17
Nov
2012

Geheimnisse aus der Luzerner Provinz

Der Kulturflaneur, mein Liebster, ist ja eine Zörischnorre, wie man bei uns im Kanton Luzern sagt. Das heisst: Er stammt aus Zürich und spricht auch Zürcher Dialekt. Allerdings hat er anders als viele Zürcher keinen Zürcher Komplex*. Das heisst: Man kann ihn in die Geheimnisse der Provinz einweihen und er freut sich darüber - während andere Zürcher sofort Angst bekommen, sie seien jetzt auch Provinzler.

Deshalb erzähle ich ihm gerne im breitesten Luzerner Dialekt von meinen Spazier-Routen: "Vo Eibu uf Baubu, uf Ursmu und de uf Hofdere." Achtung: Alles auf der ersten Silbe betonen! Klingt chinesisch, nicht wahr? Ihr werdet diese Orte auch nicht auf Google Maps finden. Wohl aber Inwil (Eibu), Ballwil (Baubu), Urswil (Ursmu) und Hochdorf (Hofdere).



Das alles hat ohnehin mehr Ähnlichkeiten mit Polnisch als mit Chinesisch. Auch im Polnischen gibt es ja Fälle, in denen das "L" durchgestrichen und dann ungefähr als "wu" ausgesprochen wird. So heisst łódź eben "wuodsch" und nicht "lotsch". Und damit wir im Luzernischen genau zu diesem hübschen "wu"-Laut am Schluss des Wortes kommen, bauen wir halt die Wörter ein bisschen um. So wird auch Ruswil zu "Rusmu" - und ein Mann aus Ruswil ist ein "Rusmeler". aber Achtung: Der Nachbarort von Rusmu, Ettiswil heisst nicht etwa Ettismu, sondern "Ettiswiu" mit einem langen "i". - weil das Wort vorher zwei Silben hat. Eben: Zürcher kann man damit endlos verwirren.

Die schönste Geschichte aber will mir der Kulturflaneur immer noch nicht glauben: Weit, weit hinten im Luzerner Hinterland gibt es ein Dorf namens Gettnau - oder "Gättnou", wie es dort heisst. Die Überlieferung will es, dass einmal in den frühen sechziger Jahren so ein ausgeflippter junger Engländer dort war:



Ein gewisser Mick Jagger. Was er so tief im ländlichen Napfgebiet verloren hatte? Niemand weiss es. Aber er habe sich dort zu einem unsterblichen Hit inspirieren lassen, etwas wie: gätt nou satisfaction.


* Der Zürcher Komplex bezeichnet die Angst, in einer Metropole zu leben, die nicht wirklich eine Grossstadt ist - und deshalb eben auch ein Provinzler zu sein. Sie ist unter Zürchern sehr verbreitet.

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nömix - 17. Nov, 21:37

Das ist ja köstlich ;) Uns vokalverschiebungsgewohnte (Weana Neistodt für Wiener Neustadt) Nichtalemannen erstaunt die Konsonantenverschiebung zum Vokal im Alemannischen ja immer wieder. (so auch im Vorarlbergerischen – der einzigen alemannischen Sprachregion in Österreich – Breagaz für Bregenz, Bludaz für Bludenz oder Dorabira für Dornbirn usw.)

diefrogg - 18. Nov, 10:48

Danke für die sehr willkommene...

Ergänzung, Herr nömix! Da haben wir ja den Österreich-Bezug, der sonst dem Beitrag leider etwas fehlt ;)

Dorabira - das klingt plausibel. Ich wusste ja, dass die Vorarlberger alemannisch sprechen. Dass sie allerdings auch Konsonanten wegschleifen war mir bis jetzt so nicht bewusst.
diefrogg - 18. Nov, 10:51

Und hier noch ein P.S....

zum Beitrag: Eben schickt mir ein in der Luzerner Landschaft aufgewachsener Leser diese Mail: "Zäu Chaupech Teret Hezchöuch. Riidu! Äberseke, Nottu Wiige Omstu". Lauter Luzerner Ortsnamen.

Lösung: "Zell, Kaltbach, St. Erhard, Hitzchirch" - (bei "Riidu" muss sogar ich passen), aber ich kenne "Ebersecken, Nottwil, Wikon, Ohmstahl".

Falkin - 18. Nov, 13:11

zauberhafte Anekdote! Meinen Sie nicht, wert-geschätzt-e Frau Frogg, Sie könnten einer fantasielosen Person wie mir mit einem Podcast auf die lautmaler-Luzerner-Dialekt-ischen Frosch-Sprünge helfen?

diefrogg - 18. Nov, 20:10

Schwierig, schwierig,

Frau Falkin! Ich verestehe ja, dass meine Leser in der oberen Hälfte Deutschlands nicht ausgerechnet den Luzerner Dialekt im Ohr haben - und wenn ich so einen Podcast machen würde, würden Sie zwischendurch sicher auch mein schallendes Gelächter kennen lernen. Aber Sie wissen ja: Technisch sind meine Interessen beschränkt - wie man Tondokumente herstellt, weiss ich leider nicht. Und ich fürchte, dass mir zurzeit die Zeit dazu fehlt, es zu lernen. Wenn sich ein Ausweg findet, melde ich mich bei Ihnen!
Zappenduster - 20. Nov, 09:15

Wunderbar, diese Vielfalt der Dialekte! Ich finds klasse und noch viel schöner, wenn es noch Leute gibt, die das sprechen und erklären können. Danke für Deinen heutigen Beitrag.
Und Ihr Schweizer seid ja schon irgendwie knuffig. Ich genieße immer DRS drüüüüü wenn ich auf dem Weg nach Italien durch die Schweiz tuckere. Aber das inspiriert mich gleich für einen neuen Beitrag in meinem Blog....

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