25
Aug
2010

Bezaubernde Mädchen

Irgendwann sagte meine tamilische Nachbarin, sie gehe jetzt kochen. Damit mir nicht langweilig werde, wolle sie mir etwas zum Anschauen geben. Sie holte eine mit Silber-Ornamenten verzierte Kiste hervor. In der Kiste lag ein dickes Buch. "Das sind Bilder von meiner Tochter. Wir machen ein Fest, wenn ein Mädchen seine erste Periode bekommt. Und ein Buch mit Bildern."

In diesem Buch fand ich nun endlich den indischen Dekor, den ich bislang in ihrer Wohnung vergeblich gesucht hatte: Mahikas Tochter im purpurroten Sari, im rosaroten Sari, im himmelblauen Sari. Mit Armreifen, Silberschmuck, Ohrschmuck, Goldschmuck auf der Stirn. "Puberty Ceremony" stand in Zierschrift auf jeder dritten Seite, dazu der Vorname des Mädchens.

Etwas Vergleichbares habe ich auf YouTube gefunden:



Auch die Tochter meiner Nachbarin präsentierte sich mühelos als Schönheit: jeder Zentimeter blühende Jugend, werdende Dame, Eleganz, Haltung, Geheimnisse im Blick, Versprechen auf den schimmernden Lippen.

Ich weiss: Die Ethnologin nennt so ein Fest "Initiationsritus". Auf Internet-Foren wird viel über diese "Puberty Ceremonies" gelästert. Das sei etwas Altmodisches. Es gehe der Familie ursprünglich nur drum, den Nachbarn im Dorf klar zu machen, dass ein Mädchen jetzt im heiratsfähigen Alter sei. Ich konnte Mahikas Tochter nicht fragen, ob sie sich bei der Foto-Session wohl gefühlt habe. Ich betrachtete das Buch mit dem unbedarften Blick der Touristin.

Aber glaubt:mir: Ich kann wenigstens beurteilen, wie ein Mädchen aussieht, das sich an seiner Initiations-Zeremonie unwohl fühlt. So:



Das ist Fräulein Frogg an ihrer Firmung, anno 1978. Mit Schaudern denke ich an diese Frisur zurück! An diesen Blazer! Immer schien er entweder zu eng oder zu weit. Wie alles an mir. Ich weiss nicht, ob es an unserer katholischen Kultur lag. Die hätte ja jedem Köper im Grunde am liebsten einen schwarzen Sack übergeworfen. Oder daran, dass ich noch kurz zuvor ein pummeliges, unsportliches Kind gewesen war. Oder war meine Mutter schuld? Sie fand die neuen Ausbuchtungen an meinem Oberkörper etwas zu gross, irgendwie überhängend. Sie wusste nie, ob sie mich damit als Konkurrenz oder als Zielperson für strenge Diät-Massnahmen betrachten sollte*.

Ungefähr zu jener Zeit muss meine Mutter mich ins Beldona geschleppt und mir den ersten BH gekauft haben. "Freiheitsberaubung!" schrie das Herz von Fräulein Frogg. Und am ersten Quartierfeste mit Paartanz: "Patriarchaler Terror!" Wenn all das Frausein hiess, wollte ich keine Frau sein. Erst recht keine Dame!

War ich glücklich, als meine Haare wenige Jahre später lang und dick und dunkel durch die Gegend flatterten! War ich froh, als ich mir endlich ungetadelt ein Bauernhemd meines Vaters und ein Gilet aus dem Second-Hand-Laden anziehen konnte! Als ich mich in der Hardrock-Disco austoben konnte, wo mein Zorn seine Musik fand. Gott, war ich glücklich!

Ich weiss, dass viele Orte in Asien kein Hort der Frauen-Emanzipation sind. Ich weiss, dass ich nichts weiss über Sri Lanka. Ich weiss, dass ich ein gutes Leben habe. Aber mit dem Buch von Mahikas Tochter in der Hand überkam mich leise Wehmut über ein Verhältnis zur Weiblichkeit wie ich es nie gekannt habe.

* Die Frau rechts im Bild ist übrigens nicht meine Mutter, sondern meine Firmgotte: eine wirklich nette Frau, die überhaupt nichts für all das kann.

