29
Sep
2013

Flucht aus der Fata Morgana

Am Freitag hatte ich eigentlich vor, wieder ins Fitness-Center zu gehen. Aber es war ein Tag wie aus dem Bilderbuch. "Wer an einem solchen Tag in eine düstere Muckibude geht, ist selber schuld", sagte Frau Frogg.

Ich ging spazieren.

Ich startete am Seetalplatz bei den grossen Fabriken. Aber eigentlich suchte ich etwas anderes. Rechts der Kleinen Emme fand ich zwischen Autogaragen und Spenglerbetrieben den Aufstieg durch den Rothenwald. Schliesslich stand ich auf einem Hügel mit Sportplatz und sah, was ich hatte sehen wollen: die Fata Morgana.



Die Siedlung im Vordergrund heisst eigentlich Pilatusblick - auch wenn man auf dem Bild die Rigi sieht. Es ist sowieso ein schwaches Bild, ein Handybild halt. Es erklärt nicht, warum ich die Häuser die Fata Morgana nenne. Ich nenne sie so, weil sie weiss schimmert - bei jedem Wetter. Und weil sie, nur leicht erhaben über Wohnsilos und Fabriken, unerschrocken das Ideal des Lebens im Einfamilienhaus behauptet.

Ich stieg hinunter in die Fata Morgana. Und, Freunde, ich wollte gewiss nicht auffallen und folgte auch nur dem Hauptweg durchs Quartier. Aber schon an der ersten Strassenecke folgten mir die argwöhnischen Blicke dreier Anwohner. Sofort war klar: Hier sind Eindringlinge nicht willkommen.

Ich machte mich vom Acker. Ich wollte nicht, dass man mir die Polizei auf den Hals hetzt. Als ich bei der Hauptstrasse war, grinste der DJ in meinem Kopf pfiffig und warf einen Song aus den achtziger Jahren an: Reussbühl von Hösli.

Ich leb' in einem Örtchen, das
sich aufgegeben hat

Geschichte nicht kennt - nicht will

Mit fünftausend mehr wär's
vielleicht 'ne Stadt

My God - I live in Reussbühl-Hill

Die Polizei, das hört' ich sagen
die hat einen Schlüssel für
meine Wohnung in Reussbühl

Sie lieben keine Blumen und
hegen keine Gärten

Lieben's dunkel und löschen das
Licht dazu

Haben Krach mit vollbehaarten
Hausabwarten

Um acht ist Nacht und dann ist
Ruh

Die Asylanten, das hört' ich
sagen, die binden den Abfall-
sack nicht zu - in Reussbühl

Dort wo der Bus vielleicht
Einfach gar nicht hält

Sitte und Moral zerfällt

Das billigste Bier weit + breit

Für viel mehr bleibt keine Zeit

Buskontrolleute, das hört' ich
sagen, die kontrollieren am
allerliebsten in Reussbühl

Und Reussbühler hört' ich
schon sagen, nirgends auf der
Welt ist es wie in Reussbühl.*


*Zitiert aus Dominik Riedo (Hg.): "Luzern Luzern", Verlag Pro Libro Luzern, 2011

Hier gibts endlich ein YouTube von der Fassung von 1994! Die bessere Fassung mit einem saftigen Bläsersatz klingt hier an - und es gibt dazu eine Menge über Reussbühl. Und hier noch ein YouTube mit Hösli als junger Sänger mit Rockgott-Potenzial.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

September 2013
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 
 2 
 3 
 4 
 6 
 7 
 9 
10
12
13
15
16
17
19
20
21
22
23
24
26
27
28
30
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7156 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Sep, 17:51

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren