2
Feb
2014

Der Journalist


Szene aus Philomena: Judy Dench als Philomena und Steve Coogan als Journalist Martin Sixsmith.

Was habe ich Tränen vergossen, als ich neulich im Kino "Philomena" sah! Nicht wegen der Titelheldin, die 50 Jahre lang ihren verschwundenen Sohn Frankie gesucht hat. Naja, auch ein bisschen. Philomena hatte das uneheliche Kind in einem irischen Kloster zur Welt gebracht - dann gaben die Nonnen es weg. Ohne ihre Einwilligung. Der Journalist Martin Sixsmith soll ihr nun helfen, das Kind endlich zu finden. Selten habe ich eine realitätsnähere Darstellung des Journalisten-Alltags gesehen. Deshab habe ich geflennt. Gott, wie ich es vermisse, diesen Beruf auszuüben!

Von einem Spesenbudget wie jenem von Sixsmith wagen zwar die meisten Journalisten nicht einmal zu träumen. Zudem ist er ein eitler Kotzbrocken, wenn auch auf die feine britische Art. Er bemitleidet sich schrecklich, weil er vom BBC-Olymp gefallen ist und für ein zweitkassiges Medium einer "human interest"-Story nachrennen muss.

Und dann kommen die üblichen Kalamitäten des Journalisten-Alltags über ihn: Dokumente sind verbrannt. Sixsmith ist nicht sicher, dass er etwas herausfinden wird. Lohnt sich das überhaupt? "Jetzt nicht aufgeben", sagt die Chefin.

Dann, plötzlich, wird die Sache spannend. Die Nonnen haben Dreck am Stecken. Die Spur des verlorenen Kindes führt nach Amerika.

Dort wird die Story noch eine Liga grösser. Philomena bekommt kalte Füsse. Auf dem Gesicht von Coogan sieht man jetzt diese ungemütliche Spannung, an die ich mich noch gut erinnere: Wie mache ich aus der Sache eine Story, über die der Chef sich freut? Und wie werde ich dabei der Person gerecht, die sie mir geliefert hat?

Dann nochmals das übliche, stressige Recherchen-Rösslispiel: Zeugen sind telefonisch nicht erreichbar. Andere lassen sich verleugnen. Philomena will aufgeben.

Und dann der Durchbruch: Sixsmith deckt eine echte Sauerei auf, Philomena erfährt Genugtuung. Die ganze Plackerei war nicht vergebens!

So schön!

30
Jan
2014

Masseneinwanderung

In einer Woche stimmt die Schweiz über die Initiative "Gegen Masseneinwanderung" ab. Wer noch nicht weiss, was sie verlangt, kann hier nachlesen. Hier die Kurzversion: Sie will die Zuwanderung begrenzen.

Eins vorweg: Ich bin eine vehemente Gegnerin dieser Vorlage. Aber mit dieser Überzeugung stehe ich wohl auf verlorenem Posten. Ich glaube: Unsere Region wird der Initiative wuchtig zustimmen. Ich bekomme bei der Arbeit täglich und sehr direkt mit, wie die Leute in den Kantonen Luzern, Ob- und Nidwalden, Uri und Schwyz ticken. Ok, das ist eine konservative Region. Aber die neuesten gesamtschweizerischen Umfragewerte haben meine bange Ahnung bestätigt: Die Initiative könnte durchkommen.

Es ist nämlich so: Plötzlich kennt hier jeder jemanden, der seine Stelle an eine billige Arbeitskraft aus der EU verloren hat. Jeder weiss auf einmal, dass der Patron im nahen KMU lieber Deutsche anstellt als seine eigenen Söhne und Töchter. Plötzlich fällt manch einem ein, dass er seit 2007 keine Lohnerhöhung gesehen hat. Hallo?! Was ist denn nun mit dem Wohlstand passiert, den die Personenfreizügigkeit angeblich gebracht haben soll? Einem ist die Wohnung schon zum zweiten Mal von rumänischen Diebesbanden leergeräumt worden - jetzt stimmt er Ja und hofft darauf, dass es wieder Grenzwächter gibt. Einer ist traurig, weil die schöne Wiese am Oberhubel zugebaut wird - nicht von Ausländern, sondern von Schweizern, die vom Eigenheim träumen. Aber das muss man ja nicht so genau nehmen. Der andere ärgert sich, weil in einem vollgestopften Zug ein paar Migranten laut reden. Wieder einer regt sich darüber auf, dass reiche Ausländer in der Schweiz fette Villen an schönster Seelage haben - und er findet kaum noch eine Dreizimmerwohnung unter 2000 Franken. Und überhaupt: die Masslosigkeit! Die Dekadenz!

