8
Sep
2013

Merkwürdige Sitten

Kürzlich lud meine tamilische Nachbarin Mahika Herrn T. und mich zu einem Tandoori Chicken ein. Was für ein Fest, nur schon für die Augen! Der ganze Tisch war voll von kleinen Schüsseln mit Gemüse: Karotten und Fenchel in Kokosmilch, Kohlgemüse, Spinat mit einem Hauch Kreuzkümmel, dazu Reis - und dann das Hühnchen! Ein Gedicht!

Natürlich gab ich am nächsten Tag bei drei Kollegen damit an. Ich erwähnte dummerweise auch, dass das Dessert nicht ganz mein Fall gewesen war: frittierte Teigbällchen mit einer Frischkäsefüllug - Zigerkugeln nicht unähnlich, aber mit reichlich Zuckersirup übergossen. Für den westlichen Gaumen eine Spur zu süss, eine Spur zu nahrhaft.

"Na, dann hättest Du es doch nicht essen müssen!" sagten die drei, zwei von ihnen Mamas Küche kaum entwachsen, alle drei sportliche, schmale Würfe. "Niemand muss eine Nachspeise essen, wenn er keine Lust drauf hat!" Das fanden die drei ganz selbstverständlich.

Ich war sprachlos. Ist da in den Nullerjahren ein neues Kapitel Knigge an mir vorbei gegangen? Nie würde ich bei einem Gastmahl einen Gang ausschlagen! Erst recht nicht, wenn ich sehen kann, dass die Köchin mindestens drei Stunden in der Küche verbracht hat, um ein festliches Essen herbeizuzaubern!

Die spinnen, diese jungen Männer!

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steppenhund - 8. Sep, 20:28

Stimmt. Aber ich kann das ja nicht mehr beurteilen. Bin schon zu alt dafuer...

Grünäuglein - 8. Sep, 22:16

kann ich ebenfalls nur zustimmen - und ich kann mich zur jüngeren Generation zählen ;-) Auch mir wurde heute zum Nachtisch von den Großeltern einer Freundin eine Himbeer-Quark-Speise gereicht - absolut nicht mein Fall. Sowas spreche ich persönlich dann nicht mal an - gehört sich meiner Meinung nach nicht, immerhin ist man eingeladen.
Aber gut, ich bin ja auch kein Mann, vielleicht sieht man(n) das eben anders. Aber ob es in der Realität bei den Herren wirklich so abläuft, weiß man ja auch nicht. Vielleicht kuschen die Herren auch bei solch einer Begebenheit und das Beschriebene fällt einfach unter Rudel- / Imponiergehabe ;-)
diefrogg - 10. Sep, 21:58

Imponiergehabe..., hm...

guter Gedanke. Das wäre auch für mich im Prinzip nahe liegend gewesen. Aber ich habe die Herren ja gesehen. Ich rieche Imponierghebae zehn Meter gegen den Wind (und fröne ihm gelegentlich selber).

Aber das war es nicht. Es war etwas anderes, was ich nicht ganz verstanden habe. Ich fragte mich schon, ob mir die Männer zu verstehen geben wollten, dass ich ein wenig auf meine Linie achten sollte (was nicht nur respektlos, sondern meines Erachtens auch etwas übertrieben gewesen wäre. Sooo schlimm steht es jetzt auch wieder nicht um meine Figur).
nömix - 9. Sep, 07:28

Weil insbesondere die Kulturtradition der Gastfreundschaft grad bei Indern eine überaus gewichtige, quasireligiöse Bedeutung besitzt, wäre eine Zurückweisung der angebotenen Speisen "weil man keine Lust drauf hat" in diesem Fall ein förmlicher Affront. Das sollte eigentlich auch den drei Herren Jungspunden bewusst sein, was ein schlechtes Benehmen und was eine ausdrückliche Beleidigung des Gastgebers ist.

diefrogg - 9. Sep, 15:36

Na, umso besser,...

dass wir beim Dessert auch zugegriffen haben! Es ist mir schon aufgefallen, dass Mahika beim Anbieten von Essen in aller Freundlichkeit sehr unerbittlich sein kann. Gelegentlich kocht sie einen Berg Pfannkuchen (die prima schmecken) - und wenn sie mich dann zufällig im Treppenhaus trifft, bietet sie mir welche an. Da drängt sich dann aus westlicher Perspektive eher ein freundliches "Nein, danke" auf - wir haben ja selber genug Essen zu Hause. Aber sie fragt dann bis dreimal und mehr ebenso freundlich nach - bis ich merke: Da gibts kein Entrinnen. Da steckt etwas dahinter, was ich nicht ganz verstehe.

Wir haben jetzt angefangen, hie und da auch mal etwas vorbeizubringen.

