13
Jul
2013

Gespenstische Szenen

"Wasser ist etwas Schreckliches. Aber wir leben davon", sagte unsere Vermieterin in Bad Schandau. Wir lernten schnell, wie sie das meinte - jedes Wort davon.

An unserem ersten Abend drehten eine kleine Runde im Städtchen. Wir wollten unseren Ferienort auschecken. Wir schrieben den 14. Juni. Aus unserem Spaziergang wurde eine Schadensbesichtigung.

Wir sahen gespenstische Szenen in einer menschenleeren Stadt. Mittendrin ein leeres Haus mit offenen Türen und Fenstern. Im Erdgeschoss ein Kaminfeuer. Niemand da.

Bad Schandau ist ein schmucker Urlaubsort am Elbufer. Es gibt dort grosse Hotels, Restaurants, Eisdielen, Kurhotels, Souvenirläden. So sieht der Marktplatz normalerweise aus.


(Quelle: s2.germany.travel)

An jenem Abend aber war der Platz mit rotweissem Band gesperrt. Alles geschlossen, überall Schlammreste, eingedrückte Schaufenster, Sperrgut. Die Flut hatte hier die Ladengeschosse mannshoch mit braunem Wasser gefüllt. Um ein schickes Hotel herum standen Spundwände aus Leichtmetall. Es scheint nichts genützt zu haben. Das Hotel war leer, und zwar von der Tiefgarage bis zum vierten Stock. Kurz vor der Hochsaison.

Auch der Kurpark lag stellenweise unter einer fussdicken Schicht Schlamm.

Das erste Mal in diesen Ferien dachte ich: "Ich will nach Hause." Dass ich so etwas denke, ist nichts Aussergewöhnliches. Letzten Sommer im vergleichsweise heilen Tessin habe ich jeden Abend und manchmal auch am Morgen gedacht: "Ich will nach Hause." Letztes Jahr war kein gutes Jahr für mich. Schwamm drüber.

Dieses Jahr war es das letzte Mal, dass ich nach Hause wollte. Ich begriff, dass ich Strategien brauchte, um mich gegen das Grauen über eine solche Katastrophe zu schützen. Ich fand sie auch. Dazu später mehr.

11
Jul
2013

S-Bahn ins Katastrophengebiet

Die S-Bahn fährt am 14. Juni im Schritttempo in die sächsische Schweiz. Als müsste sie sich vortasten. Die Katastrophe ist vorbei, aber man sieht ihre Spuren überall. Der Zug fährt nur alle zwei Stunden, zusteigen in Pirna.


(Quelle: www.saechsische-schweiz-touristik.de)

Die Elbe ist angeschwollen und grünlichbraun."Wie der Amazonas", sagt der Kulturflaneur. Schnell lernen unsere Augen, an den Flussufern den Höchstpegelstand abzulesen. Er war da, wo die Grenze zwischen verschlammten und grünen Wiesen verläuft. Ich sehe wenig Grün an diesem Tag. Viel Schlamm. Viel Grau.

Überall stehen die Erdgeschosse der Häuser leer und die Fenster offen. Menschen arbeiten mit Kärchern. In Bad Schandau ist Endstation. Hier hat der Kulturflaneur uns eine Ferienwohnung reserviert - auf der anderen Elbseite, im Städtchen.

Die Fähre ist noch ausser Betrieb, die Fährstation überschwemmt. Aber wir haben Glück und erwischen einen Bus. Und weil die Busstation Elbkai auch überschwemmt ist, hält der Bus weiter oben. Direkt vor dem Haus mit unserer Ferienwohnung.

Unsere Vermieterin heisst Frau Krieger und erzählt, als wolle sie sich die Flut vom Leib reden: wie das Wasser die Strasse hochkam, bis 20 Meter vor ihrem Haus. Der Schrecken ist ihr noch immer ins Gesicht geschrieben. Ich höre gut an diesem Tag, und ich höre ihr zu wie gebannt.

Es sei gut, dass wir trotzdem gekommen seien, sagt sie. Touristen seien überhaupt willkommen. "Wir leben ja von den Touristen. Ja, früher gab es hier noch Fabriken. Aber die sind alle nach der Wende zugegangen. Jetzt sinds nur noch die Touristen." Eine Handbewegung sagt uns, dass sie das für ein heikles Klumpenrisiko hält - dazu noch mit so einem Wetter.

