18
Sep
2011

Ein Blogger kommt zurück

Die Neuigkeiten aus der Bloggosphäre waren in letzter Zeit etwas deprimierend: acqua hat das Handtuch geworfen. Der kulturflaneur schweigt sich aus - er nagt an etwas Unsagbarem. Das Bloggen wird ja sowieso alle paar Wochen von irgend einem Medium totgesagt. Aber in letzter Zeit schienen diese Pessimisten doch tatsächlich recht zu bekommen.

Aber jetzt kommt die gute Nachricht: redder ist zurück. Ihr wisst schon: Der grossmäulige Zürcher mit der unvergleichlichen Selbstironie. Er hat sich hier auf Medienschelte verlegt. Frau Frogg freut sich und hofft, dass er das tägliche Gelaber auf allen Kanälen gründlich und gnadenlos seziert.

Und dazu noch ein bisschen Tanzmusik zum Sonntag. Die Band trägt ihren Namen "The Rapture" (die Verzückung) voll zu Recht:

17
Sep
2011

Spaziergänger-Roulette

Es herbstelt. Die Spazier-Saison hat begonnen. Doch heute war ich unschlüssig, wo mein Ausflug hinführen sollte. So entschied ich mich für eine Runde Spaziergänger-Roulette. Dieses Spiel geht so:

1) Ich begebe mich zum Bus-Perron Nummer 4 am Bahnhof Luzern. Von dort aus fahren die Busse in die entlegeneren Vororte unserer Stadt.
2) Ich werfe einen kurzen Blick auf die Tafel mit den Abfahrtszeiten
3) Dann nehme ich den nächst möglichen Bus. Egal wo er hinfährt. Unterwegs entscheide ich, wo ich aussteige
4) Von dort aus marschiere ich einfach los. Eine Wanderkarte habe ich dabei

Ein merkwürdiger Zufall verschlug mich auf die Nummer 61 Richtung Ettiswil. Genau in diese Richtung hat mich vor einer Woche auch der pedestriangeführt. Wie bei unserem gemeinsamen Spaziergang stieg ich an der Haltestelle Stächenrain aus. Das Besondere an dieser Station ist: Sie liegt im nördlichsten Zipfel der Stadt Luzern. Es sieht dort so aus:

neuenkirch 002

Und wendet man den Blick Richtung Süden, also stadteinwärts, erblickt man das hier:

neuenkirch 003

Ich fürchte, nun sind meine potenziellen Besucher aus Wien erschrocken. So ländlich haben sie sich Luzern denn doch nicht vorgestellt. Aber ich kann sie beruhigen: Luzern ist eine Stadt. Sie hat fast 77000 Einwohner und einen Hauptbahnhof mit 14 Gleisen. Sie hat eine hübsche Altstadt mit zwei H&Ms, zwei Starbucks-Läden und unzähligen Mode-Boutiquen. Sie hat eine trendige Neustadt, wo einheimische Designer ihre Lokale haben. Sie hat massenhaft Kultur. Und mehrere Verkersachsen mit den lahmsten Ampeln Europas. Jeden Abend bricht bis weit in ihre Vororte hinaus der Verkehr zusammen. Sie hat immer mehr astronomisch teure Wohnungen. Und sie hat vor zwei Jahren mit der Vorortsgemeinde Littau fusioniert. Seither gehört auch der Stächenrain zur Stadt Luzern.

Von hier aus startete ich. Allerdings wandte ich mich nicht stadteinwärts. Nein. Diesmal ging ich Richtung Norden. Mich reizte der Gedanke, dass ich von hier aus in die grosse Stadt Basel gehen könnte - wenn ich nur immer weiter und weiter ginge.

Zuerst fand ich aber nur mehr Wiesen, mehr Bäume und mehr Kühe. "Grüne Wüste" hätte der Herr kulturflaneur es wohl genannt. Und dann kam ich auch noch nach Neuenkirch.

Dort gibt es, wie mir scheint, keine anständige Ortstafel. Sondern statt dessen ein Plakat mit der Aufschrift "Schweizer wählen SVP". Ich habe darauf verzichtet, es zu fotografieren. Denn ich weiss: Die meisten meiner Leser können keine SVP-Plakate mehr sehen. Ich muss gestehen: Neuenkirch war mir sofort unsympathisch. Es macht einen auf heil und helvetisch. Als wäre hier - auf dem Land - alles besser. Aber es ist doch auch nur ein Vorort. Das merkte ich schnell, als ich es bergauf Richtung Wilistatt verliess: Oberhalb der Kirche gibt es einen dicken Einfamilienhaus- und Wohnblockgürtel.

Erst als ich ihn durchquert hatte, atmete ich freier. Auf den Hügeln dort oben betritt man eine andere Epoche. Dort oben sind die Bauernhäuser 400 Jahre alt, stattliche Anwesen auf fetter Erde. Der Blick auf den Alpenkamm ist gewaltig. Wer hier bauert, braucht sich nicht um die Polit-Geplänkel des 21. Jahrhunderts zu kümmern. Scheint es jedenfalls.

