auf reisen

5
Jul
2010

Ein Amerikaner in Zürich

Der Tigerschwager wohnt seit Jahrzehnten nicht mehr in der Schweiz. Züritüütsch spricht er mit einem US-amerikanischen Feinschliff auf den Vokalen.

Neulich, an einem fröhlichen Sommertag, machten wir uns an die Wiederentdeckung von Zürich. Er trug kurze Hosen, ein T-Shirt und ein Holzfällerhemd. Ich führte mein Sommerkleid und meinen ortsfremden Dialekt spazieren.

Beim Lindenhof setzten wir uns fürs Mittagessen in ein Gartenrestaurant an der Limmat.

Die Kellner tragen dort weisse Schürzen. Die Preise sind etwas höher als in anderen Städten, das Essen ist gut, aber nicht besser als in anderen Städten, das Haus voll. Neben uns sitzen zwei Griiten um die 30 im Büro-Outfit. Sie reden Englisch mit undefinierbaren Akzenten.

Der Tigerschwager bestellt seinen Salat auf italienische Art mit Öl und Essig. Der Kellner schwingt eine Ménagere mit dem Gewünschten plus Tabasco auf den Tisch. Da blitzt der Schalk blitzt in den Augen des Tigerschwagers und er sagt: "Wo ist denn die Maggi-Flasche?!"

Oh, Ihr kennt alle die Maggi-Flasche! Schon während unserer Jugend in den Achtzigern wurde sie bis tief in die Vorstädte der Schweiz zum Inbegriff kulinarischer Hinterwäldelei. Wir kannten sie nur noch als Kindheits-Erinnerung und als Standard-Würze auf den Tischen altmodischer Beizen.



Ich muss lachen. Aber die Griite neben mir guckt ihn schnippisch an. Offenbar glaubt sie, dass er's ernst gemeint hat.

Frau Frogg's Sommerhit dieser Woche:

4
Jul
2010

Die Glücksfee spricht

Mein Rätoromanisch-Wettbewerb hatte leider lediglich drei Teilnehmerinnen. Dafür haben alle die drei Fragen richtig beantwortet. Deshalb erhalten alle drei einen Preis. Herr T., unsere Glücksfee hat eben Lösli gezogen. Hier die Resultate:

1) Ein Stück echter Engadiner Schiefer geht in den hohen Norden an Eugene Faust
2) Eine kleine Toblerone geht an Brigitte
3) Unser bestes Foto aus dem Engadin geht an Acqua

Eugene müsste mir jetzt noch ihre Postadresse mitteilen. Dann kann die Preisverteilung losgehen!

3
Jul
2010

Wettbewerb: Die Lösung

1) Hotel Traube
2) Tierwaisen (für sie gibt es ein Heim in Ramosch. Und ich bitte um Entschuldigung: Es heisst nicht orfans, sondern orfnas!
3) Kandidat für den Grossen Rat (also das Kantonsparlament)

Danke allen, die am Wettbewerb und der Diskussion teilgenommen haben! Die Verlosung muss noch ein Weilchen warten. Hier herrscht gerade mega-Stress.

1
Jul
2010

Engadiner Preisrätsel

Das Unterengadin ist die exotischste Region der Schweiz, nicht zuletzt wegen seiner Sprache: Die Einheimischen sprechen Vallader, die lokale Variante des Rätoromanischen. Was heisst hier sprechen?! Sie pflegen es liebevoll und manchmal eine Spur halsstarrig: Die Postautofahrer etwa begrüssen einen stets mit "allegra", der lokalen Grussformel. Viele von ihnen sagen ausserdem "grazia" (danke) und manchmal sogar "a revair" (auf Wiedersehen) - sprechen sonst aber tiptop Schweizerdeutsch und wahrscheinlich noch ein paar andere Sprachen.

Rätoromanisch ist, etwas salopp formuliert, eine Sprache mit einem romanischen Vokabular und einer teilweise germanischen Phonetik (mit "ä", "ö" und "ü", aber ohne die Kehllaute, die etwa für das Schweizerdeutsche charakteristisch sind).