Und was tun die Initiativgegner von der Partei der Arbeit bis zu den Freisinnigen? Sie behaupten, sie würden die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen. Aber von einem griffigen Kündigungsschutz für gestandene Mitarbeiter redet kein Mensch. Auch die Arbeitgeber sind gegen die Vorlage. Aber keiner von denen erklärt den Leuten, dass nicht die Ausländer schuld sind an stagnierenden Löhnen - sondern die Weltwirtschaftskrise. Ein neues Raumplanungsgesetz haben wir zwar letztes Jahr angenommen. Aber niemand sagt uns, warum dieses neue Gesetz die Gräslein und Käferlein am Oberhubel nicht schützt. Und dem letzten müsste mal jemand erklären, dass die laut redenden Jugendlichen im Zug seine AHV zahlen.

Es ist und bleibt ja so: Ich würde am liebsten den Fernseher aus dem Fenster schmeissen, wenn ich den Blocher darin sehe. Aber ich muss gestehen: Der Alte hat diesmal mehr Farbe als der ganze blässliche Bundesrat und die ganzen quäkenden Parteichefs zusammen. Denen fällt nichts anderes ein, als mit der Rache der EU zu drohen.

Trotzdem: Wer einen Schweizer Pass hat und noch nicht abgestimmt hat, sollte es jetzt schnellstens tun. Denn, oh ja, eine Annahme wird das Wachstum stoppen - nämlich so, dass die sozial Schwachen noch schwächer werden. Insbesondere die Bezüger von Alters- und Invalidenrenten und anderen Sozialleistungen. Und nicht vergessen: Es muss NEIN auf dem Stimmzettel stehen!

29
Jan
2014

Wachstum im Steuerparadies


In der Nähe von Melchsee-Frutt, unterhalb des Tannensee-Staudamms.

Wenn ich jeweils auf Melchsee-Frutt ankomme, vergesse ich schnell alle Unannehmlichkeiten des Reisens. Ich liebe dieses Fleckchen Erde auf 1920 Metern über Meer! Weil es in einer phantastischen Mondlandschaft liegt. Weil es so still ist - es gibt dort keine Autos - nur ein paar Pistenfahrzeuge. Weil ich mit Herrn T. schon so viele Schneestürme und zärtliche Stunden hier verbracht habe. Und weil es (noch) ein stinkbiederer Familien-Winterferienort ohne mondäne Allüren ist.

Aber seit unseren letzten Skiferien 2009 hat sich hier oben vieles verändert - einiges bereitet mir Unbehagen. Etwa der offensichtliche Hunger nach Wachstum. Oder die Art, wie man sich hier neuerdings um Luxus-Gäste bemüht.

Dass man auf die Fundamente des 2004 abgebrannten Kurhauses ein neues Hotel gebaut hat, kann ich nachvollziehen. Die Architektur finde ich ansprechend - und soll es meinetwegen Frutt Lodge heissen, auch wenn das nicht heimatlich tönt.


(links im Bild)

Soll die Lodge vier Sterne haben. Und soll sie meinetwegen einem chinesischen Investor namens Yunfeng Gao gehören. Dass sich ein Ausländer das Prunkstück des Kurorts unter den Nagel gerissen, hat in der Gegend allerdings in vielen Herzen die Angst vor der Überfremdung wachsen lassen.

Mich jedoch beunruhigen die unauffälligen neuen Häuschen weiter unten viel mehr.


(Die Betonrohbauten im Hintergrund)

Sie stehen da, wo viele Jahre lang die Ruinen eines zerfallenen Hotels romantisch über dem Melchsee thronten. Zurzeit sucht ein Immobilienmakler Käufer für die 43 neuen Wohnungen - und es handelt sich nicht etwa nur um kleine Ferienlogis, sondern auch um geräumige 4,5-Zimmer-Wohnungen, durchaus als Eigentumswohnung gedacht.

Im Prospekt ist eine ganze Seite der Tatsache gewidmet, dass der Kanton Obwalden (in dem Melchsee-Frutt liegt) ein "steuerlich attraktiver Kanton" ist (böse Zugen sagen: eine Steueroase). Obwalden sein ein Kanton, in dem "Wirtschaft, Tourismus, Politik und Verwaltung ... eine Einheit" bildeten (böse Zungen sagen: "Säuhäfeli - Säudeckeli"*). Soll die Frutt ein Zweitwohnsitz für Geldsäcke werden? Und dann? Discos? Mondänes 24-Stunden-Shopping? Läden, in denen die Verkäuferin mit Röntgenblick zuerst mal Dein Tasche mit dem Portmonee durchleuchtet? Edler Food in winzigen und dennoch unerschwinglichen Portionen?

Herr T. und ich runzeln die Stirn. Doch dann stemmen wir uns gegen den eisigen Wind und gehen zurück in unser Zimmerchen im Traditionshotelchen Posthuis.


