8
Jul
2008

Kopftuch

"Zuerst lehnte ich das Kopftuch ab. Doch dann begann ich es zu tragen und ich merkte: Ich kam mit Kopftuch einfach besser zurecht. Man betrachtete mich als denkende Person. Und ich wurde nicht mehr dauernd angemacht. Das Kopftuch gab mir Würde und Raum zu sein, wer ich war." Das pflegte meine Freundin Mascha zu sagen. Sie war aus einer gut katholischen Familie und, weiss Gott, eine Hardcore-Feministin. Mit 18 aber verbrachte sie ein Jahr in einer muslimischen Familie in Kenia, wo sie das Kopftuch schätzen lernte. Zu Hause trug sie es dann nicht mehr. Nein. Später ging sie sogar eine Weile kahlgeschoren.

Das ist lange her. Aber es hat meine Haltung zum Kopftuch geprägt. Jedenfalls lehne ich es nicht rundweg ab, schreie nicht nach einem Kopftuchverbot. Bin mir nicht sicher, ob das Kopftuch wirklich ein Symbol für die Unterwerfung der Frau ist.

Zumal ich festgestellt habe, dass es selbst in kleineren Städten im Westen Musliminnen gibt, die ihr Kopftuch und das dazugehörige Mäntelchen durchaus mit Modebewusstsein, ja mit einem gewissen urbanen chic tragen. Das sind keine gehorsamen Arbeitstiere, die sich nach getaner Arbeit pflichtschuldigst unter ihren Ehemann legen.

Wie komplex die Frage ist, zeigt die Situation in der Türkei. Dort ist der Kopftuchstreit Symptom eines Problems, das sich bald zur Staatskrise ausweiten könnte.

Kurz bevor wir hinreisten, flammte er erneut auf.

Das Kopftucherbot an den türkische Unis sei in den 80-er Jahren unter der Militärregierung eingeführt worden, las ich in einer Agenturmeldung. Um die Islamisierung der Gesellschaft zu verhindern, hiess es. Um sicher zu stellen, dass die Türkei ein säkulärer, nach Westen orientierter und damit freiheitlicher Staat bleibe. Nur: Regierende Generäle gelten in der Regel nicht gerade als Hüter der Freiheit und der Rechte von Frauen. Und: Ist es nicht paradox, ausgerechnet jenen Frauen Kleiderverbote aufzuerlegen, die an der Uni zu selbständig denkenden Menschen werden sollen?

"Weisst Du, es gibt viele Gründe, das Kopftuch zu tragen", sagte unser Freund, der Istanbuliker. "Manche jungen Mädchen tragen es nur, weil sie das säkuläre Mami ärgern wollen."

Also: Was tut Frau, wenn sie aufgefordert wird, sich ein Kopftuch umzulegen, bevor sie die blaue Moschee betritt?

Ich jedenfalls legte es um und behielt es auch unter der grossen Kuppel um, als die Türhüter nicht mehr hinschauten. Warum? Vielleicht aus Solidarität mit all jenen Frauen, die das Kopftuch tragen, weil sie auf Identitätssuche sind. Vielleicht aus Respekt einer fremden Religion gegenüber.

Ich war die einzige westliche Touristin, die es so hielt. Die anderen nahmen in der Moschee ihre Tüchlein wieder ab und grinsten kokett ihre Männer oder Freundinnen an, bevor sie ihren Blick bewundernd über die blauen Kacheln schweifen liessen.

Sie waren frei. Sie hatten diesen Mullah-Türhütern ein Schnippchen geschlagen!

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acqua - 8. Jul, 22:08

Ich finde, es ist eine himmelweiter Unterschied, ob man ein Kopftuch in einer Moschee oder in einer Universität trägt.
Wie ich zum Kopftuch hier bei uns stehen soll, kann ich mich auch nicht entscheiden. Ich merke immer wieder, dass ich mich durch viele, vor allem junge Kopftuchträgerinnen provoziert fühle. Die haben für mich etwas Provokatives. Als ob sie sagen würden: "Schaut her, ich bin Muslima, ich habe eine Kultur und eine Religion die besser und für mich wichtiger sind als eure Werte." Ist vielleicht blöd von mir.