Sie hat uns Semmeln gekauft. "Brot gibts jetzt wieder, in einem Wagen vorne bei der Kreuzung. Und der Fleischer ist offen. Und der Lidl. Und die Getränkestation." Die Getränkestation legt sie uns besonders ans Herz. "Da gibts auch Milch." Und Restaurants... ja, da sei alles geschlossen. "Ausser der Bären. Der hat wieder offen."

Als sie gegangen ist, essen wir dankbar ein paar Semmeln. Wir haben Hunger. Dann gehen wir einkaufen. Als wir aus dem Haus gehen, betrachte ich nachdenklich die Ausgänge. "Sind das gute Fluchtwege?" frage ich mich. Aber dann verdränge ich den Gedanken.

Wir gehen zum Fleischer und zum Gemüseladen, der auch wieder geöffnet ist und mit Erdbeeren lockt. Und dann zu Lidl. Wir kaufen ein, als würde es morgen verboten.

10
Jul
2013

Wie das Hochwasser riecht

Am 13. Juni lernte ich, wie das Elb-Hochwasser riecht. Es riecht nach totem Fisch. Kein strenger Geruch, er ist einfach da, wie dünner Nebel. Und dann ist da eine modrige Note. Sie lässt nur leise die Ahnung aufkommen, dass diese Fluten auch den Inhalt einiger Kläranlagen mitgerissen haben könnten.

Ich war dabei, im Hotel in Dresden Elbschlamm von meinen Schuhen zu putzen. Selber schuld. Wir hatten eine Spaziergang zum Blauen Wunder gemacht. Der Elbe entlang. Zugegeben, es war eine dumme Idee. Wir sahen ja, dass das Wasser noch hoch stand. Und gaffen wollten wir nicht.

Aber die Wege der Elbe entlang waren wieder frei - naja, fast alle.


Wobei diese Stelle beim Rosengarten leicht zu umgehen war.

Und es war einfach zu warm, um ins Museum zu gehen. Es war der erste Sommertag diese Jahres, schwül, und ich war wie erschlagen. Mein Enthusiasmus der ersten Tage hatte sich verflüchtigt. Das Grün und der Duft des Rosengartens waren eine Wohltat. Nur der Senkgarten bot ein trauriges Bild.



Es symbolisiert für mich am besten, was mich an dieser Flut so fassungslos gemacht hat: Das war nicht einfach eine Überschwemmung. Da zerstörten Naturgewalten seit Jahrzehnten und Jahrhunderten sorgsam kultivierte Stadtkerne. Orte, wo die ahnungslose Fremde sie für gebannt gehalten hätten.

Nun gut, die Sachsen haben zum Teil gelernt, mit solchen Fluten umzugehen. Und wir beschlossen, uns nicht ins Bockshorn jagen zu lassen und spazierten.

Erst am Albrechtsberg kamen wir nicht mehr weiter. Vor uns ein Schlammsee. Hinter uns ein langer Weg zurück. Wir wählten den Schlammsee - und verdreckten unsere Schuhe. Zudem mussten wir hier auf die Hauptstrasse abbiegen. Wir reinigten uns vorher mit Blättern, so gut es ging. Für den Rest der Strecke nahmen wir den Bus.

Der Kulturflaneur entdeckte dann noch die Dresdner Bergbahnen in Loschwitz. Ich eine wunderschöne Aussicht.



Und dann lag das Blaue Wunder vor uns.



Stolz überquerten wir die Brücke. Erst hier merkte ich, wie erschöpft ich war. Danach musste ich erst mal ins Hotel zurück, mich ausruhen. Und meine Schuhe putzen.

So verpassten wir das grüne Gewölbe, die alten und alle neuen Meister und weitere Schönheiten von Dresden.

Aber vielleicht gibt es ein nächstes Mal.

9
Jul
2013

Dreimal Dresden

Wir standen auf der Kuppel der Frauenkirche in Dresden. Der Atem der Geschichte hauchte uns über den Rücken. Ich habe noch nie auf einem Gebäude gestanden, das so heftig den historischen Extremwetterlagen des 20. Jahrhunderts ausgesetzt gewesen ist wie die barocke Kirche hier links im Bild.


