7
Jul
2013

Die Planwirtschaft

Da sitzen wir nun, im lauschigen Garten der Dresdener Planwirtschaft. Nicht nur der Name und der Dekor des Restaurants erinnern ostalgisch-ironisch an die DDR - die Speisekarte ist ein Lehrstück über die sächsisch-sozialistische Küche.



Vom Schweinebraten mit Semmelknödeln und Rahmwirsing (im Bild) über die Soljanka bis zum Moskauer Eis. Ohne Dogmatismus allerdings. Es gibt auch Flirts mit dem imperialistischen Todfeind: beim Caesar Salad etwa.

Klar, dass wir als Schweizer Touristen auf das Lokal fliegen, einfach weil es an die DDR erinnert. Auch für uns war der Fall der Mauer das historische Ereignis unserer jungen Jahre. Die DDR weckt unser Interesse, unsere Neugier. Kennen tun wir sie nur aus Filmen wie Goodbye Lenin oder Das Leben der Anderen.

Jetzt, wo wir wirklich im deutschen Osten sind, erleben wir Ostalgie - oder dann eine gewisse Verschwiegenheit über die DDR. In der Tonbildschau über die Geschichte des Meißener Doms etwa heisst die DDR-Zeit „die schwierige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg“ und ist genau einen Satz wert. Immerhin haben wir bereits gelernt, dass die DDR nicht einfach ein graues Land mit grau verputzten Häusern und zwangsläufig verschwiegenen Menschen war. Wir haben gelernt: Es gab auch damals einen florierenden Tourismus in der sächsischen Schweiz. Und es gab Kinder, die Dampferfahrten auf der Elbe liebten.

Und es gibt in der ehemaligen DDR Landschaften, die für unsere Augen erstaunlich unberührt wirken. Jedenfalls im Vergleich zu jenen bei uns Hause. In der Schweiz herrscht ja selbst in Erholungsgebieten Dichtestress (und ich betone: Daran sind nicht die Ausländer schuld, sondern häufig der einheimische Mittelstand mit seinen Zivilpänzerli* und seinen ungezogenen Wauwaus).

Die Ruhe in Sachsen finde ich dagegen ja so erholsam! Allerdings haben meine Freunde mich gelehrt, sie auch als ungemütliches Zeichen mangelnder wirtschaftlicher Dynamik zu verstehen – eine Hypothek aus DDR-Zeiten. Genau wie die Tatsache, dass dort viele wunderschöne Bauten aus der Gründerzeit verfallen.

Hier etwa an guter Lage in Meißen - eine Folge unsicherer Besitzverhältnissen und der Abwanderung nach der Wende. 1984 hatte etwa Meißen noch 38000 Einwohner. 2010 waren es knapp 28000 (Quelle: Wikipedia). Da können nicht einmal Ruinen-Romantiker in Begeisterung ausbrechen.

* Zivilpänzerli ist des kulturflaneurs Bezeichnung für Offroader.

6
Jul
2013

Berner Würstchen

An jenem Grillabend bei Frau Punctum in Dresden landete eine merkwürdige Wurst auf meinem Teller. Sie sah aus wie eine Kreuzung zwischen einem Wienerli und einer Cervelat - umwickelt mit Speck und gefüllt mit Käse: "Das ist ein Berner Würstchen", behaupteten unsere sächsischen Freunde.


(Quelle: autoimg.kochbar.de)

Schön und recht - aber ich hatte sieben Jahre in der schweizerischen Hauptstadt Bern gewohnt und dort nie ein solches Würstchen gesehen.

Allerdings hatte ich an einem regnerischen Tag des Herbstes 2004 in einem Kaffeehaus in Wien bereits erste Bekanntschaft mit so genannten Berner Würstchen gemacht. Sie standen auf der Speisekarte, und ich fragte den Kellner, was das denn sei. Das werde ich schon sehen, sagte dieser in indigniertem Ton. Ich war erstaunt - ich war gerade angekommen und wusste noch nicht, dass Kellner in Wien von Natur aus indigniert sind.

