5
Aug
2009

Wahnsinn im Blümchenrucksack

Wahrzeichen der kroatischen Stadt Pula ist eine riesige, römische Arena. Majestätisch steht sie in einer sonst etwas russigen, etwas heruntergekommenen und von einer endlosen Werftmauer zugebauten Stadt.

Pula Arena Croatia

Als wir sie uns ansehen gingen, hatte ich meine andere Tasche dabei. Einen kleinen Rucksack.

rucksack 001

Viele meiner Bekannten haben mir seinetwegen Komplimente gemacht. Er sei so leicht und farbig, und überhaupt: Blümchen seien jetzt so im Trend. Was ausser mir niemand weiss: Die Blümchen haben ein fieses Geheimnis. Seht Ihr's?

rucksack 002

Ich finde, die Blütenköpfe sehen aus wie Totenschädel.

Nun ist das ja nichts Schlimmes. Irgendwie neckisch fand ich das. Fand den Designer begabt - hatte er es doch geschafft, seiner heiteren Blumenlandschaft einen Touch Grauen zu geben.

So trug ich mein Rucksäckli sorglos durch die Arena von Pula. Es war gegen Abend, und wir wandelten im Untergrund des antiken Baus. Wir betrachteten eine Ausstellung mit alten römischen Karten und langweiligem Handwerkszeug. Ich fragte mich noch, wieso man der blutrünstigen Vergangenheit des Baus so gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte: den Gladiatoren, den Löwen, den Märtyrern. Wir verliessen den Kellerraum durch einen langen Korridor aus 2000 Jahre altem Gemäuer. Und dann geschah etwas Furchtbares:

Plötzlich lösten sich die Totenköpfe vom Rucksack auf meinem Rücken. Sie schwebten vor meinem geistigen Auge und starrten mich an. Sie waren meine Feinde und mein peinliches, kleines Geheimnis. Sie flössten mir ungeheures Grauen ein. Ein Grauen wie ich es schon seit vielen Jahren nicht mehr erlebt habe. Seit mehr als 15 Jahren. Schon lange nicht mehr habe ich mich so angestarrt , so unbeschreiblich von der Welt verstossen gefühlt. Das heisst: Herr T. war ja bei mir. Aber der würde wohl bald merken, dass ich verrückt geworden war. Und was würde er dann tun? Mich auch verstossen. Was hätte er denn anderes tun sollen? Ich bekam noch mehr Angst.

Ich begann tief durchzuatmen. Das half manchmal. Ich wusste es von früher.

Als wir aus dem langen Korridor traten, war der Spuk vorbei.

Ich frage mich heute noch manchmal, ob ich einfach übermüdet war. Oder ob sich die Gespenster der Gladiatoren von Pula doch bei mir gemeldet haben.

Warum ich das aufschreibe? Weil ich mich frage, ob andere auch solche Anfälle haben. Weil ich mich frage, ob man über so etwas auf einem Blog überhaupt schreiben kann. Ob und wie ich über so etwa schreiben kann.

Zarte Berührung

Während Herr T. das Hotel Hysteria erforscht, gehe ich in Pula eigene Wege. Ich fahre mit dem Bus in die Stadt. Der hält irgendwo an einer belebten Kreuzug. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass hier Endstation ist. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin. Deshalb frage ich einen alten Mann nach dem Weg zu den Giardini. Er versteht zwar weder Italienisch, noch Deutsch, noch Englisch. Aber er versteht mich. Und gibt mir zu verstehen, dass ich ihm folgen soll.

Dann führt er mich zwischen Scharen von Menschen über die Strasse und auf einen zugedrängelten Markt. Immer achtet er sorgsam darauf, dass wir uns nicht verlieren. Schliesslich bleibt er vor einer kleinen Abzweigung stehen und nimmt sacht meinen Arm. Er weist das Strässchen hinunter und sagt: "Sto metri; sto metri!"* Nie hat jemand die Touristin Frogg so zart und freundlich und zugleich so unaufdringlich am Arm berührt.

Und dann rückt mir ins Bewusstsein, dass kroatisch ja eine slawische Sprache ist. Erinnerungen an Russland steigen in mir hoch. Dort, so lehrte uns einst Peter, kauft man eine kleine Flaschen Wodka, indem man im Laden grinsend und mit echt russischen Draufgängertum "schto gramm!" sagt.

Von diesem Moment an mag ich Pula.

* "Hundert Meter! Hundert Meter"
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