(Ach so! Sorry. Da war ja nur ein "o" zu wenig.")

diefrogg - 8. Jul, 23:22

Klar ist es...

ein himmelweiter Unterschied. Ich trug das Kopftuch ja auch nicht auf der Strasse (bewahre!!!) Dass Kopftuchträgerinnen etwas Provozierendes haben können, habe ich tatsächlich auch erlebt. Weniger hier in der Schweiz als in der Türkei. Dort sassen wir einmal in einem Kleinbus in Kusadsi (einer riesigen Touristenfalle), inmitten von einem Dutzend Kopftuchträgerinnen. Alle sassen kerzengerade da, im langen Mantel (bei 41 Grad am Schatten!), ganz indignierte Wohlanständigkeit. Ich kam mir daneben leicht deplatziert vor mit meinen Dreiviertelhosen und im T-Shirt. Heute habe ich irgendwo gelesen, dass viele Muslime glauben, sie seien die besseren Menschen als wir Westler. Ob es so ist, kann ich nicht beurteilen. Aber in solchen Momenten fühlte ich mich einem ziemlich unerbittlichen moralischen Urteil ausgesetzt.
Sun-ray - 8. Jul, 23:33

Und genau das verkörpert es: ein moralisches Urteil,
welches die Reinen und somit Unantastbaren
von jenen trennt, auf die ungestraft übergegriffen werden darf.
Leider wird die Konsequenz solchen Urteils nicht reflektiert.
diefrogg - 8. Jul, 23:47

Sorry,

liebe Sun-Ray, das musst Du mir genau erklären. Wer hier angetastet werden darf und wer nicht... das kommt offenbar sehr auf den Standpunkt der Betrachterin an.

baldrian goodnight - 9. Jul, 00:05

Frau Frogg, es gibt viele Strömungen im Islam. In einigen dieser Strömungen sind die, die sich "bedecken", die Reinen und somit "Unantastbaren" im Sinne von "kann nicht jeder haben". Die nicht bedeckten sind somit die Unreinen, die jeder haben kann. Ich denke sun-ray meinte dies.
Sun-ray - 9. Jul, 00:08

Die Kopftuchtradition geht auf eine der Hochzeiten Mohameds zurück.
Ich weiß nicht mehr, anlässlich seiner wievielten Frau.
Jedenfalls lud er Gäste ein und bewirtete sie gemäß guter Sitte.
Die fühlten sich so wohl, dass sie nicht gehen wollten.
Der Prophet dagegen hatte irgendwann das Bedürfnis,
mit seiner Braut allein zu sein.
Direkt rauswerfen durfte er die Gäste nicht.
Er wurde ziemlich zornig und zog irgendwann einen Vorhang
quer durch den Raum, auf dessen einer Seite die Gäste
weiterfeierten, während auf der anderen Hocjzeitsnacht stattfand.
Seitdem gilt der Vorhang in Form eines Schleiers als Merkmal
der verheirateten Frauen. Unverheiratete und Sklavinnen
durften ihn über Jahrhunderte hinweg nicht tragen,
da er ein Zeichen von Unantastbarkeit war,
das nur solchen Frauen zustand,
die in sie ehrbar machendem Besitz waren.
Soviel zur Historie.
Das Kopftuch ist und war nie ein Symbol des Glaubens,
sondern kam in einer Zeit zu Bedeutung,
als keine Frau auf den Straßen sicher sein konnte.
In selbem Sinne wird es noch heute getragen.
Mir erzählte neulich erst eine Kopftuchträgerin,
dass sie gerne darauf verzichten würde,
dann aber als Sunitin mit unliebsamen Übergriffen
rechnen müsste. Obschon sie Mutter von sechs Kindern ist.
Bei Alevitinnen ist das anders -
die tragen grundsätzlich kein Kopftuch,
weil Mann und Frau im Alevitentum gleichberechtigt sind.
Bei den Schiiten geht die Unsitte mittlerweile soweit,
dass beispielsweise in Ägypten immer mehr junge Frauen
die Komplettverschleierung einschließlich Handschuhe tragen.
So bleiben sie unbehelligt.
Als Ägypten noch nicht so arabisch infiltriert war,
wie es das heute ist, trugen ihre Mütter sogar noch Mini.

