26
Jul
2013

Schock beim Aufwachen

Als ich heute Morgen aufwachte, schockierte mich mein Gehör wieder einmal: Wenn ich mir das linke Ohr zuhielt, konnte ich meine Stimme überhaupt nicht mehr hören. Mein rechtes Ohr war so gut wie taub.

Um zu verstehen, was das heisst, muss man wissen: Mein rechtes Ohr ist eigentlich mein gutes Ohr. Hörtests am Mittwoch hatten ergeben, dass ich auf der rechten Seite noch das bessere Sprachverständnis habe - oder hatte. Vor zwei Tagen.

Schon vor zwei Tagen stand es nicht gut um mein Gehör. Heftige Schwankungen. Nun, Gehörschwankungen sind das Wesen einer Menière-Erkrankung. Ich habe mich daran gewöhnt. Wenn es schlimm ist, empfinde ich keinen Horror mehr, keine Trauer. Nur noch leise Bitterkeit. Und eine entfernte Ahnung, dass die Welt nicht in Ordnung ist.

Aber so schlimm wie heute war es noch nie.

Es ist Sommer, unsere Fenster stehen offen. Draussen hörte ich ein Handy mit einem merkwürdig schrumpeligen Ton. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff: Das war kein Handy. Das war eine Ambulanz.

24
Jul
2013

Im Schlaraffenland

Auf unserer Deutschland-Reise fühlte ich mich ein bisschen wie im Schlaraffenland. Oder wie in Gulliver's Reisen. Die Portionen in den Gaststätten sind dort meist viel grösser als jene in der Schweiz - manchmal riesig. Beim Gemüsehändler in Bad Schandau kauften wir Aprikosen so gross wie Pfirsiche. Und sogar die Schweine sind im Grossen Kanton grösser als in bei uns. Jedenfalls erwarben wir einmal beim Fleischer zwei Koteletts für eine Mahlzeit zu zweit. Aber wir stellten bald fest, dass ein solches Kotelett easy für uns beide reichte.

Es war ähnlich wie in den USA. Dort ist ja auch alles doppelt so gross wie bei uns. Nur schmeckt das Essen in Amerika immer fad. Als wäre dort gleich viel Aroma drin wie bei uns - nur einfach auf mehr Volumen verteilt. Aber in Deutschland schmeckt das Essen meistens tiptop, oft sogar ausgezeichnet.

Und dann ist ja auch alles so viel billiger als bei uns.

Ich hätte mich wohl nicht mehr mit unserer heimischen Gastronomie versöhnt, wenn wir in Sachsen nicht etwas unglücklich über den Käse gewesen wären. Ich meine: Wenn Gouda nicht so rezent ist, dann ist das halb so schlimm und manchmal sogar genau das Richtige. Aber wenn man zur Abwechslung Tilsiter kauft und er auch wie Gouda schmeckt - dann stimmt etwas nicht.

Und endlich gibts bei uns jetzt auch wieder Seetaler Chlepfer - das sind Kirschen so gross wie Aprikosen. "Chlepfe" oder "chlöpfe" heisst bei uns knallen - und das hat durchaus etwas Lautmalerisches. Die Kirschen sind nicht nur gross, sondern zum Bersten prall und wunderbar süss.

20
Jul
2013

Der Schrammstein-Entschluss

In den Schweizer Alpen muss man ja für eine richtig tolle Aussicht um sechs Uhr morgens aufstehen und dann vier Stunden stetig steigen. In der sächsischen Schweiz verlässt man dagegen um zehn Uhr gemütlich die gute Stube - und geniesst zwei Stunden später die grandiose Aussicht auf dem nächsten Gipfel.

Doch zeigte sich schnell, dass dass das für Schweizerin Frogg mehr als genug war. Als sie den ersten richtigen Berg in Sachsen bestieg, kamen bei ihr bedenkliche Fitness-Defizite an den Tag.

Es ging auf die Schrammsteine - und da hinaufzusteigen lohnt sich. Die Aussicht ist phantastisch:


(Bild vom kulturflaneur)

Die Felstritte und Leichtmetall-Treppchen dort oben brachten mich aber mächtig ausser Puste.

Ich bin früher eine ausdauernde Bergziege gewesen. Dass ich 200 Meter Höhenunterschied mit krebsroter Birne bewältigen musste, fand ich blamabel. Ich hatte sogar Herzrasen! Und neben mir hüpften tschechische Touristen wie Rehlein gipfelwärts.

Einmal oben erforschte Herr T. auch noch den letzten Felszacken. Frau Frogg dagegen blieb im Bereich mit den schwindelpatientensicheren Geländern, blickte übers Land und fragte sich: Was ist bloss mit mir passiert?

Ich musste mir eingestehen: Es ging um die Frage, wie viel ich mir im Alltag abverlange. Wegen meiner Menière-Erkrankung neige ich dazu, meine Grenzen nicht allzu forsch auszutesten. "Sie brauchen genug Erholungszeit, sonst kippt ihr gutes Ohr", hat ein Arzt einmal zu mir gesagt - und ich nickte, denn das wusste ich bereits aus Erfahrung. Allerdings hätte ich es selber nicht in so simple Worte fassen können.

Dazu kamen merkwürdige Fussschmerzen im letzten Herbst. Eine richtige Diagnose dafür habe ich nicht gesucht. Ganz weggegangen sind sie aber auch nicht. "Ich werde eben alt", dachte ich. "In zwei Jahren bin ich 50." Und ging dazu über, auch meine Füsse - genau wie meine Ohren - etwas mehr zu schonen als früher.

Zwar habe ich immer noch einen Schrittzähler und lege meine 10000 Schritte im Tag zurück, meistens in der Stadt und mit gutem Schuhwerk. Damit hat es sich.