Hat die Touristin im Engadin das einmal begriffen, so weiss sie auf Grund der vielen romanischen Beschriftungen im Tal schnell, was sie hier zu tun hat:

Sie mietet eine abitaziun da vacanzas. In der butia kauft sie dann Essen ein - oder sie geht abends ins restorant. Als Kalorienbombe danach verzehrt sie in der pastizeria eine Engadiner Nusstorte. Wer im Winter vom Skifahren genug hat, stattet der halla da glatsch einen Besuch ab. Im Sommer kann neben der Eishalle auch balla da pè spielen. Und wer's lieber geruhsam hat, geht ins Bogn Engadin, wo man sich in warmem Wasser suhlen kann. Oder zum cuafför.

Aber ganz so simpel ist es denn doch nicht - deshalb hier mein Wettbewerb. Wer die richtigen Antworten weiss, hat die Chance ein kleines Schweizer Souvenir zu gewinnen. Schickt per E-Mail die drei richtigen Antworten an pfrogg@gmx.ch. Herr T. wird sich als Glücksfee betätigen und die Sieger verlosen.

1) Wie heisst das "Hotel Üja" auf Deutsch?
2) Was sind "bes-chas orfans"?
3) Was ist ein "supleant grond cussagl"?

Der Wettbewerb dauert bis Samstag, 3. Juli. Zu gewinnen gibt es:
- ein Stück echten Engadiner Schiefer
- eine kleine Toblerone
- unser bestes Bild aus dem Engadin

Oder versteht Ihr schon bei "abitaziun da vacanzas" nur Bahnhof... äh... staziun? Dann meldet Euch, und ich liefere schon mal für den ersten Teil eine Übersetzungshilfe!

29
Jun
2010

Top 5 Engadin: Bergwiesen

Hier werde ich in lockerer Reihenfolge 10 Dinge aufzählen, die man im Unterengadin unbedingt gesehen haben sollte.

Nummer 1: Bergwiesen im Juni

Flowers in Engadin

Der Wintertourist verpasst das Schönste am Engadin. Er sollte im Frühsommer hingehen. Die Blütenvielfalt auf den Magerwiesen ist dann überwältigend. Wer nicht mit dem Pflanzen-Bestimmungsbuch durch die Gegend spazieren will, beherzige die Worte unseres Vermieters. Er war ein pensionierter Pfarrer und verströmte viel väterliche Weisheit. "Man muss nicht wissen, wie die Blumen heissen", sagte er. "Man muss sie einfach sehen."

Man muss sie allerdings gesehen haben, bevor sie weggemäht werden. Da hatten wir Glück: Dank einer unendlich langen Schlechtwetterperiode begann der grosse Heustress im Engadin erst an unserem zweitletzten Tag, da aber richtig: Ein Defilee von Heuladern zog an uns vorbei, als wir am Mittag auf dem Dorfplatz von Ftan aufs Postauto warteten. Und überall sah man auf den Wiesen die Engadiner Cousins und Cousinen von Ramseyers malochen.

Die Engadinger sind stolz auf ihre Wiesen und haben sogar einen Wettbewerb, der die beste Bergwiese auszeichnet.

27
Jun
2010

Verflixtes Wetter

Zwei Seelen habe ich, ach, in meiner Brust! Als Schweizerin müsste ich schreiben: Kommt unbedingt in die Schweiz in die Ferien! Wir haben die schönsten Landschaften überhaupt und eine phantastisch vielfältige Kultur. Ich würde nicht mal lügen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich dennoch inständig von Ferien in der Schweiz abraten: Das Wetter kann einem hier den letzten Nerv rauben, glaubt mir! Nach zwei Ferien in diesem Land schreibe ich aus bitterer Erfahrung.

Montag, 14. Juni: Vor unserer Abreise ins Engadin esse vor dem Bahnhof der Heimatstadt ein Salätchen. Dafür ist es gerade warm genug.

