17
Aug
2011

Heute nur Gitarrenröhren

Ich traue mich schon fast nicht mehr, es zu schreiben. Mein gutes Ohr... Ihr wisst schon: Gurgeln, dröhnen, kiechzen. Hörverlust über Nacht. Stufe zwei, würde ich sagen - das ist bei meiner vierstufigen Skala schon ziemlich viel.

Ich beschliesse, tapfer zu sein. Was immer passiert, ich werde es akzeptieren. Ich beschliesse, morgen trotzdem zur Arbeit zu gehen, falls ich noch telefonieren kann. Im Spital wissen sie ja auch nicht, was sie mit mir tun sollen. Ich beschliesse, mir keine Gedanken über die Ursachen zu machen - oder darüber, was ich tun könnte. Ich werde taub. Okay. Ich werde versuchen, trotzdem ein normales Leben zu führen. Jeder hat sein Bördeli zu tragen. Längst nicht jeder macht deswegen so ein Theater wie Frau Frogg.

Aber ich möchte mich am liebsten wie eine kranke Katze ins Gebüsch legen und sterben.

Am Nachmittag gehe ich mit Gottenbub Tim (6), seiner Schwester und ihrem Papa in die Badi. Das ist anstrengend, aber es lenkt ab. Danach möchte ich mich nicht mehr ins Gebüsch legen.

Ich höre sogar Musik. Natürlich keine Sachen elastischen, tragenden Bassriffs. Auf keinen Fall U2. Würde ich heute einen U2-Song hören, so wäre das eine Beleidigung für U2. Ich höre statt dessen sattes Gitarrenröhren im mittleren Tonbereich. Das klingt nicht falsch, nicht zu stumpf und nicht übersteuert - sondern einfach, als hörte ich es in einem fahrenden Zug. Es entspannt.

14
Aug
2011

Englische Jugendliche und der Konsum

Herr T. und ich geniessen einen der Vorzüge eines guten Lebens in unserer Heimat. Wir sitzen mit einer Tasse Kaffee im Dampfschiff Unterwalden. Bei grandioser Bergkulisse diskutieren wir die News in der Tagespresse.


(Quelle: www.ostern-international.de)

Über den Aufstand der Jugendlichen in England wälzen wir eine Allerwelts-These: "Das kommt davon, wenn Du den Kindern immer erzählst, dass Konsum der einzig relevante Wert sei. Wenn Du ihnen kein Geld gibst, damit sie konsumieren können, gehen sie auf die Barrikaden."

Ich erinnere mich an die Zeit vor einem Jahr, als ich glaubte, bald nur noch sehr wenig zu verdienen. "Damals wurde ich neidisch, als ich vor mir an der Coop-Kasse eine Frau mit vier Packungen Crevetten sah! Obwohl ich selber nie auf die Idee gekommen wäre, einfach so vier Packungen Crevetten zu kaufen. Merkwürdigerweise kannte ich diesen Neid nicht, als ich studierte und wirklich knapp bei Kasse war. Naja, ich bekam als Gegenleistung für meine Sparsamkeit auch eine Elite-Ausbildung - wenigstens war es das damals noch. Und keiner meiner Freunde hatte Kohle. Heute ist natürlich alles anders."

Auch Herr T. war jahrelang knapp bei Kasse - und das lange nach seinem Studium. Aber dieses Gefühl von Neid an der Coop-Kasse, nein, das kenne er nicht. Sagt er. Und ich nehme es ihm ab. Ich kenne ihn ja schon lange. "Ich habe es nicht, weil ich tief in meinem Inneren ein Konsumverweigerer bin", sagt er.

Da muss ich jetzt doch intervenieren. "Jaaa!" sage ich, "Gewisse Dienstleistungen beziehst Du eben als Gratisarbeit von Frauenhand. Zum Beispiel Haareschneiden." Ich hebe demonstrativ meine Hände, die diese Arbeit jeweils - nicht eben vergnügt - verrichten. "Fürs Haareschneiden muss ich bares Geld auf den Tisch legen, und nicht wenig!"

Dazu Herr T.: "Also, ich würde Dir schon die Haare schneiden, wenn Du das möchtest!" Sein breites Grinsen lässt keine Fragen offen, wie ein Haarschnitt aus seiner Hand aussehen würde.

10
Aug
2011

Tipp für Leute mit Fernweh

Nicht weit von unserem Haus entfernt liegt die Jugendherberge. In der Touristen-Saison greifen wir im Quartier immer wieder Leute auf, die den Weg dorthin nicht finden. Er ist miserabel markiert. Genau an den entscheidenden Stellen fehlen die Schilder. Wir zeigen den Fremden dann denn Weg oder lassen sie ein Stück mit uns kommen. So lernen sie das lächelnde Gesicht der Schweiz kennen.

Gestern traf ich ein asiatisches Paar, das viel zu weit stadtauswärts gewandert war. Wir gingen zusammen ein Stück Weg. Die Frau sah erschöpft aus - als könnte sie jederzeit auseinanderfallen. Sie konnte ihren Rollkoffer kaum noch halten, und hie und da mussten wir auf sie warten. Der Mann dagegen war fit und plauderte angeregt.

Es stellte sich heraus, dass die beiden aus China kamen. Aus Peking.

Eine Welle Fernweh wogte über mich hinweg. Wie habe ich vor ein paar Jahren von einer Reise nach China geträumt! Herr T. hatten schon erste Pläne geschmiedet. Aber dann waren immer die Ferien zu kurz. Oder das Geld ein bisschen zu knapp. Oder so eine Reise irgendwie doch zu gross für einen ganz gewöhnlichen Sommer.

