4
Jan
2014

Schwindel

Am Silvesterabend hatte ich einen Schwindelanfall. Nichts Schlimmes. Etwa Stufe drei auf meiner achtstufigen Richterskala der Meniere-Schwindelanfälle. Am nächsten Morgen hatte ich ihn vergessen, war etwas verkatert und schrieb einen larmoyanten Neujahrs-Blogbeitrag.

Ich möchte auch nicht nachträglich klagen. Es geht mir hier nur darum, präzis zu beschreiben, wie es war.

Es passierte nach einem gemütlichen Abendessen bei Freunden. Wir waren zu viert, vertraute Bekannte, bei denen ich mich wohl fühle. Dann tat sich plötzlich Leere unter meinem Kopf auf. Es gibt diese zarte Stelle unter dem Rand des Schädels, genau da, wo sich hinter den Ohren der Schädelknochen leicht anhebt.



Kurz bevor Os temporale und Os occipitale aufeinander treffen.

Wenn man seine Finger fest auf die Stelle drückt, kann man seinen Puls spüren. Beim Meniere-Schwindel ist es, als würde dort das Gerüst aus Schwerkraft und Muskelspannung einstürzen, das den Kopf an seinem Platz hält. Man denkt nie an dieses Gerüst. Aber wehe, wenn es fällt! Dann gehen unfassbare Abgründe auf.

Wenn das Konstrukt nur an dieser Stelle einstürzt, kann ich damit umgehen. Ich kann meinem Rückgrat befehlen, gerade zu bleiben. Wenn ich stehe, kann ich mich irgendwo festhalten. Ich kann das Gleichgewicht in den Füssen und den Hüften suchen statt im Kopf. Ich hatte einen solchen Schwindelanfall letzten Herbst, als der Zahnart an meinem Gebiss herumschliff. Mein Kopf verweigerte den Dienst an der Schleifmaschine. Nur mein eiserner Wille konnte ihn halten.

An Silvester musste ich mich nicht sehr anstrengen. Der Schwindelanfall zog vorüber und kam nicht wieder.

Hatte ich zu viel getrunken? Ich glaube nicht. Ich war wohl so bei meinem vierten Glas Wein in drei Stunden. Von dieser Menge bekomme ich normalerweise keinen Schwindelanfall. Aber vielleicht forderte die ausdauernde weihnachtliche Fehlernährung mit Alkohol und Süssigkeiten ihren Tribut. Vielleicht war meinem System der hochfrequente Wechsel zwischen Familienfeierlichkeiten und dem Büro zu viel geworden.

Jedenfalls spinnen meine Ohren seither wieder. Hinter meinen Gehörgängen kleben Kugeln aus elektrisch geladenem Filz. Wenn Schall auf sie trifft, franst er aus.
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Journal einer Kussbereiten

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