Französin mit Chic
Was tat Fred Feuerstein eigentlich 1944 in Frankreich? Wo war er stationiert? Herr T. hatte seinem Grossvater nie solche Fragen gestellt. Nur an eine Geschichte erinnert sich mein Liebster. Fred muss sie seinen Enkeln gern erzählt haben: Einmal habe er drüben in Frankreich unter Kollegen seine Meinung zu laut herausposaunt. Er habe ja so lange in der Schweiz gelebt. Da habe er sich eben nicht daran gewöhnen können, dass man unter Deutschen gewisse Dinge nicht sagen durfte. Zur Strafe sei zur Minenräum-Truppe befohlen worden - ein Selbstmordkommando. Nur weil einem Offizier das Leben rettete, sei er da wieder rausgekommen. Klar, warum er die Story so gern erzählte: Sie macht ihn zum Helden und entlastete ihn vom Verdacht, ein Nazi gewesen zu sein.
Die Briefe aus dem Frühjahr 1944 zeigen uns aber ein anderes Bild von Fred: Zu jener Zeit war er als Fahrer und Dolmetscher tätig - er hatte ja in der Schweiz Französisch gelernt.
Und noch am 11. Mai schwelgte er in den Freuden des Eroberer-Daseins. Er schreibt seiner Frau Erna nach einem Aufenthalt, wahrscheinlich in Paris*: "Kurz vor meiner Abreise habe ich ... einen fabelhaften, schweren Seiden-Brokat-Stoff gekauft. Zwei Meter in frais-rouge. Ich glaube, dass es fast zwei Blousen gibt. Es ist eine so schwere Qualität wie man sonst nirgends mehr findet. Ich hätte es als ‚Boche‘** nicht erhalten, ausser zu einem noch viel höheren Preis. Eine Demoiselle, die in Mode schwimmt, aus reichem Hause, chic, distinguée…, hat ihn für sich kaufen müssen. Ich habe das Paketchen einem Kameraden hinterlassen zur Mitnahme in die Heimat.“
Die Passage erinnert frappant an Bertolt Brechts Ballade Was bekam des Soldaten Weib:
Fred kannte das Lied sehr wahrscheinlich nicht. Brecht hatte es 1943 im amerikanischen Exil verfasst - in Deutschland bekam man es wohl nicht zu hören. Fred kannte demnach auch den düsteren Schluss nicht. Doch auch er sah dunkle Wolken heraufziehen. Er mahnte Erna - vorsichtig - zur Mässigung bei ihren Bestellungen. Er habe ihr auch einen Füllfederhalter für eine Nachbarin, Nagellacke, Augenbrauenstift, Lavendel in Beuteln, eine feine Seife und einen Rasierpinsel - wohl für einen Nachbarn - gekauft, schrieb er. Aber nun war es genug: "Du hast nun sehr viele Wünsche, allerdings lauter nützliche Dinge, die man in der Grosssstadt noch erhält, obzwar alles wahnsinnig teuer ist ... Ich mache, was ich kann…"
Und er orakelt: "Aber eben, es kommt ja doch noch zuerst eine ganz grosse Sache, eine Schlächterei, bevor unsere Feinde fertig sind. ... Sie getrauen sich vielleicht gar nicht, auf dem Lande zu kämpfen. In der Luft sind sie jetzt schon saufrech. Sie hauen schon die französischen Städte in Trümmer.“
Wir, die wir die Gnade der späten Geburt haben, wissen: Im Bezug auf die "Feinde" irrte er sich. Doch darüber später mehr.
* Wo er stationiert war, fanden wir zunächst nicht heraus. Alle Briefe waren mit "O. u." oder "am alten Ort" datiert - die Soldaten durften nicht schreiben, wo sie waren.
** Französisches Schimpfwort für die deutschen Besatzer.
Die Briefe aus dem Frühjahr 1944 zeigen uns aber ein anderes Bild von Fred: Zu jener Zeit war er als Fahrer und Dolmetscher tätig - er hatte ja in der Schweiz Französisch gelernt.
