luzern, luzern

6
Nov
2016

Das neue Café

Sonntagnachmittag. Der pedestrian und ich haben wieder einmal die gigantischen Baustellen am Seetalplatz besichtigt. Jetzt stehen wir beim Bahnhof Emmenbrücke und hoffen, in der Nähe einen guten Kaffee zu bekommen. Allzu zuversichtlich sind wir nicht. Cafés sind lange Zeit nicht so die Stärke von downtown Emmenbrücke gewesen. Es gibt in der Gegend bloss eine hohe Dichte von Kebab-Lokalen und ein paar Büezer-Beizen. Und eine Tierfutterfabrik.

Aber jetzt hat sich etwas getan: Gleich vis à vis vom Bahnhof leuchten die Neonfarben eines Cafés. Sieht aus wie ein Kaffeehaus für ältere Damen, mit Nussgipfeln auf den Tischen und so. "Caffe Mlinar" heisst es - ein merkwürdiger Name, denke ich. Aber interessant.


(Quelle: zentralplus.ch)

Wenig später sitzten wir im rappelvollen Lokal. Es ist tatsächlich ein Kaffeehaus. Aber ohne Nussgipfel - in den Körbchen liegen Böreks und andere Produkte aus Filo-Teig. Hier sitzen Alt und Jung, die Stimmung ist fröhlich. Ich finde es so spannend, dass ich für eine halbe Stunde glatt an meinen Ohren zu leiden vergesse. Und der Kaffee ist intensiv, ganz wie er mir mundet.

Emmenbrücke beginnt sich zu verändern. Es ist immer noch ein Moloch aus Fabriken, Verkehr und billigen Wohnungen. Hier leben immer noch die Büezer und die Migranten, aus Sri Lanka und Bosnien, aus Kosovo, Kroatien und der Türkei, aus Äthiopien und Eritrea. Nur auf den Hügeln drängen sich Einfamilienhäuschen, die den hiesigen Lehrern und ein paar Bauunternehmern gehören. Im neuen Café scheinen alle einen Treffpunkt gefunden zu haben. Und wenige Schritte weiter entsteht ein neues Stadtquartier.

Zu Hause google ich ein bisschen und stelle fest: Das Caffe Mlinar hiesse zu Deutsch Café Müller und gehört zu einer kroatischen Kaffeehauskette. Und es hat eine aussergewöhnliche Geschichte, bei der ein lokaler Spitzenfussballer eine wichtige Rolle spielt.

17
Feb
2016

Bergsteigen verboten


Der Pilatus bei Luzern. Heute ist er eine gut besuchte Tourismus-Destination. Aber das war nicht immer so.

637861 Besucher beförderten die Pilatusbahnen 2014. Wie viele dieser Fahrgäste ganz auf den Berg hinauf fuhren, weiss ich nicht. Aber ich weiss: An einem sonnigen Tag herrscht dort oben ziemlich Betrieb. Asiatische Touristen, einheimische Wanderfreunde, der obligate Alphornbläser, Familienausflügler - und die meisten ersteigen auch die höchste Stelle des Berges - den Esel (2182 müM).

Heute nennen ihn manche Luzerner bieder unseren Hausberg. Aber unsere Vorfahren mochten ihn nicht. Im Mittelalter verbot der Stadtrat sogar, ihn zu besteigen. Und das wurde auch geahndet: Als 1387 sechs Geistliche hinaufkraxelten, warf man sie danach ins Gefängnis.

Warum? Nun, im Mittelalter war diese Beschäftigung ohnehin suspekt, sogar subversiv. Als der Dichter Petrarca anno 1336 auf den Mont Ventoux stieg, war das ein Wendepunkt in der Kulturgeschichte. Petrarca ging da hinauf, um selber zu sehen. Er machte eine Entdeckungsreise. So etwas wurde damals von der Obrigkeit nicht ermutigt. Wer würde noch glauben, was irgendein Pfaffe sagte, wenn er jederzeit selber hingehen und sich ein Bild machen konnte?

