16
Mrz
2014

Enttäuscht

Ist es gesund, wenn ich mich einer neu entdeckten Leidenschaft fürs Geschichtenschreiben mit Haut und Haar hingebe? Das habe ich mich hier gefragt. Zweifel sind berechtigt. Ich habe eine chronische Krankheit. Ich habe ein empfindsames Gehör. Deshalb habe ich schliesslich eine Abmachung mit mir getroffen: Ja, ich schreibe. Ich tue alles, was ich glaube, tun zu müssen. Aber ich höre auf damit, wenn mein gutes Ohr versagt. Ich höre auf, wenn ich die Kirchenglocken draussen nur noch mit dem Hörgerät höre. Ich höre auf, wenn der Verkehr draussen klingt, als läge Schnee auf der Strasse. Ich höre auf, wenn ich aus dem Radio in Herrn T.s Zimmer nur noch "pfs" und "schs", aber keine zusammenhängenden Sätze mehr verstehe. Wenn Musik nur noch quäkt und nicht mehr klingt. Ich höre auf, wenn ich Gefahr laufe, nicht mehr telefonieren zu können.

Soweit ist es jetzt.

Das ist ein klares Zeichen. Das heisst: Ich muss aufhören. Ich bin jetzt nur noch nicht ganz sicher, was aufhören in dieser Situation genau heisst.

9
Mrz
2014

Liebeskrank

Das Schreiben ist meine älteste Liebe. Ich begann zu schreiben, als ich fünf war. Ich weiss nicht, warum. Man weiss ja meist nicht, warum man Dinge tut, wenn man fünf ist. Meine Nichten, acht und elf, schreiben auch. Es muss eine vererbbare Krankheit sein.

In meinen Teenager-Jahren kam das Schreiben aus einem tief liegenden Teil meines Gehirns, in dem im Grunde viel Unsagbares ist. Schreiben war der Austragungsort meiner Tagträume, eine Selbst-Projektion. Eine Auseinandersetzung mit den Vorgängen des Erwachsenwerdens. Mit 13 verlor ich mich in einem Projekt, das zwei Jahre meines Lebenszeit frass. Bis ich merkte, dass ich nicht nur auf dem Papier Teenager sein wollte, sondern auch im wirklichen Leben. Beides - so erschien es mir jedenfalls damals - ging nicht.

Mit 20 nahm ich dann doch an einem Literaturwettbewerb teil. Man schickte mir nicht einmal mein Manuskript zurück. Das wertete ich als sehr schlechtes Zeichen.

Dennoch studierte ich Literaturwissenschaften. Aber ich vertraute der Literatur im Grunde nicht. Ich merkte, dass ich ihr eigentlich noch nie vertraut hatte. Wo hätte ich dieses Vertrauen auch lernen sollen? Ich kam aus einem relativ bildungsfernen Haushalt und war ein Mädchen. Der Haushalt und die Arbeit waren immer und aus Myriaden von Gründen ehrenwerter als die Literatur.

Dennoch veröffentlichte ich am Ende meines Studiums einen kleinen Roman, einen Fortsetzungsroman in einem lokalen Magazinchen. Es war ein Experiment, und es floppte.

Das machte nichts. Ich war sowieso andersweitig beschäftigt: Ich musste mir eine Existenz aufbauen. Ich wurde Journalistin. Das schien folgerichtig, und ich lernte viel: dass Schreiben per definitionem öffentlich ist und folglich die Kunst des Kommunizierbaren. Man denkt beim journalistischen Schreiben immer zuerst an die Sache und dann sehr schnell an den Leser. Journalistisches Schreiben passiert vornehmlich im vordersten Teil des Bewusststeins.

Genau mit dieser Geisteshaltung schrieb ich auch meinen Blog und meinen Krimi. Der Krimi bescherte wenigstens meiner Freundin Helga und mir ein paar glückliche Gespräche. Den Blog kennt ihr.

Bald werde ich 49. Als Journalistin habe ich mehr oder weniger ausgedient. Ich habe Zeit zu pröbeln. Ich merke, wie ich literarisch in meine Teenager-Zeit zurückdrifte. Wie aus kleinen Projekten wieder diese Wülste werden, in die ich alles hineinpacken will - und die mich emotional absorbieren wie ein schwieriger Liebhaber. 48 Jahre Leben, aus dem tieferen Teil meines Gehirns bestürmen mich die Ideen, die Erinnerungsfetzen, die Dramen.

Halten sie der Realität einer sauberen Recherche stand? Hat das alles überhaupt noch einen Sinn? Wo führt es hin?

Wäre es nicht gesünder, wenn ich mich einfach aufs Sofa legen und die Bücher anderer Leute lesen würde? Ich weiss es nicht. Es beunruhigt mich.