(Quelle: amazonaws.com)

Wir stellen erleichtert fest: Hier ist alles beim Alten. Dasselbe, freundliche Wirtepaar. Die Küche gutbürgerlich, nahrhaft und reichlich und nicht ohne Raffinesse. Der Bau unverändert - heimelig, praktisch und ohne Luxusgedönse. Und auf dem Bürostuhl in der Réception turnt ein Enkelkind der Hotlelière.


* "Säuhäfeli - Säudeckeli" - Schweizerdeutsch für Mauscheleien zwischen lokalen Geld- und Machteliten.

26
Jan
2014

Tabuthema

Verreisen, Bahnfahren, Umsteigen, Fliegen - das alles ist für Frau Frogg mit der leisen Angst vor Hörverlusten verbunden. Vor jeder Abreise legt sie deshalb Anzeichen der Überforderung an den Tag: Reizbarkeit, leichte Demenz, Momente der Panik.

Als wir am Dienstag ins nahe Skigebiet Melchsee-Frutt aufbrachen, kam ein aussergewöhnliches Symptom dazu: Bauchkrämpfe.

An dieser Stelle eine Warnung an meine männlichen Leser: In diesem Beitrag geht es um das Tabuthema Menstruationsbeschwerden. Eventuell mitlesende Gynäkologen bitte ich ausdrücklich, hier weiterzulesen. Allen anderen nehme ich es nicht übel, wenn sie aufhören.

Ich habe seit vielen Jahren eine Spirale und daher kaum noch Unterleibsschmerzen. Aber am Dienstag im Brünigzug jagte mir jede hastige Bewegung einen Krampf durch den Bauch.

Im Abteil nebenan überschüttete eine dynamische Oma ihre kleine Enkeltochter lautstark mit ihrer Liebe. Normalerweise beobachte ich solche Szenen mit amüsierter Nachsicht. Aber diesmal hätte Frau Frogg gerne die Augen verdreht. Diese dumpfe Irritation... "Eindeutig prämenstruelles Syndrom, kurz PMS", hörte ich im Kopf meine ferne Freundin Helga dozieren. Was haben wir früher über die Unzulänglichkeit der Gynäkologie angesichts von Menstruationschmerzen diskutiert! "Wenn Männer sowas bekämen, gäbe es dagegen längst das perfekte Medikament!" Auch meine Mutter zitierte in meinem Kopf eine ihrer Lebensweisheiten: "S'Züüg"* bekomme man eben immer im ungünstigsten Moment.

Überhaupt fühlte mich unangenehm in eine gnädig vergessene Vergangenheit zurückversetzt. In meiner Jugend hatte ich fast jeden Monat rasende Schmerzen. Plötzlich spürte ich wieder die Kälte unseres gymnasialen WC-Bodens unter mir. Ich legte mich jeweils auf ihn, wenn mich im Unterricht die Krämpfe überwältigten. Er war grau mit schwarzen Sprenkeln.

Die Frauenärzte waren desinteressiert. "Da kann man nichts machen", hiess es. Oder: "Das ist psychosomatisch." Oder: "Sie haben eben Ihre Weiblichkeit nicht akzeptiert." Ich hätte die Frauenärztin ohrfeigen sollen, die das damals sagte.

Und dann das: Am 16. November 2005 rammte mir eine Gynäkologin meine erste Spirale in den Bauch. "Sie haben aber einen stark verkrümmten Gebärmutterhals!" sagte sie, "Kein Wunder, dass Sie so heftige Krämpfe hatten. Sie hätten Mühe gehabt, schwanger zu werden!" Ich war zu benommen, um etwas zu sagen.

Wir sitzen im Postauto Sarnen-Stöckalp. Neben uns ein angeheitertes Rentnerquartett. Warum gibt es eigentlich in jedem zweiten öffentlichen Schweizer Verkehrsmittel ein angeheitertes Rentnerqaurtett?

Ein weiterer Krampf. Ich habe genug. In einer Tasche finde ich ein Algifor. Ich schlucke es, aber ich habe kein Wasser dabei. Die Tablette ist gross.

In der Luftseilbahn Stöckalp-Melchsee-Frutt spüre ich genau, wo sie in der Speiseröhre stecken geblieben ist und sich auflöst: direkt über dem Schlüsselbein. Jetzt tut es da oben weh.

* Zu Deutsch: "Das Zeug", umgangssprachlich für die Menstruation und ihre unangenehmen Begleiterscheinungen.

21
Jan
2014

Blog geschlossen

Freunde, hiermit mache ich diesen Blog für ein paar Tage dicht und verreise in die Berge. Bis ungefähr in einer Woche!
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