DSCN1534

Ich betrachte die blauen Flecken am Himmel aber als gutes Omen. Doch ein paar Stunden später fahren wir aus dem Vereinatunnel in ein graues, verhangenes Engadin. Nur zuunterst im Tal phosphoresziert aus einer Senke ein grünlicher Regenbogen. "Dort unten fahren wir hin! Dort ist Schuls und Tarasp!" ruft Herr T. begeistert. Ich rede wieder etwas von guten Omen, doch Herr T. warnt: "Wenn es im Engadin irgendwo schifft, dann sicher in Schuls und Tarasp!" Beim Aussteigen stelle ich fest, dass Scuol auf 1200 Metern über Meer liegt. Ich fröstle. "Eigentlich wollte ich keine Ferien am Polarkreis machen", sage ich.

Schuls im Juni 2010

Dienstag, 15. Juni: Es ist grau und verhangen, aber es schifft nicht. Die Wanderung nach Sent überstehen wir trocken. Dort angekommen, picknicken wir auf einer Bank vor der Kirche. Sie hat kein Vordach. Es nieselt uns sanft auf die belegten Brötchen.

Mittwoch, 16. Juni: Es ist trüb und grau. Zuweilen tröpfelt es. Dennoch erreichen wir auf unserer zweiten Wanderung trockenen Fusses Ardez. Wir betreten dort gerade ein Restaurant, als es so richtig zu schütten beginnt. Glück gehabt.

Donnerstag, 17. Juni: Es ist regnerisch. Wir sind froh, dass es in Scuol ein Thermalbad gibt. Überhaupt wissen wir, dass es anderswo noch viel schlimmer ist: In Frankreich sterben zwei Dutzend Menschen bei einer Überschwemmung.

Freitag, 18. Juni: Schlechtwetter-Programm: Eine Dreiländer-Reise mit dem Bus. Das Kloster Müstair besichtigen wir während eines vergleichsweise hellen Moments.

Kloster Müstair

Glurns und der Reschenpass liegen unter einer düsteren Wolkendecke.

Samstag, 19. Juni: Um 7.15 Uhr erwachen wir unter blauem Himmel. Eilig hüpfen wir aus dem Bett, denn die Wetterprognosen sagen den Beginn eines dramatischen Kälteeinbruchs gegen Mittag voraus. Der Himmel schlirggt tatsächlich schnell zu. Am Mittag in Guarda brauche ich dann doch noch erstmals meine Sonnenbrille: Ein giftiger Wind weht Pollen durch die Gegend, auf die ich mit allergischem Augenbrennen reagiere.

Sonntag, 20. Juni: Die Schneegrenze ist dramatisch gesunken, wie am Morgen ein Blick aus unserem Fenster zeigt. Wieder Thermalbad.

DSCN1625

Montag, 21. Juni: Ein grauer Tag. Wir sind am Ende unseres Lateins. Wir hocken in unserer Ferienwohnung, lesen und schauen aus dem Fenster. Herr T. gibt Sätze von sich wie: "Da geht eine schwarze Katze zur Kirche hinauf. Was das wohl zu bedeuten hat?"

Dienstag, 22. Juni: Mutter Frogg meldet per SMS aus dem Unterland "erste blaue Störungen". Bei uns ist es grau und kalt. Wir fahren mit dem Postauto nach Tschlin, einem hübschen Ort knapp unter die Schneegrenze. Unterwegs sehen wir das Plakat zum Kulturjuni 2010 im Engadin.

Sommer im Engadin, Juni 2010

Mittwoch, 22. Juni: Aber dann... aber dann... Ein strahlend blauer Morgen! Ich blicke aus dem Fenster in die Berge und denke: "Gibt es einen schöneren Anblick als den der Alpen an einem Sommermorgen?"

DSCN1646

Freitag, 24. Juni: Auf der dritten grösseren Wanderung durch phantastische Berglandschaften lerne ich einen weiteren Nachteil langer Schlechtwetterperioden kennen: Ist es einmal schön, muss man die grossen Touren sofort absolvieren. Ich bin schon erschöpft und sage unwirsch zu Herrn T.: "Jetzt habe ich aber genug Engadinger Nadelwälder gesehen, ganz egal ob Arven, Tannen oder Lärchen!"