Beim Pilatus begründete man das Verbot mit einer gruseligen Geschichte. Es hiess, dort oben liege die Leiche von Pontius Pilatus - jenes römischen Statthalters also, der Jesus einst ans Kreuz geliefert hatte. Den Magistraten hatte danach Gewissenspein geplagt, und er fand auch im Tod keine Ruhe. Er wurde ein bösartiges Gespenst. Wo man ihn auch begrub, er brachte Pest und Cholera und Unwetter. Also suchte man für ihn ein abgelegenes Plätzchen - fand den fraktus mons und warf die Leiche des Pontius dort in einen kleinen See. Doch auch hier soll er keine Ruhe gegeben haben. Wenn naseweise Leute auf den Berg stiegen und Steine in den Tümpel warfen, geriet seine arme Seele wieder in Aufruhr - er schickte Blitz und Donner und liess die Bäche über die Ufer treten.

Alte Sage oder Erfindung der Luzerner Obrigkeit? Möglicherweise letzteres. Erst gegen 1600 glaubte auch der Luzerner Stadtrat nicht mehr an den Hokuspokus mit dem Pilatusseeli. Die Ironie daran ist: Heute locken die Pilatusbahnen ausgerechnet mit dieser Story (hier Reisende aus aller Welt auf den Berg.

Das ist mein Beitrag zu Dominik Leitners wunderbarem Projekt *txt. Das zweite Wort in diesem Jahr lautete "Berg".

21
Jul
2015

Eine glückliche Ehe

Auf vielfachen Wunsch liefere ich hier noch den Schluss der Liebesgeschichte von Karl und Katharina nach. Ich bin ja nach der letzten Folge nicht nur ohne Abmeldung in die Ferien verreist. Ich war auch noch überzeugt, die Geschichte fertig erzählt zu haben. Aber einige meiner Leserinnen kennen mich besser als ich selber - denn dieser Text schwirrt mir schon seit Beginn der Serie im Kopf herum:

1958 heirateten Karl und Katharina. Die Ehe sei sehr, sehr glücklich gewesen, sagt sie. "Er hat mich auf Händen getragen, immer!" Dann erzählt sie, wie er, der Frühaufsteher, ihr jeden Morgen eine Tasse Kaffee ans Bett gebracht habe. Sie klingt dabei ein bisschen wie meine verstorbene Grossmutter Walholz. Auch deren Mann, Eugen, war der liebste und der beste aller Ehemänner gewesen. Jedenfalls in ihrer Erinnerung. Ich bin bei solchen Schilderungen immer etwas misstrauisch. Ich meine: Es muss doch auch in den Ehen unserer Grossmütter öde Strecken gegeben haben, Szenen, Zweifel, Verzweiflung, verbotene Sehnsüchte. Verdankt sich das Eheglück unserer Grossmütter einer gnädigen Erinnerung, die manches aufhellt und retouchiert? Oder dem Wunsch der Erzählerin, der jüngeren Zuhörerin von einem gelungenen Leben zu berichten?

Oder waren unsere Grossmütter einfach glücksfähiger als unsere Mütter ("seit er pensioniert ist, ist er immer zu Hause. Manchmal halte ich es fast nicht aus")? Oder meine jüngeren Freundinnen ("Er ist der Mann meines Lebens!" seufzen sie mit rot geweinten und blau geränderten Augen über den unsteten Gesellen, der sich nach letzter Nacht noch auf der Bettkante dann doch wieder für die Ehefrau entschieden hat)?

Wie dem auch sei: Die Ehe von Karl und Katharina überdauerte bis ins neue Jahrtausend. Die beiden hatten zwei Töchter. Sie lebten ihr ganzes Leben lang in ihrer kleinen Wohnung in Luzern und gerieten auch mal mit der barschen Vermieterin aneinander - im Rückblick heitere Episödeli. Karl wurde Lastwagenfahrer und nach seiner Pensionierung ein passionierter Gärtner.

