im meniere-land

11
Nov
2009

Stille, Dröhnen

Ein neuer Absturz. Da draussen nur Stille und Dröhnen. Ich kann kaum noch Radio hören, kaum noch fernsehen, mit knapper Not telefonieren. Die Ärzte sagen, ich solle mich schonen und wollen es morgen nochmal mit Cortison probieren.

Ich tue mein Bestes.

10
Nov
2009

Klartext von den Ärzten

Zuerst das Positive:
1) Ich höre insgesamt merklich besser als bei meinem letzten Eintrag.
2) Im Moment höre ich rechts sogar annähernd 95 Prozent.
3) Ich weiss jetzt, wie sich ein etwas schwererer Hörsturz anfühlt. Ich habe gelernt: Sowas ist unangenehm, aber man stirbt nicht daran.
4) Ich habe in der letzten Wochen unglaublich viel Mitgefühl und grosse Freundlichkeit erfahren.

Dennoch ist die Welt alles alles andere als in Ordnung. Denn:
1) Die Ärzte haben Klartext gesprochen: "Wir geben Ihnen jetzt Cortison-Injektionen direkt ins Trommelfell, Frau Frogg," sagte der Oberarzt, "Damit können wir das Gehör der meisten Meniere-Patienten wieder herstellen. Der meisten. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein: Das Ohr braucht jedes Mal länger, um sich zu erholen. Nach und nach wird die Hörkurve Ihres rechten Ohrs wohl derjenigen Ihres linken Ohrs immer ähnlicher werden." Was so viel heisst wie: Auch mein rechtes Ohr hat einen wahrscheinlich wechselvollen und hoffentlich langen Abstieg in die praktische Taubheit angetreten.
2) Wenn es sich dabei gleich benimmt, wie mein linkes Ohr, dann könnte das in einem ersten Schub sehr schnell gehen.
3) Vieles deutet darauf hin, dass das rechte Ohr sich jetzt wie das Linke verhält: Zum Beispiel die Tatsache, dass es abends in den letzten Tagen immer wieder abgestürzt ist - trotz viel Cortison.
4) Diese abendlichen Abstürze haben mich ein paarmal schier in einen Nervenzusammenbruch getrieben. Ich schlafe schlecht. Folge: Ich bin völlig erschöpft.
5) Das alles wirft eine Menge Fragen auf. Die Vordringlichste: WAS SOLL JETZT AUS MIR WERDEN???

Darauf wussten die Ärzte auch keine Antwort.

30
Okt
2009

Ab ins Spital

Freunde, da dies auch eine Chronik meiner Meniere-Erkrankung ist, und ich nicht viel Zeit habe, mache ichs jetzt kurz und banal: Ich bin auf dem Weg ins Spital. Die Gehörverlust ist so schlimm geworden, dass ich in meinen vier Wänden bei absoluter Umgebungsstille kein vernünftiges Gespräch mehr mit Herrn T. fühlen kann. Ich verreise also für vier oder fünf Tage. Ohne Computer. A piu tardi.

29
Okt
2009

Hörsturz: Rückfall

Habe ich gestern nicht vollmundig behauptet, ich würde nun wieder gesund? Nun: Die Realität hat mich eines Besseren belehrt. Ich weiss nicht, woran es lag. Lag es daran, dass die eigentlich immer noch ein bisschen rekonvaleszente Frau Frogg gestern eine geschlagene Stunde an ihrem Krimi arbeitete? Oder daran, dass sie die Unverfrorenheit hatte, später den Zug ins nicht allzu ferne Zürich zu nehmen? Dass sie dort eine Stunde lang in der Englischen Buchhandlung stöberte und wieder einmal viel Geld ausgab? Dass ich mich dann mit einer alten Freundin zu einem köstlichen Essen im Bona Dea traf. Dabei war das Essen nicht nur gut, sondern so gesund, dass Körnlipickerin Frogg nicht einmal in einer ihrer radikalsten Gesundesser-Phasen einen Makel daran gefunden hätte.