Und jetzt kann ich nicht mehr nach China reisen. Meine Ohren haben ja schon die Hitze der Südtürkei bestreikt. Einen Jetlag mute ich ihnen besser nicht zu.

Ich will nicht klagen. Man kann auch in Mitteleuropa wunderbar reisen. Dennoch ein Tipp an Leute mit Fernweh: Es ist nie zu früh für eine grosse Reise. Packt Eure Siebensachen und macht Euch auf! Es kann nächstes Jahr schon zu spät sein. Wer weiss, ob nicht unerwarteter Nachwuchs hereinschneit. Oder das Pensionskassengeld plötzlich futsch ist.

Reist! Dringend!

7
Aug
2011

Schwarze Linsen

Gelegentlich will Herr T. seinen kulinarischen Horizont erweitern. Diesmal hat er sich von einem Rezept der Coopzeitung inspirieren lassen: "Linsensalat mit mariniertem Ziegenkäse".

Zur Coopzeitung muss man sagen: Sie ist die Kundenzeitung von Coop, einem der beiden grossen Lebensmittelhändler der Schweiz. Der andere ist die Migros. Die Coopzeitung ist ein Gratisblatt, und sie ist gross: Sie hat eine Auflage von 2,5 Millionen Stück. Damit ist sie ist die auflagenstärkste Zeitschrift der Schweiz. Sie liegt hierzulande in fast jedem Mittelschichts-Haushalt auf - wird aber im allgemeinen Mediengetöse wenig wahrgenommen. Eine stille Riesin.

Aber an all das dachten wir nicht, als wir am Samstagmorgen zu einer weitläufigen kulinarischen Exkursion aufbrachen. Wir fragten uns bloss: Wo kaufen wir den Anis, den wir für das Rezept brauchen? Und wo die schwarzen Linsen?




Eher zufällig landeten wir beim exklusiven Globus. Ich bin seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Ist mir zu teuer. Dabei kann man dort das Staunen lernen. Sie nennen die männlichen Kunden dort jetzt "Sir". Zum Beispiel in: "Nein, das haben wir nicht, Sir, tut uns leid." Oder habe ich mich vielleicht verhört? Ich muss sagen: Ich finde das gewöhnungsbedürftig. Es lässt mich an Casino-Kapitalismus denken.

Schwarze Linsen fanden wir jedenfalls nicht. Aber im Gestell mit den Linsen gab es eine verdächtige Lücke zwischen den grünen und den roten Linsen. Plötzlich erinnerte sich Frau Frogg: Nicht nur ist die Coopzeitung enorm auflagenstark. Die Rezepte darin erfreuen sich breitester Beliebtheit. Und das Rezept mit den schwarzen Linsen war sogar Nicht-Hobbyköchin Frogg aufgefallen. Es war auf einer Seite, die beim ziellosen Blättern wie von selber aufging. Der Absatz schwarzer Linsen muss diese Woche in der Schweiz sprunghaft gewachsen sein.

Wir suchten im Gewürz-Gestell den Anis. Und siehe da: Das zweitletzte Gläschen schnappte uns ein Paar in unserem Alter vor der Nase weg. Ich musste lachen und fragte die beiden: "Und wo haben Sie die schwarzen Linsen gekauft?"

Die beiden lachten auch und sagten: "Bei Coop!" Natürlich. Coop hat doch sicherlich die Zutaten für die Rezepte in der Coopzeitung!

In der kleinen Filiale im Bahnhof hatten wir allerdings Pech. "Schwarze Linsen finden Sie wahrscheinlich in der grossen Filiale an der Stadtmauer", sagte die Verkäuferin dort freundlich, aber bestimmt. Kein Sir.

Herr T. wird unseren Salat mit roten Linsen anmachen müssen.

6
Aug
2011

Parasit auf dem Computer

Mein Computer spinnt. Er braucht ewig, bis er eine einziges, klitzekleines Mail gelöscht hat. Und er ist dabei so beschäftigt, dass man gar nichts mehr mit ihm machen kann. Er ächzt und murmelt und ein blaues Rädchen dreht sich, da wo der Cursor wäre. Man kann sein ganzes Büro aufräumen beim Warten! Und ein Mittagessen kochen! Erst wenn man essen will, ist er ennndlich fertig.

Computerdoktor T. runzelt die Stirn und sagt: "Da ist irgendein Käfer drauf, der den ganzen Arbeitsspeicher belegt." Vielleicht sei er Heimat eines jener Viren geworden, die klamheimlich Spam in der Weltgeschichte hinausschicken. Ohne mein Wissen und ohne, dass ich etwas tun kann. Ein Parasit. Unheimlich. Herr T. weiss: "Da hilft alles nichts. Wir müssen die ganze Maschine neu aufsetzen."

So hat Frau Frogg an diesem wolkigen Nachmittag angefangen, ihr in vier Jahren auf dem Laptop angehäuftes Zeugs auf einen externen Speicher zu laden. Zum Beispiel eine Menge Mails.

Dabei habe ich gemerkt, wie unglaublich schnell wir alle vernetzt sind. All dieses Facebook-Zeugs! Und wir twittern und xingen und plingen und smsln ohne Unterlass. Und doch haben wir einander so schnell wieder vergessen. Da war zum Beispiel einmal ein Zimtlilawasserfroschabend. Als ich meine Mails löschte, habe ich die Reste unserer Korrespondenz dazu gefunden.

canela, acqua, madamelila: Erinnert Ihr Euch noch?

Dazu ein uralter Soundtrack - zur Beruhigung, gewissermassen.

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