24
Feb
2009

Brief aus der Schweiz

Lieber Trox

Ich soll nicht zu früh um die Banken weinen, schreibst Du. Mache ich auch nicht, denn dazu sähe ich nun wirklich keine Veranlassung. Aber ich mache mir Sorgen um die Schweiz.

Ich habe ja lange hin- und herüberlegt, ob ich das hier überhaupt schreiben soll. Erst war ich sprachlos vor Bestürzung. Dann erinnerte ich mich an einen früheren Entscheid: Dieser Blog ist meine Spielwiese. Hier schreibe ich nicht über Politik. Schon gar nicht über Banken, das Bankgeheimnis, die UBS. Dann schwieg ich vor Scham. Wer wird jemanden aus der Schweiz noch ernst nehmen? Profiteure alle. Und dazu noch erpressbar.

Doch ich habe entschieden: Scham ist ein schlechter Ratgeber. Und dann werfen die Ereignisse der letzten Tage ihre Schatten gross und düster noch über die hinterste Spielwiese. Da scheint es mir naiv, so zu tun, als wären sie nicht da.

In den letzten Tagen habe ich mich ein paarmal gefühlt, als flöge mir die Schweiz in Trümmern um die Ohren. Recht, Ordnung, Vertrauen, alles mit Füssen getreten, kaputt*.

Jetzt weiss ich nicht, über wen ich am wütendsten sein soll:

Auf die Gangster bei der UBS: Weil sie mit ihren kriminellen Machenschaften in den USA dafür gesorgt haben, dass jeder in diesem Land so aussieht, als wäre er ein fröhlicher Nutzniesser von ertrogenen Steuergeldern.
Auf unsere Regierung. Weil sie es verpennt hat, das Debakel zu verhindern. Obwohl sie es gekonnt hätte.
Auf das Parlament: Weil es ebenfalls in der Lage gewesen wäre, uns diese Ungeheuerlichkeit zu ersparen.
Auf die Amerikaner: Weil sie uns allen gezeigt haben, dass wir in einem kleinen Land leben und uns von jeder Grossmacht in den Arsch treten lassen dürfen.

Ich meine: Ich selber war nie besonders glücklich mit dem Bankgeheimnis. Vor vielen Jahren habe ich an der Urne sogar einmal für seine Abschaffung gestimmt. Heute sehe ich, dass es auch Argumente für seine Beibehaltung gibt. Aber jetzt ist es genug. Jetzt will ich von allen Verantwortlichen, dass sie alles dran setzen, in unserem Staat wieder für Ordnung und Würde zu sorgen. Und für einen ehrbaren Umgang mit Geldern jeglicher Herkunft. Dafür würde ich sogar selber einen Beitrag leisten! Meine Spielwiese werde ich deswegen ja nicht aufgeben müssen.


*Für alle Nichtschweizer hier eine kurze Chronologie der Ereignisse:

Mittwoch, 18. Februar, abends: Unsere Regierung beschliesst, den USA Unterlagen über 300 amerikanische Kunden der Schweizer Bank UBS zu liefern. Sie tut es auf Druck der Amerikaner. Die hätten der Schweizer Grösstbank die Lizenz in den USA entzogen, wenn die Daten nicht subito gekommen wären. Das hätte unsere Volkswirtschaft ruiniert. Unsere Regierung will also das Beste für uns tun, verstösst dabei aber gegen unsere eigenen Gesetze: Wir haben hierzulande ein Bankgeheimnis. Ob wir es mögen oder nicht.

Freitag, 20. Februar, gegen Abend: Das Bundesverwaltungsgericht schreitet ein. Die Auslieferung der Daten sei gesetzwidrig, teilt es mit und verbietet sie.

Später am selben Abend wird klar: Das Gericht steht mit abgesägten Hosen da. Die Kundendaten sind bereits in den USA.

Seither herrscht Heulen und Zähneknirschen und die Medien suchen nach den Schuldigen für den Skandal, die Staatskrise. Aber niemand weiss, wie es weitergehen soll.

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walküre - 25. Feb, 11:17

Als seriös sieht das Schweizer Bankwesen niemand an, der sich mit historischen Fakten befasst. Wer um des lieben Geldes Willen Verfolgte ausweist oder ihnen die Einreise verweigert oder Konten sperrt, deren Einlage Leben retten könnte, wer indirekt korrupte Regimes und menschverachtende Diktaturen unterstützt, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihn irgendwann der Fluch der bösen Tat einholt.

diefrogg - 25. Feb, 13:02

Ich möchte...

hier nicht das Schweizer Bankenwesen verteidigen. Die UBS hat in den letzten Jahren keinen Anlass dazu gegeben. Auch nicht im Zweiten Weltkrieg, da gebe ich Ihnen Recht. Aber ich möchte, mit Verlaub, darauf hinweisen, dass man in Österreich in Sachen Zweiter Weltkrieg keine Veranlassung hat, den ersten Stein zu werfen. Viele, die damals flüchteten, kamen bekanntlich aus Österreich. Dennoch fände ich es unanständig, in diesem Zusammenhang einen rächenden Fluch auf die Nachfahren der Österreicher von anno dazumal herabzubeschwören.