Ich weiss es nicht. Ich weiss nur: Schon als ich in Zürich ankam, erkannte ich die Signale: Der Bahnhof gurgelte. Im Buchladen hörte ich den Verkehr draussen nur noch kiechzen. Der Kühlschrank im Bona Dea donnerte. Auf der etwas verfrühten Rückfahrt klang sogar das Geräusch des fahrenden Zuges dünn. Und als ich nach Hause kam, fand ich Herrn T. mit seltsam tonloser Stimme vor.

Ich mich sofort zur Ruhe, aber an so etwas wie richtigen Schlaf war nicht zu denken.

Heute morgen geht es jetzt immerhin wieder so gut, dass ich mich bis jetzt nicht zum Ohrenarzt aufgemacht habe. Aber da ist noch dieses ungemütliche Dröhnen. Ich weiss nicht, ob das die Nachhut des Hörsturzes von gestern ist. Oder die Vorhut des nächsten.

Die Sache macht mir Angst, das könnt Ihr mir glauben. Wenn's ums Kranksein geht, hat Frau Frogg so etwas wie eine Dramaturgie im Kopf: Man erkrankt. Man leidet und trinkt Tee. Man geht (wenn nötig) zum Arzt. Der gibt einem irgendetwas, was man schlucken kann. Dann wird man wieder gesund. Im schlimmsten Fall gibt es einen Rückfall oder eine zögerliche Rekonvaleszenz. Aber doch nicht dieses zermürbende Auf und Ab!

Meine Freundin ist eine kluge Frau, die viel gesehen hat. "Manchmal", sagte sie, "manchmal können wir einfach nicht verstehen, was uns geschieht."

18
Okt
2009

Ich werde gesund!!!

Mitten in der Nacht auf gestern wachte ich vom sattsam bekannten Dröhnen im rechten Ohr auf. Ich geriet in Panik. Mein Ohrenarzt hatte mir zwar seine Handynummer gegeben. Aber wenn mein Ohr jetzt schon wieder dröhnte, dann hatte es gar keinen Sinn, ihn anzurufen: Dann hatte auch er nichts mehr in der Hand gegen die Taubheit. Denn das Dröhnen, ja, ich kenne es mittlerweile: Es ist der Vorbote, der monströse Begleiter, die hartnäckige Nachhut der Taubheit.

Ich schaffte es trotzdem, noch ein paar Stunden zu schlafen. Dann stand ich auf und dachte darüber nach, was ich tun sollte.

Und plötzlich wusste ich: Ich habe gar keine Alternative als gesund zu werden. Ich muss gesund werden, dachte ich. Was immer mich in dieses Schlamassel gebracht hat, es war ein Irrweg. Ich will gesund werden, und ich kann es durch nichts als meine eigenen Kräfte.

Ich setzte mich aufs Sofa und horchte. Von Sofa aus hörte ich den Kühlschrank - noch - heimelig surren, es ist ein dreistimmiges Surren, wir haben einen Electrolux IK 275. Die tiefste Stimmte gurgelte, ein schlechtes Zeichen. Ich sass da und zwang den tiefsten Ton des Kühlschranks zu mir her, mit schierer Willenskraft. Es ging. Aber es war sehr, sehr anstrengend.

Den ganzen Tag liess ich keinen anderen Gedanken zu als den: Ich will gesund werden. Ich hatte Besuch (danke, Veronika!), ich ging schnell ins Büro, ich schlief ein bisschen, ich hörte Musik, und ich dachte: Ich will gesund werden.

Es hat funktioniert. Ich höre. Bis jetzt.

Aber es braucht Kraft. Und es kann nicht schaden, wenn Ihr mir ein wenig die Daumen haltet, damit ich es weiter schaffe.

15
Okt
2009

Wie weiter?