(im Vordergrund die ramponierten Zeugen der meteorologischen Extremwetterlage von Anfang Juni)

In ihrem Innenraum ist es, als hätte man dem Schaudern mit einer gemütlichen Innendekoration begegnen wollen. Zu gemütlich für ein Gotteshaus, finde ich. Aber wer auf sie hinaufsteigt, begreift beim Blick auf die Stadt die grossen Zusammenhänge: Wie die Kirche am 13./14. Februar 1945 auf Dresden im Bombenhagel und Feuerinferno blickte und standhielt - nur um einen Tag später wie vor Schmerz in sich zusammenzufallen. Wie die Ruine zu DDR-Zeiten Gedenkstätte und Mahnmal für den Frieden wurde - und (ab hier edit): ab 1982 zu einem Austragungsort jener Friedens-Demonstrationen, die das Ende der DDR herbeiführten (edit Ende). Und dann der glorreiche Wiederaufbau...

Müsste ich den kürzesten und besten Rundgang um Dresden beschreiben - er würde der Balustrade des Frauenkirchenturms entlangführen.

Auch begeistert war ich vom Zwinger - seiner unendlichen, russgeschwärzten Barock-Spielerei (meine besten Bilder und mehr beim kulturflaneur).

Und auf dem Weg zurück in die Neustadt grüssten wir August den Starken, den Star unter den sächsischen Fürsten. Er hat viel von dieser Pracht überhaupt erst erschaffen lassen.



Danke August!

Alles andere mussten wir links liegen lassen - vielleicht kommen wir ja wieder. Nur dem Blauen Wunder statteten wir noch einen Besuch ab. Darüber später.

8
Jul
2013

Dresden für Kurzentschlossene

Eigentlich hatten wir die sächsische Hauptstadt erst Ende Juni besuchen wollen. Aber weil die grosse Flut unsere Ferienwohnung in der sächsischen Schweiz zugeschlammt hatte, mussten wir improvisieren. Wir zogen schon am Mittag des 12. Juni ins Hostel Louise 20 in der Dresdener Neustadt ein - ein Wunsch-Logis des Herrn T.

Mehr als zwei Nächte wollte man uns dort jedoch partout nicht unterbringen. Denn zwei Tage später begann das grosse Fest der Bunten Republik Neustadt. Da waren sämtliche Zimmer reserviert. Wirklich: Fluten, Feste, was willst Du mehr!?

Wir hatten also genau eineinhalb Tage Zeit für das grosse Elbflorenz. Viel zu wenig

Zum Glück hatten wir zwei Reiseführer, die beide mit Kurzaufenthalter-Banausen wie uns gerechnet hatten. Ihre Handlungsanweisungen waren allerdings bemerkenswert unterschiedlich.

Christine von Brühl beschreibt einen Rundgang von der Canaletto-Brücke über die Brühl'sche Terrasse (Bauwerk eines ihrer Urahnen) - und dann durch die üblichen Sehenswürdigkeiten wie Frauenkirche, Zwinger und Semperoper. Das Gute an diesem Spaziergang sei, dass "man anschliessend wieder abreisen kann", schreibt sie. Wer das alles gesehen habe, sagt sie "hat Dresden begriffen. Hier steckt die Seele der Stadt." (S. 24)

Detlef Krell, Autor dieses Buches seinerseits, macht die so genannte Käseglocke zum Nabel für eine Kurzbesichtigung von Dresden. Sie ist das Strassenbahn-Wartehäuschen am Postplatz. "Einmal um die Käseglocke der Stadt herum führt der kürzeste Stadtrundgang. Auf den 60 Schritten werden nicht nur einige der stadtprägenden Bauwerke sichtbar, sondern die zerrissene Seele der Stadt, das bewahrte und rekonstruierte Alte, das Neue zwischen Improvistaion und Vision, die Geschäftigkeit des Alltags". (S. 261)

Was also tun? Wir kamen sowieso über die Canaletto-Brücke und stritten ein bisschen. Ich fand die Beschreibung von Herrn Krell verlockender. Herr T. ging kurz weiter und warf einen Blick auf die inmitten von Schienen völlig verloren aussehende Käseglocke.


(Quelle: http://mw2.google.com)

"Kommt überhaupt nicht in Frage", sagte er und folgte der Brühl'schen Anweisung. Ich folgte meinem Mann. Ausnahmsweise.

Ich weiss nicht, ob ich Dresden begriffen habe. Aber bereut habe ich es nicht.
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Journal einer Kussbereiten

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