28
Nov
2012

Die gute Nachricht

Was habe ich nicht alles aufgegeben wegen meiner leidigen Ohrengeschichte! Zwei oder drei Berufskarrieren, Ferien in der Türkei, das Autofahren...

Das Autofahren vermisse ich überhaupt nicht. Die Türkei vermisse ich nur ein bisschen. Und was beruflich aus mir hätte werden können, überlege ich mir nicht mehr. Ich habe alle Hände voll zu tun mit der Frage, was noch aus mir werden soll.

Neulich dachte ich dann ernsthaft darüber nach, ob ich nicht besser meinen Gottenbub Tim (7) aufgeben würde. Nicht, weil ich ihn nicht mehr mag. Im Gegenteil. In den letzten paar Wochen habe ich nur einfach an den meisten Tagen grauenhaft schlecht gehört. Ich hatte Nervenflattern bei der Vorstellung, mit ihm an einem öffentlichen Ort allein zu sein. Man stelle sich vor: Der Bub brüllt, er müsse dringend... zum Beispiel aufs WC. Die erwachsene Aufsichtsperson fragt: "Hä!?" und nochmals "HÄÄ?!" und nochmals "HÄÄÄ!" Keine gute Idee. Ich überlegte mir schon, was ich sagen würde, wenn jemand von der Vormundschaftsbehörde uns beide in einer verzweifelten Situation auf der Strasse stellen würde.

"Der Bub hat eine fähige Gotte verdient", dachte ich.

Aber dann traf ich Tim doch. Wie durch ein Wunder hörte ich an jenem Tag gar nicht so schlecht. Ich staunte, wie gross er geworden ist. Ein liebenswertes Schlitzohr - er schrieb mir sofort eine Weihnachts-Wunschliste, weil ich nicht so genau verstand, was er wollte - irgend so etwas Smartphones-artiges. "Für Fr. 79.90 bei M-Budget", schrieb er säuberlich daneben. Ich fands köstlich.

Wir machten zusammen Frischkäse (Rezept folgt). Er war neugierig und fleissig und machte Schelmereien mit dem Küchenwecker von Herrn T. Wir lachten. Wir brachten ein einfaches, aber absolut geniessbares Abendessen für sechs Personen zusammen.

Ich glaube, Gotte zu sein brauche ich vorläufig noch nicht aufzugeben.

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tinius - 28. Nov, 17:34

Ich denke, Menschen finden - fast immer - einen Weg, miteinander zu kommunizieren, gerade wenn sie sich mögen.

veronikaha - 28. Nov, 23:48

Die beste Gotte der Welt!

Stellvertretend für Tim, den du mal dann selber über die Existenz dieser Seite aufklären kannst, möchte ich mich ganz herzlich bedanken für diese und alle anderen Unternehmungen mit ihm. Und ich möchte dir sagen, dass "normale" Paten und Patinnen sich offenbar weit weniger Gedanken darüber machen, wie man eine Beziehung zum Patenkind pflegt. Wir haben eigentlich die Paten für unsere Kinder bewusst aus dem Freundeskreis angefragt, weil wir nicht irgendeinen Verlegenheitsonkel bemühen wollten. Leider ist es aber so, dass ausser zu Festtagen kaum ein Austausch stattfindet geschweige denn eine gemeinsame Unternehmung. Du kennst unsere kommunikativen Kinder, an ihnen liegt es glaube ich nicht. Vielleicht sind wir Eltern so mühsam?
Auf jeden Fall: Weiter so, du beste aller Gotten!!!

diefrogg - 30. Nov, 12:34

Nein, es liegt auch gewiss...

an Euch Eltern! Ich glaube einfach, sehr viele Leute in unserem Alter sind sich nicht klar darüber, was für ein grosses Geschenk so ein Gottenkind ist - und wie schnell es einem entwächst. Man ist ja sooo mit seinem Beruf beschäftigt (die meisten Berufe sind ziemlich anforderungsreich) und anderen Aktivitäten beschäftigt. Wer dann noch eigene Kinder hat, ist mit Alltag zugespammt. Insofern bin ich in einer privilegierten Situation.

Zudem macht es mir einfach Spass mit Eurem Sohn - und mit Euch - zusammen zu sein.
Falkin - 29. Nov, 09:53

ich kenne Sie nur in virtuellen ausZügen und finde Sie hiermit bereits sehr liebens-würdig, Frau Frogg - infolgedessen bin ich davon überzeugt, Sie werden auch als ungehörige Gotte die allerbeste und unentbehrlich sein. Frei nach dem kleinen Prinzen: man hört nur mit dem Herzen gut

