im meniere-land

4
Jan
2012

Heute keine Musik

Es war früh am Morgen. Ich kuschelte mich an den Rücken von Herrn T. Er nahm meine Hand und flüsterte irgend etwas. Vielleicht eine Liebeserklärung. Ich hätte "hä!??!" sagen können. Oder ihn darüber in Kenntnis setzen, dass ich in der Nacht wieder einmal einen Hörsturz gehabt hatte. Aber ich zog es vor, die schöne Stimmung nicht zu verderben.

18
Dez
2011

Nie mehr klagen

"Berta nervt mich manchmal richtig", sagte Acqua, "Alles, was sie sieht, setzt sie mit ihrer Krankheit in Verbindung. Sie erzählt eigentlich nur noch, was sie alles nicht mehr kann." Sie berichtet von einer Bekannten, die an einer chronischen Krankheit leidet. "Dabei ging es ihr nach dem ersten Schub richtig gut. Sie arbeitete weniger und begann Dinge zu tun, die sie vorher kaum noch getan hatte. Aber die kann sie jetzt auch nicht mehr tun. Natürlich verstehe ich, dass das weh tut. Aber es nervt auch, dass sie an nichts anderes mehr denken kann."

Acqua redete nicht über mich - hoffe ich. Aber sie brachte ein Thema zur Sprache, über das ich in den letzten Tagen oft nachgedacht habe: Nach den grossen Hörstürzen im Herbst 2009 änderte ich mein Leben. Ich arbeitete weniger und entdeckte meine Liebe für die Musik. Aber wie wird es weitergehen, wenn die Probleme mit meinem Gehör mich noch mehr einschränken?

Dann erinnere ich mich an jenen Tag im November 2009. Ich war eben aus dem Spital gekommen. Nicht, weil ich besser hörte. Sondern, weil sie nicht mehr wussten, was sie dort mit mir machen sollten. Ich bestieg mit Gedonner in den Ohren den Hügel, an dem ich aufgewachsen war. Als ich oben war, blickte ich ins Gewölk und machte einen Deal mit dem Herrgott: "Wenn Du mich noch ein, zwei Jahre Musik hören lässt, dann werde ich mich nachher niemals über meine Taubheit beklagen!" sprach ich.

Von jenem Tag an brauchte ich noch einen Monat, bis ich wieder Musik hören konnte. Seither habe ich in meiner Freizeit nicht viel anderes getan.

Aber natürlich habe ich längst andere Dinge gefunden, über die ich mich beklagen kann.

Und gestern, als es mir richtig beschissen ging, hatte ich grosse Lust, über mein verlorenes Musikgehör in Wehklagen auszubrechen.

Aber heute höre ich wieder besser. Die Jingles am Radio klingen zwar noch falsch. Aber mit Kopfhörern kann ich es - mit reduzierter Lautstärke - wieder richtig krachen lassen. Schaut in das Video rein. Spektakuläre Performance!

16
Dez
2011

... und dann geht das Gehör!

Ja, prima! Da gebe ich vor ein paar Tagen vollmundig bekannt, dass ich fortan fast ausschliesslich mit 1001 Songs beschäftigen werde. Und was passiert nach drei Tagen?! Ja, natürlich: Mein Gehör lässt mich im Stich.

Diese Video-Perle werde ich mir zuerst anhören, wenn es wieder kommt:



Hörerinnen und Hörer mit einer Behinderung müssen den Text da und dort ein bisschen abändern. Dann funktioniert er als Hymne des Durchhaltens in jeder Lebenslage.

26
Nov
2011

Die Frau im Wald

Manchmal, wenn ich abends am Waldrand spazieren gehe, erwacht in mir ein Ur-Instinkt. Ich sehe das kahle Geäst, und dann möchte ich mich in die Büsche schlagen. Wie ein Tier. Einfach verschwinden. Ich denke viel über die Frau im Wald nach. Jene Frau, die man vor zwei Jahren in einem Wald in der Nähe von Bern gefunden hat. Sie hatte jahrelang allein im Wald überlebt. "Wie hat sie sich warm gehalten?" überlege ich, "Was hat sie gegessen? Hat sie ihre Kleider je gewaschen?"