Sonntag, 26. Juni: Wieder ein strahlender Morgen. Doch wir müssen nach Hause. Als wir auf den Bus warten, sehen wir die neu angekommenen Touristen durchs Dorf streifen und Engadiner Häuser vor blauem Hintergrund fotografieren. Ich werde gelb vor Neid. Noch nie war ich auf einer Heimreise von den Ferien so abgrundtief unglücklich. Wir sind kaum zu Hause, fängt Herr T. an zu arbeiten. Ich finde, mit so einem strahlenden Sommertag müsste man etwas Tolles anfangen. Baden im erst 19 Grad warmen See zum Beispiel. Eine Wanderung. Irgendetwas Tolles. Ich bin richtig gestresst. Ich gehe in die Stadt, setze mich mit einem Eis an den Ausgangspunkt unserer Reise vor dem Bahnhof und zerbreche mir den Kopf. Das Pflaster unter meinem Sommerkleid ist heiss. Da merke ich: Im Kopf habe ich schon zu bloggen begonnen. Sonne hin oder her. Ich weiss, was ich tun muss.

Draussen riecht es nach Grillwürsten. Hier bin ich wieder.

12
Jun
2010

Frau Frogg verreist

Dass Frau Frogg verreist, ist keine Selbstverständlichkeit. Noch an Weihnachten war mir klar: Nie wieder wird sie ihr sicheres Plätzchen fünf Gehminuten von der besten Meniere-Klinik der Schweiz für mehr als sechs Stunden verlassen. Oh, ich habe da noch ein paar Traumreisen. Aber ich war ein gebranntes Kind: Es könnte ja sein, dass ich einen Hörsturz hätte. Was würde ich dann tun in South Carolina, Tokio, Budapest, East London oder Trabzon?

Meine erste Zugreise nach dem Hörsturz im Herbst führte mich für ein paar Stunden ins 70 Zugsminuten entfernte Baden. Das war im März. Die Reise war eine Tortur. Kurz vor Zürich begann mein gutes Ohr zu eiern. Zum Glück war Lena dabei. Sie hat selber die Meniere'sche Krankheit. Sie weiss, wie einem in so einer Lebenslage zumute ist. Und sie hatte einen Müeslistengel dabei, den sie mir freundlicherweise abtrat. Danach fühlte sich mein Ohr besser an.

Das Eyafjallajökull-Grounding im Mai beobachtete ich mit heimlicher Schadenfreude.

Ich setzte Herrn T. darüber in Kenntnis, dass ich diesen Sommer nicht verreisen werde. Unter keinen Umständen. Man kann auch in Balkonien Ferien machen, beschied ich ihm. Vor allem, wenn Balkonien in einer Tourismus-Hochburg der Schweiz liegt.

Doch Herr T. schaltete auf stur. Unsere Sommerferien auswärts sind zehn Jahre lang sakrosankt gewesen. Herr T. muss jeweils ein paar Wochen im Jahr weg von allem. Wer Herrn T.'s Lebensgewohnheiten kennt, hat Verständnis dafür. Zudem waren unsere Reisen unser Kult und und lieferten reichlich Material für zahlreiche Blog-Epen. Hier ein paar Müsterchen:

Sozialismus mit Pinienduft.
Hochzeit auf Türkisch.
Als seine Brücke fertig war, stürzte er sich von ihr in die Tiefe.

Bald war klar: Ein Kompromiss musste her.

Wir entschieden auf Scuol, zu deutsch Schuls, im Engadin. Das ist weg, aber nicht zu weit. Es liegt im Süden, aber nicht zu sehr.

Meine Ferien haben heute begonnen. Mit einem kleinen Umweg bei Freunden sind wir am Montag dort.

Heute eiert mein gutes Ohr. Aber ich nehme meine Kräfte zusammen. Das muss jetzt gehen. Ich melde mich hiermit für drei Wochen ab.