steppenhund - 29. Nov, 11:27

es mag komisch klingen,

und ich bin mir bewusst, dass der Verlust des Gehörs von vielen als schlimmer als der Verlust der Sicht angesehen wird. Aber ich muss hier etwas anbringen, dass nicht gegen Sie gerichtet ist. Ganz im Gegenteil, mit ihrem Schreiben haben Sie mich an etwas erinnert, was mich oft genervt hat.
In fast allen Filmen, in denen jemand der Sprache verlustig geht, oder auch schon stumm geboren ist, kommt es in einer actiongeladenen Szene dazu, dass einer etwas sagen will, sich aber nicht verständlich machen kann. Das wird manchmal zur Satire oder zum Klamauk gesteigert, wenn z.B. ein Stotterer in "Ein Fisch namens Wanda" kein K sagen kann. Scheinbar kommt niemand auf die Idee, dass man das Problem durch Aufschreiben wesentlich schneller lösen kann.
Ich finde die Geschichte mit dem Aufschreiben des Wunsches deswegen so reizvoll, weil sie zeigt, dass Kinder selten Schwierigkeiten haben, die Kommunikation aufrecht zu erhalten, wenn sie es nur wollen.
Und daher finde ich das eine ganz wunderbare Geschichte.

walküre - 29. Nov, 12:02

Ich hab mir beim Lesen ähnliches gedacht, denn Kinder sind meist in solchen Dingen viel unkomplizierter als sogenannte Erwachsene. Ich hatte übrigens an einer früheren Arbeitsstelle einen taubstummen Kollegen, mit dem ich mich wirklich gut unterhalten habe - wir haben gestikuliert, geschrieben und gezeichnet, und dabei immer verstanden, was der andere meinte. In meinem Geschäft hat sich dann diese Erfahrung wiederholt, und ich habe mich sehr gefreut, wenn ich gemerkt habe, dass diese meine Art, mit dieser Situation umzugehen, bei den Menschen gut ankam.
Falkin - 30. Nov, 07:33

Frau Schwiegermunster babysittet (aus kaum nachvollziehbaren Gründen) gerne. Oftmals ist sie von Krabbelhooligans verschiedener Nationalitäten (deutsch, persisch, türkisch, thai) umgeben, die unverständliches Kauderwelsch krähen und sich darin bestens verstehen.

Worte sind im Grunde aus dem Kommunikationsprozess selektierte und exponierte Bestandteile. Die eigentliche Kommunikation ver-läuft mit allen unSinnen, also nicht nur über das Sprachwerkzeug und Gehör, sondern die Gestik, die Mimik, den Geruch... welche nonverbale Aussagen entlarven. Dummerweise verlernen wir mit dem vErwachsen-werden das ganzheitliche Kommunizieren. Von Kindern und Tieren kann man sich sehr viel abschauen - was die Sprache ohne Worte anbelangt.

...ansonsten könnte mit dem Patenkind auch eine gemeinsame "Geheim"-Symbol-Gestensprache entwickelt werden? So würde ein evtl so empfundenes Kommunikationsdefizit durch eine verbindende "Geheimsprache" vielleicht gelöst? (Kinder sind - glaube ich - für Geheimsprachen und -schriften gut zu begeistern)
Falkin - 30. Nov, 07:40

PMS: wobei der Hintergrund nicht zu unterschätzen ist. Wieder und wieder herangetragene Herausforderungen, die alles Gewohnte und Vertraute über den Haufen werfen und fordern, Alltägliches (!) vollkommen neu zu begreifen, zu erlernen, anzugehen UND das auch noch dem Umfeld zu vermitteln.

Das erfordert ungemein viel Kraft, Geduld und Mut. Alles wünsche ich von Herzen!
diefrogg - 30. Nov, 12:47

Danke für den Tipp...

mit der Geheimsprache, Frau Falkin! Das könnte eine Idee sein, die ich bei so einer Gelegenheit spielerisch einführe.

und @ frau walküre: Ganz gewiss war Ihr Erlebnis mit einem taubstummen Kollegen nicht nur für Sie sehr positiv. Für einen Menschen mit Verständigungsproblemen kann gelungene Kommunikation mit einer nicht auf dieselbe Weise herausgeforderten Person eine wahre Offenbarung sein, das weiss ich jetzt aus Erfahrung!

Zur nonverbalen Kommunikation mit Kindern ist zu sagen: Ich habe es immer geliebt, mich mit Zweijährigen zu verständigen - fast nur mit Mimik und Gestik. Nun ist Tim aber 7 - und ich freue mich darüber, dass er gut und gerne erzählt und sehr genau sagen kann, was er will. Da möchte ich ihm auch auf Augenhöhe begegnen können. Aber es hat sich ja jetzt gezeigt, dass es geht.

Sowieso gilt meine Hauptsorge eher der Verunsicherung, dass man als erwachsene Person mit einem Kind allein auch Aufsichtsperson ist. Das heisst: Man muss mitbekommen, wenn das Kind etwas braucht, was es sich noch nicht selber verschaffen kann. Und man muss es davon abhalten können, sich oder anderen Schaden zuzufügen. Da scheint mir die Schwerhörigkeit das grösste Hindernis zu sein. Nun, zum Glück muss man als Patin keine Kinder erziehen - sondern es reicht, wenn man Spass mit ihnen hat.
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