20
Jul
2008

Nach Asien

Busreisen in der Westtürkei ist ein bisschen wie fliegen. Man gibt seine Reisetasche einem netten Steward in Uniform. Der stapelt sie ins Hinterteil des Busses. Dann behändigt man seinen Gepäckschein, steigt ein und setzt sich auf seinen numerierten Platz. Die Busse sind modern, sauber und komfortabel. Kaum ist der Bus abgefahren, ist der Steward wieder zur Stelle. Er kontrolliert, ob alle Passagiere den richtigen Sitz genommen haben. Dann serviert er Tee oder Kaffee. Wenn die Strassen nicht allzu schlecht sind, kann man die heissen Getränke sogar problemlos trinken. Danach gibts Wasser, Cola oder Fanta, und auf langen Reisen auch schwammige Muffins aus der Aluverpackung.

Unser Bus hob aus dem Otogar von Istanbul ab und bog auf die Autobahn Richtung Edirne ein. Da wussten wir: Wir würden uns noch eine Weile gedulden müssen, bis wir endlich asiatischen Boden betreten konnten. Wir waren auf der Westroute nach Çanakkale. Wir würden noch mehrere Stunden im europäischen Teil der Türkei bleiben, in Rumelien. Rumelien, das klang im Ohr der Frogg osteuropäisch. Wie Karelien oder Slawonien oder so. Und es sah auch osteuropäisch aus. In trübem Licht wogten Kornfelder über endlose Hügelzüge. Da und dort standen ein paar Eichen. Wenn aus den Dörfern nicht jeweils ein Minarett in die Höhe geragt hätte statt eines Kirchturms, hätte sich die Frogg gar irgendwo in Niederösterreich gewähnt.

Nach zwei Stunden werden aus den Hügeln sandige Bergzüge. Die Sonne drückt durch, und alles sieht schon ein bisschen mediterraner aus. Zu unserer linken das Marmarameer, gesäumt von Ferienhäuschen. Wir sind in Tekirdağ. Hier gab es einen kurzen Halt. Leute steigen ein und aus. Wir können kaum erwarten, dass es weitergeht.

Einen weiteren Halt gibts unerwartet bei einer Raststätte mitten in einem bergigen Nirgendwo. Der Chauffeur sagt durchs Mikrofon ein paar Sätze, die unsere Türkischkenntnisse gnadenlos überfordern. Dabei stellen sich uns mittlerweile drängende Fragen: Wie lange hält der Bus? Haben wir genügend Zeit auszusteigen und aufs WC zu gehen? Da alle unsere Mitpassagiere genau das tun, tun wir es auch. Wir wagen sogar, eine Tasse Tee zu bestellen und trinken sie nahe beim Bus, immer mit einem Auge auf dem Chauffeur.

Der tankt seinen Bus voll mit einer Flüssigkeit aus irgendwelchen Kanistern. "Das ist sicher Traktorbenzin", sagte Herr T.

"Der wird doch wohl richtiges Benzin in seinen Tank geben", sagt die Frogg.

"Man weiss ja nie, bei den Benzinpreisen. Ausserdem herrscht unter so vielen Busunternehmen sicher massive Konkurrenz", sagt Herr T.

Wir leeren unsere Teegläser und setzen uns wieder in den Bus. Wir sind die ersten.

Eine halbe Stunde später kommt der Bus an einem steilen Hang ins Keuchen. Wird immer langsamer. Der Chauffeur schaltet tiefer und tiefer. Schliesslich hält er ganz und dreht den Motor ab. "Siehst Du, das war Traktorbenzin", sagt Herr T. Ich gebe ihm ohne zu zögern recht. Ich habe jetzt andere Sorgen. Werden wir es bis Çanakkale schaffen?

Der Fahrer dreht den Motor wieder an. Der Bus kriecht im Schneckentempo den Steilhang hoch.

Es ist die letzte steile Steigung. Wir sind alle froh. Jetzt gehts hinunter zur Halbinsel von Gelibolu. Hier tut sich eine berauschend schöne Landschaft auf. Die Hügel sind bedeckt mit riesigen Kiefernwäldern. Wälder so gross wie ich sie im Mittelmeerraum noch nie gesehen habe. Es scheint, dass die Römer nicht bis hierher gekommen sind, als sie die Wälder am Mittelmeer abholzten, um ihre Flotte zu bauen. Auf den Ebenen gibts Felder, mit Sonnenblumen und Reis und daneben Olivenbäume. Wirklich: Eines Tages werde ich hinfahren, nur um ein paar gute Bilder von der Gegend zu machen. Das war leider aus dem Bus nicht möglich.

Zumal wir auf der Fahrt durch geschichtsträchtiges Land waren und in unserem Reiseführer noch schnell die Geschichte der Schlacht von Gallipoli nachlesen mussten - und gleichzeitig nach alten Bunkern Ausschau hielten.

