uns vom Buddha auf das reiche katholische Erbe des Seetals zurück. Es ist das Heilpädagogische Zentrum Hohenrain, eine ehemalige Johanniterburg.

Früher lebten und lernten hier vor allem Kinder mit Hörbehinderungen. Meine Mutter, die in den sechziger Jahren eine Weile im Seetal arbeitete, hat auch schon von ihnen erzählt. Sie liess dabei eine charakteristische Mischung aus Angst, Neugier und Mitleid erahnen. Genau diese Mischung verdammte die Bewohner solch früher oft düsterer Gemäuer zu einem fast unüberwindlichen Aussenseitertum.

Heute ist die Schule frisch geweisselt, und auf dem Spielplatz toben fröhliche Kinder, behindert und nichtbehindert. Im Johannitercafé bei der Kirche werden Wanderer freundlich empfangen. An den Nebentischen diskutieren vom Spardruck im Kantons erhitzte Lehrpersonen über Klassengrössen.

Frisch gestärkt stiegen wir den Hang nach Ibenmoos hinauf. Es blühte. Wir sahen Löwenzahn, Ehrenpreis, Taubnesseln, Scharbocks- und Wiesenschaumkraut. Und auch wenn der Kulturflaneur auf einem Parkplatz noch ein schütteres Häufchen Schnee fand: Die Muttergottes in der Kapelle Maria zum Schnee brauchte kein Halstuch.



Auf dem Rückweg sahen wir sogar Obstbäume in Frühlingsweiss. Als wären die Blüten extra für uns aufgegangen.

20
Apr
2013

Explosives im Eisfach

Letzten Samstag wütete im Hause Frogg der Putzteufel. Herr T. rubbelte wie ein Besessener an den Fenstern. Ich reinigte den Kühlschrank mitsamt Eisfach. Ihr ahnt schon: Das ist eine Story aus meiner beliebten Serie Haushaltsdesaster und andere hübsche Häppchen.

Ich brauchte länger als geplant. Zwei tellergrosse Eisscheiben entfernte ich mit den Händen. Der Rest schmolz gemächlich weg. Kein Problem, wenn wir zum Abendessen nicht Besuch erwartet hätten. Acqua kam, ihr erinnert Euch, sie hat sich vor zwei, drei Jahren aus der Bloggosphäre abgesetzt. Wir treffen uns noch gelegentlich.

Zum Apero wollte ich einen leichten Weisswein servieren. Kurz bevor unser Gast eintraf, stand der Weisse zwar wieder im Kühlschrank, war aber noch immer lauwarm. "Och, ich lege ihn kurz ins Eisfach, nur ein paar Minuten!", dachte Frau Frogg.

Gesagt, getan. Acqua kam, es gab Apero. Acqua wollte aber keinen Weisswein trinken. Wir assen Oliven und später Spaghetti an Bärlauch-Pesto und zum Dessert ein himmlisches Rhubarb Crumble.


(Quelle: www.freerecipes.org)

Das Rezept habe ich von hier. Aber Achtung: Man könnte damit eine Hochzeitsgesellschaft sattkriegen. Wir hatten Reste, die ich am nächsten Morgen einfrieren wollte.

Als ich die Tür zum Gefrierfach aufmachte, sah ich die Weissweinflasche. Ich hatte sie einfach vergessen. Etwas Merkwürdiges war mit ihr passiert: Sie hatte über Nacht zwei Korken bekommen. Der eine lag auf dem Grund des Tiefkühlfachs. Der andere sah märchenhaft gläsern aus. Aber er war aus vereistem Weisswein. Und am Grunde des frisch geputzten Eisfachs lag eine kleine, pissgelbe Weissweinlache.

Ich verzog das Gesicht, aber Herr T. sagte: "Mann, hast Du Glück gehabt! Wenn der Zapfen nicht locker gesessen hätte, wäre die Flasche explodiert. Ich lernte: Man hat im Leben nicht immer Pech, auch wenn es manchmal zunächst so aussieht.

Gestern probierten wir dann noch den längst wieder aufgetauten Weisswein. Er war nicht mehr so besonders.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

März 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7478 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Sep, 17:51

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren