auf reisen

1
Aug
2013

Sachsen lebensgefährlich

Ich sollte nicht nörgeln über Sachsen. Man kann dort wunderschöne Wanderungen machen. Aber ich kann mir die Bemerkung doch nicht verkneifen: Sobald andere Verkehrsmittel in Sicht sind, sind Fussgänger in Sachsen gar nichts mehr wert - nicht einmal, wenn es sich bei ihnen um Kinder handelt.

Schon an unserem zweiten Tag in der Nähe von Meißen trauten wir unseren Augen nicht: In einem Dorf stiegen wir mit einem guten Dutzend Schulkindern aus einem Bus. Alle wollten die Strasse überqueren - und da war weit und breit kein Zebrastreifen.

Aber der Hammer war die Treppe zur Fähre beim Bahnhof Bad Schandau.


(Quelle: www.schiffbilder.de)

Was man auf dem Bild nicht sieht: Es handelt sich um eine repräsentative Treppe im DDR-Stil - sogar zweiteilig. In der Mitte kreuzt sie eine - meist leere - Strasse. "Ah, eine Freitreppe für Arbeiter, Bauern und Wanderer!" dachte Frau Frogg. Allerdings hatten wir an jenem Tag keine Zeit, sie auch in Würde hinabzuschreiten - die Fähre wollte gerade ablegen. Wir waren in Eile.

Dass die Strasse gerade nicht mehr leer war, sah und hörte ich nicht. Mein linkes Ohr ist notorisch schwach. Wenn der Kulturflaneur mich nicht am Arm gepackt hätte, könnte ich das hier jetzt nicht erzählen: Ein Auto kam von Links und beschleunigte gerade auf achtzig. Denn die Strasse ist eine Hauptstrasse, und kurz vor der Treppe ist das Ortsende von Bad Schandau.

Und zwischen den beiden Treppabsätzen kein Zebrastreifen! Wenn dort mal nicht flutbedingt wenig Verkehr herrscht, können die Fussgänger die Fähre abfahren sehen oder sterben! Erst hier merkte ich, wie insgesamt doch recht weise die Verkehrsplanung in der richtigen Schweiz ist. An einer solchen Stelle wäre bei uns ein Zebrastreifen eine Selbstverständlichkeit. Alles andere gefährdert nicht nur Fussgänger. Es desavouiert den öffentlichen Verkehr, den wir ja mithin mit Steuergeldern bezahlen.

Übrigens: Nicht nur dämliche, halb taube Touristen nutzen diese Fähre - sondern auch Schulkinder. Kein Wunder, dass auch in der Sächsischen Zeitung sichere Schulwegeein grosses Thema sind.

30
Jul
2013

Drei stramme Deutsche



Das hier ist der Lilienstein - fotografiert von der Festung Königstein. Ein formschöner Berg, 415 Meter über Meer, weithin sichtbar. Wir bestiegen ihn am 17. Juni, und ich erklärte ihn umgehend zu meinem Lieblingsberg in der sächsischen Schweiz. Auch, weil wir dort ein spannendes Aufstiegs-Duell gegen drei stramme Deutsche ausfochten.

Doch der Reihe nach.

Es war ein heisser Tag, 35 Grad, nicht übertrieben. Träge hingen wir in der Fähre, die uns von Königstein übersetzte. Uns gegenüber sassen unsere drei namenlosen Wanderkollegen. Sie bereiteten sich händereibend auf den Aufstieg vor. Kaum hatte uns die Fähre abgesetzt, schritten sie kräftig aus. "Wir sind der Wander-Express!" sagten sie.

Wir folgten viiiiel langsamer. Wir sind Schweizer. Wir besteigen Berge nach einem bewährten Motto aus dem Süden: "chi va piano va sano e va lontano." Wer langsam geht, geht sicher und weit.

