23
Jul
2008

Unheimliche Stimme

Drei Tage nach unserer Ankunft in Kleinasien machten wir Station in diesem wunderschönen und auch sonst höchst bemerkenswerten Städtchen:

(Quelle: http://apcd2004.balikesir.edu.tr)
Es heisst Ayvalık.

Wir nehmen gerade im Garten unserer winzigen Pension in der Altstadt unser türkisches Frühstück zu uns. Da ertönt plötzlich eine Stimme aus dem Lautsprecher. Naja, man ist Stimmen aus dem Lautsprecher gewohnt in der Türkei, alle paar Stunden stimmen hier die Muezzine ihren Gesang an. Aber das hier ist kein Muezzin. Das ist eine Frau, und sie klingt so sachlich und unmelodiös wie bei uns eine Radiosprecherin, wenn sie die Mittagsnachrichten bringt.

Doch warum muss die ganze Stadt hören, was sie sagt? Hat es einen Chemieunfall gegeben? In den Gassen dieser Stadt gibt es viele kleine Werkstätten. Ein merkwürdiger Geruch liegt in der Luft. Möbelpolitur? Olivenöl? Oder etwas Gefährlicheres? Müssen wir uns retten? Nein, dazu ist zu wenig Hektik in der Stimme. Legt vielleicht ein wichtiges Schiff am nahen Hafen ab? Ist ein fahrender Lebensmittelhändler unterwegs?

"What is this?" frage ich unseren Wirt. Er stammelt ein bisschen. Ich weiss zwar, dass er fast kein Englisch spricht. Wir haben in Ayvalık erst mit einem einzigen Menschen gesprochen, der eine unserer Sprachen spricht: mit einem Kellner in einem tollen Fischrestaurant. Der sprach perfekt Deutsch. Ansonsten mussten wir uns in den letzten Tagen mit unserem Minimaltürkisch, mit Händen und Füssen durchschlagen. Aber was sollen wir jetzt tun? Wir wollen doch wissen, was hier vor sich geht.

Dann stammelt unser Wirt nicht mehr, sondern ringt nur noch mit den Händen. Ebenso sein Bruder oder Schwager, der ihn stets begleitet. Auch wir ringen mit den Händen. Plötzlich ist mir das furchtbar peinlich. Sie sind beide jung und geben sich solche Mühe, gastfreundlich zu sein. Ich reise sonst selten in Länder, in denen ich die meistgesprochene Sprache nicht einmal annähernd verstehe. Und jetzt weiss ich, warum. Es ist einfach zu frustrierend.

Schliesslich holt unser Wirt seine Frau. Sie sitzt an einem der hinteren Tische im Garten und spielt mit ihrer kleinen Tochter. Jetzt kommt sie her. Es scheint, dass sie die einzige von den dreien ist, die einen Englischkurs besucht hat. Sie holt ein Wörterbuch. Schliesslich stehen alle drei Erwachsenen und die kleine Tochter um unseren Tisch herum, sie blättert im Wörterbuch und sie sagt: "Someone has died." Dann zeigt sie in die Luft, wo die Stimme herkommt: "Celebration."

Wir bedanken uns und alle beginnen zu lachen. Die Situation ist zu merkwürdig. Auch wenn wir es nicht wirklich geschafft haben, uns zu verständigen, verstehen wir uns danach doch sehr viel besser.

Auf die Stimme im Lautsprecher machen Herr T. und ich uns schliesslich unseren eigenen Reim: Wahrscheinlich haben wir es mit einem Nekrolog zu tun. Aber anstatt ihn in der Zeitung zu bringen, wie das bei uns mancherorts üblich ist, wird er hier halt per Lautsprecher übertragen. Wieso auch nicht?

22
Jul
2008

Hochzeit auf Türkisch

In Çanakkale stiegen wir im Anafartalar ab, direkt neben dem Fährhafen. Das Hotel hatte den Charme eines Intourist-Hotels, das kürzlich zum Kapitalismus übergelaufen ist und sich freudig etwas frische Farbe über die Betonwände gezogen hat. Überhaupt schien die ganze Uferpromenade gerade erst aus irgendeiner ökonomischen Starre erwacht zu sein.