Plötzlich begriff ich, warum ich es dort oben so grossartig finde. Weil man dorthin vor der Gegenwart fliehen kann. Da erschrak ich über mich selber.

14
Sep
2011

Erschütterndes Buch

Dieses Buch hat mir Wanda empfohlen. Eine Bekannte, deren Urteil ich nicht restlos traue.
Der Klappentext verzichtet leider auf eine Inhaltsangabe. Und Wanda hielt sich auch noch an die Empfehlung des Verlags: "Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie Ihren Freunden davon erzählen wollen. Wenn Sie es tun, erzählen Sie Ihnen bitte nicht, was darin geschieht. Die Magie des Buches liegt darin, wie sich die Geschichte entfaltet." Deshalb war ich ein Jahr lang unschlüssig, ob ich es überhaupt lesen sollte. Das Buch kam daher, als enthalte ein gut erzähltes Geschichtchen mit dem intellektuellen Gewicht eines Tropfens Patschuli-Öl.

Aber jetzt habe ich es gelesen. In drei Tagen. Und ich stellte fest: "The Other Hand" ist eine brilliant und höchst unterhaltsam erzählte Geschichte. Aber eine Geschichte wie eine Faust in die Magengrube. Da schreckte wohl der Verlag vor zu viel Offenheit zurück. Man will die unterhaltungssüchtige Leserin ja nicht vom Kauf eines Buches abhalten, das unbequeme Fragen aufwirft.

Deshalb empfehle ich das Buch jetzt ausdrücklich zur Lektüre. Und ich sage die ungemütliche Wahrheit: "The Other Hand" ist ein Flüchtlingsdrama. Eine der beiden Heldinnen ist die junge Nigerianerin Little Bee. Sie ist eine Asylbewerberin in Grossbritannien. Ja, sie ist traumatisiert. Aber sie ist auch süss, gewitzt, sprachgewandt und kann gut mit kleinen Kindern - und, weiss Gott, sie hat selber kein blütenreines Gewissen.

Die andere Hauptfigur ist die Journalistin und Vororts-Mami Sarah. Vor ihrer Tür steht Little Bee eines Tages ohne gültige Papiere. Und hinfort müssen beide Frauen ständig existenzielle Entscheidungen treffen.

Das Buch tut genau das, was gute Literatur soll: Es führt uns in die Welt von Figuren, die wir im wirklichen Leben gar nie kennen lernen würden. Auch wenn sie viel für uns bedeuten. Und es wirft wichtige Fragen auf. Dieses hier lässt uns fragen: Was tun wir mit all diesen Menschen, die Hilfe suchend in unser Land kommen? Wie viel von dem, was wir haben, würden wir für sie hergeben?

Und: Es gibt keine pfannenfertigen Antworten.

11
Sep
2011

9/11

Auf den Tag genau vor zehn Jahren machte meine Bekannte, die Buchhändlerin, die Theorieprüfung für ihren Führerschein. Wenn man als Mittdreissigerin Auto fahren lernt, ist man ja eine komische Figur. Um bei den Kollegen nicht zu blöd dazustehen, büffelt man da ordentlich Theorie. Sie bestand mit Null Fehlern. Freudestrahlend kehrte sie gegen 16 Uhr ins Geschäft zurück. Sie platzte fast vor Mitteilungsbedürfnis. Aber ihre Kollegen klebten vor dem Fernseher.

Die Welt war gerade eine andere geworden.

Ich sass an jenem Nachmittag auf der Redaktion neben meinem Kollegen Herbert. Er war ziemlich nervös, denn er war eigentlich Wirtschaftsredaktor. Aber an jenem Tag hatte er Frontdienst. Er war zuständig für die wichtigsten News des Tages. Dafür fehlte ihm die Routine. Gegen 15 Uhr kam er mit einer Agenturmeldung. Damals wurden die noch von ständig ratternden Faxgeräten auf Papier ausgespuckt. Er sagte: "Da steht, ein Flugzeug wäre in einen der Twin Towers gedonnert. Seltsam." Ich schüttelte den Kopf: "Ach komm, das ist doch ein Witz! Das kann doch gar nicht sein!" Merkwürdigerweise hatten wir damals ausgerechnet auf der Frontredaktion noch keinen Fernseher. Zehn Minuten später kam Herbert mit weiteren Meldungen. "Das mit den Twin Towers scheint zu stimmen", murmelte er. "Na, dann habe ich ja meinen Frontaufmacher für morgen."

Dann wurde alles noch viel schlimmer als wir dachten.

Wie 9/11 die Welt für uns verändert hat, können wir kleinen Fische heute kaum beurteilen. Fest steht für mich nur eins: Falls der Tag überhaupt Chancen bot, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, hat niemand sie ergriffen.