Nun tun beim Wandern ja immer alle so, als bemerkten sie nicht, wie schnell die anderen sind. Und es mag zutiefst unkompetitive Menschen geben, denen solche Dinge tatsächlich egal sind. Aber bei den meisten ist das reines Theater. Natürlich taxieren sie verstohlen die Leistungsfähigkeit der anderen. Vor allem dann, wenn diese schon mit einer Kampfansage ins Rennen steigen.

Herr T. war sich sicher: "Bei dem Tempo und der Hitze kommen die nicht weit!" Wir würden sie bald einholen. Ich hegte Zweifel. Ich hatte an den Schrammsteinen festgestellt, dass es mit meiner Kondition nicht zum besten stand.

Aber schon bei der ersten Haarnadelkurve legten unsere drei Kollegen einen ersten Trinkhalt ein. Langsam trotteten wir an ihnen vorbei.

Wenig später preschten sie erneut nach vorne.

Doch kurz vor der Ebenheit mussten sie wieder pausieren.

Die Ebenheit verdient hier eine besondere Erwähnung. Sie ist das weite, flache Land links auf halber Höhe des Berges. Heute wogen hier in sommerlicher Süsse die Kornfelder. Aber der Ort hat eine bewegte Geschichte. Der Kulturflaneur hat davon erzählt.

Wir schritten durch die Kornfelder, machten einen Fotostop und stellten beim Zurückblicken fest: Unsere deutschen Freunde hatten wir abgehängt.

Und ich hatte meine Kondition wieder! Heureka!

Wir waren zehn Minuten vor ihnen auf dem Berg. Beim Aussichtspunkt begrüssten wir einander mit sportlichem Grinsen. Verschwitzt waren wir alle.

28
Jul
2013

Schweizer Kriegsgurgeln in Sachsen



Die Festung Königstein (Bild) ist unter anderem ein Museum der sächsischen Kriegsgeschichte. Das ist auch für militärisch desinteressierte Schweizer packend. Denn bis weit ins 19. Jahrhundert waren es oft Schweizer, die für Sachsenfürsten in Sachsen Krieg führten - und danach zum Teil dort blieben. Auf der Burg Königstein begann ich zu ahnen, dass ich in Sachsen viele entfernte Cousins und Cousinen haben könnte.


Dieses Bild* zeigt den Träger einer Uniform der Schweizer im sächsischen Dienst um 1800. Es hängt in der Sonderausstellung über die Sachsen und Napoleon auf der Burg.

Wie die Schweizer nach Sachsen kamen? Nun. Schon im Mittelalter galten schweizerische Söldner als ultimative Kriegsgurgeln - und waren auf allen Schlachtfeldern Europas im Einsatz. Im Nahkampf waren sie so gut wie unschlagbar. Es war ein brutaler Job mit hohen Risiken. Doch der Handel mit Soldaten war ein lukratives Geschäft für die Herren aus der Schweizer Oberschicht, die die Krieger rekrutierten. Den meistbietenden ausländischen Königen schickten sie am meisten Schweizer Söldner. Oft genug kämpften im Feld schliesslich Schweizer gegen Schweizer.

Auch deshalb schafften die reformierten Kantone das Soldwesen zwischen 1520 und 1530 ab. "In der katholischen Innerschweiz blühte das Geschäft mit den fremden Diensten noch während rund 250 Jahren", schreibt Stefan Ragaz**. Das hatte zwei Gründe: Erstens gab das Land in der bergigen Zentralschweiz wenig her - viele junge Männner sahen keine Perspektive als das Kriegshandwerk in der Fremde. Zweitens wollten sich die Innerschweizer Noblen einfach nicht vom profitablen Söldnergeschäft lösen. Schweizweit verboten wurde die so genannte Reisläuferei erst 1848.

Waren es also hauptsächlich Männer aus der Innerschweiz, die in die sächsischen Kriege zogen? Die Musterungsliste der Sächsischen Schweizergarde von 1730 gibt keinen klaren Aufschluss darüber. Sie legt aber nahe, dass auch Leute aus der französischsprachigen Schweiz dabei waren.