Islamische Menschenrechtlerinnen plädieren schon geraume Zeit dafür,
die Frauen mögen sich doch bitte lieber für ihre Rechte einsetzen,
als dem Unrecht auf diese Art Rechnung zu tragen.
Kämpfen aber angesichts weitverbreiteten Unwissens
und Nichtbewusstseins damit gegen Windmühlenflügel.
Die meisten Kopftuchträgerinnen sind der irrigen Auffassung,
diese Tradition hätte religiöse Bedeutung.
Und verhalten sich dabei sehr ähnlich wie Frauen
in unserer Kultur es bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit taten:
Sie werten es als Auszeichnung ihrer Anständigkeit,
was zwangsläufig impliziert, dass Nichtkopftuchträgerinnen
sich als unanständig outen.
baldrian goodnight - 9. Jul, 00:02

Es gibt viele Moslems, die sich für "bevorzugt" halten gegenüber "den Westlern". Es gibt viele Westler, die sich für besser oder freier halten als Moslems. Und es gibt eine unglaublich große Grauzone dazwischen. Und die ist es, die am Leben erhalten werden sollte, diese Grauzone.
Kleine Geschichte zur Verdeutlichung: ich bin Deutsche in einer türkischen Familie (und habe zugegebenermaßen den Vorteil, die Sprache zu sprechen).
Bei einem Türkei-Aufenthalt trat ich im Meer auf einen Seeigel, was diesen das Leben kostete und mir tief eingetretene Stacheln im Fuß einbrachte. Da saßen über die Straße mehrere (ältere) Frauen mit Mänteln und Kopftüchern. Und wenn man eines garantieren kann, dann ist es, daß mindestens eine davon eine Nähnadel am Revers stecken hat. Also hüpfte ich im Badeanzug auf einem Bein zu den Frauen und fragte nach einer Nadel... die ich auch -wie erwartet- bekam.
Ich hüpfte zurück (inzwischen mit Unterstützung durch meinen Schwager) und bohrte mir mit der Nadel die Stacheln aus dem Fuß. Nachdem dies getan war, ging ich mehr schlecht als recht zu den Frauen, um die Nadel zurückzugeben.
So saßen wir dann sehr lange (lange genug für einen Sonnenbrand mit Wasserblasen), ich im Badeanzug, sie mit Mänteln und Kopftüchern und unterhielten uns angeregt über... den Islam... und keine von uns kam sich dabei deplaziert vor.
Ein herzwärmender Glücksfall... der leider nicht allgemein üblich ist.
Gruß
baldrian

diefrogg - 10. Jul, 11:46

@ Baldrian und Sun-ray

Ja, es stimmt: Wir Westlerinnen neigen dazu, uns für freier zu halten. Uns darf nicht jeder anfassen, und das wissen die Männer bei uns auch ohne Kopftuch. Ich vermute, dass die muslimischen Gesellschaften in dieser Hinsicht ganz anders funktionieren. Aber wie? Das gehört zu den Fragen, die ich gerne gestellt hätte. Und a propos Fragen: Ist es immer noch so, dass unverheiratete Frauen den Schleier nicht tragen (dürfen)?
baldrian goodnight - 10. Jul, 14:48

Nein, auch Mädchen dürfen, wenn sie wollen - oder müssen, wenn die Eltern sie zwingen.
Mann kann nicht "über einen Kamm scheren", aber es gibt in der Türkei unterschwellig eine Art Kasten-System - das sollte man nicht totschweigen. Ich liebe Land und Menschen, aber ich bin nicht blauäugig genug, gesellschaftliche Probleme zu übersehen.