Wird wohl Zeit, dass ich mal ein bisschen nachlese, was wir da eigentlich machen!
Jossele - 10. Sep, 15:36

Etikette geht vor Kallorien!
Ich mein, einige einmalige Ausrutscher bezüglich Süßspeisen machen ja nicht die Katatstrophe, das tun wir schon selbst.
Andererseits ist die kulturübergreifende gute Nachbarschaft schon ein paar Sünden wert.
hotcha - 9. Sep, 12:08

Zusammen essen war gestern

Liebe Frau Frogg, welch ein Zufall. Grad gestern liess ich mich durch einen Bericht im LeMatinDimanche schockieren, eine ganze Seite über die Essgewohnheiten im Wandel. Familienfeste à l'italienne mit üppiger Tafel werden kompliziert, da die 'Fines Bouches' zunehmen.

Einen Gang abzulehnen, wenn man eingeladen ist, finde ich ziemlich daneben und beweist ein gestörtes Verhältnis zum Essen. Vorbild ist mir immer noch Kara Ben Nemsi Effendi, der das vom Scheich mit liebevoller Geste servierte Schafsauge tapfer verspeist, der Gastfreundschaft zu Liebe.

Eine Einladung zum Tandoori Chicken ist doch grossartig, da kann man sich ruhig auch mal überessen. Ich bin neidisch.

diefrogg - 9. Sep, 15:41

"Fines bouches"...,

schöner Ausdruck! Heisst hier in der Region "schnäderfrässig" (wählerisch beim Essen) - und Schnäderfrässigkeit hatte in meiner Heimat lange Zeit keine gute Presse.

Hier geht es um die Entwicklung, dass dem Zwang zur schlanken Linie - oder irgendwelchen kleinen Lebensmittel-Empfindlichkeiten - alles andere untergeordnet wird, auch die traditionellen Werte der Gastfreundschaft. Ich kämpfe, weiss Gott, auch um eine schlanke Linie, aber die damit verbundenen Zwänge dränge ich meinen Verwandten und Freunden nicht auf, wenns anders geht.

Mir selber ist die Schnäderfrässigkeit ein Greuel und für ein üppiges Gastmahl - unter Freunden oder lieben Verwandten nehme ich gerne zwei Tage Zurückhaltung danach in Kauf.
Falkin - 9. Sep, 12:30

Nun, vom Alter her gehöre ich wohl aus Sicht junger Menschen jener Grauzone zwischen Vergreist und Rückkehr-der-Reitenden-Leichen an, kann deswegen die Gepflogenheiten junger Menschen nur schwer erahnen. Aber es gebührt der Höflichkeit die Arbeit eines Koches/ einer Köchin, derdiedas zum Gastmahl lud, zu würdigen.

U.a., indem man isst. Fertig. Etwas, was wir auch unserem Pubertröter mit auf den Weg geben und was er - erst am Wochenende heldenmutig unter Beweis gestellt - verinnerlicht hat. Meines Erachtens funktioniert Gemeinschaft (besonders gut), wenn das Ego sich nicht um jeder Allüre Willen breit macht. Also eher eine Sache der Priorität denn des Alters?!

diefrogg - 10. Sep, 22:01

Rückkehr der reitenden...

Leichen, ha! Denen schliesse ich mich an! Schön, dass Sie wieder unter uns sind, Frau Falkin! Ich werde Sie bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit verlinken!

Und was die Prioritätensetzung anbelangt: Ja, ich glaube, damit hat es zu tun. Aber in solchen Momenten frage ich mich jeweils, ob meine Kollegen halt auch ganz andere Freunde haben, denen es nicht so drauf ankommt, dass man sich beim gemütlichen Zusammensitzen auch mal ein wenig gehen lassen kann.

Vielleicht geht es da mehr um Dinge wie Status (Leute mit einem hohen Status haben sich unter Kontrolle und sind dünn) und Statussymbole. Aber das sind ja nun auch wieder Vorurteile...
steppenhund - 11. Sep, 07:49

Erstens einen erfreuten Gruß an die wiederauferstandene Zombiee :)
Das mit dem Aufessen hat schon seine Richtigkeit. Trotzdem behalte ich mir vor, bestimmte Dinge nicht zu essen, was ich meistens auch schon vorher anbringe.
Es ist nicht viel, doch Milch, Rahm, Schlagobers, Yoghurt und Tofu zähle ich auf und begründe meine Ablehnung mit einem traumatischen Ereignis aus meiner Jugend. Das wird auch von anderen Kulturen verstanden. Die Japaner haben sich allerdings immer einen Spass gemacht, mir "verkleideten" Tofu zu servieren. Die haben sich dann köstlich amüsiert, wenn ich verweigert habe.
(Wenn ich selber koche, verwende ich sehr wohl Milch und Schlagobers, aber da gibt es dann ja auch kein psychologisches Problem.)
Ansonsten habe ich schon einiges gegessen, was ich nur aus Höflichkeit angerührt habe. Allerdings sind mir die Kamelaugen, die einem Kollegen angetragen wurden, erspart geblieben. Ebenso wie der Fischkopf bei einem Festmahl, bei dem nicht ich sondern ein berühmter Pianist die Ehrenperson war:)
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