7
Jan
2012

Ärzte!

Wenn ich jeweils mit einem akuten Meniere-Schub ins Spital gerate, dann will es das System, dass ich jedesmal einem anderen Assistenzarzt gegenüber sitze.

Arzt A. sagt jeweils: "Das ist der Stress. Sie müssen auf sich aufpassen. Eigentlich wäre es mir lieber, wenn Sie nur noch 40 Prozent arbeiten würden."
Ärztin B. sagt: "??...???"
Ärztin C. sagt: "Sie haben ein Problem mit Stressverarbeitung. Machen Sie Yoga oder autogenes Training - oder Akupunktur. Dann geht das weg, glauben Sie mir. Sie sind doch noch jung! Bestimmt lieben Sie Ihren Beruf! Es geht doch nicht, dass Sie jetzt einfach alles aufgeben!"

Wenigstens einen Vorteil haben diese Ratschläge: Ich muss meine Dilemmas nicht selber in Worte fassen.

@rosawer: Es ist mir bewusst, dass das ich ein total europäisches Problem habe. Ich weiss, dass ich fast überall sonst auf der Welt einfach still vor mich hin ertauben würde. Aber ich bitte um Verständnis dafür, dass ich das jetzt einfach mal ausblende und versuchen muss, die vor mir liegenden Widersprüche auf die Reihe zu kriegen.

Eine gute medizinische Versorgung verpflichtet die Patientin doch auch dazu, sich gesund zu halten, wenn es irgendwie geht. Aber wie - und wann - entscheidet die Patientin, dass es eh nicht geht? Und was passiert dann? Ich weiss es nicht.

Zu meiner Erfahrung mit Akupunktur hier und hier hier (Kommentar ganz unten).

Und noch für all diejenigen, die mir jetzt gute Ratschläge erteilen möchten - bitte nicht! Autogenes Training ist unbestritten hilfreich gegen akute Panikattacken. Aber weiter hat es mich - und das sage ich nach mehr als zehnjähriger Erfahrung - nicht gebracht. Und beim Gedanken an Yoga-Kurse sträubt sich mir das Nackenhaar - ich bin einfach kein Kürsli-Mensch.

Aber ich arbeite an mir. Ehrenwort!

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acqua - 7. Jan, 16:23

Statt einem Ratschlag: XXX
Ausserdem schicke ich dir all meine guten Wünsche.

diefrogg - 7. Jan, 16:53

Jööö!

Das ist köstlich! Vielen Dank!
la-mamma - 7. Jan, 22:20

auch anstatt:

dafür bei acqua weiterspinnend: in "die hellen tage" von zsuzsa bank, das ihnen durchaus gefallen könnte, schlagen die protagonisten zum abschied immer ein rad.
rosawer - 8. Jan, 17:44

ich fühle mich angesprochen!

Und es tut mir leid, dass ich Dich so unter Druck setze. Darum geht es mir gar nicht. Ich möchte gerne einen Unterschied sehen zwischen individueller Sachlage (die vor Dir liegenden Widersprüche, z.B.) und gesellschaftlicher Sachlage, wobei die eine die andere kontextualisiert, natürlich. Zu dieser Kontextualisierung gehört, dass mal das eine oder andere in den Vorder- oder Hintergrund tritt. So kann ich sehr gut verstehen, dass Du mit spezifischen Widersprüchen zu kämpfen hast, und dass es da nicht viel nützt, zu wissen, dass man andernorts gar keine Wahl hätte, als sich in sein Schicksal zu ergeben. Das einzige, was da nützen kann, ist, dass einem gelegentlich das Weltbild ein bisschen zurechtgerückt wird, nach dem Motto: Unser medizinisches System und soziales Netz ist eine Errungenschaft, die es zwar (zu recht) zu kritisieren gilt, aber um das es sich zu kämpfen auch lohnt. (Nicht nach dem Motto: Iss Deine Suppe, die Negerlein in Afrika haben nämlich Hunger).
Aber ich werde ärgerlich, wenn man die naheliegende Beschäftigung mit der eigenen Situation - also z.B. das, was in der Schweiz, Deutschland, Österreich, Europa so passiert - verwechselt mit der conditio humana generell und nicht sieht, in was für einer Situation der Kontinent Europa steckt und was das eigentlich für uns bedeutet. Es kommt uns sehr zupass zu vergessen, dass Europa in den letzten 500 Jahren enorm von seiner aggressiven Expansionspolitik und der Durchsetzung seiner kulturellen und sozialen Charakteristika als allgemeingültige aber exklusive Norm profitiert hat. Dass aber mindestens seit 60 Jahren oder so eine Provinzialisierung Europas eingesetzt hat, die sowohl die Expansionspolitik als auch logischerweise die Normativität und Universalität seiner Charakteristik massiv in Frage stellt. Zum Beispiel können wir meiner Meinung nach nicht mehr qua Europa-Sein auf den Menschenrechten bestehen. Das heisst, dass wir uns in die Tasche lügen, wenn wir über die Demokratie in Deutschland/Schweiz/Österreich oder soziale Netzwerke, oder Armut diskutieren, ohne zu verstehen oder zu berücksichtigen, dass das Proletariat (und zwar das schreckliste Lumpenproletariat) anderswo sitzt, und vor allem ohne zu verstehen, wie unsere bröckelnden sozialen Netzwerke und zunehmend ökonomisierte medizinische Versorgung mit dem Lumpenproletariat und dem Superreichtum in aller Welt zusammenhängt: Unsere europäische Vormachtsstellung ist ehrlich gesagt, längst gebrochen, weswegen es zu neuen Verteilungskämpfen weltweit kommt. Können wir angesichts dieser imperialistischen und kolonialen Geschichte allen Ernstes und mit gutem Gewissen uns auf deutsch/schweizerisch/österreichische Interessen zurückziehen und sagen, geht uns nichts an, wenn die anderen auch etwas vom Kuchen haben wollen? Der Kuchen ist einfach nur so groß, dessen Teilung wird jetzt aber auch von den Superreichen einerseits und den bisher Armen andererseits eingefordert. Klar, dass für uns hier weniger übrigbleibt. Und jetzt?!
Ich denke oft, dass Deine Situation mit einer zunehmenden Ökonomisierung von Existenz (inklusive Bildung, Arbeit, Medizin, Soziales) geschuldet ist, dieser Kampf aber eben Teil der drohenden Verarmung Europas darstellt. Daher finde ich "glückliches Verarmen" zwar eine amüsante Lektüre, das Buch vermittelt aber ein Bild von "Jammern auf hohem Niveau", das der tatsächlichen Lage überhaupt nicht angemessen ist. Was nicht heißt, dass man sich nicht auch amüsieren sollte. Aber ich glaube allen Ernstes, dass ich in einer Generation lebe (und das betrifft jede Einkommensschicht), die nie wieder so reich sein wird. Ab jetzt geht es nur noch bergab. Ich erwarte, dass ich entweder nicht besonders alt werde, weil die Gesundheitssysteme das nicht mehr hergeben, oder ich viel länger arbeiten muss und nicht wie Rentner heute mit 65 weitere 20 (langweilige?!) Jahre lang meinen Lebensabend werde genießen können.