Auch die Menschen draussen, fast ausschliesslich Türken, benahmen sich, als seien Sommerferien am Meer durchaus nichts Selbstverständliches. Als würden Sittenpolizisten sie beobachten und wegschicken, falls sie die Idylle durch schlechtes Benehmen störten. Sie kleideten sich sittsam. Sie redeten leise. Sie lachten nicht zu laut, hörten keine Musik, prassten nicht und betranken sich sowieso nicht. Und schienen es auch vollkommen richtig zu finden, dass man sich so und nicht anders benahm.

Wir spazierten einen stillen, rosigen Sonnenuntergang lang auf der Promenade und gingen essen. Dann, kurz vor 23 Uhr, stiegen wir die Treppen hoch zu unserem Hotelzimmer. Im 1. Stock fiel unser Blick auf eine mindestens fünfstöckige Hochzeitstorte. Männer in schicken Anzügen standen um sie herum. Im 1. Stock lag der Festsaal des Hotels, und hier herrschte Ausgelassenheit. Da wurde auch laute Musik gehört, wie wir feststellten als wir in unser Zimmer kamen. Es lag im 2. Stock, direkt über dem Saal. Zeitweise bekamen wir bestimmt 90 Dezibel von unten ab (und das ist keine Frogg'sche Übertreibung, Im Fall!!!). Türkische Schlager ab Synthesizer, dazwischen der Jubelgesang orientalischer Frauen bei Hochzeiten, eine Mischung aus Jodeln, Gurgeln und Juchzen. Es war aufregend und zugleich beängstigend. Würde das die ganze Nacht so gehen?

Nach einer Viertelstunde ging Herr T. kurz hinunter, um beim Nachtportier Erkundigungen einzuziehen. Wir waren nach sechs Stunden im Bus hundemüde. Nötigenfalls würden wir in ein anderes Zimmer ziehen müssen. Als er zurückkam, sagte er: "Um Mitternacht soll das Fest zu Ende sein. Na, wir warten mal ab, ob das wirklich stimmt." Dann tat er, was der einsame türkische Geschäftsmann auf Reisen wohl auch tut und wandte er sich dem Fernseher zu. Die Frogg widmete sich derweil ihren Tagebuch-Notizen.

Er stiess auf Hustler TV. Bald mischte sich Lustgestöhn unter die orientalischen Dezibel aus dem 1. Stock.

"Seltsam, dass man das hier gratis bekommt", sagte Herr T. und die Frogg fügte amüsiert ein paar Bemerkungen hinzu, in denen das Wort "Doppelmoral" vorkam. Dann sah sie auf dem Bildschirm einer Blondine zu, die sich mit sämtlichen Saugmuskeln ihres Mundes am riesigen Schwanz eines selbstverliebten Banditen abmühte. Dazu sah sie den Kerl von unten herauf an. Mit dem erbarmenswürdigsten Blick an, den die Frogg je gesehen hat.

Sie hörte auf zu grinsen und wandte sich wieder ihen Notizen zu.

Um punkt fünf nach zwölf stoppte die Musik im 1. Stock schlagartig und es wurde still.

Wir hörten nichts als das Meer und die Geräusche der vorbeituckernden Schiffe.

20
Jul
2008

Nach Asien

Busreisen in der Westtürkei ist ein bisschen wie fliegen. Man gibt seine Reisetasche einem netten Steward in Uniform. Der stapelt sie ins Hinterteil des Busses. Dann behändigt man seinen Gepäckschein, steigt ein und setzt sich auf seinen numerierten Platz. Die Busse sind modern, sauber und komfortabel. Kaum ist der Bus abgefahren, ist der Steward wieder zur Stelle. Er kontrolliert, ob alle Passagiere den richtigen Sitz genommen haben. Dann serviert er Tee oder Kaffee. Wenn die Strassen nicht allzu schlecht sind, kann man die heissen Getränke sogar problemlos trinken. Danach gibts Wasser, Cola oder Fanta, und auf langen Reisen auch schwammige Muffins aus der Aluverpackung.