Was den Zweiten Weltkrieg betrifft, so hat die Schweiz in den neunziger Jahren ihr bestes getan, die Sache aufzuarbeiten und Sühne zu tun, so weit man das überhaupt kann. Das ist Ihnen wahrscheinlich entgangen, Frau Walküre. Mir meinerseits ist entgangen, ob Österreich das auch getan hat.

Hier spreche ich vom Bankgeheimnis und unserem Staat wie sie sich in der Gegenwart präsentieren. Auch in dieser Hinsicht hat man in Österreich zuallerletzt Anlass, den ersten Stein zu werfen, denn auch Österreich verfügt über ein Bankgeheimnis.

walküre - 25. Feb, 16:44

Das österreichische Bankgeheimnis spielt sich aber keineswegs in einer Dimension ab, in welcher an größeren Flughäfen die Möglichkeit besteht, noch vor der offiziellen Einreise seine Geldkoffer dauerhaft via Nummernkonto zu parken. Außerdem ist es in der Schweiz nicht bei den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs geblieben, sondern es wurden und werden bis heute Gelder afrikanischer und sonstiger Machthaber gerne genommen. Mit dem "Fluch der bösen Tat" meine ich genau diese Einstellung, die im Ausland bewirkt, dass man der Schweiz trotz sonstiger Seriosität alle möglichen Schurkereien zutraut, sobald es um das Bankenwesen geht.

Ich kann mich darüber hinaus des Verdachts nicht erwehren, dass die überstürzte Aktion zur Preisgabe von geheimen Daten (der überdies ein Hautgout von Erpressbarkeit anhaftet) als eine Art von Beschwichtigung gedacht war, um zu verhindern, dass (noch mehr) schlafende Hunde geweckt würden. In Österreich können übrigens derartige Auskünfte an ausländische Instanzen nur über den Rechtsweg erlangt werden.
diefrogg - 25. Feb, 17:05

Entschuldigung...

welche Einstellung meinen Sie?

Was die Sache mit den afrikanischen Potentaten betrifft, empfehle ich Ihnen diesen Link. Für die Behauptung, man könne in der Schweiz heute auch noch vor der offiziellen Einreise ein Nummernkonto eröffnen, hätte ich gern Belege.
walküre - 25. Feb, 17:16

Sich in vollem Bewusstsein (Völlig anonyme Nummerkonten sind diesfalls beinahe eine direkte Aufforderung) an Geld zu bereichern, dem jede Menge Schmutz und Blut anhaftet.

Seit wann kann man kein Nummernkonto vor der Einreise mehr eröffnen ?
diefrogg - 25. Feb, 17:22

Ich wollte nur wissen...

ob Sie diese Einstellung mir, allen Schweizern oder vor allem den Schweizer Banken anlasten.
walküre - 25. Feb, 17:27

Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt ?

"dass man der Schweiz trotz sonstiger Seriosität alle möglichen Schurkereien zutraut, sobald es um das Bankenwesen geht."

Um es nochmals zu wiederholen: Jene Auskünfte, die die USA erhalten haben, können in Österreich nur unter Beschreitung des Rechtsweges erlangt werden. Wie stellt stellt sich das in einem solchen Fall in der Schweiz übliche Prozedere dar ?
diefrogg - 25. Feb, 17:30

Wer ist

"die Schweiz"? Die Schweiz ist keine Person. Das ist ein Staat.

Was den vorliegenden betrifft, so war ein Rechtshilfegesuch aus den USA unterwegs. Die Amerikaner haben dann aber beschlossen, dass sie nicht auf den Entscheid des Schweizer Gerichtes warten wollten. Der Rest steht in meinem Eintrag. Es handelt sich tatsächlich um einen Fall von Erpressung. Ob den Amerikanern allerdings der Geduldsfaden gerissen ist, weil die Schweiz schlampte, kann ich nicht beurteilen.
walküre - 25. Feb, 17:36

Es steht ja zu lesen, dass es sich diesfalls um das Bankenwesen handelt.
steppenhund - 25. Feb, 17:41

Die Schweiz würde ich in diesem Sinne als den Rechtsstaat bezeichnen, dessen Gesetzgebung den Banken Möglichkeiten einräumt und Verbote ausspricht. Die Organisationen machen das, was ihnen im Rahmen der Legalität möglich ist.
diefrogg - 25. Feb, 17:48

Genau, Herr Steppenhund!

Ich muss aber anfügen, dass bei den vorliegenden Fällen offensichtlich Verdacht auf Steuerbetrug im Spiel war - also auch Machenschaften, die die Schweiz verbietet. Wie man hört, hätten Mitarbeiter der UBS in den USA schamlos die Grenzen des Gesetzes überschritten. Ob ihre Chefs in Zürich darüber im Bild waren, darüber wird bis heute gestritten. Das ist das Ärgernis! Auch wenn es die Diskussionen über das Bankgeheimnis wieder entfacht hat.
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