26
Jan
2014

Tabuthema

Verreisen, Bahnfahren, Umsteigen, Fliegen - das alles ist für Frau Frogg mit der leisen Angst vor Hörverlusten verbunden. Vor jeder Abreise legt sie deshalb Anzeichen der Überforderung an den Tag: Reizbarkeit, leichte Demenz, Momente der Panik.

Als wir am Dienstag ins nahe Skigebiet Melchsee-Frutt aufbrachen, kam ein aussergewöhnliches Symptom dazu: Bauchkrämpfe.

An dieser Stelle eine Warnung an meine männlichen Leser: In diesem Beitrag geht es um das Tabuthema Menstruationsbeschwerden. Eventuell mitlesende Gynäkologen bitte ich ausdrücklich, hier weiterzulesen. Allen anderen nehme ich es nicht übel, wenn sie aufhören.

Ich habe seit vielen Jahren eine Spirale und daher kaum noch Unterleibsschmerzen. Aber am Dienstag im Brünigzug jagte mir jede hastige Bewegung einen Krampf durch den Bauch.

Im Abteil nebenan überschüttete eine dynamische Oma ihre kleine Enkeltochter lautstark mit ihrer Liebe. Normalerweise beobachte ich solche Szenen mit amüsierter Nachsicht. Aber diesmal hätte Frau Frogg gerne die Augen verdreht. Diese dumpfe Irritation... "Eindeutig prämenstruelles Syndrom, kurz PMS", hörte ich im Kopf meine ferne Freundin Helga dozieren. Was haben wir früher über die Unzulänglichkeit der Gynäkologie angesichts von Menstruationschmerzen diskutiert! "Wenn Männer sowas bekämen, gäbe es dagegen längst das perfekte Medikament!" Auch meine Mutter zitierte in meinem Kopf eine ihrer Lebensweisheiten: "S'Züüg"* bekomme man eben immer im ungünstigsten Moment.

Überhaupt fühlte mich unangenehm in eine gnädig vergessene Vergangenheit zurückversetzt. In meiner Jugend hatte ich fast jeden Monat rasende Schmerzen. Plötzlich spürte ich wieder die Kälte unseres gymnasialen WC-Bodens unter mir. Ich legte mich jeweils auf ihn, wenn mich im Unterricht die Krämpfe überwältigten. Er war grau mit schwarzen Sprenkeln.

Die Frauenärzte waren desinteressiert. "Da kann man nichts machen", hiess es. Oder: "Das ist psychosomatisch." Oder: "Sie haben eben Ihre Weiblichkeit nicht akzeptiert." Ich hätte die Frauenärztin ohrfeigen sollen, die das damals sagte.

Und dann das: Am 16. November 2005 rammte mir eine Gynäkologin meine erste Spirale in den Bauch. "Sie haben aber einen stark verkrümmten Gebärmutterhals!" sagte sie, "Kein Wunder, dass Sie so heftige Krämpfe hatten. Sie hätten Mühe gehabt, schwanger zu werden!" Ich war zu benommen, um etwas zu sagen.

Wir sitzen im Postauto Sarnen-Stöckalp. Neben uns ein angeheitertes Rentnerquartett. Warum gibt es eigentlich in jedem zweiten öffentlichen Schweizer Verkehrsmittel ein angeheitertes Rentnerqaurtett?

Ein weiterer Krampf. Ich habe genug. In einer Tasche finde ich ein Algifor. Ich schlucke es, aber ich habe kein Wasser dabei. Die Tablette ist gross.

In der Luftseilbahn Stöckalp-Melchsee-Frutt spüre ich genau, wo sie in der Speiseröhre stecken geblieben ist und sich auflöst: direkt über dem Schlüsselbein. Jetzt tut es da oben weh.

* Zu Deutsch: "Das Zeug", umgangssprachlich für die Menstruation und ihre unangenehmen Begleiterscheinungen.

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la-mamma - 26. Jan, 16:29

in ziemlicher unkenntnis des schweizerischen hab ich bei "s'züüg" zuerst an das grausliche ziehen in den beinen gedacht, das mich am ersten tag immer aufweckt, und wodurch ich dann schon vorm aufstehen weiß, dass "das zeug" da ist ...

diefrogg - 26. Jan, 17:16

Ziehen in den...