Und dann, eines Tages in den nuller Jahren, fuhr er am Morgen schnell mit dem Rad hinaus nach Horw. Katharina wartete auf ihn mit dem Zmittag. Aber er kam nicht. Dafür kamen später zwei Männer. Als sie die vor der Tür sah, wusste sie sofort, dass etwas Schlimmes passiert war. Und in der Tat: Karl war kurz vor der Allmend auf der Hauptstrasse vom Velo gefallen wie ein Sack Zement - plötzlicher Herztod.

Die Erinnerung daran kennt keine Gnade. Sie ist und bleibt entsetzlich.

Diesen Beitrag habe ich auch beim Herrn neonwilderness angemeldet - als Beitrag zu seinem Glück bringenden Projekt *txt. Das zehnte Wort: "Glück".

11
Jun
2015

Hochzeit mit Hindernissen

Was bisher geschah: Wir schreiben das Jahr 1958. Karl und Katharina sind frisch verliebt - doch die Trennung droht: Karl ist Seemann. Sein Schiff soll nach Florida auslaufen. Eigentlich möchte er lieber in der Schweiz bleiben. Auch, weil Katharina Hilfe braucht. Sie ist unter der Knute von tyrannischen Arbeitgebern und hat als Österreicherin in der Schweiz wenig Chancen, auf eigene Faust eine neue Stelle zu finden.

In seinem Dilemma suchte Karl Hilfe bei seiner älteren Schwester - eine Autorität in der Familie. Es war am Tag, bevor er den Zug nach Holland besteigen sollte, wo sein Schiff vor Anker lag. "Ich liebe Katharina", sagte er zu seiner Schwester. "Ich weiss nicht: Soll ich gehen oder bleiben?"

"Du musst auf Dein Herz hören", sagte die Schwester.

Da griff Karl zum Telefon und meldete seinem Arbeitgeber, dass er diesmal in Luzern bleiben würde.

Er half Katharina, eine neue Stelle zu finden. Jemand verklagte die bösen Burgherrs. Und dann bekamen die beiden die Papiere, um zu heiraten.

Das Datum stand schon fest. Da sagte jemand zu Katharina, sie könne ihren österreichischen Pass behalten - das müsse sie aber vor der Heirat organisieren. Damals verloren ja Frauen ihre Staatszugehörigkeit, wenn sie heirateten.

Ja, Katharina wollte Österreicherin bleiben. Aber dazu musste die Hochzeit verschoben werden. Was würde Karl dazu sagen? Karl sagte: "Selbstverständlich sollst Du Deinen Pass behalten. Ich bin so stolz, eine Österreicherin zu heiraten - da ist das doch selbstverständlich."

Da verschoben sie die Hochzeit.

Aber dann, endlich, 1961, läuteten die Hochzeitsglocken.

Karl fuhr später noch zwei- oder dreimal zur See. Beim dritten Mal hatte das Schiff Kurs von Holland durchs Mittelmeer Richtung Suezkanal - mit Zwischenhalt in Marseille. Als das Schiff in Südfrankreich anlegte, packte Karl seine Sachen, ging an Land und nahm den nächsten Zug nach Luzern.

Später wurde er Lastwagenfahrer.

Er und Katharina wohnten viele, viele Jahre lang in einer Mietskaserne im Maihofquartier. Karl war ein begnadeter Gärtner und hegte und pflegte ein paar Beete hinter dem Haus. Ich habe ihn oft gesehen, wenn ich an ihrem Haus vorbeiging. Er war ein lebensfreudiger Mann und schäkerte gerne ein bisschen.

4
Jun
2015

Rendez-vous mit Karl

Was bisher geschah: Das Kindermädchen Katharina ist 1958 für einen einzigen Abend seinen tyrannischen Luzerner Arbeitgebern entkommen. Beim Tanzen verliebt sich die 21-Jährige Hals über Kopf in einen jungen Mann namens Karl.