Es gibt seit einigen Jahren eine Menschen-Klasse, die vorher nicht in Erscheinung getreten war oder aber einfach nicht bemerkt wurde. Nämlich die, die sich tatsächlich für die einzig "echten" Muslime halten. Das kann nicht optisch festgestellt werden, ist aber dafür in Gesprächen umso deutlicher herauszuhören. Diese Menschen-Klasse wird in der (nahen) Zukunft für politische und zwischenmenschliche Probleme sorgen, da bin ich mir sicher. Diese Menschen sind nicht nur anti-westlich eingestellt, sondern sie halten auch die Menschen ihres eigenen Volkes, die nicht ganz so muslimisch sind wie sie selbst, für minderwertig.

Die breite Masse -sozusagen- funktioniert wesentlich anders. Offener dem Westen gegenüber und auch offener dem eigenen Volk gegenüber.
Es bleibt zu hoffen, daß die breite Masse auch die breite Masse bleibt und nicht zur Minderheit degeneriert...
walküre - 9. Jul, 10:50

Über

diese Thematik zerbreche ich mir schon lange den Kopf, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Was ich allerdings unter keinen Umständen zu glauben bereit bin, ist, dass es möglich ist, ein Umdenken aufzuzwingen, und zwar weder durch Ge- noch durch Verbote, denn solche Dinge müssen im Laufe der Zeit von selber kommen. Ich hab allerdings mitunter den vermutlich ketzerischen Gedanken, dass das Vertrauen der in einer westlich geprägten Kultur lebenden Menschen in ebendieses eigene westliche Umfeld nicht sehr groß ist, denn wie sonst könnte etwas so simples wie ein Kopftuch den Status einer Bedrohung erlangen ?

Ich selber bin in einer äußerst ländlichen Gegend aufgewachsen, in der es üblich war, dass Frauen Kopftücher trugen, und das nicht nur als Regenschutz oder bei staubigen Arbeiten - allerdings nicht aus religiösen Gründen, sondern um eine gewisse Geschäftigkeit zu demonstrieren und somit ihre Daseinsberechtigung als Frau zu untermauern. Auch nicht so toll, wenn mich jemand fragt.

Wenn ich mich hier in Wien beispielsweise im 10. Bezirk umschaue, in dem viele türkische Familien leben, sehe ich Frauen jedweden Erscheinungsbildes. Da findet sich die Mutter einer kinderreichen Familie mit Kopftuch und langem Mantel genauso wie die junge türkische Frau, die gar nicht daran denkt, ein Kopftuch zu tragen - und alle Nuancen dazwischen, wobei schon ein deutliches Gefälle in Richtung Jugend festzustellen ist. In spätestens zwei Generationen wird - hier zumindest - das Kopftuch nur mehr eine Randerscheinung darstellen, oder vielleicht auch einen Modegag, je nachdem.

diefrogg - 10. Jul, 11:58

Dass das Kopftuch...

in der Türkei so schnell verschwinden wird, bezweifle ich. Ich habe den Eindruck gehabt, der Islam sei dort im Alltag eher auf dem Vormarsch. Mir schien jedenfalls, dass mehr junge Frauen es trugen. Und dann waren da die Muezzine. Vor dreissig Jahren hätte es sie in Istanbul nicht gegeben, sagte Herr T. Diesmal aber meldeten sie sich vier- oder fünfmal in 24 Stunden (unter anderem vor Sonnenaufgang). In einem merkwürdig scheppernden Mehrstimmengedonner.
diefrogg - 9. Jul, 11:53

Wow, herzlichen Dank...

für die vielen erhellenden Kommentare! So macht es wirklich Freude, am Morgen den Computer hochzufahren! Ich werd da mal noch ein bisschen drüber nachdenken und mich dann nochmals zu dem Thema melden!

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