31
Mai
2010

Generationen-Treffen

Neulich lud uns eine Freundin in ein Haus in den Bergen ein. Wir waren zu viert dort:

Unsere Gastgeberin (Jahrgang 1970)
Ein Freund von ihr (Jahrgang 1975)
Herr T. (Jahrgang 1958)
Und Frau Frogg (Jahrgang 1965)

Ich habe seit Jahren keinen Abend mehr in den Bergen verbracht. Um 16 Uhr leerten sich die Wanderautobahnen. Wir waren allein inmitten von frisch ergrünten Alpweiden im Abendlicht. Da war so viel Platz, so viel Luft zum Atmen!

Und Zeit zum Reden! Der Freund war auf einem anderen Kontinent aufgewachsen und erst kurz vor der Matur in die Schweiz gekommen. Herr T. musste zur Kenntnis nehmen, dass der junge Mann rein gar nichts über die Achtziger-Unruhen in Zürich wusste. Aber er war interessiert. Was für eine Gelegenheit für unseren Hardcore-Altlinken T., seine Erinnerungen an jene Zeiten wieder aufleben zu lassen! Er erzählte von der Sturheit der Zürcher Behörden damals. Dass nur reine Zerstörungswut Fortschritte im Kampf um Raum für die Jugend gebracht habe. "Erst das Bild von der Bahnhofstrasse mit zertrümmerten Scheiben um die Welt ging, ging es endlich vorwärts." Den Schluss brachte er, wie immer, nachdenklich: "In jener Zeit reiste ich einmal nach Mexiko. Dort hat man mich ständig gefragt, warum die Leute in Zürich randalierten. In Zürich! Ich konnte es ihnen nicht erklären. Ich meine: Wie erklärt man Leuten in Mexiko, warum die Leute im reichsten Land der Welt ihre grösste Stadt in Trümmer legen?"

Später erzählte der Freund. Er ist Akademiker, arbeitet in der Industrie und sucht gerade eine neue Stelle. "Es ist nicht so einfach wie früher", sagt er. "Früher fanden die Firmen niemanden, der genau das konnte, was sie brauchten. Da bekamst Du eine Einarbeitungszeit. Aber heute gibt es keine Einarbeitungszeit mehr. Heute finden die irgendwo in Deutschland jemanden, der genau das schon gemacht hat, was sie brauchen. Also nehmen sie den Deutschen." Ich lauschte interessiert. Bei uns arbeiten sehr wohl auch Deutsche. Aber ich habe schon lange keine Stelle mehr gesucht. Ich habe noch nicht gelernt, in Konkurrenz mit Deutschen zu stehen. Ich fragte ihn: "Könntest Du Dir denn vorstellen, in Deutschland zu arbeiten? Ich meine: Wenn die dort jemanden suchen würden, der genau das kann, was Du kannst, dann wäre das das Logischste."

"Eigentlich nicht", sagte er, "Ich bin viel herumgekommen. Ich weiss, dass es mir in der Schweiz gefällt. Ich bleibe hier, wenn ich kann."

Alle vier zusammen, merkten wir überrascht, deckten wir zwei Generationen Geschichte ab.

23
Sep
2009

Das Wunder von Solothurn

Am Sonntag waren Herr T. und ich in Solothurn. Die Sonne schien, und so machten wir einen Ausflug in die Verenaschlucht.

Frau Frogg stiess in die Tiefen dieser Felsenkapelle vor.


(Quelle: wikimedia.org)

Herr T. zog es vor, im Tageslicht zu bleiben. Das Dunkel dahinter war ihm suspekt. Deshalb verpasste er einen malerischen Anblick: Zuhinterst in dieser Kapelle liegt in einer Höhle zwischen brennenden Kerzen eine uralte Skulptur. Sie stellt, wenn ich mich recht erinnere, Jesus im Grab dar.

