30
Okt
2011

Feministische Selbstzerfleischung



Eins muss ich diesem Buch zugestehen: Es hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich habe es im Juni gelesen. Dieser Tage sah ich, dass auch frau chamäleon es liest. Sofort befiel mich der Frust von damals. Mein letzter Gedanke über das Werk war gewesen: "Egal, was eine Frau tut - Frau Mika wird sie es nicht recht machen können. Zum Glück müssen wir es Frau Mika nicht recht machen." Diese Reaktion kann nicht Ziel einer so genannten feministischen Streitschrift sein.

Hier noch eine Vorbemerkung: Ich habe nichts gegen Feministinnen. Ich bin selber eine - oder einmal eine gewesen. Leider ändert Mika nichts an der Zwiespältigkeit meiner Haltung. Im Gegenteil: Sie übt die weibliche Selbstzerfleischung. Und ich bezweifle, dass uns das weiter bringt.

Frau Mika bezichtigt die Frauen pauschal der Feigheit und der Komplizenschaft mit dem Patriarchat. Sie erzählt von gut ausgebildeten, müssig gehenden "Latte-Macchiato-Frauen", die ihre Männer Karriere machen und Kohle anschleppen lassen. Von heiratswütigen 25-Jährigen. Von einer jungen Forscherin, die ein Stipendium in Oxford ausschlägt, um bei ihrem Partner bleiben zu können. Sie scheint nur strohdumme Frauen zu kennen.

Ich kenne keine solchen Frauen. Ich kenne nur eine einzige Frau unter 65, die nicht einer Erwerbsarbeit nachgeht. Natürlich, fast ausnahmslos bringen ihre Männer mehr Geld nach Hause. Aber so ist das nun mal im Patriarchat. Ich habe noch diesen Kadermann im Ohr, der zu mir sagte: "Wieso sollen wir einer jungen Frau den gleichen Lohn zahlen wie einem jungen Mann? Oft sieht man ja schon beim Vorstellungsgespräch, dass eine bald schwanger wird." Und das war nicht 1956. Das war im April 2011.

Ich kenne ausschliesslich Frauen, die versuchen, mit ihren Talenten etwas anzufangen. Oder wenigstens in Würde Geld zu verdienen. Die einen als Putzfrauen, die anderen als Journalistinnen; die einen im Schulwesen, die anderen als Coiffeusen oder Kantinenfrauen. Einige wenige im Kader, die meisten als ganz gewöhnliche Arbeitsbienen. Frau Mika glaubt vielleicht, dass jede von uns zur Chefredaktorin oder zur Betriebsrätin geboren ist. Aber sie irrt sich.

Natürlich: Die meisten von uns sind irgendwann in die eine oder andere Falle des Patriarchats gestolpert: die Erwartung, dass man unbedingt einen Partner haben muss. Dass man für ihn Dinge aufgeben sollte. Und dann die ganze Sache mit den Kindern... Aber jede Frau, die ich kenne, versucht redlich, diese Fallen zu umgehen. Oder wieder aus ihnen hinaus zu kriechen. Wir alle wursteln uns durch – mal besser, mal weniger gut.

Leider sieht Frau Mika genau, was wir schlecht machen. Wie wir es besser machen könnten, darauf weiss nur wenige Antworten.

26
Okt
2011

Schwerhörig Musik hören

Eins muss ich vorausschicken: Wenn ich über meine Schwerhörigkeit klage, dann jammere ich auf hohem Niveau. Auf dem linken Ohr habe ich zwar mindestens 20 Dezibel Hörverlust auf allen Frequenzen. Aber auf dem rechten habe ich an guten Tagen immer noch das Glück eines tiptopen Gehörs. Nur an schlechten Tagen zerbröseln mir auch auf dem rechten Ohr die Bassriffs. Tiefton-Schwerhörigkeit. Typische Begleiterscheinung einer Menière-Erkrankung. Und nach einer Krise klingen manchmal alle Töne so verzerrt, dass ich tagelang die Jingles auf Radio DRS nicht wiedererkenne.