Aber ich weiss, dass ich mich nicht in die Büsche schlagen könnte. Ich wäre nicht robust genug. Wenn ich mehr als einen halben Tag nichts esse, ertaube ich.

Lieber lasse ich mich von den Traveling Wilburys zu Hause in der warmen Stube aufheitern: hier. Unbedingt hineingucken: Es zeigt George Harrison quicklebendig, dazu - gut aufgelegt - Bob Dylan und Tom Petty.

20
Nov
2011

Konsum macht glücklich

Kürzlich habe ich von einem juristisch geschulten und ziemlich lebenserfahrenen Profi im Hinblick auf meine Zukunftsperspektiven beraten lassen. Zur Sprache kam auch das leider nicht gänzlich unwahrscheinliche Szenario, dass ich wegen meiner Krankheit alles verliere und aufs Sozialamt muss.

"Wenn das passiert", sagte er, "dann lass Dich nicht ins Bockshorn jagen. Gönn Dir etwas, so lange Du von Deinen Ersparnissen leben kannst. Kauf Dir Dinge, die man Dir nachher nicht wegnehmen kann. Geh ab und zu ins Restaurant essen oder ins Theater."

"Hm... Ich glaube, ich würde eher versuchen, möglichst lange frei zu bleiben und dem Staat möglichst spät auf der Tasche zu liegen", sagte ich.

"Naja, auf einen oder zwei Monate wird es ja dann nicht ankommen. Zudem kannst Du ja nichts dafür, wenn Dir das passiert. Es wird Dir psychisch besser gehen, glaub mir. Und das ist die Hauptsache."

Noch ist es nicht soweit - und überhaupt zelebrieren wir heute die Opulenz: hier erst mal mit einem Gratis-Video von Annie Lennox:



In einer amüsanten Nebenrolle Hugh Laurie, besser bekannt als Dr. House.

9
Nov
2011

Brutzeln in der Bratpfanne

Wenn ich so schnell und heftig ertaube* wie in der letzten Woche zweimal, dann sollte ich nichts Anspruchsvolles tun. Ich bin dann meist so zerstreut, dass selbst Staub wischen mich überfordert. Ich fange irgendwo im Zimmer an und weiss gar nicht, wo ich eigentlich hin will.

Wenn ich in solchen Phasen koche, gibt es einfache Dinge: Risotto. Oder Linseneintopf.

Heute gab es Fischstäbchen und Salzkartoffeln. Und Randensalat - oder rote Beete, wie der Deutsche sagt. Und dazu eine Lektion fürs Leben. Ich lernte: Man kocht auch mit den Ohren.

Sie begann mit dem Dampfkochtopf, in dem ich die Salzkartoffeln zubereitete. Ich muss anmerken, dass unser Dampfkochtopf ein exzentrisches Monster aus den siebziger Jahren ist. Manchmal funktioniert er hervorragend. Manchmal nicht. Ob er funktioniert, weiss ich normalerweise dank meinen Ohren. Wenn er trocken zischt, dann funktioniert er. Wenn er feucht zischt, dann funktioniert er nicht.

Okay, trocken oder feucht zischen, das klingt etwas kryptisch. Aber egal. Ich will ja bloss sagen: Ich wusste gar nicht, ob der Kerl überhaupt zischte oder nicht. So schlecht hörte ich. Ich musste also ständig auf das Ventil starren - statt auf meine rechte Hand, mit der ich eine grosse Rande durch die Bircherraffel trieb.

Für alle Nicht-Schweizer Leserinnen und Leser: Das ist eine Bircherraffel.


(Quelle: http://papierstabl.ch)

Ihr ahnt: Meinem Daumen drohte Gefahr. Doch ich bewältigte die Situation souverän. Und der Dampfkochtopf benahm sich für einmal geradezu ängstlich korrekt.

Schwieriger wurde die Sache mit den Fischstäbchen. Freunde, lasst Euch sagen: Das Brutzeln in einer Bratpfanne ist nicht nur ein angenehmes, ein liebenswertes Geräusch. Es ist auch sehr informativ. Einer geübten Köchin sagt es, ob ihre Fischstäbchen gleich anbrennen. Der plötzlich akut schwerhörigen Köchin sagt es gar nichts mehr. Zum Glück half Herr T. kurz aus. Dank seinem Einsatz waren sie nur leicht schwarz gepunktet.