Der Arzt hat mich noch einmal richtig mit Cortison vollgepumpt und krank geschrieben. Das Gehör auf dem rechten Ohr ist jetzt wieder fast voll da. Nur, wenn ich in meinem Zimmer sitze, dröhnt es noch leise.

Ich könnte mich in die Stube setzen und geniessen, dass ich die Abwaschmaschine in der Küche wieder leise vor sich hinplätschern und -summen höre. Aber so einfach ist es nicht.

Nichts ist mehr, wie es vorher war.

Ich bin unruhig. Ich habe Angst. ich bin hysterisch. Alles treibt mich zum Wahnsinn. "Wie soll das bloss weitergehen?" frage ich mich. Wie wird es weiter gehen?

Ach was. Die Situation ist unbeschreiblich. Ich glaube, ich versuche es gar nicht erst.

13
Okt
2009

Sie war blind

An Ostern lernte ich bei Freunden eine Frau kennen. Sie war so um die dreissig und vor wenigen Jahren vollständig erblindet. Wenn sie wissen wollte, wieviel Uhr es war, hörte sie ihr Handy ab. Wenn sie sich Cola einschenkte, streckte sie den Finger ins Glas. So vermied sie Überschwemmungen. Sie war aufgestellt, erzählte von den Skirennen, die sie fuhr, und scherzte mit den Kindern.

Wenn ich taub werde, dachte ich, dann werde ich so wie sie. Ich werde es akzeptieren. Ich werde mir zu helfen wissen. Ich werde aufgestellt sein. Auch wenn ich vielleicht nicht mehr mit Kindern scherzen kann.

Gestern Abend merkte ich, dass es an der Zeit war, diesen Vorsatz zu beherzigen.

Ich sass vor dem Fernseher und sah zu, wie fünf "Desperate Housewives" Abschied nahmen von Edie Britt, ihrer Nachbarin. Dem Biest.



Der Fernseher dröhnte. Ich war nicht aufgestellt. Mir flossen die ganze Sendung lang die Tränen übers Gesicht. Nicht wegen Edie. Ich nahm Abschied von meinem Gehör.

Dann telefoniert ich meinen zwei besten und ältesten Freunden. "Ich rufe Euch jetzt an, so lange ich noch kann", sagte ich. Das Dröhnen in meinem Ohr wogte gegen ihre Stimmen, als wolle es sie verschlucken.

Heute morgen geht es ein bisschen besser. Jetzt herrscht wieder das Prinzip Hoffnung.

7
Okt
2009

Gespräch über das Hören

Heute Morgen waren die Ränder meines Gehörs irgendwie filzig, irgendwie ausgefranst. Manche Töne klangen, als fielen sie in meinem Ohr auf ein hartes Brett. Und es dröhnte, das gute Ohr. Es dröhnte. Unangenehm. Aber nicht schlimm genug für den Ohrenarzt.

Frau F. zu Herrn T.: Da ist dieser komische, elektrische Ton. Ich weiss nicht, ob da unten die Waschmaschine läuft, oder ob das ein Tinnitus ist.
Herr T.: Du hörst die Waschmaschine?! Hey, Frau Frogg. Die Waschmaschine ist im Keller! Wir wohnen im vierten Stock! Also, die Waschmaschine habe ich hier oben noch nie gehört!"
Frau F.: Ich schon. Wenn es mir gut geht, dann kann ich sie hören. Jedenfalls dann, wenn sie gerade schleudert!"
Herr T.: Siehst Du?! Ich sage Dir ja ständig, dass Du eigentlich besser hörst als ich!
Frau F.: Du hörst nicht weniger gut als ich. Du hörst nur weniger gut hin!

