15
Dez
2008

Frauenbuch, Männerbuch

Ich glaube, es wird Zeit, dass wir zum Kern unserer Diskussion über Shafak und Werfel kommen, geschätzter Herr Steppenhund. Schon mehrmals haben Sie Ihrem Missfallen darüber Ausdruck verliehen, dass ich hier Leserinnen ein Buch von einer Frau empfehle. Wollen Sie mir unterstellen, dass ich das Standardwerk von Franz Werfel abwerten wollte, nur weil er ein Mann war?

Das war natürlich nicht meine Absicht. Denn als ich Shafak empfahl, wusste ich gar nichts vom "Musa Dagh". Ich wollte auch nicht das Werk über den Völkermord an den Armeniern empfehlen. Vielmehr hatte ich ein Buch entdeckt, das mir gefiel. Und ich wollte es den Richtigen weiter empfehlen, nämlich meinen weiblichen Lesern. Denn eins gilt meines Erachtens: Es gibt tatsächlich Bücher für Männer und Bücher für Frauen. "Der Bastard von Istanbul" ist ganz eindeutig ein Buch für Frauen, weil:

1) Männer kommen darin nur am Rande vor
2) Shafak bedient sich eines Genres, das Frauen mögen: der Screwball Comedy.

Wahrscheinlich hat Shafak dies nicht ohne Kalkül getan. Sie wusste wohl, was jeder weiss, der sich hie und da mit Büchern befasst: Frauen lesen mehr Bücher als Männer. Sie lesen ausserdem mehr Belletristik als Männer. Und: Männer lesen, wenn schon, eher Romane von Männern.

Nehmen wir zum Vergleich Werfels Buch: Es stammt aus dem Jahre 1933 und ist meines Erachtens eindeutig als Männerbuch konzipiert. Das ist auch kein Wunder: Die Öffentlichkeit war damals weit gehend ein Raum für Männer. Und Werfel brauchte öffentliche Anerkennung, um sein Buch zum bildungsbürgerlichen Leser (oder wenigstens zum Käufer) zu bringen. Von dort konnte es ja dann auch gegebenenfalls noch den Weg in die Hände der Bildungsbürgersgattin finden.

Um öffentliche Anerkennung zu bekommen, tat er zwei Dinge: Er gab dem Buch Kunstcharakter. Und er bewies auf Teufel komm raus Überlegenheit in Sachfragen. Nur so konnte er auch die politische Relevanz seines Werkes behaupten. Beides gereicht dem Buch aus der Frogg-Perspektive eher zum Nachteil.

Um zu zeigen, wie er das machte, hier ein Beispiel: "Im Militärpavillon dort bricht in derselben Sekunde eine türkische Militärbande in quinklierende Janitscharenklänge aus." (S. 174 im Fischer-Taschenbuch von 2007).

Schwäche 1: Werfel versteht sich als Expressionist und schöpft lautmalerische Wörter wie "quinkelierend". Damals war der Expressionismus eine nicht mehr ganz avantgardistische Strömung der Kunst. Auf ihm zu bauen, würde ihm die Anerkennung der Literaturkritiker einbringen. Heute wirken solche Wortschöpfungen und anderen expressionisten Stilmittel aber eher gekünstelt.

Schwäche 2: "Oha, Werfel weiss, was Janitscharen sind!" denkt sich der Herr Bildungsbürger und ist beeindruckt. Selber wusste er nicht, was Janitscharen sind? Ich bitte Sie, jeder politisch interessierte Bildungsbürger von anno dazumal wusste das doch! Und wer es nicht wusste: selber schuld! Er konnte es ja verschämt im Konversationslexikon nachschlagen.

Doch die Zeiten und die Öffentlichkeit haben sich geändert. Heute gibt es einen Buchmarkt für gut ausgebildete und intelligente Frauen, die sich gerne ihrer Intelligenz angemessen und ohne bildungsbürgerlichen Firlefanz unterhalten lassen. Verbreitung bekommen die Werke für diese Frauen nicht zuletzt über Blog-zu-Blog-Propaganda.