An solchen Tagen stellen ich mir jeweils die Frage: Kann ich die Erinnerung an Musik irgendwie konservieren? Werde ich es so weit bringen, dass ich im Kopf Musik hören kann, wenn ich einmal taub bin?

Einige von Euch werden mich jetzt auf Oliver Sacks verweisen. Er beschreibt in "Der einarmige Pianist" Menschen, die nach einer Ertaubung ganze Sinfonien hörten. Gerade so, als würden sie sich in ihrem Hirn von selber abspielen.

Aber mein Gehirn funktioniert nicht so. Jedenfalls bis jetzt nicht. Mein Gehirn erinnert sich nur an Songfetzen - die mir DJ Philemon dann auch wiederholt - oft genug als müdes Geleier. Niemals ist das so schön wie richtig Musik hören. Und wenn ich nur schon herauszufinden will, wie der ganze Song geht, bedarf es einer Willensanstrengung. Ich habe das Phänomen hier beschrieben.

Ja. Wenn ich Musik höre, bin ich dem lieben Gott nahe. Aber wenn ich Musik verstehen oder gar machen soll, schwanke ich zwischen Begriffsstutzigkeit und Pedanterie. Obwohl ich Noten lesen kann und einmal leidlich Gitarre gespielt habe. Nichts finde ich so langweilig wie Takte zählen oder Riffs memorieren.

Immerhin habe ich mittlerweile herausgefunden, dass nicht alle Popsongs im Viervierteltakt geschrieben sind. Der hier hat zum Beispiel einen Fünfvierteltakt im Hauptteil. Glaube ich jedenfalls. Hübsch.



Und neulich war ich auf dem Nachhauseweg vom Büro. Ich ging gerade am Garten von Frau Kurzhubermüller vorbei. Da hörte ich plötzlich einen Fetzen von Miles Away von The Young Gods. In meinem Kopf. Diesen weichen Gitarrensound, diese biegsame Stimme. In ihrer ganzen Intensität.

Vielleicht geht es doch.

22
Okt
2011

Was soll ich tun?

Eigentlich wären wir unterwegs in die Ostschweiz - zu meinem Bruder. Er hat uns schon vor längerer Zeit eingeladen. Aber ich musste absagen. Meine Ohren schwächeln. Viel Stress im Büro dieser Tage. Da liegt keine lange Zugfahrt drin, kein Übernachten auswärts. Da muss ich auf meine innere Stimme hören. Sie sagt: Bleib zu Hause und sammle Deine Kräfte.

Irgendwo habe ich gelesen, dass sich chronisch Kranke häufig total von ihrer Umwelt zurückziehen. Der Autor hatte wenig Verständnis für solches Gebaren. Gerade kranke Menschen sollten ihre Situation nicht noch erschweren, indem sie sich isolierten, schien der Subtext zu lauten. Wahrscheinlich hat er noch nie einen Hörsturz in einem Zug gehabt. Hat noch nie erlebt, wie der Lärm des Zugs immer gurgeliger wird. Oder eine Turmarkin-Attacke auf dem Trottoir mitten in der Nacht gleich neben dem Fussgängerstreifen. Hier habe ich beschrieben, wie sich das anfühlt.

Bei Mia habe ich einmal eine gute Erklärung für Laien darüber gelesen, warum die Einsamkeit oft die anhänglichste Begleiterin einer chronisch erkrankten Person ist.

Nun habe ich ein freies Wochenende vor mir. Herr T. ist auch hier. Er hat sich erstaunlich gelassen seinem Schicksal gefügt. Jetzt lautet die Frage: Was soll ich tun? Was sollen wir tun?

Dazu schweigt meine innere Stimme.

Oh, verdammt! Ich wünschte, ich könnte reisen!