Der Abend klang aus. Als der letzte Tanz vorbei war, setzte Karl die junge Frau in ein Taxi. Er wolle sie wiedersehen, sagte er. Sie wolle das auch, sagte sie. Aber sie dürfe nicht ausgehen, wegen Burgherrs. Da sagte er: „Ich werde im Café Rex auf Dich warten. Jeden Abend.“

Karl war offensichtlich ein Kenner der damaligen Trendlokale. Die Bar beim längst verschwundenen Kino Rex war damals so angesagt, dass sie aus lauter Nostalgie ihren 50-er-Dekor bis zum heutigen Tag behalten hat.


(Quelle: www.20.min.ch)

Aber wie sollte Katharina ins Café Rex kommen? Und würde Karl Wort halten?

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wenige Tage später waren Burgherrs abends wieder einmal weg. Katharina konnte zwar nicht aus dem Haus. Aber in der Stube von Burgherrs stand das Telefon, und Katharina wusste, wo das Telefonbuch war. Sie würde einfach ins Café Rex anrufen. Mit fliegenden Händen blätterte sie die dünnen Seiten um - sie hatte nicht viel Zeit und nicht viel Übung im Durchforsten schweizerischer Telefonbücher.

Aber sie fand die Nummer des Cafés. Und sie rief dorthin an. Und als sie eine Kellnerin am anderen Ende hatte, sagte sie: "Ich möchte mit dem Herrn Karl sprechen." Und die Serviererin rief in den Saal hinein: „Herr Karl, ein Fräulein Katharina möchte Sie sprechen!“ Und dann hatte sie ihn am Apparat, den Herrn Karl. Er hatte tatsächlich auf sie gewartet.

Von da an waren die beiden ein Paar.

Nun galt es, Katharina aus den Fängen der Burgherrs zu befreien.

Aber so einfach war das nicht. Denn schon wenige Tage später sollte Karl den Nachtzug nach Holland besteigen, wo sein Schiff vor Anker lag. Der Binnenländer Karl war Seemann. "Er war auf der ganzen Welt herumgekommen, durch den Suezkanal, nach China und durch den Panamakanal. Er sprach alle möglichen Sprachen, Arabisch verstand er sehr gut." Während der schicksalshaften Begegnung mit Katharina war er nur für zwei Wochen auf Heimaturlaub in Luzern. Sein Schiff sollte in den nächsten Tagen nach Florida auslaufen.

Für ihn stellte sich ganz ernsthaft die Frage: Gehen oder bleiben?

31
Mai
2015

Der Mann im weissen Hemd

Was bisher geschah: Katharina ist ihrem bedrückenden Arbeitsalltag als Kindermädchen für ein paar Stunden entkommen: Sie vergnügt sich im Luzerner Tanzlokal Alpengarten. Da betritt ein junger Mann den Saal.

"Er war braun gebrannt, mit dunklen Haaren - und er trug ein weisses Hemd", erinnert sich Katharina. Sie habe immer gesagt: "Wenn ich einmal heirate, dann einen Mann mit brauner Haut, einem weissen Hemd und einer Krawatte." Der hier trug ein weisses Hemd - aber keine Krawatte. "Dafür sah ich, wie sich in seinem Hemdausschnitt ein paar dunkle Haare kräuselten."

Die beiden warfen einander verstohlene Blicke zu. Aber vorerst geschah nichts. Dabei hätten sie nicht einmal aufzustehen brauchen, um ein paar Worte zu wechseln. Es gab im Alpengarten Tischtelefone. Das war in den fünfziger Jahren der letzte Schrei.

Ja, der Alpengarten!


(Quelle: www.luzernerzeitung.ch)

Noch meine Eltern konnten sich vorstellen, dass dort auch ein Mann für mein Leben antanzen würde. Im Cha-cha-cha vielleicht. Mir schmeckte nur schon die Idee wie drei Tage abgestandener Minzentee. Und nicht nur mir. Das Haus atmete spätestens in den Achtzigern den falschen Zeitgeist. In den neunzigern riss man es ab und stellte ein Wohnhaus an seine Stelle. Ich fragte mich flüchtig, ob die Mieter manchmal von den jungen Leuten träumen, die dort einmal die Nächte durchtanzt haben.