Was ich Herrn T. nicht sagte: Als gut hörte, hörte ich die Waschmaschine auch nicht. Aber als ich gelegentlich schlechter hörte, begann ich die Räume meines Gehörs auszuloten. Ich hörte keine Musik mehr. Vor allem dann nicht, wenn es mir gutging. Die Stille bot mir genügend Musik. Ich folgte ihren Geräuschen. Vor allem den tiefen Tönen. Ich gierte nach ihnen, ich kostete sie, liebkoste sie mit meinem guten Ohr. Ich begann, das feuchte Gehuste alter Lastwagen zu mögen. Sie sind saftig, sie sind die Bassriffs unseres Alltags. Ich erkannte das Surren jedes einzelnen Kühlschranks in unserem lokalen Cööpli. Sie sind meine Heimat. Und wenn wenn ein Helikopter das nahe Spital anflog, erlauschte ich ihn schon an fernen Himmeln als Fernweh und Drohung.

Herr T.: Bringt es Dir irgendetwas, wenn Du die Waschmaschine da unten hörst?
Frau F.: Nicht im praktischen Sinne. Aber es macht mich stolz und glücklich.

Was Herr T. nicht weiss: Gesunde Menschen sind glücklich, über das, was sie einfach so können. Sie sind stolz, dass sie scharfe Augen haben. Dass sie hören können. Dass sie über einen Zaun springen und Konsonanten präzise über ihre Lippen rollen lassen können. Aber das alles weiss man erst, wenn man nicht mehr gesund ist.

5
Okt
2009

Notfall-Bibliothek

Eins muss ich hier vorausschicken: Normalerweise bereiten esoterische Theorien mir Schüttelfrost - amerikanische esoterische Wohlfühltheorien sowieso. Und wenn gewisse Leute von Psychosomatik anfangen, bekomme ich allergische Hautausschläge. Hier habe ich erklärt, warum.

Doch mein Ohrenleiden macht mich zu einem anderen Menschen. Wenn es mich so heftig tritt, dass ich am Boden liege, greife ich ohne zu zögern zu zwei Büchern. Zu diesem hier:



Louise Hay ist gewissermassen die Mutter der amerikanisch-esoterischen Wohlfühl-Theoretikerinnen. Ich selber hätte ihr Buch nie gekauft. Die Stachanova hat es mir einmal geschenkt. "Jaja, die Stachanova, die steht auf solches Zeug", dachte ich und stellte es ins Büchergestell. Bis vor zwei Jahren. Damals ging es mir so schlecht, dass ich nach allem griff, was einem Strohhalm nur im Entferntesten ähnlich sah. Damals las ich es. Und ich liebte es. Nun ja, es hat mein Ohrenleiden nicht geheilt. Aber es hat mir geholfen, die Dinge anders zu sehen. Positiver eben. Auch jetzt lese ich es wieder. Schon wenn ich darin blättere, strömt mir Trost entgegen.

Und ich greife zu diesem hier:



Auch Tolle ist kein Autor, den ich von mir aus gekauft hätte. Aber mittlerweile ist mir dieser Titel viel Wert: Er hat mich gelehrt, im Moment zu leben. So hat er dafür gesorgt, dass meine letzten zwei Jahre vielleicht zu den schönsten meines Lebens gehörten. Als ich vor ein paar Nächten wachlag und mein Gehör schwinden hörte, wusste ich: Falls ich jetzt taub würde, könnte ich es dank diesem Buch auch akzeptieren.

Ach ja, und dann lese ich noch das hier:

Fürs Gemüt. Zum Vergessen.

2
Okt
2009

Der Ohrenarzt strahlt

Seit gestern höre ich rechts wieder normal. Morgens füllen die üblichen Geräusche das Zimmer: Automotoren, Flugzeuge, Herr T., der draussen herumhantiert. Ich bleibe noch ein bisschen liegen und geniesse es.

Der Ohrenarzt strahlte, als er gestern mein Audiogramm in den Händen hielt.

Ich lächelte auch. Ich war erleichtert und glücklich. Aber das Lächeln stand mir etwas wacklig im Gesicht. Ich fühle mich wie eine Hörende auf Zeit.
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Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
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diefrogg - 9. Jan, 18:14
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ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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