1
Mrz
2014

Verliebt

Wenn meine Beiträge hier ein bisschen seltener oder fahriger werden, dann hat das einen seltsamen Grund: Seit einer Weile bastle ich ein bisschen an ein paar Kurzgeschichten herum. Nichts Ambitiöses. Aber jetzt habe ich mich in den Helden einer meiner Geschichten verliebt. Keine Spur von professioneller Distanz. Er macht merkwürdige Dinge mit mir. Ich bin sehr beschäftigt.

27
Feb
2014

Pistolenschüsse


Schmutziger Donnerstag in der Luzerner Altstadt

Hier in Luzern ist gerade die Fasnacht ausgebrochen. Da sind Sitte und Moral und anständiges Benehmen immer grosse Themen, wie man auch auf dem Bild oben sieht - es zeigt einen Sittenpolizisten beim Tändeln mit einer Klientin. An der Fasnacht darf man alles, was man sonst nie darf, heisst es.

Wobei das nicht für die Schüler der Stadt Luzern gilt. Die dürfen an die Schulfasnacht keine Spielzeugwaffen mehr mitnehmen - ihr wisst schon: Ritterschwerter und Chäpsli-Pistolen*.

"Die haben das wegen der Sauerei verboten", erklärte mir Gottenbub Tim (8) mit seinem kompetentesten Ton. "Diese Chäpsli geben so eine Sauerei." Man kann Kindern ja nicht erklären, dass Schiessen mit Chäpsli-Pistolen politisch nicht korrekt ist. Deshalb das Kindermärchen von der Sauerei. Immerhin ist wohl die Sauerei die wahre Ursache dafür, dass die Kids auf dem Pausenplatz nur noch auf einem extra dafür bezeichneten Plätzchen mit Konfetti und Luftschlangen um sich werfen dürfen. Die Patentante (49) langte sich an den Kopf, als sie das hörte. Wo kommen wir hin, wenn an der Fasnacht die Chäpsli-Pistolen und die Konfetti verboten werden?! Können dergestalt gezähmte Kinder überhaupt normale Erwachsene werden?!

Nun ist die Patentante seit Jahren aus gesundheitlichen Gründen fasnachtsabstinent. Denn an der Fasnacht trifft sie immer die ätzende Schwester der Schwerhörigkeit: die Hyperakusis, auch Lärmempfindlichkeit (hier mehr hier über sie).

Aber dann packte er mich heute doch, der Fasnachtsvirus. Zum ersten Mal seit Jahren. Mit gut verstöpselten Ohren machte ich mich am Nachmittag für ein Viertelstündchen auf ins Getümmel in der Altstadt. Das erste was ich hörte, war: Die Chäpsli-Pistole ist keineswegs aus dem fasnächtlichen Soundpanorama verschwunden. Im Gegenteil! Was für ein Geknalle! Hinter jeder Ecke Cowboys, Räuber, Polizisten! Gott sei Dank ist noch niemand auf die Idee gekommen, Ohropax zu verbieten.

Später machte ich zu Hause eine Google-Bildersuche nach Chäpsli-Pistolen. Da wurde mir klar, was man heute für Spielzeugwaffenarsenale man heute so kaufen kann. Wahres Kreigsspielzeug! Plötzlich begriff ich das Verbot.

* Das sind diese Spielzeug-Pistolen, mit denen man rosarote Streifen mit Knallerbsen verschiessen kann. Keine Ahnung, wie das auf Hochdeutsch heisst.

16
Feb
2014

Die spinnen, die Jugendlichen!

Gestern besuchten wir ein befreundetes Paar. Wir hatten die beiden lange nicht gesehen. Schon beim Prosecco mussten wir die Abstimmungs-Katastrophe des letzten Sonntags durchdiskutieren - das Ja zur Initiative "Gegen Masseneinwanderung". Er, ich nenne ihn Nitro, unterrichtet Englisch am Gymnasium einer mittelgrossen Schweizer Stadt. Eine jener Städte, die die Initiative abgelehnt hat - mit dem fast schon komfortablen Neinstimmen-Anteil von 60,34 Prozent.

"Aber meine 17-jährigen Schüler! Ihr glaubt es nicht! Sie waren alle begeistert von der Initiative!" rief Nitro. "Einige wollten auch ihre Essays über das Thema schreiben. Was haben die über Dichtestress räsoniert!" Er schüttelte den Kopf.

"Was heisst 'Dichtestress' auf Englisch?" fragte Herr T.

Nitro murmelte irgendwas mit "distress". Ich verstand ihn nicht genau. Ich will es gar nicht wissen. Aber ich wüsste gerne, was mit diesen Jugendlichen los ist. Ist unsere junge Elite rassistisch?! Wo ist der Hunger auf eine offene Welt geblieben, den wir als Gymnasiasten hatten?!

Nitro konnte es uns auch nicht erklären. Er konnte uns nur eine Ahnung von der Begeisterung vermitteln, mit der diese gerade noch nicht stimmfähigen Jugendlichen ein Ja in die Urne gelegt hätten.
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