Wie auch immer: Viele Schweizer liessen sich offenbar nach dem Kriegsdienst in Sachsen nieder. Das ist hier belegt. Sie betrieben Milchwirtschaft. Das konnten sie. Allerdings waren sie damit wohl nicht so erfolgreich. Es gäbe in Sachsen sonst besseren Käse.

Und sie heirateten und hatten Kinder.

Auch mein Vater stammt aus der katholischen Innerschweiz. Auch er sah keine berufliche Zukunft in seinem Heimatdorf - und suchte ein Auskommen auswärts. Er fand es im öffentlichen Dienst in der Stadt. Viele seiner Onkel und Uronkel sind wohl in ähnlicher Lage ins Ausland marschiert - vielleicht auch nach Sachsen.

Mehr zur Festung beim kultuflaneur.

* Auch der Bildautor, ein Herr Graenicher, könnte ein Schweizer gewesen sein. Jedenfalls kommt der Name in der Schweiz vor, und Gränichen ist ein Dorf im Kanton Aargau.
* Stefan Ragaz: "Luzern im Spiegel der Diebold-Schilling-Chronik - 1513 - 2013", Adligenswil, Ragaz Medien GmbH, 2013.

17
Jul
2013

Der Dichterfürst und die Touristen

Unserer zweiter Ausflug in der sächsischen Schweiz hatte wieder den Lichtenhainer Wasserfall zum Ausgangspunkt. Diesmal erregte er erst richtig meine Aufmerksamkeit.


(Quelle: www.lichtenhainer-wasserfall.de)

Man braucht den Lichtenhainer Wasserfall nicht selber zu fotografieren. Bilder von ihm sind dutzendfach auf dem Netz zu finden. Er ist eine Ikone, gewissermassen das touristische Herz der sächsischen Schweiz - mitsamt Zufahrt in einer schnuckeligen Bahn, Souvenir-Kiosk, Carparkplatz und einer ausgezeichneten Gaststätte.

Dabei wirft er seine vielfotografierte Wasserfülle meist nur dank eines raffinierten wasserbaulichen Tricks aus dem 19. Jahrhundert ab - einer kleinen Stauwand oberhalb des Falls. Man kann sie öffnen, wenn genügend Touristen da sind. Dann hüpft ein zuvor gestauter Wasserschwall die schätzungsweise zehn bis 15 Meter hohen Felsen hinunter.

Man wollte im vorletzten Jahrhundert eben, dass die Sächsische Schweiz - wie die richtige Schweiz auch - einen Wasserfall hat. Kitsch? Nein, finde ich. Eher eine köstliche Anekdote aus der Geschichte der Tourismusindustrie, die ja im 19. Jahrhundert erfunden wurde.

Allerdings beschäftigte mich die Frage, warum die deutschen Früh-Touristiker einen Wasserfall zur Verschweizerung ihres Produkts wählten. Klar, ein Gletscher wäre technisch zu aufwändig gewesen. Aber warum nicht eine Käserei? Oder Kuhglocken?

Auf unserer Wanderung zu Kuhstall - die eher ein Sonntagsspaziergängli war - ging mir plötzlich das Licht auf: Natürlich! Wegen Goethe! Schliesslich war Johann Wolfgang von Goethe einmal in der Schweiz auf Reisen. Und was brachte der Dichterfürst als bekanntestes Souvenir von dort mit? Genau: den Gesang der Geister über den Wassern! Ein Gedicht, zu dem ihn der Staubbachfall im Berner Oberland inspirierte.


(Quelle: wikimedia)

Nun ist der Staubbachfall fast 300 Meter hoch - sehr viel höher als derjenige von Lichtenhain.

Dafür erklomm der Vater der deutschen Klassik literarisch unerreichte Höhen. Und wer hätte gedacht, dass Goethe sogar an der Erfindung der deutschen Tourismus-Industrie beteiligt war.

