12
Jul
2008

Zwischenspiel: Stöckchen

Bevor ich mit meinem Türkei-Epos weiterfahre, möchte ich mich hier einem Stöckchen widmen, das Frau Acqua mit zugeworfen hat. Es heisst Sätze vervollständigen.

Ich höre gerade...
...die Bässe der unaufgeregten Pop- oder Rockmusik meiner Nachbarin. Und im linken Ohr leise den Bahnschranken-Tinnitus. Sehr beruhigend. Wirklich.

Vielleicht sollte ich...
...mein Türkei-Fotoalbum doch stillschweigend selber zusammenstellen und nicht darauf hoffen, dass Herr T. es eines Tages hinkriegen wird.

Ich liebe...
...es, an einem Hochsommertag durch die von allen Sonntagsspaziergängern und Hündelern verlassenen, grün und gelb gefluteten Felder zu gehen und mich dabei mit Hitze volllaufen zu lassen.

Meine besten Freunde sind...
...jene, die mich nicht im Stich lassen, wenn ich einen Schwindelanfall habe.

Mein/e Ex...
puuh... Das ist lange her.

Ich verstehe nicht...
...warum alle jahrelang so getan haben, als würde der US-Hypothekencrash nie passieren. Jeder hat es doch gewusst.

Ich habe keinen Respekt vor...
...PR-Menschen. Ausser, wenn ich selber als solcher auftrete.

Ich hasse...
...es, wenn die Temperaturen im Juli unter 20 Grad sinken. Ich empfinde das als Betrug an den Daheimgebliebenen.

Mein Nickname...
...ist pilemon frogg, auch filomena frogg. Das hat im Grunde nichts mit Fröschen zu tun. Sondern mit meinem geistigen Ziehvater.

Liebe ist...
...die am meisten überstrapazierte und missverstandene Emotion, die es gibt. Jawoll.

Irgendwo ist irgendjemand...
...der mir hilft, mein zweitgeheimstes Problem zu lösen.

Ich werde immer...
...haariger. Ehrlich. Das hätte einen ganzen Eintrag verdient. Kommt ein andermal...

Ewigkeit ist wie...
wie ein Hochsommertag im Grünen (siehe oben). Oder vielleicht doch wie ein Pfarrer, der beim Sonntagsgottesdienst (katholisch) noch nicht einmal mit der Predigt fertig ist?

Was ich niemals verlieren möchte, ist...
...meine Zurechnungsfähigkeit. Wobei... ich glaube, eben habe ich sie für eine Viertelstunde verloren. Aber das ist eine komplizierte Geschichte...

Darf ich das Stöckchen nun meiner hoch geschätzten Madame katiza zuwerfen? Ferner meiner grossartigen Neuleserin baldrian.goodnight sowie Madame canela mit dem unübertreflichen Hang zur sinnlichen Poesie?

9
Jul
2008

Kopftuch 2

Nach frogg'scher Schätzung geht ein Drittel der Frauen in der Westtürkei im Kopftuch. Ich habe sie angesehen, diese Frauen, und mir Fragen gestellt: Was denken sie? Wo gehen sie hin? Wie halten sie in ihren langen Mänteln die Hitze aus? Was ist das für ein Strumpf, den viele unter dem Kopftuch tragen und der ihr Haar verdeckt? Wann und wo ziehen diese Frauen ihre Rüstung aus? Ich wünschte mir, türkisch zu können. Ich wünschte mir, sie ausfragen zu dürfen. Bestimmt habe ich sie manchmal angestarrt.

Ich begann, sie in Kategorien einzuteilen:

Die Kleinbürgerinnen: Frauen mit viel Arbeit und Kindern, aber ohne Allüren. Und doch vergessen sie nicht, sich ein bisschen nett anzuziehen. Ihre Kleidung, meist unprätenziös im Schnitt, ist stets in gut assortierten Farben gehalten: zum grünen, langen Mantel tragen sie ein grünrosa gemustertes Kopftuch (oder das alles in Blau, Beige oder Pink).

Die Wohlanständigen: Die meisten von ihnen sind jung, schmal wie Frühlinszweige und verbringen am Morgen Zeit mit Schminken. Ihre Mäntel sind adrett, oder gar elegant: silberweiss oder schwarz, ihre Kopftücher schwarz, grau oder weiss mit Pastellmustern. Sie halten sich stets kerzengerade. In der Gegenwart von Touristen bekommen sie manchmal einen überlegenen Gesichtsausdruck. Sie wirken irgendwie militant und passen optisch gut zu den vielen neuen Moscheen in Edremit mit ihren silbern schimmernden Minarettspitzen (die wir in einem Anflug schwarzen Humors Qassam-Raketen nannten. Weil sie über der Westküste sassen wie islamische Abwehrgeschütze). Doch es ist nicht alles wie es scheint: Einmal, in Pamukkale, sahen wir an einem Sonntagabend in in der Lobby unseres Familienmotels eine junge Wohlanständige, 17 vielleicht, eine der zahlreichen Verwandten unseres Wirtes: Sie sass am Computer und hörte mit einer Freundin ohne Kopftuch englischen Grufty-Rock. Die einzige englische Rockmusik, die ich drei Wochen Türkei gehört habe.