Nach schier endloser Wartezeit stellte er mir einen Teller mit einem schrumpeligen Pärchen Wienerli auf den Tisch. Ob da Speck und Käse war, weiss ich nicht mehr. Das waren also die Berner Würstchen! "Wahrscheinlich hatten die Wiener einfach dumme Witze über ihre Würstchen satt und haben sie kurzerhand verschweizert", dachte ich.

Erst Google hat mich über meinen Irrtum aufgeklärt: Berner Würstchen sind nach ihrem Erfinder benannt, der Erich Berner hiess und im österreichischen Zell am See eine Gaststätte hatte.

Wir Schweizer sollten nicht immer alles so persönlich nehmen!

4
Jul
2013

Ein wunderbares Gastmahl

An unserem dritten Abend hatte Frau Punctum ihre Nachbarn zu einem Grillfest eingeladen. Ich gestehe es: Ich blickte der Sache mit Sorge entegegen. Nach vorübergehender Besserung zog mein Ohr einen schlechten Abend ein. Doch ich beschloss, mich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Und, Freunde, glaubt mir: Es war ein grossartiger Abend. Unser bester in Sachsen, ein wunderbares Gastmahl: opulent und reich an Geschichten - und was haben wir gelacht!

Herr Punctum warf den Grill an. Und nach und nach kamen sie über die Wiese vor dem Haus, die Nachbarn. Alle brachten etwas mit: eine Schüssel Salat oder Tzatziki, einen Kasten Bier. Frau Frogg und Herr T. steuerten Käse und Schokolade bei.

Es begann mit leichter Konversation, und doch war irgendwann Platz für alles und jedes. Wir plaudierten über die Schweizer und das Schweizerdeutsche. Über Käse und Berner Würstchen. Über Sachsen. Über die Kinder, die der Schule fernblieben, weil die Schulbusse hochwasserbedingt zu lange im Stau stehen blieben. Über die mangelnde Hilfsbereitschaft gewisser bootbewehrter Fluthelfer. Über eine schwierige Geburt. Über eine Schnellkutschenverbindung. Und Dinge, die ich nicht verstand, weil ich nun einmal vieles nicht verstand. Aber das war gar nicht so schlimm.

Bald lernten wir unsere ersten sächsischen Vokabeln. "Hallö!" und "Nu!" - Ein Getränk namens Hugo floss in Strömen und half bei der Aussprache der ungewohnten Vokale.

Ich begriff: Nachbarschaft ist dort nicht dasselbe wie bei uns in Frogg Hall. Klar, wir mögen unsere Nachbarn in Frogg Hall - aber wir messen die Distanz zwischen ihnen und uns sorgfältig ab. Wir sind Nachbarn. Nicht mehr. Dort aber erlebten wir Nachbarn, die einander nahe waren. Ohne Frage.

Kurz - es war sehr schön! Ich winke ihnen über die ganzen 600 Kilometer zu, unseren sächsischen Freunden. Dankbar und glücklich!

3
Jul
2013

Der Königstein-Schock


Am 11. Juni spazierten über diesen idyllischen Landstrich in der Umgebung von Dresden. Wir waren glücklich - niemand hätte gemerkt, dass wir schon einen kleinen Schock hinter uns hatten.

Am Morgen desselben Tages hatten wir auf die Tourismus-Hotline der sächsischen Schweiz angerufen, wo wir am nächsten Tag hinfahren wollten. Wir hatten eine Wohnung in Königstein gemietet. Wir sollten unbedingt kommen, sagte uns die Frau am Telefon. Die Lage normalisiere sich allmählich. Einkaufen könne man wohl bei Eduscho. "Oder vielleicht in Pirna", sagte sie, "Ach, Sie haben kein Auto?! Hm... da müssen Sie mit dem Zug hinfahren. Ja, es fährt jetzt wieder alle zwei Stunden eine S-Bahn. Aber vom Bahnhof Pirna müssen Sie dann auch ein Stück gehen. Die Gegend dort war überflutet."