Mehr zum Kuhstall gibts in einem ausgezeichneten Beitrag des Herrn Kulturflaneur.

14
Jul
2013

Soll man dort reisen?

Soll man in einem Unwettergebiet reisen? Diese Frage stellte ich mir nicht zum Erstenmal, als ich die Schäden in Bad Schandau sah. Fragte man die Leute, die in der Sächsischen Schweiz in der Tourismusbranche tätig sind, so lautete die Antwort unumwunden: "Ja, kommt!" Denn sie leben von den Touristen. Die wollen nach solchen Schäden nicht auch noch die Einnahmen eines Sommers verlieren. Ich hatte also kein schlechtes Gewissen, dort zu sein. Wir taten unser bestes und konsumierten.

Natürlich kann man nun den Einwand vorbringen, dass der Konsum eine Geisel unserer Zeit sei und die Welt in den Untergang treiben wird. Aber ich fand den Zeitpunkt für solche Einwände gerade nicht so glücklich gewählt.

Für mich gab es eine zusätzliche Schwierigkeit. Ich brauche viel Ruhe. Sonst werde ich schwerhörig. Keinesfalls werde ich meinen Urlaub dazu missbrauchen, das labile Gleichgewicht der Flüssigkeiten in meinem Innenohr vorsätzlich aus dem Lot bringen. Also suchten wir uns überschwemmungsfreie Räume.

1) Wir suchten die Höhe. Dort ist die Landschaft unversehrt - und grossartig.


(Von unserer ersten Wanderung vom Kirnitzschtal hinauf nach Mittelndorf und Altendorf, Blick auf die Affensteine).

2) Ich erklärte unsere Ferienwohnung zur heilen Welt. Der Kulturflaneur hatte zum Glück eine Wohnung mit gemütlicher Terrasse gefunden. Weil uns das Wetter hold war, verbrachten wir dort viel Zeit. Wir lasen, wir schrieben, wir lagen an der Sonne.

3) Mit der Zeit lernten wir, keine rotweissen Absperrungen zu missachten. Wir versuchten, nicht zu gaffen und nur wenig zu fotografieren.

Wir hätten auch mal aufräumen geholfen, wenn es sich ergeben hätte. Aber es hat sich nicht ergeben. Die Sachsen sind tüchtige Leute. Die halfen einander selber.

Und tatsächlich: In Bad Schandau stabilisierte sich nicht nur mein Gehör sehr schnell. Wir verbrachten dort auch eine sehr gute Zeit.

13
Jul
2013

Gespenstische Szenen

"Wasser ist etwas Schreckliches. Aber wir leben davon", sagte unsere Vermieterin in Bad Schandau. Wir lernten schnell, wie sie das meinte - jedes Wort davon.

An unserem ersten Abend drehten eine kleine Runde im Städtchen. Wir wollten unseren Ferienort auschecken. Wir schrieben den 14. Juni. Aus unserem Spaziergang wurde eine Schadensbesichtigung.

Wir sahen gespenstische Szenen in einer menschenleeren Stadt. Mittendrin ein leeres Haus mit offenen Türen und Fenstern. Im Erdgeschoss ein Kaminfeuer. Niemand da.

Bad Schandau ist ein schmucker Urlaubsort am Elbufer. Es gibt dort grosse Hotels, Restaurants, Eisdielen, Kurhotels, Souvenirläden. So sieht der Marktplatz normalerweise aus.


(Quelle: s2.germany.travel)

An jenem Abend aber war der Platz mit rotweissem Band gesperrt. Alles geschlossen, überall Schlammreste, eingedrückte Schaufenster, Sperrgut. Die Flut hatte hier die Ladengeschosse mannshoch mit braunem Wasser gefüllt. Um ein schickes Hotel herum standen Spundwände aus Leichtmetall. Es scheint nichts genützt zu haben. Das Hotel war leer, und zwar von der Tiefgarage bis zum vierten Stock. Kurz vor der Hochsaison.