Die Entehrten: Frauen, die irgendeiner erniedrigenden Arbeit nachgingen, meist Toilettenfrauen. Das Kopftuch gab ihnen ihre Würde zurück.

Die schwarzen Mareien: Meist ältere Frauen in schwarzen Tüchern, die alles verhüllten ausser der Nasenspitze, dem Kinn und den Fäusten. Sie sahen aus, als kämen sie aus einer anderen Zeit. Sie sahen arm und wütend aus.

Die Landfrauen: Frauen, die das Kopftuch als Arbeitskleidung trugen. So selbstverständlich wie Generationen von Frauen vor ihnen. Unsere Wirtin in Pamukkale war so eine Frau. Eine Frau, wie man sie im Westen selten sieht. Eine Frau, die so aussah, als sei sie genau dort, wo sie hingehöre und glücklich darüber. Eine Frau ohne Ängste, so schien es. Die Sonne in ihrem komplexen Familiensystem. Von den wenigen Türkinnen, mit denen wir sprechen konnten, konnte sie am besten Englisch.

Die Individualistinnen: Sie trugen ihre bunten Kopftücher mit kurzen oder halblangen Jacken. Mit langen, neonfarbigen Röcken und Jeans. Ihre Kleidung war eine kreative Mischung aus Ost und West. Die Freaks unter den Musliminnen.

Ja, und dann sah ich Tausende von Frauen, die sich in ihrem Aussehen kaum von Westlerinnen unterscheiden. Und am Busbahnhof von Aydın habe ich eine junge Türkin in einem eng anliegenden T-Shirt gesehen, auf dessen Brust breit stand: "You will beg for it". Ich kenne keine einzige Westlerin, die so etwas tun würde. Sie stand - natürlich - nicht weit von einer Wohlanständigen.

8
Jul
2008

Kopftuch

"Zuerst lehnte ich das Kopftuch ab. Doch dann begann ich es zu tragen und ich merkte: Ich kam mit Kopftuch einfach besser zurecht. Man betrachtete mich als denkende Person. Und ich wurde nicht mehr dauernd angemacht. Das Kopftuch gab mir Würde und Raum zu sein, wer ich war." Das pflegte meine Freundin Mascha zu sagen. Sie war aus einer gut katholischen Familie und, weiss Gott, eine Hardcore-Feministin. Mit 18 aber verbrachte sie ein Jahr in einer muslimischen Familie in Kenia, wo sie das Kopftuch schätzen lernte. Zu Hause trug sie es dann nicht mehr. Nein. Später ging sie sogar eine Weile kahlgeschoren.

Das ist lange her. Aber es hat meine Haltung zum Kopftuch geprägt. Jedenfalls lehne ich es nicht rundweg ab, schreie nicht nach einem Kopftuchverbot. Bin mir nicht sicher, ob das Kopftuch wirklich ein Symbol für die Unterwerfung der Frau ist.

Zumal ich festgestellt habe, dass es selbst in kleineren Städten im Westen Musliminnen gibt, die ihr Kopftuch und das dazugehörige Mäntelchen durchaus mit Modebewusstsein, ja mit einem gewissen urbanen chic tragen. Das sind keine gehorsamen Arbeitstiere, die sich nach getaner Arbeit pflichtschuldigst unter ihren Ehemann legen.

Wie komplex die Frage ist, zeigt die Situation in der Türkei. Dort ist der Kopftuchstreit Symptom eines Problems, das sich bald zur Staatskrise ausweiten könnte.

Kurz bevor wir hinreisten, flammte er erneut auf.

Das Kopftucherbot an den türkische Unis sei in den 80-er Jahren unter der Militärregierung eingeführt worden, las ich in einer Agenturmeldung. Um die Islamisierung der Gesellschaft zu verhindern, hiess es. Um sicher zu stellen, dass die Türkei ein säkulärer, nach Westen orientierter und damit freiheitlicher Staat bleibe. Nur: Regierende Generäle gelten in der Regel nicht gerade als Hüter der Freiheit und der Rechte von Frauen. Und: Ist es nicht paradox, ausgerechnet jenen Frauen Kleiderverbote aufzuerlegen, die an der Uni zu selbständig denkenden Menschen werden sollen?

"Weisst Du, es gibt viele Gründe, das Kopftuch zu tragen", sagte unser Freund, der Istanbuliker. "Manche jungen Mädchen tragen es nur, weil sie das säkuläre Mami ärgern wollen."

Also: Was tut Frau, wenn sie aufgefordert wird, sich ein Kopftuch umzulegen, bevor sie die blaue Moschee betritt?

Ich jedenfalls legte es um und behielt es auch unter der grossen Kuppel um, als die Türhüter nicht mehr hinschauten. Warum? Vielleicht aus Solidarität mit all jenen Frauen, die das Kopftuch tragen, weil sie auf Identitätssuche sind. Vielleicht aus Respekt einer fremden Religion gegenüber.

