Bücher entsorgen
Ich entrümple gerade mein Büchergestell. Wie man Bücher entsorgt, darüber habe ich 2012 selbstbewusst einen Leitfaden geschrieben (hier nachzulesen). Eine der Regeln von damals: Wenn ich ein Buch gelesen habe und mich nicht mehr an seinen Inhalt erinnern kann, dann muss es weg. Dann hat es keinen bleibenden Wert für mich.
Aber seither sind fünf Jahre ins Land gegangen, und ich bin weichherziger geworden mit meinen Büchern. Weil ich meinem Erinnerungsvermögen weniger traue. Und weil ichreifer, anders geworden bin. Oft wiege ich eines meiner Bücher in der Hand und denke: Vielleicht würde es mir heute mehr bedeuten. So stehe ich vorm Büchergestell und blättere.
Neulich hielt ich den Titel After Henry von Joan Didion in der Hand. Joan Didion ist eine amerikanische Journalistin, die in den letzten Jahren weise und wunderbare Bücher über den Tod geschrieben hat. Aber "After Henry" stammt aus dem Jahre 1992, ist sehr politisch, daher wohl schwer veraltet - und ich konnte mich an nichts darin erinnern.
"Ich werde es ins Brocki bringen", denke ich, aber dann schmökere ich doch ein bisschen. Auf der ersten Seite erzählt Didion von den finanziellen Problemen, die sie und ihr Mann in den sechziger Jahren hatten. Sie seien eben "people who live largely by their wits" gewesen. Leute, die grösstenteils von ihrem Verstand leben - er ein junger Schriftsteller, sie eine junge Journalistin.
Plötzlich erinnere ich mich, wie ich diese Seite damals las, wohl in den USA, kurz vor dem Ende meines Studiums. Ich war gerade beruflich etwas orientierungslos - um es mal milde auszudrücken.
"To live by one's wits". Der Ausdruck imponierte mir sofort. Er legt nahe, dass eine schnelle Auffassungsgabe haben muss, wer von seinem Verstand leben will. Das kitzelnde am englischen Wort "wit": Es ist mit dem deutschen Wort Witz verwandt, das ich in diesem Zusammenhang gerne in seinem alten Sinn "Geist, Esprit, Klugheit" verstehe.
So möchte ich auch leben, dachte ich. I'd like to live by my wits.
25 Jahre ist das her, und heute kann ich meinem jungen Ich von damals stolz erzählen: Ich schaffte es. Es gelang mir, von meinem Verstand zu leben. Nach einigen Umwegen, aber danach 22 Jahre lang. Bis jetzt. Nicht so grandios wie Joan Didion. Aber wir können nicht alle Joan Didion sein.
Jetzt weiss ich, dass ich das Buch behalten werde. Ich werde es behalten, wie man ein Fotoalbum behält: Damit man sich selber später einmal erzählen kann, wer man gewesen ist - und was man geworden ist.
Aber seither sind fünf Jahre ins Land gegangen, und ich bin weichherziger geworden mit meinen Büchern. Weil ich meinem Erinnerungsvermögen weniger traue. Und weil ich
Neulich hielt ich den Titel After Henry von Joan Didion in der Hand. Joan Didion ist eine amerikanische Journalistin, die in den letzten Jahren weise und wunderbare Bücher über den Tod geschrieben hat. Aber "After Henry" stammt aus dem Jahre 1992, ist sehr politisch, daher wohl schwer veraltet - und ich konnte mich an nichts darin erinnern. "Ich werde es ins Brocki bringen", denke ich, aber dann schmökere ich doch ein bisschen. Auf der ersten Seite erzählt Didion von den finanziellen Problemen, die sie und ihr Mann in den sechziger Jahren hatten. Sie seien eben "people who live largely by their wits" gewesen. Leute, die grösstenteils von ihrem Verstand leben - er ein junger Schriftsteller, sie eine junge Journalistin.
Plötzlich erinnere ich mich, wie ich diese Seite damals las, wohl in den USA, kurz vor dem Ende meines Studiums. Ich war gerade beruflich etwas orientierungslos - um es mal milde auszudrücken.
"To live by one's wits". Der Ausdruck imponierte mir sofort. Er legt nahe, dass eine schnelle Auffassungsgabe haben muss, wer von seinem Verstand leben will. Das kitzelnde am englischen Wort "wit": Es ist mit dem deutschen Wort Witz verwandt, das ich in diesem Zusammenhang gerne in seinem alten Sinn "Geist, Esprit, Klugheit" verstehe.
So möchte ich auch leben, dachte ich. I'd like to live by my wits.
25 Jahre ist das her, und heute kann ich meinem jungen Ich von damals stolz erzählen: Ich schaffte es. Es gelang mir, von meinem Verstand zu leben. Nach einigen Umwegen, aber danach 22 Jahre lang. Bis jetzt. Nicht so grandios wie Joan Didion. Aber wir können nicht alle Joan Didion sein.
Jetzt weiss ich, dass ich das Buch behalten werde. Ich werde es behalten, wie man ein Fotoalbum behält: Damit man sich selber später einmal erzählen kann, wer man gewesen ist - und was man geworden ist.
diefrogg - 8. Nov, 15:26
14 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
"Neeeein, nicht noch ein Beitrag über diese Autorin


*Dante Alighieri: "La Comedia ; Die Göttliche Komödie ; Band I Inferno / Hölle" ; Stuttgart, PhilippReclam jun., 2010 (Übersetzung und - zuweilen geradezu launiger - Kommentar von Hartmut Köhler)

Gerade lese ich dieses Buch. Darin bin ich über einen bemerkenswerten Satz gestolpert: "Ich bin immer davon ausgegangen, dass der Begriff 'Heuchelei' bewusste, absichtliche Täuschung anderer beinhaltet. Doch die höfliche englische Gleichmacherei scheint eine kollektive, sogar kollaborative Selbsttäuschung zu sein."*
Da erstaunt nicht, dass auch Bridget wieder einen Mann will. Sie ist mittlerweile Mutter zweier Kinder, hat aber keine der Sorgen, die Frauen in diesem Alter sonst so haben: Sie ist finanziell bestens versorgt, hat keine gesundheitlichen Probleme, keine pflegebedürftigen Verwandten. Sie beginnt eine heisse Affäre mit einem 29-Jährigen namens Roxster. Das liest sich vergnüglich und ging mir zuweilen auch sehr zu Herzen.
Schon als Kind wollte die Neuseeländerin Schriftstellerin werden. In ihrer Autobiografie beschreibt sie, wie sie es wurde - trotz aller Widrigkeiten: So verbrachte sie acht Jahre in einer psychiatrischen Klinik. Als sie mit 29 entlassen wird, verfolgt sie weiter ihr Ziel. Allerdings wird sie von Selbstzweifeln geplagt. "Da war auch das beängstigende Wissen, dass der Wunsch zu schreiben noch nicht bedeutet, dass man auch Talent hat. Täuschte ich mich nicht ganz einfach selber wie andere Patienten, die ich im Spital gesehen hatte? Eine von ihnen war mir in besonderer Erinnerung, eine harmlose junge Frau, die still in ihrer Abteilung sass und Tag für Tag an ihrem 'Buch' schrieb ... Doch es bestand, wenn man es anschaute, aus nichts anderem als aus Seiten um Seiten mit Bleistift hingeschriebener "o-o-o-o-o-o-o-o-o".*