Auch der Kurpark lag stellenweise unter einer fussdicken Schicht Schlamm.

Das erste Mal in diesen Ferien dachte ich: "Ich will nach Hause." Dass ich so etwas denke, ist nichts Aussergewöhnliches. Letzten Sommer im vergleichsweise heilen Tessin habe ich jeden Abend und manchmal auch am Morgen gedacht: "Ich will nach Hause." Letztes Jahr war kein gutes Jahr für mich. Schwamm drüber.

Dieses Jahr war es das letzte Mal, dass ich nach Hause wollte. Ich begriff, dass ich Strategien brauchte, um mich gegen das Grauen über eine solche Katastrophe zu schützen. Ich fand sie auch. Dazu später mehr.

11
Jul
2013

S-Bahn ins Katastrophengebiet

Die S-Bahn fährt am 14. Juni im Schritttempo in die sächsische Schweiz. Als müsste sie sich vortasten. Die Katastrophe ist vorbei, aber man sieht ihre Spuren überall. Der Zug fährt nur alle zwei Stunden, zusteigen in Pirna.


(Quelle: www.saechsische-schweiz-touristik.de)

Die Elbe ist angeschwollen und grünlichbraun."Wie der Amazonas", sagt der Kulturflaneur. Schnell lernen unsere Augen, an den Flussufern den Höchstpegelstand abzulesen. Er war da, wo die Grenze zwischen verschlammten und grünen Wiesen verläuft. Ich sehe wenig Grün an diesem Tag. Viel Schlamm. Viel Grau.

Überall stehen die Erdgeschosse der Häuser leer und die Fenster offen. Menschen arbeiten mit Kärchern. In Bad Schandau ist Endstation. Hier hat der Kulturflaneur uns eine Ferienwohnung reserviert - auf der anderen Elbseite, im Städtchen.

Die Fähre ist noch ausser Betrieb, die Fährstation überschwemmt. Aber wir haben Glück und erwischen einen Bus. Und weil die Busstation Elbkai auch überschwemmt ist, hält der Bus weiter oben. Direkt vor dem Haus mit unserer Ferienwohnung.

Unsere Vermieterin heisst Frau Krieger und erzählt, als wolle sie sich die Flut vom Leib reden: wie das Wasser die Strasse hochkam, bis 20 Meter vor ihrem Haus. Der Schrecken ist ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Ich höre gut an diesem Tag, und ich höre ihr zu wie gebannt.

Es sei gut, dass wir trotzdem gekommen seien, sagt sie. Touristen seien überhaupt willkommen. "Wir leben ja von den Touristen. Ja, früher gab es hier noch Fabriken. Aber die sind alle nach der Wende zugegangen. Jetzt sinds nur noch die Touristen." Eine Handbewegung sagt uns, dass sie das für ein heikles Klumpenrisiko hält - dazu noch mit so einem Wetter.

Sie hat uns Semmeln gekauft. "Brot gibts jetzt wieder, in einem Wagen vorne bei der Kreuzung. Und der Fleischer ist offen. Und der Lidl. Und die Getränkestation." Die Getränkestation legt sie uns besonders ans Herz. "Da gibts auch Milch." Und Restaurants... ja, da sei alles geschlossen. "Ausser der Bären. Der hat wieder offen."

Als sie gegangen ist, essen wir dankbar ein paar Semmeln. Wir haben Hunger. Dann gehen wir einkaufen. Als wir aus dem Haus gehen, betrachte ich nachdenklich die Ausgänge. "Sind das gute Fluchtwege?" frage ich mich. Aber dann verdränge ich den Gedanken.

Wir gehen zum Fleischer und zum Gemüseladen, der auch wieder geöffnet ist und mit Erdbeeren lockt. Und dann zu Lidl. Wir kaufen ein, als würde es morgen verboten.