Das heisst nicht, dass ich Werfel Frauen nicht zur Lektüre empfehlen würde. Im Gegenteil. Frauen können so gut googeln wie Männer. Abgesehen davon fallen die aufgezählten Schwächen insgesamt wenig ins Gewicht.

Aber vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich meinen Leserinnen trotzdem zuerst "Der Bastard von Istanbul" empfohlen habe!

Und Sie, Herr Steppenhund, dürfen es natürlich gerne auch lesen.

Roman-Monument

Sie haben mich neulich ziemlich ultimativ auf "Die vierzig Tage des Musa Dagh" von Franz Werfel verwiesen, geschätzter Herr Steppenhund. Meine Neugier hat daraufhin gesiegt. Ich habe begonnen, mir das Werk zur Brust zu nehmen. Nachdem ich 195 von 975 Seiten gelesen habe, kann ich so viel sagen: Ich bereue es keineswegs. Im Gegenteil: Das Werk hat nicht nur grosse Verdienste, sondern eine beeindruckende Wirkungsgeschichte. Schon deshalb lohnt sich die Lektüre.

Werfel schildert unglaublich differenziert und mit sehr viel Einfühlungsvermögen, was mit Menschen passiert, die zu einer ethnischen Minderheit gehören und deswegen verfolgt werden. Kein Wunder, dass es für die Juden des Dritten Reiches ein so wichtiges Buch wurde! Hier lässt sich nachlesen, was das in Deutschland schon bei seinem Ersterscheinen 1933 verbotene Buch bewirkte: "Die Juden haben Werfels Roman gerade in den dreissiger Jahren geschätzt, weil sie in ihm eine Art Spiegelbild der eigenen unsicheren Situation sahen. Und in der Zeit der Ghetto-Aufstände in Osteuropa wurde Werfels 'Musa Dagh' geradezu zum Symbol des Widerstandes."

Das Werk ist also wahrlich ein Monument, Herr Steppenhund. Leider eines, das seine Aktualität wohl noch lange nicht verlieren wird. In einem gewissen Sinne verstehe ich angesichts von all dem sogar, weshalb Sie der Meinung sind, dass sich nach der Lektüre von "Musa Dagh" die Lektüre eines jeden anderen Armenier-Romans erübrige (ausser vielleicht desjenigen von Hilsenrath).

Aber damit verwerfen Sie Shafaks Buch mit allzu viel Leichtigkeit. Denn Shafak steht an einem ganz anderen Ort: Sie zeigt, dass die Greuel der Geschichte auch bei den Nachgeborenen Wunden hinterlassen. Auch bei den Tätern. Und dass diese Wunden nur dann heilen können, wenn man hinschaut und ernst nimmt, was man sieht. Bevor ich diese Lektion auch in Werfels Buch finde, bin ich nicht bereit, Shafak dafür aufs Altpapier zu legen!

13
Dez
2008

Samstagabend

Neulich hat irgendjemand zu mir gesagt: "Älter werden hat doch auch Vorteile, nicht wahr? Zum Beispiel den, dass man am Samstagabend nicht zwanghaft etwas loshaben muss."

11
Dez
2008

Advents-Komödie

Das Ritual ist sakrosankt und in Stein gemeisselt: Am 24. Dezember trifft sich die Familie Frogg bei den Eltern Frogg. Das sind:
- Mutter und Vater Frogg
- Herr T. und Frau Frogg,
- Bruder Andreas, seine Ehefrau Stella Frogg Ottokar und die zwei Töchter Marie-Christiane und Carina.

Diese treffen sind unserer Frau Frogg heiliger als die drei Könige. Früher waren sie ein beliebtes Datum für die lustvoll ausgetragenen politischen Streitigkeiten der Geschwister Frogg. Heute hat sie Zeit, mit ihren Nichten zu spielen.