19
Okt
2011

Liebeserklärung an eine Stadt

Meine Spaziergänge führen sonst meist aufs Land. Dabei bin ich eine Städterin - und es wird Zeit, meiner Stadt Luzern hier meine Liebe zu erklären. Mit einem Spaziergang. Er führt durch das Hof-Quartier, mein liebstes Quartier. Eine Gegend, durch die viele nur hindurcheilen. Denn sie ertrinkt im Lärm des Durchgangsverkehrs und in Touristenfluten. Dabei weht der Hauch der Vergangenheit durch ihre Strassen. Man muss ihn nur einatmen. Und schon ist man auf Zeitreise durch die Vergangenheit.

011

Etwa beim fast vergessenen Memento Mori rechts im Bild. Zu Füssen des Gekreuzigten ruht ein einzelner Totenschädel - sorgfältig bemalt von jemanden, der sich nicht vom geschäftigen Mainstream rundum irre machen lässt.

Skull on Street Corner

Oder bei der Hofkirche. Sie gilt als kunsthistorisches Bijou und zieht deshalb hie und da ein paar Touristen an. Die gehen aber in die Kirche hinein - obwohl es dort eher unansehnlich ist. Ich dagegen verweile jeweils beim Nordturm, wo dieser Mann seit Jahrhunderten an der Welt verzweifelt.

012

Er ist Zeuge, wie Jesus von der römischen Soldateska gefangen genommen wird. Nach besonders mühsamen Arbeitstagen plaudere ich gern ein bisschen mit ihm - auch wenn meine Gründe zum Aufstöhnen weit weniger weltbewegend sind.

Um die Kirche herum ruhen in einem uralten Friedhof die Gebeine der vornehmen Luzerner des 18. und 19. Jahrhunderts: der Pfyffer von Altishofen, der Am Rhyns, Mugglins, der Stahlwerk-Besitzer von Moos und so weiter. Es ist ein stiller, luftiger Ort weitab vom Getöse der Welt. Mitten unter den Patriziern Luzerns liegen auch die ersten beiden Muslime, die in Luzern den Tod fanden. Sie hiessen Mussa ben Serier und Abd el Kader Ben Charchoz (wenn ich die verwitterte Inschrift im Stein richtig gelesen habe). Sie waren mit der Bourbaki-Armee 1871 aus Frankreich gekommen. Die Strapazen des Krieges und der Internierung brachten sie um. "Passant jetez une fleur aux enfants du desert", heisst es beim Gedenkstein.

Rührend ist auch das Denkmal, das ein Herr Willmann seiner 1840 verstorbenen Ehefrau Maria Anna, geborene Gassmann, gesetzt hat. Sie verschied mit 41 und liess ihn mit fünf Kindern zurück. Es steht bei einem Pförtchen an der Nordostecke.

Von hier gelangt man über eine Brücke in einen Park mit mächtigen Kastanienbäumen und einem nie genutzten Labyrinth aus Buchenhecken. Der Park hat bessere Zeiten gesehen - deshalb ist hier am richtigen Ort, wer Ruhe sucht.

Ruhe findet man auch beim Löwendenkmal. Natürlich nicht mitten am Nachmittag. Dann sieht es dort so aus.

023

Nein, man besuche den kleinen Park zur blauen Stunde, kurz nach Sonnenuntergang. Dann ist er meist verlassen und voll von einer grossen, stillen Melancholie. Aber das erzählt Ihr besser nicht weiter.

Auch die besten Restaurants im Quartier frönen der Vergangenheit. Der Lapin ist bekannt für seine gute Küche. Das Intérieur hat den verblassenden Charme eines Wiener Cafés. Mein eigentliches Stammlokal ist aber der Rebstock, direkt unterhalb der Hofkirche. In den Achtzigern war Vera Kaa hier Stammgast. Schon damals gab es dort einen Gourmet Poulet-Salat. Er war auch bei uns diätverrückten und stets abgebrannten jungen Frauen Mitte der Achtziger beliebt. Es gibt ihn heute noch, auch wenn schon lange ein neuer Wirt im Rebstock waltet. Nur wird er heute mit Truthahn gemacht.

15
Okt
2011

Putztag

Für alle, die jeweils am Samstag zum Putzlappen greifen (müssen). Denkt dran:

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