Und die Kartoffeln brachte ich ganz allein geradezu perfekt hin.

Erst als wir am Tisch sassen, fiel mir dann ein, dass ich Zitrone und Mayonnaise einzukaufen vergessen hatte.

*Fluktuierender Hörverlust ist eine typische Begleiterscheinung einer Menière'schen Erkrankung, bei mir leider auf beiden Ohren - wobei bei mir ein starker Hörverlust auf dem normalerweise guten, rechten Ohr geradezu schockierend schnell eintreten und auch - oft begleitet von leichtem Schwindel - wieder verschwinden kann.

7
Nov
2011

In der Notaufnahme

Herr Meniere hatte mich fünf Tage lang in den Klauen gehabt. Ich war zwar gefasster als auch schon. Heute Morgen hatte ich dann doch genug und ging ins Kantonsspital. Dort kennen sie mich ja mittlerweile. Viel tun können die zwar auch nicht. Aber sie können mir etwas Ruhe verschreiben.

Ich sass in der Hals-Nasen-Ohren-Notaufnahme. Nicht gerade wie ein Häufchen Elend. Aber eher ernst. Dass sich plötzlich ein Lächeln in die entferntesten Winkel meines Gesichts ausbreiten würde, hätte ich nie erwartet. Es geschah, als der diensthabende Arzt um die Ecke kam. Es war der etwas andere Arzt. Wie immer barfuss in Strohsandalen.

Ich habe ja schon vernichtende Urteile über die Ärzte in dieser Klinik gefällt. Die habe ich mittlerweile revidiert. Die Frauen und Männer da oben sind kompetent und verrichten einen knochenharten Job. Man kann nicht erwarten, dass sie die Probleme der Patienten in ihrer ganzen Tiefe durchschauen. Aber der etwas andere Arzt versucht wenigstens zuzuhören und zu erkennen, wer man ist und was man braucht.

Er schüttelte mir die Hand und grinste: "Ich sollte ja jetzt nicht sagen, dass ich mich freue, Sie wieder zu sehen."

Ich sagte: "Dasselbe wollte ich auch gerade sagen."

4
Nov
2011

150 Meter dickes Eis

Am Mittwochmorgen begegnete mir in einem Buch dieses Bild.



Es hängt seit Jahrzehnten im Gletschergarten von Luzern und ist eine Ikone der Zentralschweizerischen Naturhistorie. Jedes hiesige Kind hat es gesehen - und weiss seither, dass es in der Eiszeit nichts zu sehen gab. Ausser ein paar Mammuts. "Wusstest Du, dass Luzern und die Zentralschweiz vor etwa 15000 bis 20000 Jahren unter einer 150 Meter dicken Eisdecke lagen?" stand in der Bildlegende.

Das Bild passte verblüffend gut zu meinem Zustand. Mein gutes Ohr war über Nacht abgestürzt. Ich hörte alles durch wie durch eine dicke Schicht aus Eis und Schnee. Die Autos draussen schienen mit Schneeketten zu fahren. Es fühlte sich beinahe weihnachtlich an.

Da war ich noch guter Dinge. Ich fühlte mich stark. Ich war überzeugt: Ich würde mich schnell erholen.

Aber heute Nachmittag wurde schlagartig alles noch viel schlimmer. Jetzt höre ich die Autos draussen gar nicht mehr. Meine DVD heute Abend werde ich wohl mit Untertiteln gucken müssen.

Jetzt fühle ich mich nicht mehr stark. Nein, ich fühle mich dem Höllenfeuer der Verzweiflung näher als dem Eis.

26
Okt
2011

Schwerhörig Musik hören

Eins muss ich vorausschicken: Wenn ich über meine Schwerhörigkeit klage, dann jammere ich auf hohem Niveau. Auf dem linken Ohr habe ich zwar mindestens 20 Dezibel Hörverlust auf allen Frequenzen. Aber auf dem rechten habe ich an guten Tagen immer noch das Glück eines tiptopen Gehörs. Nur an schlechten Tagen zerbröseln mir auch auf dem rechten Ohr die Bassriffs. Tiefton-Schwerhörigkeit. Typische Begleiterscheinung einer Menière-Erkrankung. Und nach einer Krise klingen manchmal alle Töne so verzerrt, dass ich tagelang die Jingles auf Radio DRS nicht wiedererkenne.