Es waren solche Momente, die mich an Katharinas Geschichte so fesselten – sie beschwor Bilder von den alten Mauern meiner Stadt. Sie füllte sie mit den Geistern der Menschen, die zwischen ihnen gelebt haben. Sie gab ihnen die Sepiafarbe der Erinnerung und brachte sie zum Sprechen. Und doch verstand ich die Leidenschaften nicht, von denen sie sich hatten treiben liessen. Sie blieben Gespenster.

Ausser dem jungen Mann im Alpengarten, anno 1958. Er war kein Gespenst. Er strahlte geradezu, filmreif. Doch er rührte sich immer noch nicht. Schliesslich war Damenwahl. "Da haben ich ihn zum Tanzen aufgefordert", sagte Katharina. "Und von da an tanzten wir jeden Tanz zusammen." Karl und Katharina. "Es war Liebe auf den ersten Blick", sagte sie. "Es war, als würden wir einander schon unser ganzes Leben lang kennen."

Doch wie sollte sie ihn nach diesem Abend wieder treffen? Katharina arbeitete sieben Tage die Woche. Ausgehen durfte sie nicht.

22
Mai
2015

Missglücktes Schäferstündchen

Was bisher geschah: Meine Nachbarin Katharina kommt in den fünfziger Jahren aus Kärnten nach Luzern und malocht wie eine Leibeigene. Hier mehr dazu. Dann erhält sie die Chance, wenigstens einmal tanzen zu gehen. Ihre Chefs sind weg - dennoch zögert sie. Sie hat Angst, erwischt zu werden.

Das kam nicht von ungefähr. "Weisst Du, bevor ich in die Schweiz kam, ging ich mit meiner Schwester nach Klagenfurt. Wir arbeiteten dort bei einem Bäcker", sagte sie. "Wir konnten in seinem Haus wohnen." Eines Tages fuhren der Chef und seine Frau für drei Tage weg.

Am zweiten Tag bekam Katharinas Schwester Besuch von einem Verehrer. "Ich ging extra auf einen längeren Spaziergang, damit die beiden ein paar Stunden für sich allein hatten", sagte sie. Was dann geschah, lässt sie noch nach 60 Jahren vor Schreck erblassen: "Als ich zurückkam, waren der Bäcker und seine Frau wieder zurück - einen Tag zu früh. Dafür war meine Schwester weg. In ihrem Zimmer war gar nichts mehr. Alles leer."

Später stellte wurde klar, was passiert war: Die Schwester hatte mit dem Liebsten im Bett gelegen. "Mit dem sie heute noch verheiratet ist!" betonte Katharina. Und dann seien die Bäckers nach Hause gekommen. Und hätten die Ladentochter im Bett gefunden. Allein, denn der junge Mann hatte sich eilends hinter einem Vorhang versteckt. Doch der Stoff reichte ihm nur bis zu den Waden. Man konnte seine Füsse sehen.

Der Bäcker entdeckte ihn und jagte ihn fort - die ältere Schwester wurde auf der Stelle entlassen. Auch Katharina musste noch am gleichen Tag gehen. Und jetzt sass sie in Luzern und fürchtete, dass nochmals ein ähnlicher Alptraum passieren könnte.

Aber ihre Nachbarn liessen nicht locker. Sie wollten sie zum Tanzen mitnehmen. Und so gingen sie alle drei in den Alpengarten. "Erinnerst Du Dich noch an den Alpengarten?" fragte sie. "Bei der Talstation der Dietschibergbahn?"

Ja, ich erinnerte mich vage.

Dort also vergnügte sie sich. Und dann sah sie einen Mann zur Tür hereinkommen.

Aber von ihm dann mehr nach Pfingsten!

20
Mai
2015

Karl und Katharina

Nicht in einem Märchenschloss begann die Liebesgeschichte von Karl und Katharina Rüedi, und nicht einmal in einer Arztvilla. Sondern in diesem biederen Mehrfamilienhaus.