Ich war die einzige westliche Touristin, die es so hielt. Die anderen nahmen in der Moschee ihre Tüchlein wieder ab und grinsten kokett ihre Männer oder Freundinnen an, bevor sie ihren Blick bewundernd über die blauen Kacheln schweifen liessen.

Sie waren frei. Sie hatten diesen Mullah-Türhütern ein Schnippchen geschlagen!

6
Jul
2008

In Istanbul

Wir können uns glücklich schätzen: Noch vor unserer Abreise hatten wir einen echten Istanbuliker kennengelernt. Einen Mann aus unserem Städtchen, der in die Schönheit der Grossstadt am Bosporus vernarrt ist. Der mindestens einmal im Jahr dorthin fliegt und sogar jahrelang türkisch gelernt hat. Er vermittelte uns einen guten Kontakt*. So kam es, dass wir schon am Flughafen abgeholt wurden. Ein netter, wenn auch unserer mangelhaften Sprachkenntnisse wegen zwangsläufig stiller Türke fuhr uns zu einem Haus beim Galataturm. Dort bekamen wir erst einmal ein Tässchen Tee serviert bekamen.


(Quelle: www.antalya.de)

Dann chauffierte er uns weiter zu unserer Wohnung. Fuhr das steilste Strässchen hinunter, das ich je gesehen habe. Stoppte und führte uns mit Sack und Pack hinein in ein unscheinbares Wohnhaus aus den sechziger Jahren. Vier Stockwerke hoch. In einem Treppenhaus, das leise nach Katzenpisse roch und hinter einer zugemauerten Tür die Ruinen eines Lifts ahnen liess (Man hatte uns ja gewarnt: Treppenhäuser in Istanbul seien nicht das, was Europäer so erwarteten).

Und dann öffnete er die Tür zu "unserer" Wohnung. Die Frogg trat ein, schaute, blieb mit offenem Mund stehen und vergass beinahe, Herrn T. auch herein zu lassen. Der stille Türke grinste. Vor uns lag eine riesige Fensterfront, die direkt auf den Bosporus ging. Das was unsere Aussicht (von rechts nach links):

moscheen
Hinüber zum Topkapı-Palast , zur blauen Moschee und der Hagia Sophia.

frachter
Hinüber nach Kadiköy und Üsküdar, hinüber nach Asien.

brueckebeitag
Hinüber zur Boğaziçi-Brücke, die Europa und Asien verbindet...

brueckebeinacht
... und hinüber zur selben Brücke bei Nacht.

Ja, so blau ist der Bosporus. Eigentlich hatte ich ihn mir anders vorgestellt. Weniger frisch und fröhlich. Aber hier war er, der Bosporus, so blau wie der Luganersee, und wir konnten kaum den Blick von ihm wenden. Tag und Nacht dröhnten die Schiffe an uns vorbei, hinauf zum Schwarzen Meer oder herunter von ebendort. Direkt unter uns lag der Fährhafen Kabataş. Manchmal überholten die eiligen Schiffe aus Üsküdar einander, bevor sie dort anlegten. Morgens und abends waren sie gestossen voll mit Pendlern.

Und wahrlich: Wir schätzten uns glücklich, auf einem Sofa liegen und der ganzen Geschäftigkeit zuschauen zu dürfen.

* Ernsthaften Istanbul-Interessenten vermittle ich den Kontakt gerne weiter. Ob wir dabei auch Istanbuliker geworden sind, weiss ich noch nicht. Es wird sich wohl erst noch zeigen.

2
Jul
2008

Pfeffer-Schock

Schon im Flugzeug nach Istanbul erlitt die Frogg einen leichten Kulturschock. Wegen dieses kleinen Päckchens auf unserem Lunchtablett:

biber

Kenner der Frogg'schen Auseinandersetzung mit der Peperoni-Frage werden leicht verstehen, weshalb. Hatte die Frogg doch vor den Ferien fleissig ein paar Worte türkisch gelernt und brav memoriert: "Biber" heisst "Peperoni" oder "Paprikaschote" (etwa in "biber dolması", gefüllte Peperoni). Wenn "biber" aber irgendetwas mit Paprika heisst, so eines der unerschütterlichen Frogg'schen Glaubenssätze, dann kann "biber" unmöglich auch "Pfeffer" heissen.

Und doch war in dem Päckchen Pfeffer.

Wie also heisst dann Paprika?

Die Frage drehte irgendwo im Frogg'schen Hinterkopf ihre Runden. Derweil besichtigten wir auch Gewürzmärkte. In Istanbul. In Bodrum.

gewuerze

Und hier fand ich eines Tages die Antwort: In einem Kistchen lag ein rotes, grob gemahlenes Pulver, auf dem Schildchen dazu stand kırmızı biber: Roter... ja, was jetzt? Pfeffer oder Paprika?

Mein Sprachführer schaffte Klarheit: kırmızı biberheisst "Paprika (Gewürz)".

Ich musste eines meiner Dogmen revidieren und feststellen: Die Welt ist eben doch komplizierter als ich gedacht habe. Oder einfacher?
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