Zu wenig, stellte ich auf den Schrammsteinen fest.

Deshalb fasste ich dort oben einen Entschluss: "Ich werde jetzt ausprobieren, ob ich ein bisschen Konditionstraining aushalte", sagte ich mir. Schliesslich warteten in der sächsischen Schweiz noch weitere Berge auf uns. Ich musste wieder berggängig werden, wenn ich nicht im Tal versauern wollte. Länger als fünf Stunden dauern Wanderungen dort sowieso selten. Genug Erholungszeit blieb mir also täglich.

17
Jul
2013

Der Dichterfürst und die Touristen

Unserer zweiter Ausflug in der sächsischen Schweiz hatte wieder den Lichtenhainer Wasserfall zum Ausgangspunkt. Diesmal erregte er erst richtig meine Aufmerksamkeit.


(Quelle: www.lichtenhainer-wasserfall.de)

Man braucht den Lichtenhainer Wasserfall nicht selber zu fotografieren. Bilder von ihm sind dutzendfach auf dem Netz zu finden. Er ist eine Ikone, gewissermassen das touristische Herz der sächsischen Schweiz - mitsamt Zufahrt in einer schnuckeligen Bahn, Souvenir-Kiosk, Carparkplatz und einer ausgezeichneten Gaststätte.

Dabei wirft er seine vielfotografierte Wasserfülle meist nur dank eines raffinierten wasserbaulichen Tricks aus dem 19. Jahrhundert ab - einer kleinen Stauwand oberhalb des Falls. Man kann sie öffnen, wenn genügend Touristen da sind. Dann hüpft ein zuvor gestauter Wasserschwall die schätzungsweise zehn bis 15 Meter hohen Felsen hinunter.

Man wollte im vorletzten Jahrhundert eben, dass die Sächsische Schweiz - wie die richtige Schweiz auch - einen Wasserfall hat. Kitsch? Nein, finde ich. Eher eine köstliche Anekdote aus der Geschichte der Tourismusindustrie, die ja im 19. Jahrhundert erfunden wurde.

Allerdings beschäftigte mich die Frage, warum die deutschen Früh-Touristiker einen Wasserfall zur Verschweizerung ihres Produkts wählten. Klar, ein Gletscher wäre technisch zu aufwändig gewesen. Aber warum nicht eine Käserei? Oder Kuhglocken?

Auf unserer Wanderung zu Kuhstall - die eher ein Sonntagsspaziergängli war - ging mir plötzlich das Licht auf: Natürlich! Wegen Goethe! Schliesslich war Johann Wolfgang von Goethe einmal in der Schweiz auf Reisen. Und was brachte der Dichterfürst als bekanntestes Souvenir von dort mit? Genau: den Gesang der Geister über den Wassern! Ein Gedicht, zu dem ihn der Staubbachfall im Berner Oberland inspirierte.


(Quelle: wikimedia)

Nun ist der Staubbachfall fast 300 Meter hoch - sehr viel höher als derjenige von Lichtenhain.

Dafür erklomm der Vater der deutschen Klassik literarisch unerreichte Höhen. Und wer hätte gedacht, dass Goethe sogar an der Erfindung der deutschen Tourismus-Industrie beteiligt war.

Mehr zum Kuhstall gibts in einem ausgezeichneten Beitrag des Herrn Kulturflaneur.

14
Jul
2013

Soll man dort reisen?

Soll man in einem Unwettergebiet reisen? Diese Frage stellte ich mir nicht zum Erstenmal, als ich die Schäden in Bad Schandau sah. Fragte man die Leute, die in der Sächsischen Schweiz in der Tourismusbranche tätig sind, so lautete die Antwort unumwunden: "Ja, kommt!" Denn sie leben von den Touristen. Die wollen nach solchen Schäden nicht auch noch die Einnahmen eines Sommers verlieren. Ich hatte also kein schlechtes Gewissen, dort zu sein. Wir taten unser bestes und konsumierten.

Natürlich kann man nun den Einwand vorbringen, dass der Konsum eine Geisel unserer Zeit sei und die Welt in den Untergang treiben wird. Aber ich fand den Zeitpunkt für solche Einwände gerade nicht so glücklich gewählt.

Für mich gab es eine zusätzliche Schwierigkeit. Ich brauche viel Ruhe. Sonst werde ich schwerhörig. Keinesfalls werde ich meinen Urlaub dazu missbrauchen, das labile Gleichgewicht der Flüssigkeiten in meinem Innenohr vorsätzlich aus dem Lot bringen. Also suchten wir uns überschwemmungsfreie Räume.

1) Wir suchten die Höhe. Dort ist die Landschaft unversehrt - und grossartig.


(Von unserer ersten Wanderung vom Kirnitzschtal hinauf nach Mittelndorf und Altendorf, Blick auf die Affensteine).

2) Ich erklärte unsere Ferienwohnung zur heilen Welt. Der Kulturflaneur hatte zum Glück eine Wohnung mit gemütlicher Terrasse gefunden. Weil uns das Wetter hold war, verbrachten wir dort viel Zeit. Wir lasen, wir schrieben, wir lagen an der Sonne.

3) Mit der Zeit lernten wir, keine rotweissen Absperrungen zu missachten. Wir versuchten, nicht zu gaffen und nur wenig zu fotografieren.

Wir hätten auch mal aufräumen geholfen, wenn es sich ergeben hätte. Aber es hat sich nicht ergeben. Die Sachsen sind tüchtige Leute. Die halfen einander selber.

Und tatsächlich: In Bad Schandau stabilisierte sich nicht nur mein Gehör sehr schnell. Wir verbrachten dort auch eine sehr gute Zeit.
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Journal einer Kussbereiten

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