Herr T. und ich sahen einander nachdenklich an. Dann rief er unseren Vermieter in Köngstein an, Herrn Kämmerer. Wir wussten ja: Unsere Ferienwohnung hatte die Flut der ersten Junitage unbeschadet überstanden. Wir würden da hinfahren.

Doch es kam anders. Das Gespräch war kurz, aber merkwürdig. Am Schluss stotterte Herr T. zu Herrn Kämmerer, es tue ihm leid. Sehr leid. Dann hängte er auf und berichtete: "Alles war gut bis am 9. Juni. Und dann kam am Sonntagabend ein Hagelwetter und zerstörte die Wohnung. Sie ist unbewohnbar. Wir können da nicht hin."

Ja, das sei das Hagelgewitter gewesen, das wir aus dem Flugzeug als harmloses Gewölk von oben gesehen hatten, erklärte uns Frau Punctum. Es hätte in der sächsischen Schweiz nochmals grosse Zerstörungen angerichtet. Welch ein Schrecken für jene, die geglaubt hatten, sie hätten das Schlimmste schon hinter sich!

Herr T. und ich waren ratlos. Was sollten wir jetzt tun? Und wir rätselten: Wie kann ein Hagelgewitter eine Wohnung total zerstören? Wir würden es noch herausfinden. Doch dazu später.

Frau Punctum riet uns, eine neue Wohnung in Bad Schandau zu suchen. Das sei auf derselben Elbseite wie der Nationalpark. Da seien wir schon mal näher dran. Es war ein guter Rat, wie sich zeigen sollte. Doch davon später mehr.

1
Jul
2013

Das scharfe S

Aufmerksame Leser meiner letzten Beiträge haben vielleicht bemerkt, dass ich "Meißen" nicht immer gleich geschrieben habe. Bevor wir dort waren, hiess es bei mir jeweils "Meissen". Ich sagte mir: Mit Manierismen wie dem "ß" fangen wir hier gar nicht erst an.

Danach aber schien es mir kulturlos, die sympathische Stadt an der Elbe ihres Grundrechts auf ihren korrekten Namen zu berauben.

So suchte ich das "ß" auf meiner Tastatur, konnte es aber nicht finden. Kein Wunder: Ich verwende eine Schweizer Tastatur, und wir Schweizer kennen kein "scharfes S". Als ich die Regeln für seine Verwendung nachschlug, verstand ich auch, warum: Das "ß" wird für das stimmlose "s" verwendet. Also für das "s" in Fußball zum Beispiel. Das stimmhafte "s" schreiben die Deutschen wie wir. Aber das ist eine Unterscheidung, die wir in der Schweiz gar nicht brauchen. Denn wir kennen überhaupt nur stimmlose Konsonanaten.

Ich glaube nicht, dass viele Schweizer wissen, was stimmhafte Konsonanten sind. Dabei ist es nicht so schwierig, einen solchen hervorzubringen. Kurzanleitung: Man spreche das Wort "Hase" wie ein Deutscher aus - und zwar so, dass das "s" leicht kräuselt in der Nase. Dann ist es stimmhaft.

Einige deutsche und österreichische Leser denken nun bestimmt, wir Schweizer hätten eine einfältige Sprache. Da widerspreche ich vehement! Das Schweizerdeutsche besteht aus Dutzenden, charmanten Dialekten und einigen wenigen Halskrankheiten. Jeder Dialekt hat seine eigene Stellung in unserem Dialekt-Kosmos und seine eigenen Kuriositäten. Das Berndeutsche zum Beispiel hat nicht weniger als 23 Vokale. Das ist rekordverdächtig. Das Hochdeutsche hat laut Wikipedia nur deren 15. Zum Glück ist Berndeutsch keine Hochsprache und wird selten geschrieben. Wir bräuchten sonst eine grössere Tastatur.

Für das "ß" dagegen gibt es ja copy/paste.
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