Als wir Kilitbahir erreichen, sind wir richtig erschöpft.

Der Bus rollt auf die Fähre nach Çanakkale. Gleich werden wir die berühmten Dardanellen überquert haben. Wir werfen noch einen letzten Blick auf Europa.

DSCN0792

Dann setzen wir endlich, endlich beide Füsse auf asiatischen Grund. Genau hier, am Fährhafen von Çanakkale.

DSCN0796

Dabei würmelt mir ganz leise dieser Song im Ohr:

19
Jul
2008

Ticket nach Kleinasien

In Istanbul hatten wir Asien täglich aus der Ferne betrachtet, die andere Hälfte der Grossstadt auf der anderen Seite des Bosporus. Noch fuhren wir nicht hinüber. Und doch wurden wir mit jedem Tag neugieriger auf den Kontinent da drüben, wollten hinreisen, wollten unsere Füsse auf ihn setzen. Am sechsten Tag unserer Reise brachen wir auf. Çanakkale hiess unser Ziel. Das liegt zwar nicht gerade in Ostasien. Aber immerhin in Kleinasien, drüben, auf dem anderen Kontinent.

Çanakkale... Die Frogg und Herr T. mussten erst austüfteln, wie man das wohl ausspricht. Sie einigten sich auf "Tschanakkaale", und in ihrem nicht gerade für seine phonetische Zartheit bekannten Schweizerdeutsch klang es wie "Tschonokkoooole", natürlich mit kräftigem Kehllaut.

Unsere Reise nach Çanakkale begann auf dem Otogar von Istanbul. Unter uns gesagt: Der Otogar von Istanbul ist nicht besonders schön. Aber er ist dennoch eine Sehenswürdigkeit, ein Faszinosum. Er ist ein kleines Stück Kleinasien im europäischen Teil von Istanbul. Hier ist nicht nur alles anders als in Europa. Es ist auch alles anders als im Istanbul, das wir bislang kennengelernt hatten. Hier findet türkischer Alltag statt. Hier kauft man nicht nur Busfahrkarten. Hier kauft man viele von jenen Dingen, die es im grossen Basar längst nicht mehr gibt, weil für Touristen uninteressant: Hier gibt es Schuhe, Radnaben, Putzgerät und -flüssigkeiten und billige Herren- und Kinderkleider, die man hier bei Bedarf auch gleich chemisch reinigen lassen kann. Hier essen eilige Türken auf der Durchreise schnell eine Schale Suppe. Hier gibt es kaum Europäer. Das Essen ist günstig. Die Toiletten sind türkisch.

Hier herrscht Betrieb, denn die Türken sind eine Nation von Busreisenden. Hier bekommt man an 168 Schaltern wahrscheinlich in kürzester Zeit ein Ticket in irgend eine grössere Stadt der Türkei. Und wahrscheinlich fährt in weniger als einer Stunde ein Bus dorthin.

Wir hatten geglaubt, es wäre kompliziert. Aber wir waren höchstens zwei Minuten den Busfahrkartenschaltern entlanggegangen, da tauchte vor uns ein Mann in blauer Uniform und mit lückenhaften Zähnen auf. "Tschanakkaleeeee!" sang er uns entgegen. Mit hellen "a"s und natürlich ohne Kehllaut. Erst schüttelten wir verständnislos den Kopf. Erst als er uns sein "Tschanakkaleeeee!" noch einmal an den Hinterkopf sang, begriff die Frogg: "Tschanakkaleeee!" sang sie den Tiger an. "Da müssen wir doch hin.

Wir gingen also ins Büro, kauften eine Karte und voila: Wir waren auf dem Weg nach Asien.

Wir schluckten leer, als man uns sagte, wie lange die Fahrt dauern würde: sechs Stunden.

18
Jul
2008

In die Westtürkei

Nach fünf Tagen in Istanbul war es Zeit aufzubrechen: Wir wollten in die Westtürkei und hatten auch eine Route ausgeklügelt. So hellgrün sah sie aus:


turkey_map2


Jaja, ich weiss! Das ist ein richtiger Tourist Trail! Aber Ihr werdet staunen. Wir haben viel erlebt!

17
Jul
2008

Katastrophe

Verdammt, ich fühlte mich so normal! So stark! Fast alles schien wieder möglich! Und jetzt das: Gestern Abend im Büro beginnt mein Kopf zu dröhnen. Zu dröhnen, als gehe eine Starkstromleitung durch ihn hindurch. Dafür höre ich das Surren meines Computers nicht mehr. Sogar die Stimmen im anderen Büro, wo die Kollegen "10 vor 10" schauen, klingen seltsam piepsig.