Und noch am 11. Mai schwelgte er in den Freuden des Eroberer-Daseins. Er schreibt seiner Frau Erna nach einem Aufenthalt, wahrscheinlich in Paris*: "Kurz vor meiner Abreise habe ich ... einen fabelhaften, schweren Seiden-Brokat-Stoff gekauft. Zwei Meter in frais-rouge. Ich glaube, dass es fast zwei Blousen gibt. Es ist eine so schwere Qualität wie man sonst nirgends mehr findet. Ich hätte es als ‚Boche‘** nicht erhalten, ausser zu einem noch viel höheren Preis. Eine Demoiselle, die in Mode schwimmt, aus reichem Hause, chic, distinguée…, hat ihn für sich kaufen müssen. Ich habe das Paketchen einem Kameraden hinterlassen zur Mitnahme in die Heimat.“
Die Passage erinnert frappant an Bertolt Brechts Ballade Was bekam des Soldaten Weib:
Fred kannte das Lied sehr wahrscheinlich nicht. Brecht hatte es 1943 im amerikanischen Exil verfasst - in Deutschland bekam man es wohl nicht zu hören. Fred kannte demnach auch den düsteren Schluss nicht. Doch auch er sah dunkle Wolken heraufziehen. Er mahnte Erna - vorsichtig - zur Mässigung bei ihren Bestellungen. Er habe ihr auch einen Füllfederhalter für eine Nachbarin, Nagellacke, Augenbrauenstift, Lavendel in Beuteln, eine feine Seife und einen Rasierpinsel - wohl für einen Nachbarn - gekauft, schrieb er. Aber nun war es genug: "Du hast nun sehr viele Wünsche, allerdings lauter nützliche Dinge, die man in der Grosssstadt noch erhält, obzwar alles wahnsinnig teuer ist ... Ich mache, was ich kann…"
Und er orakelt: "Aber eben, es kommt ja doch noch zuerst eine ganz grosse Sache, eine Schlächterei, bevor unsere Feinde fertig sind. ... Sie getrauen sich vielleicht gar nicht, auf dem Lande zu kämpfen. In der Luft sind sie jetzt schon saufrech. Sie hauen schon die französischen Städte in Trümmer.“
Wir, die wir die Gnade der späten Geburt haben, wissen: Im Bezug auf die "Feinde" irrte er sich. Doch darüber später mehr.
* Wo er stationiert war, fanden wir zunächst nicht heraus. Alle Briefe waren mit "O. u." oder "am alten Ort" datiert - die Soldaten durften nicht schreiben, wo sie waren.
** Französisches Schimpfwort für die deutschen Besatzer.
diefrogg - 9. Feb, 13:33
6 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks

Trotz meiner
Das war natürlich nicht meine Absicht. Denn als ich Shafak empfahl, wusste ich gar nichts vom "Musa Dagh". Ich wollte auch nicht das Werk über den Völkermord an den Armeniern empfehlen. Vielmehr hatte ich ein Buch entdeckt, das mir gefiel. Und ich wollte es den Richtigen weiter empfehlen, nämlich meinen weiblichen Lesern. Denn eins gilt meines Erachtens: Es gibt tatsächlich Bücher für Männer und Bücher für Frauen. "Der Bastard von Istanbul" ist ganz eindeutig ein Buch für Frauen, weil:
Nehmen wir zum Vergleich Werfels Buch: Es stammt aus dem Jahre 1933 und ist meines Erachtens eindeutig als Männerbuch konzipiert. Das ist auch kein Wunder: Die Öffentlichkeit war damals weit gehend ein Raum für Männer. Und Werfel brauchte öffentliche Anerkennung, um sein Buch zum bildungsbürgerlichen Leser (oder wenigstens zum Käufer) zu bringen. Von dort konnte es ja dann auch gegebenenfalls noch den Weg in die Hände der Bildungsbürgersgattin finden.
Sie haben mich 