Hochrisiko-Reise

Eigentlich würde ich heute nicht bloggen. Eigentlich wäre ich heute zu Besuch in einer phantastischen, alten Fabrikhalle auf dem Land. An einer Vernissage. Eigentlich würde ich dort viele alte Bekannte treffen und hätte grossen Spass.

Der Ausflug steht seit Wochen in meiner Agenda. Aber als ich heute aufwachte, schrien plötzlich alle meine Instinkte: "Bleib zu Hause! Du bist in den letzten Tagen viel zu viel unterwegs gewesen! Und eine Kaltfront naht! Und eine anstrengende Arbeitswoche! Lauter Risiko-Faktoren für einen Hörsturz. Sogar eine vierzigminütige Reise aufs Land ist da ein Wagnis."

Herr T. nickte. Er versteht meine Instinkte bald besser als ich selber. "Dann bleiben wir zu Hause", sagte er. "Ich habe sowieso keine Lust, in dieser düsteren Halle zu hocken."

Für alle, die mich nicht kennen muss ich hier anmerken: Vor einem Jahr war ich noch viel ängstlicher. Der Start der kulturellen Herbstsaison 2010 ging völlig an mir vorbei. Ich lebte wie eine Einsiedlerin. Wo immer ich auch war: Ich fürchtete stets den nächsten Hörsturz. Ich habe die Meniere'sche Krankheit auf beiden Ohren. Schon beim Gedanken an einen akuten Hörnachlass in einem geschlossenen Theatersaal bekam ich einen Anfall von Klaustrophobie. Selbst kürzere Zugreisen waren für mich der Horror.

Letzten Herbst entdeckte ich deshalb das Glück des einsamen Spaziergangs. Spaziergänge konnte ich nach Gutdünken dosieren. Das war gut für meine Ohren. Aber irgendwann begriff ich: Ich kann nicht den Rest meines Lebens sozial tot verbringen.

Ich kehrte unter die Menschen meines Städtchens zurück. Es war wunderbar. Man hat ja als Person eine gewissen Newswert, wenn man nach mehr als einem Jahr aus der selbst gewählten Verbannung zurückkehrt. Alle wollen mit einem reden.

In den letzten Tagen ist meine Agenda zum Bersten voll gewesen. Ich war drauf und dran, meine selbst aufgestellten Vorsichtsregeln in den Wind zu werfen: Unter Woche Ausgang höchstens bis 22 Uhr. An freien Tagen nicht mehr als eine Veranstaltung. Zwischendurch einen ruhigen Tag einlegen. Ein bisschen bloggen. Musik hören. Spazieren gehen. Fernsehen.

Das tut mir gut. Aber manchmal ist es wie im Gefängnis.

7
Sep
2011

46 - ein Bekenntnis

Als Dame spricht man vor auch männlichem Publikum nicht über sein Alter, findet frau frogg. Aber canela hat das Thema neulich aufgegriffen. Jetzt juckt mich eine Entgegnung in den Fingern. Und ich bin ja keine Dame. Also: Hier ist meine Antwort.

Ich bin seit zwei Monaten 46.

Schon vorher haben viele meiner Freundinnen angefangen, über das Klimakterium zu reden. Meistens bin nicht ich es, die das Thema anspricht. Mich schrecken die Wechseljahre nicht. Ich habe schon so viele Hörstürze überstanden. Ich werde auch mit ein paar Wallungen fertig werden. Irrtum vorbehalten.

Aber meine Freundinnen haben einen Drang, darüber zu sprechen. Vielleicht liegt es daran, dass viele von ihnen um die 50 sind. Vielleicht auch daran, dass meine Locken mütterlich angegraut sind und geradezu zu Bekenntnissen herausfordern.

Ich schwärme auch nicht von einer Musikperiode, die die beste gewesen sein soll. Aber ich höre gern Musik aus den späten sechziger und frühen siebziger Jahren. Ich finde: Ältere Musik ist wie gute Marmelade. Sie konserviert die Früchte der vergangenen Saisons - und lässt sie süsser schmecken als sie vielleicht gewesen sind. Aber ich mag auch frisches Obst.

Mit Alkohol bin ich vorsichtig geworden. Aber das hängt nicht mit meinem Alter zusammen.

Neulich sass ich mit meiner Bekannten Wanda (37) im Restaurant zur Blauen Traube. Sie sucht immer noch einen Mann für ihr Kind. Einen ganzen, ziemlich üppigen Sommersalat lang brachte sie mich auf den neuesten Stand über ihr intensives Internet-Dating. Am Ende war ich erschöpft und wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie wollte anfangen, über mich zu reden. Da sagte es mit mir: "Ich?! Weisst Du was?! Ich glaube, ich fordere jetzt das Recht ein, älter zu werden!"

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Freni - 28. Nov, 20:21
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Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
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liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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