10
Jul
2013

Wie das Hochwasser riecht

Am 13. Juni lernte ich, wie das Elb-Hochwasser riecht. Es riecht nach totem Fisch. Kein strenger Geruch, er ist einfach da, wie dünner Nebel. Und dann ist da eine modrige Note. Sie lässt nur leise die Ahnung aufkommen, dass diese Fluten auch den Inhalt einiger Kläranlagen mitgerissen haben könnten.

Ich war dabei, im Hotel in Dresden Elbschlamm von meinen Schuhen zu putzen. Selber schuld. Wir hatten eine Spaziergang zum Blauen Wunder gemacht. Der Elbe entlang. Zugegeben, es war eine dumme Idee. Wir sahen ja, dass das Wasser noch hoch stand. Und gaffen wollten wir nicht.

Aber die Wege der Elbe entlang waren wieder frei - naja, fast alle.


Wobei diese Stelle beim Rosengarten leicht zu umgehen war.

Und es war einfach zu warm, um ins Museum zu gehen. Es war der erste Sommertag diese Jahres, schwül, und ich war wie erschlagen. Mein Enthusiasmus der ersten Tage hatte sich verflüchtigt. Das Grün und der Duft des Rosengartens waren eine Wohltat. Nur der Senkgarten bot ein trauriges Bild.



Es symbolisiert für mich am besten, was mich an dieser Flut so fassungslos gemacht hat: Das war nicht einfach eine Überschwemmung. Da zerstörten Naturgewalten seit Jahrzehnten und Jahrhunderten sorgsam kultivierte Stadtkerne. Orte, wo die ahnungslose Fremde sie für gebannt gehalten hätten.

Nun gut, die Sachsen haben zum Teil gelernt, mit solchen Fluten umzugehen. Und wir beschlossen, uns nicht ins Bockshorn jagen zu lassen und spazierten.

Erst am Albrechtsberg kamen wir nicht mehr weiter. Vor uns ein Schlammsee. Hinter uns ein langer Weg zurück. Wir wählten den Schlammsee - und verdreckten unsere Schuhe. Zudem mussten wir hier auf die Hauptstrasse abbiegen. Wir reinigten uns vorher mit Blättern, so gut es ging. Für den Rest der Strecke nahmen wir den Bus.

Der Kulturflaneur entdeckte dann noch die Dresdner Bergbahnen in Loschwitz. Ich eine wunderschöne Aussicht.



Und dann lag das Blaue Wunder vor uns.



Stolz überquerten wir die Brücke. Erst hier merkte ich, wie erschöpft ich war. Danach musste ich erst mal ins Hotel zurück, mich ausruhen. Und meine Schuhe putzen.

So verpassten wir das grüne Gewölbe, die alten und alle neuen Meister und weitere Schönheiten von Dresden.

Aber vielleicht gibt es ein nächstes Mal.

9
Jul
2013

Dreimal Dresden

Wir standen auf der Kuppel der Frauenkirche in Dresden. Der Atem der Geschichte hauchte uns über den Rücken. Ich habe noch nie auf einem Gebäude gestanden, das so heftig den historischen Extremwetterlagen des 20. Jahrhunderts ausgesetzt gewesen ist wie die barocke Kirche hier links im Bild.


(im Vordergrund die ramponierten Zeugen der meteorologischen Extremwetterlage von Anfang Juni)

In ihrem Innenraum ist es, als hätte man dem Schaudern mit einer gemütlichen Innendekoration begegnen wollen. Zu gemütlich für ein Gotteshaus, finde ich. Aber wer auf sie hinaufsteigt, begreift beim Blick auf die Stadt die grossen Zusammenhänge: Wie die Kirche am 13./14. Februar 1945 auf Dresden im Bombenhagel und Feuerinferno blickte und standhielt - nur um einen Tag später wie vor Schmerz in sich zusammenzufallen. Wie die Ruine zu DDR-Zeiten Gedenkstätte und Mahnmal für den Frieden wurde - und (ab hier edit): ab 1982 zu einem Austragungsort jener Friedens-Demonstrationen, die das Ende der DDR herbeiführten (edit Ende). Und dann der glorreiche Wiederaufbau...

