5
Aug
2008

Naive Journalisten

Journalist Oliver Stock schreibt über die Naivität seiner Berufskollegen in Peking. "Sie fliegen ein, berichten uns von ihrem Staunen und sind wieder weg." (gelesen im punkt.ch auf Seite 3).

Da fällt mir ein: Dasselbe tue ich, wenn ich hier von meiner Reise in die Türkei berichte. Aber ist das wirklich schlecht?

31
Jul
2008

Psychosomatisch

Sehr geschätzte Frau Walküre

Von Ihnen und nur von Ihnen akzeptiere ich Mutmassungen über die psychosomatische Natur meines Ohrenleidens. Ich tue es, weil ich Sie als wohlmeinende Leserin kenne und überzeugt bin, dass Sie sie aus Anteilnahme äussern. Einer Anteilnahme, zu der sie ja niemand verpflichtet. Dass sie sie dennoch aufbrigen, weiss ich zu schätzen.

Im Allgemeinen aber gehe ich dieser Art von Mitgefühlsbekundungen anders um: Ich schütze mich vor ihnen und jenen, die sie von sich geben. Ich nenne solche Leute die Lottis dieser Welt und erzähle ihnen nichts, aber auch gar nichts Persönliches. Denn ich bin zur Überzeugung gelangt, dass psychosomatische Theorien im Allgemeinen eine Abwehr der Gesunden, der Beschränkten und der Herzlosen vor der Krankheit sind. Weil sie sich nicht vorstellen können (oder wollen), dass es Dinge gibt, über die eine Einzelner keine Macht hat. Oder, weil sie gerne helfen würden oder gar müssten, aber nicht wissen wie.
Oh, ich habe schon Ärzte zu psychosomatischen Theorien Zuflucht nehmen hören! Meinen ersten Ohrenarzt zum Beispiel. Erst diagnostizierte er mir (fälschlicherweise) einen Hörsturz. Dann riet er mir, künftig weniger herumzustressen (wobei er mir nicht erklären konnte, wie er das genau meinte). Dann gab er mir eine kleine Broschüre mit. Darin stand, Hörsturzpatienten seien häufig besonders ängstliche Menschen. Ja, prima! Natürlich ist die Frogg ein besonders ängstlicher Mensch. Das weiss ich seit Jahren. Aber dagegen konnte der Ohrenarzt auch nichts tun (die Psychotherapeutin übrigens auch nicht). Auch gegen das Ohrenleiden konnte der Ohrenarzt nichts tun! Immerhin fühlte er sich wahrscheinlich besser, nachdem er die Schuld daran meiner gestörten Persönlichkeit zugeschoben hatte.

Ich nenne das nicht helfen, ich nenne es dem Opfer einen Tritt in den Arsch geben.

Ich fand das widerlich. Ich wechselte den Arzt.

Ein guter Entscheid, finde ich heute noch. Denn, ja, ich war verängstigt, besonders damals, vor acht Jahren. Ich hatte Angst vor einem weiteren Hörsturz. Ich war erschöpft, weil ich vor Sorge und vom Tinnitus nicht schlafen konnte. Wunderts jemanden, dass ich mich extra gestresst fühlte und deshalb erst recht ideal präpariert für einen weiteren Hörsturz? Eben. Dass ich ausserdem keine Lust hatte, mich auch noch mit Persönlichkeitsdefiziten auseinander zu setzen, die mir jemand angedichtet hatte, der mich zweimal kurz in seiner Praxis gesehen hatte? Eben. Und genauso wie vor acht Jahren geht es mir auch im Moment.

Man lernt, sich selber zu schützen in solchen Lebenslagen.

Nur, damit das allen klar ist.

Ihnen, geschätzte Frau Walküre, danke ich für die Mitteilungen von neulich und bitte um Verständnis für meine vielleicht allzu heftige Reaktion. Sicher verstehen Sie, dass ich Dethlefsen zum jetzigen Zeitpunkt ungern lese.

Herzlich grüsst
diefrogg

30
Jul
2008

Der beste aller Kellner

An den türkischen Touristenmeilen hat jedes Restaurant einen Kellner, der die vorbeigehenden Gäste zum Hereinkommen einladen muss. Ach was: einladen ist gar nicht das richtige Wort. Er muss sie ansprechen, jeden einzeln, sie bezirzen, sie davon überzeugen, dass sein Restaurant das Beste der vielen am Platz ist. Er muss sie dazu bringen, ihn zu mögen. Und zwar bevor sie einen Blick aufs Menü geworfen und einen Preisvergleich gemacht haben.

Ein knochenharter Job ist das, ein Job für den man Menschen mögen und mit ihnen reden können muss. Und tatsächlich: Einige dieser Männer sind Meister der Überredungskunst, sympathische gewitzte, eloquente Typen, hervorragende Verkäufer.