Frau Frogg ist nicht religiös. Aber in einer Hinsicht ist sie ein durch und durch katholischer Mensch: Sie zündet gerne Kerzchen an. Und dann spricht sie auch ein stummes Gebet. Zum Beispiel für ihre Grossmutter Walholz. Hier schien mir das besonders richtig. Schliesslich stammt Grossmutter Walholz aus dem Solothurnischen. Und sie kann ein Gebet gebrauchen. Denn sie, die immer so gerne vom Sterben gesprochen hat, tut es jetzt. Furchtbar langsam, aber unaufhaltsam. Ein Schlaganfall hat sie vor zwei Jahren halbseitig gelähmt. Sie wahrt gerade noch, gerade noch, ihre Würde.

Als Frau Frogg da so stand und betete, trat ein Mann zu ihr. Er flüsterte in breitem Solothurner Dialekt in ihr gutes Ohr: "Stellen Sie sich hierhin!" Frau Frogg gehorchte. Auch wenn es bedeutete, dass sie sich für ihren Geschmack etwas zu nahe zu dem älteren Herrn stellen musste. Dann sagte der Mann: "Jetzt legen Sie die Arme an Ihre Seite und öffnen Sie die Hände. Dann gehen Sie in sich." Auch das erwies sich so nahe bei einem Fremden als nicht ganz einfach. Doch der Alte fuhr fort: "Atmen Sie ein, zählen Sie bis drei. Dann atmen Sie wieder aus. Denn hier", sagte der Mann, "hier ist der energiereichste Flecken von Solothurn. Wenn Sie hier sind, spüren sie die ganze Energie von Solothurn."

Nun ja, zunächst spürte Frau Frogg lediglich den Hauch des geistigen Getränks, das der Mann kurz zuvor zu sich genommen hatte.

Doch als er gegangen war, versuchte sie es noch einmal. Danach fühlte sie sich seltsam fröstelig, ohne wirklich zu frieren. Und sie spürte eine Kraft. Aber diese Kraft schien nicht ihr zuzufliessen, sondern vielmehr Grossmutter Walholz. Frau Frogg konnte nicht mehr aufhören, an sie zu denken. Es war, als verbände nicht ein Draht, sondern ein riesiger Balken sie mit Grossmutter Walholz.

Heute fragte ich dann schnell bei Mutter nach, wie es Grossmutter Walholz so gehe. "Naja, ziemlich gut. Sie behauptet, sie könne seit gestern den rechten Arm wieder bewegen", sagte Mutter Frogg.

12
Sep
2009

Verschollene Freundin

Wenn wir alte, lange verschwundene Freundinnen besuchen, dann hoffen wir inständig auf den legendären Faden. Jenen Faden, den beide aufnehmen und weiter knüpfen können, ohne sich dabei zu langweilen. Wir wünschen uns, dass wir auf der Suche danach nicht zu tief in die Keller der Vergangenheit hinuntersteigen müssen. Denn dort liegen meist sowieso nur noch verstaubte und angenagte Textilstücke herum.

Was die Prinzessin betraf, so erwiesen sich diesbezügliche Sorgen zum Glück als unbegründet. Uns verband mehr als ein Faden. Uns verband sogar mehr als ein ganzes Fadenkneuel. Ja, manchmal schienen die Fäden wie die Fluten eines Wasserfalls auf uns niederzustürzen (So kam es mir jedenfalls vor). Wir redeten drei Tage lang. Fast ohne Pause.

Schnell fragte ich mich, wie ich sie vor meiner Reise "Prinzessin" habe nennen können. Klar, sie ist noch immer die zierliche, zauberhafte Person, die sie mit 18 war. Aber sie hat etwas angefangen mit ihrem Leben. Und wenn ich eine typische Handbewegung von ihr wiedergeben müsste, dann wäre es ihre feingliedrige Faust. Halb kämpferisch, halb spielerisch streckt sie sie vor, wenn sie ihr Auto in die Verkehrslücken von Paris zwingt.

Ich habe jetzt zwar noch keinen neuen Namen für sie.

Aber dafür endlich das richtige Buch:

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Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

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