Müsste ich den kürzesten und besten Rundgang um Dresden beschreiben - er würde der Balustrade des Frauenkirchenturms entlangführen.

Auch begeistert war ich vom Zwinger - seiner unendlichen, russgeschwärzten Barock-Spielerei (meine besten Bilder und mehr beim kulturflaneur).

Und auf dem Weg zurück in die Neustadt grüssten wir August den Starken, den Star unter den sächsischen Fürsten. Er hat viel von dieser Pracht überhaupt erst erschaffen lassen.



Danke August!

Alles andere mussten wir links liegen lassen - vielleicht kommen wir ja wieder. Nur dem Blauen Wunder statteten wir noch einen Besuch ab. Darüber später.

8
Jul
2013

Dresden für Kurzentschlossene

Eigentlich hatten wir die sächsische Hauptstadt erst Ende Juni besuchen wollen. Aber weil die grosse Flut unsere Ferienwohnung in der sächsischen Schweiz zugeschlammt hatte, mussten wir improvisieren. Wir zogen schon am Mittag des 12. Juni ins Hostel Louise 20 in der Dresdener Neustadt ein - ein Wunsch-Logis des Herrn T.

Mehr als zwei Nächte wollte man uns dort jedoch partout nicht unterbringen. Denn zwei Tage später begann das grosse Fest der Bunten Republik Neustadt. Da waren sämtliche Zimmer reserviert. Wirklich: Fluten, Feste, was willst Du mehr!?

Wir hatten also genau eineinhalb Tage Zeit für das grosse Elbflorenz. Viel zu wenig

Zum Glück hatten wir zwei Reiseführer, die beide mit Kurzaufenthalter-Banausen wie uns gerechnet hatten. Ihre Handlungsanweisungen waren allerdings bemerkenswert unterschiedlich.

Christine von Brühl beschreibt einen Rundgang von der Canaletto-Brücke über die Brühl'sche Terrasse (Bauwerk eines ihrer Urahnen) - und dann durch die üblichen Sehenswürdigkeiten wie Frauenkirche, Zwinger und Semperoper. Das Gute an diesem Spaziergang sei, dass "man anschliessend wieder abreisen kann", schreibt sie. Wer das alles gesehen habe, sagt sie "hat Dresden begriffen. Hier steckt die Seele der Stadt." (S. 24)

Detlef Krell, Autor dieses Buches seinerseits, macht die so genannte Käseglocke zum Nabel für eine Kurzbesichtigung von Dresden. Sie ist das Strassenbahn-Wartehäuschen am Postplatz. "Einmal um die Käseglocke der Stadt herum führt der kürzeste Stadtrundgang. Auf den 60 Schritten werden nicht nur einige der stadtprägenden Bauwerke sichtbar, sondern die zerrissene Seele der Stadt, das bewahrte und rekonstruierte Alte, das Neue zwischen Improvistaion und Vision, die Geschäftigkeit des Alltags". (S. 261)

Was also tun? Wir kamen sowieso über die Canaletto-Brücke und stritten ein bisschen. Ich fand die Beschreibung von Herrn Krell verlockender. Herr T. ging kurz weiter und warf einen Blick auf die inmitten von Schienen völlig verloren aussehende Käseglocke.


(Quelle: http://mw2.google.com)

"Kommt überhaupt nicht in Frage", sagte er und folgte der Brühl'schen Anweisung. Ich folgte meinem Mann. Ausnahmsweise.

Ich weiss nicht, ob ich Dresden begriffen habe. Aber bereut habe ich es nicht.
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