19
Okt
2011

Liebeserklärung an eine Stadt

Meine Spaziergänge führen sonst meist aufs Land. Dabei bin ich eine Städterin - und es wird Zeit, meiner Stadt Luzern hier meine Liebe zu erklären. Mit einem Spaziergang. Er führt durch das Hof-Quartier, mein liebstes Quartier. Eine Gegend, durch die viele nur hindurcheilen. Denn sie ertrinkt im Lärm des Durchgangsverkehrs und in Touristenfluten. Dabei weht der Hauch der Vergangenheit durch ihre Strassen. Man muss ihn nur einatmen. Und schon ist man auf Zeitreise durch die Vergangenheit.

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Etwa beim fast vergessenen Memento Mori rechts im Bild. Zu Füssen des Gekreuzigten ruht ein einzelner Totenschädel - sorgfältig bemalt von jemanden, der sich nicht vom geschäftigen Mainstream rundum irre machen lässt.

Skull on Street Corner

Oder bei der Hofkirche. Sie gilt als kunsthistorisches Bijou und zieht deshalb hie und da ein paar Touristen an. Die gehen aber in die Kirche hinein - obwohl es dort eher unansehnlich ist. Ich dagegen verweile jeweils beim Nordturm, wo dieser Mann seit Jahrhunderten an der Welt verzweifelt.

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Er ist Zeuge, wie Jesus von der römischen Soldateska gefangen genommen wird. Nach besonders mühsamen Arbeitstagen plaudere ich gern ein bisschen mit ihm - auch wenn meine Gründe zum Aufstöhnen weit weniger weltbewegend sind.

Um die Kirche herum ruhen in einem uralten Friedhof die Gebeine der vornehmen Luzerner des 18. und 19. Jahrhunderts: der Pfyffer von Altishofen, der Am Rhyns, Mugglins, der Stahlwerk-Besitzer von Moos und so weiter. Es ist ein stiller, luftiger Ort weitab vom Getöse der Welt. Mitten unter den Patriziern Luzerns liegen auch die ersten beiden Muslime, die in Luzern den Tod fanden. Sie hiessen Mussa ben Serier und Abd el Kader Ben Charchoz (wenn ich die verwitterte Inschrift im Stein richtig gelesen habe). Sie waren mit der Bourbaki-Armee 1871 aus Frankreich gekommen. Die Strapazen des Krieges und der Internierung brachten sie um. "Passant jetez une fleur aux enfants du desert", heisst es beim Gedenkstein.

Rührend ist auch das Denkmal, das ein Herr Willmann seiner 1840 verstorbenen Ehefrau Maria Anna, geborene Gassmann, gesetzt hat. Sie verschied mit 41 und liess ihn mit fünf Kindern zurück. Es steht bei einem Pförtchen an der Nordostecke.

Von hier gelangt man über eine Brücke in einen Park mit mächtigen Kastanienbäumen und einem nie genutzten Labyrinth aus Buchenhecken. Der Park hat bessere Zeiten gesehen - deshalb ist hier am richtigen Ort, wer Ruhe sucht.

Ruhe findet man auch beim Löwendenkmal. Natürlich nicht mitten am Nachmittag. Dann sieht es dort so aus.

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Nein, man besuche den kleinen Park zur blauen Stunde, kurz nach Sonnenuntergang. Dann ist er meist verlassen und voll von einer grossen, stillen Melancholie. Aber das erzählt Ihr besser nicht weiter.

Auch die besten Restaurants im Quartier frönen der Vergangenheit. Der Lapin ist bekannt für seine gute Küche. Das Intérieur hat den verblassenden Charme eines Wiener Cafés. Mein eigentliches Stammlokal ist aber der Rebstock, direkt unterhalb der Hofkirche. In den Achtzigern war Vera Kaa hier Stammgast. Schon damals gab es dort einen Gourmet Poulet-Salat. Er war auch bei uns diätverrückten und stets abgebrannten jungen Frauen Mitte der Achtziger beliebt. Es gibt ihn heute noch, auch wenn schon lange ein neuer Wirt im Rebstock waltet. Nur wird er heute mit Truthahn gemacht.
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