Gute Arbeit zahlt sich für sie auch aus, oder wenigstens für ihr Lokal. Sieht man an einer Touristenmeile in Kuşadası, Bodrum oder auch an der Istiklal Caddesi in Istanbul ein volles zwischen vielen halb leeren Restaurants, dann weiss man: Hier ist ein hervorragender Türkellner am Werk. Denn ob das Essen in einem Lokal gut ist, kann der Tourist ja zum vorneherein nicht wissen. Ist ihm aber der Mann an der Tür schon sympathisch, so wird er ihm keinen Gefallen abschlagen wollen und deshalb hineingehen.

Bayram war einer von ihnen, vielleicht der beste, den wir auf unserer Reise getroffen haben. Er lockte uns am Abend unserer Ankunft in sein Balık Ekmek-Lokal im Hafen von Kuşadası. Nun ja, bei Balık Ekmek brauchte es für uns nicht allzu hoch entwickelte Überredungskünste. Balık Ekmek, das sind grillierte Fische mit Brot. Ein einfaches, aber köstliches Gericht.

Bayrams besonderes Talent zeigte sich dennoch schnell. Er merkte, dass wir versuchten, uns auf Türkisch verständlich zu machen. In Kuşadası, einem Touristenort fest in den Händen der Engländer und Osteuropäer, waren wir damit wohl eher eine Ausnahmeerscheinung. Jedenfalls schien er sich richtig darüber zu freuen. Erst testete er unser Wissen. Als er merkte, dass es nicht sehr weit reichte, brachte er uns etwas Neues bei. "Afyiet olsun!" sagte er, "Have a nice meal!", als er unseren Fisch brachte. Später dann, als gerade genügend Kollegen da waren, die ihn ablösen konnten, kam er an unseren Tisch und fragte, wo wir herkämen. Dabei stellte sich zwar heraus, dass sein Englisch nicht viel weiter reichte als unser Türkisch. Aber wir schafften es dennoch, uns angeregt zu unterhalten. Nie genau über das, was wir eigentlich beabsichtigt hatten. Aber Spass machte es trotzdem. Jedenfalls kamen wir irgendwie so weit, dass Bayram uns die Monate des Jahres auf Türkisch auf einen Zettel aus dem Quittungsblock schrieb. Woraufhin wir vergnügt jammerten, wie furchtbar kalt es in der Schweiz die meiste Zeit sei. Bayram war in seinem Element und nannte uns all die warmen Monate des Jahres in der Türkei. Er lächelte. Seine Augenlider flatterten wie Schmetterlinge. Er war höchstens 18.

Dann rief sein Chef ihn zur Arbeit zurück.

Und doch fühlte sich die Frogg nun endlich wirklich wie im Paradies.

29
Jul
2008

Die Frau, die lächelt

Am nächsten Tag führte unsere Reise weiter Richtung Izmir. Im Bus sassen auf unserer Höhe in der Sitzreihe nebenan zwei Frauen, wohl Mutter und Tochter. Die Mutter trug ein Kopftuch. Die Tochter blätterte mit ihrer guten Hand in einem Langendscheidt Türkisch-Deutsch. Ihre schlechte Hand hing seltsam abgewinkelt an ihrer Seite. Auf derselben Seite hatte sie auch ein schlechtes Bein, das sie beim Gehen nachzog.

Bei einem Zwischenhalt stand sie in der Schlange zu den Toiletten hinter mir. Dort sprach ich sie an, denn ich hatte ein Problem: Die Türkin vor mir beklagte sich gerade laut gestikulierend über den Zustand der Toiletten, die meines Erachtens keinen Anlass zur Klage gaben. Ich wollte wieder einmal wissen, was los war. "Sprechen Sie Deutsch?" fragte ich. Sie nickte und schenkte mir ein wunderschönes Lächeln. Ein Lächeln, das aus einer warmen Quelle tief hinter der Stirn kam. Doch sie sagte nichts auf Deutsch. Vielmehr zeigte sie mir irgendetwas in der Toilette und stiess dabei ein paar Laute aus. Wohl doch türkisch, dachte ich und fragte nicht weiter. Ich hatte mich ja schon daran gewöhnt, nur halb zu verstehen, was um mich herum vor sich ging. Und die Toilette war sowieso in Ordnung.

Als wir beide vom Waschbecken kamen, streckte sie mir ihren guten Arm hin. Sie trug mehrere goldene Armringe, und einer hatte sich gelöst. Mit dem Kinn zeigte sie mir, dass ich den Verschluss befestigen solle.

Wieder im Bus ging unser Gespräch auf dieselbe seltsame Weise weiter: Ich fragte sie, wo sie denn herkäme, und sie streckte mir ihre Ausweise unter die Nase. So erfuhr ich, dass sie in Nürnberg wohnte und Taxifahrerin war. Dann zeigte sie mir, besonders stolz, noch einen weiteren Eintrag auf ihrem Ausweis: Sie konnte auch Lastwagen fahren.

Unterdessen zeigte die Mutter mit dem Kopftuch die ganze Zeit mal auf ihre Tochter, mal ihren Mund. Endlich begriff ich: Die Tochter war stumm, die Mutter konnte nur Türkisch.