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https://froggblog.twoday.net/stories/6482295/modTrackback

turntable - 26. Aug, 19:01

also du siehst auf jeden fall besser aus, als ich bei meiner firmung;-)
grüße

rosawer - 27. Aug, 07:37

ich glaube

so haben wir Mädchen alle ausgesehen!
Es ist doch immer wieder interessant zu beobachten, dass tamilische-indische-etc Mädchen wie in Deinem Beispiel, als viel gelassener, in sich ruhend, zufrieden rüberkommen als wir. Es gibt etwa drei Möglichkeiten.
1. Sie sind viel selbstsicherer als wir. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass diese Mädchen genau wissen, was und wo ihr Platz in der Gesellschaft ist. Wir finden das nicht gut, aber es hat auch Vorteile: man ist nicht selbst schuld an seinem Schicksal. Man kann die Verantwortung an die Eltern oder einen Gott abgeben und sich in eine Situation hinein "ergeben". Das kann sehr entlastend wirken. Wir schweizer/deutschen/europäischen Frauen müssen uns einen Platz erobern, unsere Freiheit wütend testen und ausloten, das ist ein ständiges Gerangel, für mich immer mit Zweifeln behaftet. Natürlich können auch solch in sich ruhende Mädchen im Leben Nachteile haben. Das heisst aber nicht zwingend, dass sie deswegen mit ihrem Schicksal hadern, vielleicht ja vielleicht nein. Und wir? Es gibt auch in unserem Leben Gutes und Schlechtes, aber dafür sind wir in dieser Gesellschaft zunehmend auch einfach angeblich "selber schuld". (Übrigens: mir geht es nicht darum, das Leben tamilischer Mädchen zu glorifizieren, sondern ich nehme das eher als Anlass zu sehen, was bei uns verkehrt läuft).
2. Sie sind nicht selbstsicherer, aber wir merken das nicht, weil wir nicht wissen, wie Sich-Unwohl-Fühlen woanders aussieht. Im Gegensatz zu Deinem Foto, Frau Frogg, wo wir die Hand- und Armhaltung, die eng zusammengestellten Füsse, das schiefe Lächeln sofort als Anzeichen von akuter Beklemmung deuten können. Vielleicht könnte eine andere Tamilin sehen, dass das Mädchen verkrampft ist, oder unglücklich, nur woran?
3. Sie sind nicht mehr und nicht weniger selbstsicher als wir. Das ist das wahrscheinlichste. Aber ihre Selbstsicherheit und Zweifel finden nicht auf den selben Feldern wie bei uns statt. Ich kenne einige Frauen aus der sog. 3. Welt (genauer gesagt: in Afrika, wo ich manchmal forsche und arbeite), die sie nie im Leben Gedanken machen darüber, wie sie als Mutter sind oder nicht. Dafür haben sie das Gefühl, in der Männerwelt überhaupt nicht mithalten zu können. Und es gibt ganz viele, die nie im Leben ein Kind schlagen würden, aber die Töchter müssen im Alltag hart arbeiten und für die kleineren Geschwister Verantwortung übernehmen, die wir für völlig überzogen halten. Oder welche, die ihre Kinder aus vollem Herzen lieben - und zur kinderlosen Verwandten aus Land schicken, damit sie dort aufwachsen. Oder die Kinder, geherzt und gepflegt, bekommen als letzte vom Essen ab - und wenn nichts mehr da ist, ist eben nichts mehr da.
diefrogg - 27. Aug, 10:07

@rosawer: Super, dass Du das Thema aufgegriffen hast! Ich hatte sowas Ähnliches gehofft. Ich gehe nochmal richtig auf Deine Thesen ein, wenn ich vom Ausflug zurückkomme, auf den ich mich gleich begebe!