Doch dieses Jahr wird alles anders. Dieses Jahr bringt Schwager und Erdbebenspezialist Dilibert Ottokar unsere so solide geglaubte Weihnachtsplanung zum Einsturz. Nun gut, er hat einen triftigen Grund: Seine Frau ist Venezolanerin, und dieses Jahr sind die venezolanischen Verwandten in der Schweiz. Und die möchten Stella und Andreas doch auch kennenlernen. Doch einzige Gelegenheit dafür ist der 24. Dezember.

Also sollte der 25. Dezember der Termin für unser Frogg'sches Familientreffen werden. Für Mutter und Vater Frogg kein Problem. Geht es um ihren einzigen Sohn und die Enkelkinder, dann können sie sich jeden beliebigen Termin freischaufeln. Da muss Grossmutter Walholz halt noch ein paar Tage warten - obwohl sie am 25. Dezember auch noch Geburtstag hat.

Doch wird plötzlich Familie T. zum Problem. Denn am 25. Dezember ist ja eigentlich jeweils unser Termin für das Treffen mit Filomenas Schwiegerfamilie in spe. Und den kann Familie T. unmöglich auf den 24. Dezember verschieben.

Denn am 24. kocht Vater T.'s Freundin La Serenissima schon für ihre eigenen Enkelinnen.
Und die taube Tante Ida von Herrn T. kann auch erst am 25. Dezember. Denn am 24. taucht sie jeweils bei ihrer verlorenen Tochter auf.
Und dann wäre da noch irgend eine entfernte Verwandte von T's. La Traviata. Die ist bei diesen Familienfeierlichkeiten auch immer dabei.

Was also tun?

Herr T. findet schliesslich das Ei des Kolumbus und bringt das aufgewühlte Frogg'sche Gemüt wieder zur Ruhe: Wir fahren am 24. Dezember zu Mutter und Vater Frogg. Am 25. Dezember zu T.s, ganz wie üblich. Und am 26. Dezember kommen dann Andreas und seine Familie zu uns.

Seit das klar ist, habe ich schon eine ganze Reihe von Hebeln in Bewegung gesetzt, damit ich am 26. Dezember nicht schon wieder arbeiten muss.

9
Dez
2008

Wenn die Welt sich dreht

Heute ging ich mit der Überzeugung durch die Stadt, dass ich einen Drehschwindelanfall bekommen würde. Manchmal weiss ich einfach, wenn einer im Busch ist. Ich weiss es, weil sich das linke Ohr so seltsam dicht anfühlt, wie mit Beton zugekleistert. Jaja, das klingt seltsam. Ist es auch. Gehört zu dieser idiotischen Krankheit.

Ich war guter Dinge, aber ich rechnete mit dem Schlimmsten. War auf alles vorbereitet. Das Antemin im Täschchen, die Absätze flach.

So tappte ich an einem Reisbüro für Studenten vorbei. Schickte mich an, einem Plakatständer mit günstigen Reiseangeboten nach Singapur und Japan auszuweichen. Sah einen hellblauen Globus auf weissem Grund und den Slogan auf der Tafel.

"The World Is Turning Around You".

Und musste lachen. Die meinten den Satz wohl nicht so wie ich ihn verstand.

Schwindelanfall hatte ich dann doch keinen.

8
Dez
2008

Hühnerfleisch

Am Samstag habe ich zwei hübsche Pouletbrüstchen gekauft. Für Sonntag.
Am Sonntag früh habe ich diese Story gelesen.
"Pah!" sagte sich die Frogg, "Ich habe seit August drei- oder viermal Hühnerfleisch gegessen, und mir war danach vögeliwohl. Mein Sonntagspoulet lasse ich mir nicht verderben!"
Es gab gestern also doch Sonntagspoulet im Hause Frogg. Schön knusprig gebraten. Köstlich wars!
Doch danach rumpelte mir der Magen. Tüchtig.
Muss ein Anfall von Hypochondrie gewesen sein.
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Journal einer Kussbereiten

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