29
Jan
2014

Wachstum im Steuerparadies


In der Nähe von Melchsee-Frutt, unterhalb des Tannensee-Staudamms.

Wenn ich jeweils auf Melchsee-Frutt ankomme, vergesse ich schnell alle Unannehmlichkeiten des Reisens. Ich liebe dieses Fleckchen Erde auf 1920 Metern über Meer! Weil es in einer phantastischen Mondlandschaft liegt. Weil es so still ist - es gibt dort keine Autos - nur ein paar Pistenfahrzeuge. Weil ich mit Herrn T. schon so viele Schneestürme und zärtliche Stunden hier verbracht habe. Und weil es (noch) ein stinkbiederer Familien-Winterferienort ohne mondäne Allüren ist.

Aber seit unseren letzten Skiferien 2009 hat sich hier oben vieles verändert - einiges bereitet mir Unbehagen. Etwa der offensichtliche Hunger nach Wachstum. Oder die Art, wie man sich hier neuerdings um Luxus-Gäste bemüht.

Dass man auf die Fundamente des 2004 abgebrannten Kurhauses ein neues Hotel gebaut hat, kann ich nachvollziehen. Die Architektur finde ich ansprechend - und soll es meinetwegen Frutt Lodge heissen, auch wenn das nicht heimatlich tönt.


(links im Bild)

Soll die Lodge vier Sterne haben. Und soll sie meinetwegen einem chinesischen Investor namens Yunfeng Gao gehören. Dass sich ein Ausländer das Prunkstück des Kurorts unter den Nagel gerissen, hat in der Gegend allerdings in vielen Herzen die Angst vor der Überfremdung wachsen lassen.

Mich jedoch beunruhigen die unauffälligen neuen Häuschen weiter unten viel mehr.


(Die Betonrohbauten im Hintergrund)

Sie stehen da, wo viele Jahre lang die Ruinen eines zerfallenen Hotels romantisch über dem Melchsee thronten. Zurzeit sucht ein Immobilienmakler Käufer für die 43 neuen Wohnungen - und es handelt sich nicht etwa nur um kleine Ferienlogis, sondern auch um geräumige 4,5-Zimmer-Wohnungen, durchaus als Eigentumswohnung gedacht.

Im Prospekt ist eine ganze Seite der Tatsache gewidmet, dass der Kanton Obwalden (in dem Melchsee-Frutt liegt) ein "steuerlich attraktiver Kanton" ist (böse Zugen sagen: eine Steueroase). Obwalden sein ein Kanton, in dem "Wirtschaft, Tourismus, Politik und Verwaltung ... eine Einheit" bildeten (böse Zungen sagen: "Säuhäfeli - Säudeckeli"*). Soll die Frutt ein Zweitwohnsitz für Geldsäcke werden? Und dann? Discos? Mondänes 24-Stunden-Shopping? Läden, in denen die Verkäuferin mit Röntgenblick zuerst mal Dein Tasche mit dem Portmonee durchleuchtet? Edler Food in winzigen und dennoch unerschwinglichen Portionen?

Herr T. und ich runzeln die Stirn. Doch dann stemmen wir uns gegen den eisigen Wind und gehen zurück in unser Zimmerchen im Traditionshotelchen Posthuis.


(Quelle: amazonaws.com)

Wir stellen erleichtert fest: Hier ist alles beim Alten. Dasselbe, freundliche Wirtepaar. Die Küche gutbürgerlich, nahrhaft und reichlich und nicht ohne Raffinesse. Der Bau unverändert - heimelig, praktisch und ohne Luxusgedönse. Und auf dem Bürostuhl in der Réception turnt ein Enkelkind der Hotlelière.


* "Säuhäfeli - Säudeckeli" - Schweizerdeutsch für Mauscheleien zwischen lokalen Geld- und Machteliten.

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acqua - 29. Jan, 21:05

Die schreiben das wirklich, das mit der Einheit von Wirtschaft, Politik und Verwaltung? Dass das es so ist, weiss ich. Dass sie damit aber auch noch Werbung machen, finde ich jetzt doch etwas verblüffend. Oder vielleicht doch nicht...

Jossele - 30. Jan, 07:54

Na ja, wenn´s eh schon jeder weiß...
diefrogg - 30. Jan, 13:02

Dass die das...

genau so bringen, kannst Du nachprüfen: Wenn Du den Link bei "Immobilienmakler" anklickst. Da kommst Du direkt auf den zitierten Prospekt. Die Zitate findest Du auf Seite 8. Aber ich habs auch fast nicht geglaubt. Vielleicht sollte jemand mal nachschauen, wie es so mit der Zweitwohnungs-Quote in der Gemeinde Kerns aussieht (in der die Melchsee-Frutt) liegt.

Mehr als 20 Prozent Zweitwohnungen dürfen die ja nicht haben. Wobei halt Kerns flächenmässig relativ gross ist und touristisch sonst nicht wahnsinnig genutzt wird...
acqua - 30. Jan, 13:32

Ich habe gestern schon nachgeschaut: Im Anhang zur Zweitwohnungsverordnung ist Kerns nicht aufgeführt. Das heisst, dass sie gemäss Einschätzung des Bundesamts für Raumentwicklung nicht über 20% liegen.

(Und ich habe übrigens nicht wirklich daran gezweifelt, dass du den Prospekt richtig zitierst. Ich finde nur die Aussage etwas unglaublich. - Oder eben nicht.)
diefrogg - 30. Jan, 17:31

Ah, danke fürs...

Nachschauen! Freut mich, dass Du auch auf den Gedanken gekommen bist! Nun ja, wer mit dem Postauto durch Kerns fährt, bekommt tatsächlich nicht den Eindruck, dass Kerns ein blühender Fremdenverkehrsort ist. Im Gegenteil. Da wundern einen auch die Wachstumsträume auf der Frutt nicht. Beunruhigend finde ichs trotzdem.
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