Da geschah etwas Merkwürdiges: Unser Gespräch kam ins Stocken. Ich wusste nicht weiter. Ich meine: Ich hätte ihr meine Ausweise zeigen können. Oder ich hätte sagen können: "Ach wissen Sie, wir werden schon zurecht kommen. Ich höre ja sowieso nicht so gut", und ihr mein Hörgerät zeigen können. Aber irgend etwas hinderte mich daran. Ein bisschen genierte ich mich davor, vor Herrn T. meine Ausweise über den Gang zu strecken. Ein bisschen genierte ich mich überhaupt, etwas so Unerhörtes zu tun. Es war merkwürdig.

Ausserdem schienen beiden Frauen auch gar nicht zu erwarten, dass wir weiter mit ihnen sprechen wollten. Als wir in Izmir ausstiegen und ihnen eine gute Reise wünschten, schienen sie uns schon längst vergessen zu haben.

Aber ich habe noch oft an die beiden gedacht. Sollte jemand von Euch in Nürnberg einer stummen, halbseitig gelähmten türkischen Taxifahrerin begegnen, so möge er ihr bitte ausrichten: Ich habe mich gefreut, sie kennenzulernen und ich danke ihr für ihr Lächeln.


* Über das Lächeln der Türken könnte man einen ganzen Eintrag schreiben. Ich neige nicht zum Romantisieren, aber es muss doch einmal gesagt sein: Türken (viele von ihnen jedenfalls) lächeln selbst im Umgang mit Kunden anders als die Westler: Echter. Ihr Lächeln kommt tief aus dem Gesicht. Es ist freundlich, ja, fast zärtlich manchmal. Oder amüsiert, hilflos, schlau oder zufrieden. Doch viel weniger oft als im Westen bekommt man in der Türkei diese professionelle Darstellung von Freundlichkeit, die wir Westler als Lächeln bezeichnen.

26
Jul
2008

Ich kapituliere

Wir liegen flach unter einem Sonnenschirm in der Nähe von Ayvalık. Es ist der Nachmittag nach unserem Frühstücksgespräch über die unheimliche Stimme. Die Hitze hat Herrn T. und mich plattgewalzt. Das Thermometer muss bei die 40 Grad stehen. Noch gewöhnungsbedürftig, aber eigentlich wunderbar. Genau wie Ferien im Mittelmeer sein sollen! Das Meer ist kühl und glasklar und wirft perfekte Wellen. Auch der Sonnenschirm ist ok und erst noch günstig. Die Strandlektüre ist tiptop, zwei hoch interessante Bücher über die Türkei. Und neben mir liegt eine halbvolle Plastiktüte mit frischen Früchten. Zwei Nektarinen, Aprikosen und Kirschen. Und Kirschen in der Türkei... die schmecken genauso wie Kirschen schmecken sollen: so süss und so gross und so voll von einer Wärme, von der wir zu Hause nur träumen können.

Das hier wäre das Paradies. Wäre. Nur... die Frogg ist nicht wirklich zufrieden. Denn die Frogg ist im Grunde nicht der Typ fürs Ferienparadies.

Die Frogg ist ein anderer Typ. Und, typisch Frogg, sie hat auch eine Theorie dafür. Sie hat sie abgekupfert von einem längst verlorenen irischen Reisegefährten. Der hatte die Theorie wiederum aus einem Roman von David Lodge*. "Wer reist", sagte der Irische Kumpel einmal, "sucht entweder das Paradies. Oder er ist ein Pilgerer."

Und die Frogg ist eher ein Pilgerer, pardon, eine Pilgerin. Sie will wissen. Sie will verstehen. Sie will Fragen stellen und Antworten bekommen. Sich vertiefen. Sie sucht. Dafür ist sie auch bereit, sich anzustrengen. Nicht umsonst hat sie zwei senkrechte Denkfalten über der Nase. Einfach dasitzen und es sich gutgehen lassen... das ist doch langweilig!

Sie hat hier den Rand von Europa gesucht, das Andere, das Wissen darüber wer sie ist und wer die anderen sind. Was den Unterschied macht und ob es doch Gemeinsamkeiten gibt. Dafür hat sie ein paar Bücher gelesen und ein paar Wörter türkisch gelernt. Und geglaubt, dass sie in drei Wochen irgend etwas begreift. Aber bei dem Gespräch an diesem Morgen ist ihr klargeworden: Hier geht das nicht. Hier ist das viel zu wenig. Oder viel zu viel.

"Ich kapituliere", sagt sie leise zu Herrn T. Dann blickt sie wieder aufs Meer hinaus, auf Wellen und den Händler mit den Früchten, von denen sie schon weiss, wie sie heissen: "kiraz". Versucht zu akzeptieren, dass nicht auf Pilgerreise ist. Sondern im Paradies. Nicht mehr und nicht weniger.


*Wenn ich einmal Zeit habe, werde ich das passende Zitat suchen, versprochen!

Füsse

Bevor ichs endgültig vergesse: Madame nanou zeigt auf ihrer Webpage Füsse. Unter anderem Fröschinnenfüsse. Ihr könnt raten, welches Bild zur Frogg gehört. Ich selber rate immer noch, wer in der Sammlung sonst noch alles seine Füsse räkelt!
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