An solchen Tagen stellen ich mir jeweils die Frage: Kann ich die Erinnerung an Musik irgendwie konservieren? Werde ich es so weit bringen, dass ich im Kopf Musik hören kann, wenn ich einmal taub bin?

Einige von Euch werden mich jetzt auf Oliver Sacks verweisen. Er beschreibt in "Der einarmige Pianist" Menschen, die nach einer Ertaubung ganze Sinfonien hörten. Gerade so, als würden sie sich in ihrem Hirn von selber abspielen.

Aber mein Gehirn funktioniert nicht so. Jedenfalls bis jetzt nicht. Mein Gehirn erinnert sich nur an Songfetzen - die mir DJ Philemon dann auch wiederholt - oft genug als müdes Geleier. Niemals ist das so schön wie richtig Musik hören. Und wenn ich nur schon herauszufinden will, wie der ganze Song geht, bedarf es einer Willensanstrengung. Ich habe das Phänomen hier beschrieben.

Ja. Wenn ich Musik höre, bin ich dem lieben Gott nahe. Aber wenn ich Musik verstehen oder gar machen soll, schwanke ich zwischen Begriffsstutzigkeit und Pedanterie. Obwohl ich Noten lesen kann und einmal leidlich Gitarre gespielt habe. Nichts finde ich so langweilig wie Takte zählen oder Riffs memorieren.

Immerhin habe ich mittlerweile herausgefunden, dass nicht alle Popsongs im Viervierteltakt geschrieben sind. Der hier hat zum Beispiel einen Fünfvierteltakt im Hauptteil. Glaube ich jedenfalls. Hübsch.



Und neulich war ich auf dem Nachhauseweg vom Büro. Ich ging gerade am Garten von Frau Kurzhubermüller vorbei. Da hörte ich plötzlich einen Fetzen von Miles Away von The Young Gods. In meinem Kopf. Diesen weichen Gitarrensound, diese biegsame Stimme. In ihrer ganzen Intensität.

Vielleicht geht es doch.

22
Okt
2011

Was soll ich tun?

Eigentlich wären wir unterwegs in die Ostschweiz - zu meinem Bruder. Er hat uns schon vor längerer Zeit eingeladen. Aber ich musste absagen. Meine Ohren schwächeln. Viel Stress im Büro dieser Tage. Da liegt keine lange Zugfahrt drin, kein Übernachten auswärts. Da muss ich auf meine innere Stimme hören. Sie sagt: Bleib zu Hause und sammle Deine Kräfte.

Irgendwo habe ich gelesen, dass sich chronisch Kranke häufig total von ihrer Umwelt zurückziehen. Der Autor hatte wenig Verständnis für solches Gebaren. Gerade kranke Menschen sollten ihre Situation nicht noch erschweren, indem sie sich isolierten, schien der Subtext zu lauten. Wahrscheinlich hat er noch nie einen Hörsturz in einem Zug gehabt. Hat noch nie erlebt, wie der Lärm des Zugs immer gurgeliger wird. Oder eine Turmarkin-Attacke auf dem Trottoir mitten in der Nacht gleich neben dem Fussgängerstreifen. Hier habe ich beschrieben, wie sich das anfühlt.

Bei Mia habe ich einmal eine gute Erklärung für Laien darüber gelesen, warum die Einsamkeit oft die anhänglichste Begleiterin einer chronisch erkrankten Person ist.

Nun habe ich ein freies Wochenende vor mir. Herr T. ist auch hier. Er hat sich erstaunlich gelassen seinem Schicksal gefügt. Jetzt lautet die Frage: Was soll ich tun? Was sollen wir tun?

Dazu schweigt meine innere Stimme.

Oh, verdammt! Ich wünschte, ich könnte reisen!

logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7514 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Apr, 12:45

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren