26
Okt
2011

Schwerhörig Musik hören

Eins muss ich vorausschicken: Wenn ich über meine Schwerhörigkeit klage, dann jammere ich auf hohem Niveau. Auf dem linken Ohr habe ich zwar mindestens 20 Dezibel Hörverlust auf allen Frequenzen. Aber auf dem rechten habe ich an guten Tagen immer noch das Glück eines tiptopen Gehörs. Nur an schlechten Tagen zerbröseln mir auch auf dem rechten Ohr die Bassriffs. Tiefton-Schwerhörigkeit. Typische Begleiterscheinung einer Menière-Erkrankung. Und nach einer Krise klingen manchmal alle Töne so verzerrt, dass ich tagelang die Jingles auf Radio DRS nicht wiedererkenne.

An solchen Tagen stellen ich mir jeweils die Frage: Kann ich die Erinnerung an Musik irgendwie konservieren? Werde ich es so weit bringen, dass ich im Kopf Musik hören kann, wenn ich einmal taub bin?

Einige von Euch werden mich jetzt auf Oliver Sacks verweisen. Er beschreibt in "Der einarmige Pianist" Menschen, die nach einer Ertaubung ganze Sinfonien hörten. Gerade so, als würden sie sich in ihrem Hirn von selber abspielen.

Aber mein Gehirn funktioniert nicht so. Jedenfalls bis jetzt nicht. Mein Gehirn erinnert sich nur an Songfetzen - die mir DJ Philemon dann auch wiederholt - oft genug als müdes Geleier. Niemals ist das so schön wie richtig Musik hören. Und wenn ich nur schon herauszufinden will, wie der ganze Song geht, bedarf es einer Willensanstrengung. Ich habe das Phänomen hier beschrieben.

Ja. Wenn ich Musik höre, bin ich dem lieben Gott nahe. Aber wenn ich Musik verstehen oder gar machen soll, schwanke ich zwischen Begriffsstutzigkeit und Pedanterie. Obwohl ich Noten lesen kann und einmal leidlich Gitarre gespielt habe. Nichts finde ich so langweilig wie Takte zählen oder Riffs memorieren.

Immerhin habe ich mittlerweile herausgefunden, dass nicht alle Popsongs im Viervierteltakt geschrieben sind. Der hier hat zum Beispiel einen Fünfvierteltakt im Hauptteil. Glaube ich jedenfalls. Hübsch.



Und neulich war ich auf dem Nachhauseweg vom Büro. Ich ging gerade am Garten von Frau Kurzhubermüller vorbei. Da hörte ich plötzlich einen Fetzen von Miles Away von The Young Gods. In meinem Kopf. Diesen weichen Gitarrensound, diese biegsame Stimme. In ihrer ganzen Intensität.

Vielleicht geht es doch.

Trackback URL:
https://froggblog.twoday.net/stories/49594797/modTrackback

steppenhund - 26. Okt, 16:38

Ich kann mir Musik schon vorstellen, bzw. innerlich hören, wenn ich die Noten lese. Aber es wäre fürchterlich, sie nicht mehr echt hören zu können. Allerdings hat das Schicksal nicht nur Beethoven getroffen. Einige Musiker sind im Alter schwerhörig bis taub geworden. Und niemand kann einen davor schützen.
Vielleicht gefällt Ihnen aber das noch:
http://soundcloud.com/hanshartmann/widmungliszt

diefrogg - 26. Okt, 16:49

Ja, sehr schön!

Ich habs schon bei Ihnen auf Facebook gehört... aber dann zu "liken" vergessen - um ein recht neues Wort aus meinem Worschatz zu verwenden...
Für meine Hörgewohnheiten ungewohnt. Ich versuche immer wieder, mehr klassische und romantische Musik zu hören. Aber ich bleibe nie dabei. Vielleicht kommts noch...
acqua - 26. Okt, 22:59

Oh! Once! Weisst du noch?

diefrogg - 27. Okt, 13:00

Oh ja :))

rosawer - 27. Okt, 14:45

Nicht vielen Menschen

ist es vergönnt, Musik im Kopf zu hören. Wenn man davon ausgeht, dass es dazu einer musikalischen Vorstellungskraft bedarf, die, wenn überhaupt, nur in jungen Jahren entsprechend gefördert werden kann. Man hat es oder man hat es nicht. Ich habe das kürzlich entdeckt, weil mein Sohn, wie seine Musiklehrer sagen, das kann. Ich kann es eindeutig nicht, und deswegen ist ganz richtig, dass ich damals nicht Musik studiert habe. Wir können uns aber an Musik erinnern. Das ist eine Gedächtnisleistung, die kann man schulen. Beugt auch gegen Alzheimer vor ....

steppenhund - 1. Nov, 11:59

Ich möchte dieser Darstellung keinesfalls widersprechen, sondern sie eher ergänzen. Die Vorstellungsmöglichkeit kommt ja aus der Erinnerung. Die Frage ist, wie oft etwas nahe gebracht werden muss, um sich daran erinnern zu können. Jemand mit einem fotografischen Gedächtnis merkt sich etwas mit einmal Ansehen. Bei der Musik wird es ähnlich sein.
Deswegen verwundern mich die Berichte über Friedemann Bach, Max Reger oder Franz Schmidt nicht, die etwas einmal gehört haben und es dann auch nachspielen konnten.
Vermutlich ließe sich die Vorstellung aber trainieren, wenn man die erinnerte Musik hört und dabei gleichzeitig die Noten liest. Nach einer gewissen Weile funktioniert dann auch die Gegenrichtung.
-
Vermutlich ist das aber auch der Grund, warum ich z.B. keinen Jazz spielen kann.
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