@turntable: Naja, für Knaben ist 12 oder 13 auch nicht in jedem Fall ein wunderbares Alter!
diefrogg - 30. Aug, 18:41

Also, hier bin ich wieder,

rosawer! Und ich würde jetzt einfach mal stinkfrech 3) behaupten, in etwa so:
Ich habe Anhaltspunkte dafür, dass Frauen aus dem Hindu-Kulturraum eine andere Beziehung zu ihrem Körper haben als wir. Die Beweislage ist etwas dünn und papieren. Aber ich versuchs trotzdem mal. Kürzlich habe ich das Buch "Teach Us To Sit Still - A Sceptic's Search for Health and Healing" von Tim Parks gelesen. Ich werde darüber noch ausführlicher schreiben. Im Moment reicht dies: Der Erzähler sucht wegen es schwer diagnostizierbaren Leidens einen ayurvedischen Arzt auf. Der sagt eine ganze Menge, unter anderem: "You only say psychosomatic if you think body and mind are ever separate." Will heissen: Wir haben es offenbar mit einer Kultur zu tun, die den Körper nicht unbedingt in Sack und Asche kleiden, seine Schwächen überwinden und ihn mit Hilfe des Willens formen will wie es im Westen üblich ist.
Darauf deutete auch die Direktheit hin, mit der meine Nachbarin das Wort "Periode" aussprach. Da war nichts Verschwörerisches und nichts von der leisen Verschämtheit, mit der selbst gute Freundinnen hierzulande einander gegenüber das Wörtchen "Mens" verwenden (sowieso ein Euphemismus, wenn Du mich fragst).
Ausserdem habe ich einmal einen historischen Schinken über Indien gelesen (von einer indischen Autorin, auf Englisch, und nach den Konventionen des westlichen Historien-Schinkens gemacht). Interessant ist darin eine Passage, in der geschildert wird, wie die Prinzessinnen im Harem stundenlang gebadet, gesalbt, geölt, frisiert und generell für den Fürsten bereit gemacht werden. Es entstand ein Eindruck von grosser Sorgfalt und Liebe dem Körper gegenüber (natürlich durchaus mit dem Ziel, ihn innerhalb des Harems konkurrenzfähig zu machen - womit auch gleich gesagt sei, dass ich diese Situation durchaus nicht idealisiere und dass sie sehr wahrscheinlich Nachteile hat, von denen unsereiner nicht einmal ahnt, dass sie existieren).
Wüstenfuchs - 27. Aug, 11:45

Ich verstehe, was sie meinen, Frau Frogg! Ich habe zwar keine Firmung erlebt, aber natürlich dennoch erfahren was Frau-werden/sein im deutschsprachigen Raum bedeutet. Die Emanzipation ist eindeutig ein zweischneidiges Schwert: zwar hat sie uns viel mehr Freiheit beschert und uns von vielen Zwängen befreit, aber gleichzeitig hat sie auch "Leitplanken" (wie Initiationsriten) entfernt und uns mitten in den Konkurrenzkampf der Männer geworfen. Und so ist es klar, dass es für eine Jugendliche in den 80er-Jahren keine wirklichen Rollen-Modelle gab, die irgendwie hätten zeigen können, was es bedeutet Frau zu sein. Da kann ich nur sagen: bin ich froh keine 15/16/17 in den 80ern mehr zu sein! Meine Antwort auf die Verwirrung war, eben nicht Frau zu sein, sondern mich wie ein Typ aufzuführen und mit den Jungens hart zu konkurrenzieren. Wars gut? Nicht einfach, aber dann vielleicht die beste Antwort, die ich finden konnte.

diefrogg - 30. Aug, 19:08

Also, die Emanzipation...

möchte ich jetzt keinesfalls schlecht reden! Ich wäre wahrscheinlich eine alte Jungfer mit einem miserabel bezahlten Job geworden, wenn es die gesellschaftliche und politische Befreiung der Frau nicht gegeben hätte. Verwandte und Kollegen hätten mich aus lauter Mitleid bei sich eingeladen und hinter vorgehaltener Hand darüber diskutiert, was ich im Leben falsch gemacht hätte. Ich bin ja in den siebziger Jahren in einem katholischen Milieu aufgewachsen. Da gab es noch keine mit Selbstbewusstsein berufstätigen und kinderlosen Frauen.

Aber es ist wahr: Sie hat uns nicht nur befreit, sondern auch neuen Stress gebracht.
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