Beinen... ja, das kommt mir bekannt vor - wobei es bei mir jeweils einfach untenrum zog, von Anfang an, mal mehr, mal weniger. Wenn die Krämpfe abklingen, kann ich dann spüren, wie sie in Wellen durchgehen, allerdings fehlt mir jeweils die Kaltblütigkeit, die Zeit dazwischen zu messen.

"S'Züüg" ist eine Bezeichnung, die einem Euphemismus nicht unähnlich ist: Sie verdeckt die Tatsachen. Allerdings (und das unterscheidet ihn vom echten Euphemismus) beschönigt sie nicht, sondern lässt im Gegenteil anklingen, dass mit dem "Züüg" allerlei Unannehmlichkeiten verbunden sind, die man lieber nicht beim Namen nennt.

Aber haben wir ja in dieser Hinsicht noch Glück. Meine Nachbarin Mahika hat mir kürzlich erzählt, dass tamilische Frauen während ihrer Tage den Tempel nicht besuchen dürfen. Weil sie dann unrein seien.
iGing - 26. Jan, 17:18

Was für unmögliche Frauenärzte hatten Sie denn da bloß?
In meiner Jugend gab es ein Medikament, das hieß Spasmocibalgin und hat prima geholfen. Ich vermute mal, dass es auch heute noch zu haben ist (jedenfalls in Deutschland).

diefrogg - 26. Jan, 17:21

Ja, wenn ich da...

so zurückschaue, dann staune ich auch über die Ignoranz der Ärzte. Wobei ich zum Teil mit Ohrenärzten - aber nur im Spital, wo alle total überarbeitet sind - ähnliche Erfahrungen gemacht habe. Hier habe ich deshalb Richtlinien für den Umgang mit Ärzten aufgestellt, allerdings erst, als die Mensbeschwerden im grossen und ganzen kein Thema mehr waren.

Ich glaube, Spasmocibalgin habe ich auch eine Zeitlang genommen. Als ich ganz jung war, gabs allerdings nur Contra Schmerz, ein Allerwelts-Schmerzmittel. Ausserdem nahm ich damals jeweils erst Schmerzmittel, wenn die Krämpfe kaum noch auszuhalten waren - ich fürchtete, sonst jeden Monat fünf Tage lang tablettenbelämmert zu sein. In den Zwanzigern liess ich mir dann die Pille verschreiben, da ist frau das Problem auch los. Aber da hat sie natürlich die Hormone.

Im Allgemeinen denke ich: Ibuprofen-Medikamente helfen. Die Pille hilft. Die Spirale hilft. Man kann damit zurechtkommen, aber für Frauen, die solches Zeug nicht einnehmen wollen, kann es kompliziert werden.
walküre - 28. Jan, 12:36

Bei mir macht sich die jeweilige Jahreszeit deutlich bemerkbar:
Im fortgeschrittenen Frühling, im Sommer und Frühherbst habe ich wenig bis keine Schmerzen, dafür in der kalten Jahreszeit umso mehr, und zwar relativ unabhängig davon, wie warm ich mich anziehe und welche Wärmequalität meine Ernährung hat.
Ganz, ganz böse: Nasskaltes Wetter.

Was mir, wenns wirklich übel wird, hilft, ist Deflamat mit 12-Stunden-Retardwirkung; ganz wichtig ist, auch meine Füße schön warmzuhalten.

Ach ja, Gynäkologen. Ein leidiges Thema, und viel zu oft ein sehr schneller Weg, sich als Frau traumatisieren zu lassen.

diefrogg - 29. Jan, 16:03

Ah, Deflamat...

interessantes Medikament. Steht hier mehr drüber. Ist aber für Mens-Beschwerden offenbar nicht explizit indiziert. Nur für Eierstock-Entzündungen - und das ist ja dann ein anderes Kaliber, das noch zusätzlich behandelt gehört.

Was ÄrztInnen, speziell GynäkologInnen und HNO-AssistenzärztInnen betrifft, hatte in den letzten Jahren eine steile Lernkurve ("zum Glück" kann man hier nicht sagen, aber immerhin, aus Schaden wird man klug) und bin unterdessen etwas besser gewappnet in solchen Situationen.
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