Unser Bus hob aus dem Otogar von Istanbul ab und bog auf die Autobahn Richtung Edirne ein. Da wussten wir: Wir würden uns noch eine Weile gedulden müssen, bis wir endlich asiatischen Boden betreten konnten. Wir waren auf der Westroute nach Çanakkale. Wir würden noch mehrere Stunden im europäischen Teil der Türkei bleiben, in Rumelien. Rumelien, das klang im Ohr der Frogg osteuropäisch. Wie Karelien oder Slawonien oder so. Und es sah auch osteuropäisch aus. In trübem Licht wogten Kornfelder über endlose Hügelzüge. Da und dort standen ein paar Eichen. Wenn aus den Dörfern nicht jeweils ein Minarett in die Höhe geragt hätte statt eines Kirchturms, hätte sich die Frogg gar irgendwo in Niederösterreich gewähnt.

Nach zwei Stunden werden aus den Hügeln sandige Bergzüge. Die Sonne drückt durch, und alles sieht schon ein bisschen mediterraner aus. Zu unserer linken das Marmarameer, gesäumt von Ferienhäuschen. Wir sind in Tekirdağ. Hier gab es einen kurzen Halt. Leute steigen ein und aus. Wir können kaum erwarten, dass es weitergeht.

Einen weiteren Halt gibts unerwartet bei einer Raststätte mitten in einem bergigen Nirgendwo. Der Chauffeur sagt durchs Mikrofon ein paar Sätze, die unsere Türkischkenntnisse gnadenlos überfordern. Dabei stellen sich uns mittlerweile drängende Fragen: Wie lange hält der Bus? Haben wir genügend Zeit auszusteigen und aufs WC zu gehen? Da alle unsere Mitpassagiere genau das tun, tun wir es auch. Wir wagen sogar, eine Tasse Tee zu bestellen und trinken sie nahe beim Bus, immer mit einem Auge auf dem Chauffeur.

Der tankt seinen Bus voll mit einer Flüssigkeit aus irgendwelchen Kanistern. "Das ist sicher Traktorbenzin", sagte Herr T.

"Der wird doch wohl richtiges Benzin in seinen Tank geben", sagt die Frogg.

"Man weiss ja nie, bei den Benzinpreisen. Ausserdem herrscht unter so vielen Busunternehmen sicher massive Konkurrenz", sagt Herr T.

Wir leeren unsere Teegläser und setzen uns wieder in den Bus. Wir sind die ersten.

Eine halbe Stunde später kommt der Bus an einem steilen Hang ins Keuchen. Wird immer langsamer. Der Chauffeur schaltet tiefer und tiefer. Schliesslich hält er ganz und dreht den Motor ab. "Siehst Du, das war Traktorbenzin", sagt Herr T. Ich gebe ihm ohne zu zögern recht. Ich habe jetzt andere Sorgen. Werden wir es bis Çanakkale schaffen?

Der Fahrer dreht den Motor wieder an. Der Bus kriecht im Schneckentempo den Steilhang hoch.

Es ist die letzte steile Steigung. Wir sind alle froh. Jetzt gehts hinunter zur Halbinsel von Gelibolu. Hier tut sich eine berauschend schöne Landschaft auf. Die Hügel sind bedeckt mit riesigen Kiefernwäldern. Wälder so gross wie ich sie im Mittelmeerraum noch nie gesehen habe. Es scheint, dass die Römer nicht bis hierher gekommen sind, als sie die Wälder am Mittelmeer abholzten, um ihre Flotte zu bauen. Auf den Ebenen gibts Felder, mit Sonnenblumen und Reis und daneben Olivenbäume. Wirklich: Eines Tages werde ich hinfahren, nur um ein paar gute Bilder von der Gegend zu machen. Das war leider aus dem Bus nicht möglich.

Zumal wir auf der Fahrt durch geschichtsträchtiges Land waren und in unserem Reiseführer noch schnell die Geschichte der Schlacht von Gallipoli nachlesen mussten - und gleichzeitig nach alten Bunkern Ausschau hielten.

Als wir Kilitbahir erreichen, sind wir richtig erschöpft.