Vielleicht liege ich auch falsch. Ich fürchte, nicht. Nochmals: die Schmerzlichkeit und das Furchterregende Deines Abschied vom Hören bedarf keiner Rechtfertigung, das wäre ja noch schöner.

diefrogg - 11. Jan, 16:45

Danke für Deine Antwort!

Ich bin froh, dass Du Dich gemeldet hast, und ich stelle weder Deine Aussagen zur kolonialen Vergangenheit Europas, noch Deine düsteren Perspektiven für Europa in Frage. Und ich würde gern den Verlust eines Teils meines Wohlstandes in Kauf nehmen - wenn ich wüsste, dass jemand den Streifen Kuchen bekommt, der ihn wirklich nötig hat. Nur drängt sich mir manchmal der Verdacht auf, dass das Schwinden meiner sozialen Sicherheit jemanden in der Schweiz noch besser stellt, der eh schon gut dasteht.

Ich muss jedoch anmerken: Ich bin - eurozentrisch betrachtet - in einer sozial ziemlich heiklen Situation und gehöre damit zur Zielgruppe des Buches. Es gibt Texte über "The Age of Less", die ich dumm und zynisch finde. Ich habe anderswo darüber geschrieben. Die Lektüre von von Schönurg fand ich dagegen nützlich und erbaulich. Er gibt einfache Denkanweisungen, wie man mit milderen Formen des sozialen Abstiegs in unseren Breitengraden hier und heute fertig wird. Ich finde zwar auch, dass er in der gesellschaftlichen und politischen Analyse ziemlich dürftig ist: Das habe ich ja auch angetönt, etwa im letzten Satz: "Dass Herr von Schönburg uns ohnehin nichts über richtige Armut erzählt, wurde mir klar, als ich vorhin schnell bei meiner tamilischen Nachbarin war. Ich hatte seinen Lob des Müssiggangs bei reduziertem Arbeitspensum (und Lohn) noch im Kopf. Da erzählte sie mir von ihrem jungen Neffen in London. Er arbeite bei McDonald's, sagte sie: für vier Pfund die Stunde, manchmal 14 Stunden am Tag." Dass ich ebenfalls ein europäisches Beispiel wählte, hat ganz einfach damit zu tun, dass es an jenem Tag das nahe liegendste war. Und dass ich über das Leben in London bedeutend mehr weiss als etwa über das Leben in Sri Lanka oder Afrika.

Vielleicht gehört es zu den unangenehmeren Wahrheiten meiner Situation: Meine Ansprüche haben sich verändert. Ich will nicht mehr die global-visionäre Sicht oder die messerscharfe Analyse. Ich versuche gerade, mich an ein paar unschöne Wahrheiten über das Leben in der Schweiz und meine Zukunft in diesem Land zu gewöhnen. Da bevorzuge ich aufbauende Lektüre.

Eine unschöne Wahrheit ist, dass hierzulande gerne auf dem Buckel der Schwächsten gespart wird (ich verweise in diesem Zusammenhang gerne wieder mal auf Mias Blog). Teil dieser unschönen Wahrheit ist aber auch: Sollten uns je die Chinesen finanziell aus der Patsche helfen müssen, werden sie für solche Probleme wohl nur ein müdes Lächeln haben. Nur: Ist es deswegen a priori schlecht, für Veränderungen zu kämpfen?
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