Hünenbergstrasse 20, Luzern

Ihr habt ihre Geschichte lesen wollen - also gut, Ihr sollt sie haben!

Solche Häuser wurden in unserer Stadt nach dem Krieg zu Hunderten gebaut. Hier schuftete Katharina 1958 als Kindermädchen. Ihre Arbeitgeber hiessen sinnigerweise Burgherr. Der Burgherr habe etwas Geld mit einem Patent gemacht, erinnert sich Katharina. Gearbeitet habe er jedenfalls nicht.

Katharina lebte hier schlimmer als einst Aschenbrödel. Sie musste auf die beiden Söhne aufpassen, ging mit ihnen auf den Spielplatz und wurde gelegentlich zum Einkaufen geschickt. Sonst durfte sie nicht aus dem Haus, nie. Freien Tag hatte sie keinen, Lohn auch nicht. Das Arbeitsverhältnis war gewiss auf 100 Arten ungesetzlich. Katharina war um die zwanzig, sie wehrte sich nicht. Sie war aus Kärnten gekommen. „Wenn Du jemandem etwas sagst, stellen wir dich einfach an die Grenze“, drohten Burgherrs. Damit hatte es sich.

Gelegentlich schickte Frau Burgherr Katharina in die nahe Metzgerei. Dort sollte sie 100 Gramm Hackfleisch holen. Die Hausfrau machte dann zu Hause Bolognese für fünf Personen. Sie goss die Sauce zuunterst in die Schüssel, obendrauf kamen Spaghetti. Die oberste Schicht Teigwaren schöpfte die Chefin weg und gab sie Katharina - ganz ohne Sauce. Dann erst rührte sie die Spaghetti um und bediente die Familie.

Wenn das Mädchen in die Bäckerei musste, war das Geld genau abgezählt. Sie musste jeweils zwei Schnecken kaufen, für die Buben.


(Quelle: www.baeckerei-mathieu.ch)

Für sie selber gab es nicht einmal eine Semmel.

Katharina wäre gerne tanzen gegangen. Tanzen, das konnte sie. Aber ausgehen - undenkbar! Erst als Burgherrs einmal für drei Tage wegfuhren, schöpfte sie Hoffnung. Ein Ehepaar aus der Nachbarschaft wollte sie in ein Tanzlokal mitnehmen.

"Erst wollte ich gar nicht mit - ich hatte Angst, dass Burgherrs absichtlich früher nach Hause kommen und mich ertappen würden", sagte sie.

Ich hatte ihr bislang in unserer Quartier-Konditorei still gegenüber gesessen - nur wenige Schritte von der Hünenbergstrasse entfernt. Ich machte nur ab und zu einen ermunternden Laut. Jetzt sagte ich: "Wer macht denn so etwas?!"

Ich hatte eine kurze Antwort erwartet. Aber ich hatte nicht mit Katharinas Talent zur Abschweifung gerechnet - sofort begann sie mit einer pikanten Rückblende auf ihre Zeit in Kärnten. Aber die erzähle ich Euch nächstes Mal.

16
Mai
2015

Unglaubliche Liebesgeschichte

Meine treuen Leser wissen es: Ich habe literarische Ambitionen und arbeite an einer Liebesgeschichte. Heute Morgen grübelte ich darüber nach, ob ich meinen Lesern eine Kotz-Szene zumuten solle. In angelsächsischen Liebesromanen ist die Kotz-Szene obligatorisch. Beispiel: Die Heldin ist betrunken und hustet sich auf einem Parkplatz drei Margaritas aus dem Leib - der Held ist zur Stelle und hält ihr den Kopf. Damit erbringt er den Beweis, dass er sie liebt. Logisch, oder? Aber nicht sehr appetitlich.

Ich kam zu keinem Ergebnis. Ich ging einkaufen.

Im Coop am Schlossberg traf ich Nachbarin Katharina.
"Kommst Du mit mir einen Kaffee trinken?" fragte sie.