Der Bus rollt auf die Fähre nach Çanakkale. Gleich werden wir die berühmten Dardanellen überquert haben. Wir werfen noch einen letzten Blick auf Europa.

DSCN0792

Dann setzen wir endlich, endlich beide Füsse auf asiatischen Grund. Genau hier, am Fährhafen von Çanakkale.

DSCN0796

Dabei würmelt mir ganz leise dieser Song im Ohr:

19
Jul
2008

Ticket nach Kleinasien

In Istanbul hatten wir Asien täglich aus der Ferne betrachtet, die andere Hälfte der Grossstadt auf der anderen Seite des Bosporus. Noch fuhren wir nicht hinüber. Und doch wurden wir mit jedem Tag neugieriger auf den Kontinent da drüben, wollten hinreisen, wollten unsere Füsse auf ihn setzen. Am sechsten Tag unserer Reise brachen wir auf. Çanakkale hiess unser Ziel. Das liegt zwar nicht gerade in Ostasien. Aber immerhin in Kleinasien, drüben, auf dem anderen Kontinent.

Çanakkale... Die Frogg und Herr T. mussten erst austüfteln, wie man das wohl ausspricht. Sie einigten sich auf "Tschanakkaale", und in ihrem nicht gerade für seine phonetische Zartheit bekannten Schweizerdeutsch klang es wie "Tschonokkoooole", natürlich mit kräftigem Kehllaut.

Unsere Reise nach Çanakkale begann auf dem Otogar von Istanbul. Unter uns gesagt: Der Otogar von Istanbul ist nicht besonders schön. Aber er ist dennoch eine Sehenswürdigkeit, ein Faszinosum. Er ist ein kleines Stück Kleinasien im europäischen Teil von Istanbul. Hier ist nicht nur alles anders als in Europa. Es ist auch alles anders als im Istanbul, das wir bislang kennengelernt hatten. Hier findet türkischer Alltag statt. Hier kauft man nicht nur Busfahrkarten. Hier kauft man viele von jenen Dingen, die es im grossen Basar längst nicht mehr gibt, weil für Touristen uninteressant: Hier gibt es Schuhe, Radnaben, Putzgerät und -flüssigkeiten und billige Herren- und Kinderkleider, die man hier bei Bedarf auch gleich chemisch reinigen lassen kann. Hier essen eilige Türken auf der Durchreise schnell eine Schale Suppe. Hier gibt es kaum Europäer. Das Essen ist günstig. Die Toiletten sind türkisch.

Hier herrscht Betrieb, denn die Türken sind eine Nation von Busreisenden. Hier bekommt man an 168 Schaltern wahrscheinlich in kürzester Zeit ein Ticket in irgend eine grössere Stadt der Türkei. Und wahrscheinlich fährt in weniger als einer Stunde ein Bus dorthin.

Wir hatten geglaubt, es wäre kompliziert. Aber wir waren höchstens zwei Minuten den Busfahrkartenschaltern entlanggegangen, da tauchte vor uns ein Mann in blauer Uniform und mit lückenhaften Zähnen auf. "Tschanakkaleeeee!" sang er uns entgegen. Mit hellen "a"s und natürlich ohne Kehllaut. Erst schüttelten wir verständnislos den Kopf. Erst als er uns sein "Tschanakkaleeeee!" noch einmal an den Hinterkopf sang, begriff die Frogg: "Tschanakkaleeee!" sang sie den Tiger an. "Da müssen wir doch hin.

Wir gingen also ins Büro, kauften eine Karte und voila: Wir waren auf dem Weg nach Asien.

Wir schluckten leer, als man uns sagte, wie lange die Fahrt dauern würde: sechs Stunden.

18
Jul
2008

In die Westtürkei

Nach fünf Tagen in Istanbul war es Zeit aufzubrechen: Wir wollten in die Westtürkei und hatten auch eine Route ausgeklügelt. So hellgrün sah sie aus:


turkey_map2


Jaja, ich weiss! Das ist ein richtiger Tourist Trail! Aber Ihr werdet staunen. Wir haben viel erlebt!
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Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
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Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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