Tieftöne weg, auch im rechten Ohr. Auf dem linken Ohr höre ich sowieso nur noch gerade knapp bis zum Hörgerät.

Der Heimweg ist seltsam still. Da ist nur das Dröhnen in meinem Kopf.

Zu Hause werfe ich mir 100 mg. Cortison ein.

Jetzt hat der Starkstrom nachgelassen. Aber ich bin noch nicht wieder ok. Für heute entfällt eine weitere Folge aus meinem Türkei-Epos. Muss zum Ohrenarzt.

16
Jul
2008

Kurdischer Teppichverkäufer

Herr T. steht an der Strassenkreuzung und dreht den Stadtplan von Istanbul in der Hand herum. Wir stehen irgendwo zwischen dem grossen Markt (Kapalı Çarşı) und der blauen Moschee. Mitten im Touristenland. Und doch sind wir schon seit mindestens zwei Minuten von keinem Lederwarenhändler und keinem Wirt, von keinem Teppichhändler, keinem Kioskhalter und keinem Silberschmied mehr angemacht worden. Ich prüfe vorsichtig meine Kleidung. Vielleicht stimmt etwas nicht mit uns. Da fragt jemand*: "Haben Sie sich sich verirrt?"* Ein grossgewachsener Türke in Jeans und T-Shirt steht da.
Frau F., (abwehrend): "Oh nein, nein!"
Der Türke (grinst): "Sie Sie auch ganz sicher, dass Sie sich nicht ein ganz klein wenig verirrt haben?"
Frau F: "Ja, ganz sicher." (Deutet auf Herrn T.) "Er weiss, wo's langgeht."
Herr T. nickt.
Der Türke: "Woher kommen Sie?"
Frau F.: "Aus der Schweiz."
Der Türke: "Oh, aus der Schweiz kenne ich jemanden. Jean Ziegler. Kennen Sie ihn auch?"
Frau F. (freut sich): "Oh ja, den kenne ich." (Und in einem leicht ironischen Tonfall): "Haben Sie mit ihm gesprochen?"
Der Türke (grinst): "Ja, er ist mein Freund. Er besucht mich manchmal. Aber Schweizer halten ihn für einen Spinner, oder?"
Frau F.: "Ja, das stimmt. Aber ich nicht. Ich finde, viele Schweizer haben keine Ahnung, was in der Welt so vor sich geht. Es ist gut, wenn jemand es ab und zu sagt."
Herr T. bringt das Gespräch auf Fussball. Es ist zwei Tage nach dem Spiel der Spiele.
Der Türke: "Ach, wissen Sie... Ich schaue mir keine Fussballspiele an. Ich bin auch nicht für die Türken.Ich bin nämlich Kurde. Ausserdem finde ich das einfach wahnsinnig. Fath Terim verdient 15 Mal mehr als unser Staatspräsident. Finden Sie nicht auch, dass das nicht normal ist?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Wissen Sie, in diesem Land ist sowieso vieles nicht normal. Vorneherum sieht ja alles nett aus. Aber wenn man hier lebt... ach, übrigens, wollen Sie nicht auf eine Tasse Tee zu mir kommen? Ich habe einen hübschen, kleinen Teppichladen gleich dort drüben."
Frau F. lacht: "Das habe ich mir doch gedacht! Ich habe mich schon gefragt, wo Ihr Laden wohl ist. Nein, tut uns Leid, wir brauchen keinen Teppich."
Der Kurde insistiert. Herr T. wird unsicher.
Frau F.: "Oh, nein, vielen Dank. Aber wir können leider wirklich keinen Teppich gebrauchen. Wir reisen morgen weiter nach Çanakkale."
Der Kurde: "Oh wirklich! Was wollen Sie denn in Çanakkale? Etwa Troja besuchen?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Oh, in Troja können Sie etwas lernen! Da können Sie lernen, wie hier im Osten betrogen wird. Ich meine, die Sache mit dem Pferd..."
Frau F.: Aber das Pferd haben doch die Griechen gebaut, und die kamen aus dem Westen!
Der Kurde: "Ja, aber die waren zehn Jahre hier in der Gegend gewesen. Die hatten etwas gelernt! Jetzt kommen Sie aber in meinen Laden! Sie müssen ja nichts kaufen!"
Frau F. (augenzwinkernd): "Eben haben Sie doch gesagt, hier wird man ständig betrogen! Nein, nein, es tut mir leid, wir müssen weiter."

Wir verabschieden uns freundlich und gehen. Ich habe mich später mehr als einmal gefragt, ob wir nicht doch hätten mitgehen sollen. Es war eines der spannendsten Gespräche, die ich in der Türkei geführt habe. Vielleicht hätten wir tatsächlich keinen Teppich kaufen müssen.

* Die Konversation spielte sich in ausgesprochen flüssigem Englisch ab.
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Journal einer Kussbereiten

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