Ich zögerte. Katharina ist sehr redselig, seit ihr Mann vor zehn Jahren einmal nicht mehr von einer Radtour zurückgekommen ist. Er fiel in Horw wie ein Sack Zement vom Rad - Herzinfarkt. Das erzählt sie immer und immer wieder und noch viel, viel mehr. Es ist, als rede sie um ihr Leben. Ich sagte, ich hätte keine Zeit. Ja, ich gestehe es: Ich bin eine Zicke, die einsame Nachbarinnen im Stich lässt.

Auf mich wartet zu Hause schliesslich eine grosse Aufgabe.

Aber Katharina liess nicht locker. Und so ging ich mit.

Da sassen wir, im blässlichen hinteren Zimmer unserer Konditorei am Schlossberg.



Wieder quasselte sie von ihrem Karl. Sie ist aus Österreich, man hört es an ihrer Sprache.

"Wie bist Du eigentlich nach Luzern gekommen? Wo hast Du ihn denn kennen gelernt?" fragte ich.

Da passierte etwas Merkwürdiges: Aus der blabbernden Frau wurde mit einem Mal eine grosse Geschichtenerzählerin. Sie legte eine absolut bezaubernde Liebesgeschichte hin. Eine halbe Stunde lang.

Schliesslich lachte sie und sagte: "Ja, das ist doch verrückt, oder? Jemand sollte das aufschreiben." Und genau damit habe ich heute den Nachmittag verbracht. Wenn Ihr wollt, erzähle ich sie Euch - gewissermassen als Fingerübung. Aber ich brauche dafür ein paar ermunternde Kommentare. Ich muss wissen, ob das überhaupt jemand lesen will.

Sonst wende ich mich wieder den Kotz-Szenen zu.

Also, meldet Euch!

7
Mrz
2015

Die tiefste Stelle des Sees

214 Meter tief ist die tiefste Stelle des Vierwaldstättersees. Das Wasser wogte wie ein düsterer Vorhang, als in der Nacht auf den 31. Dezember 1995 ein Schiff auf sie zuhielt. Links und rechts standen finster die 1000 Meter hohen Flanken der Rigi und des Bürgenstocks.

Auf dem Schiff herrschte festliche Stimmung. Wein und Bier flossen in Strömen. Ich kann mich erinnern, ich war dabei und hatte selbst ein paar Gläschen intus.

Dann stellte das Schiff den Motor ab und zwei Männer stiegen aufs Deck. Einer trug ein schweres Metallrohr. Nach einer kurzen Ansprache warf er es in die schwarzen Wellen - auf dass es 214 Meter tief sinke und wenigtens dort unten eine Art Ewigkeit erhalte. Es enthielt die letzte Ausgabe der Luzerner Neuesten Nachrichten, frisch von der Druckmaschine. Das Blatt war wegfusioniert worden. Wie so viele Lokalzeitungen jener Jahre. Wir schauten zu. Ob wir applaudierten, weiss ich nicht mehr.

Ich war 29, und der Job bei den LNN war mein erster, der mir etwas bedeutete. Ich lernte in jener Nacht, wie man eine Welt gepflegt zu Grabe trägt. Für viele war das Ende des Lokalblatts das Ende eines goldenen Zeitalters. Für einige folgten Jahre der Bitterkeit und der Missgunst. Kaum etwas kann die Menschen in unserer friedfertigen Welt so tief entzweien wie ihre Lokalzeitung. Aber jenes Fest war ein fröhliches Fest, gediegen, geradezu zauberhaft.

Das alles ist im Grunde nichts Aussergewöhnliches. Dass ganze Betriebe von der Zeit verschlungen werden, ist in unserer Welt völlig normal - es entstehen jedesmal Lebensbrüche, Stress und ein paar gescheiterte Existenzen. Und doch: Wenn ich sie erzähle, komme ich mir lächerlich vor - wie ein Grossvater, der nicht aufhören kann, vom Aktivdienst zu erzählen. So tief geht die heilende Kraft des Vergessens.

* Dieser Beitrag ist inspirert vom dritten Wort auf *txt - "abgrundtief".
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