7
Aug
2011

Schwarze Linsen

Gelegentlich will Herr T. seinen kulinarischen Horizont erweitern. Diesmal hat er sich von einem Rezept der Coopzeitung inspirieren lassen: "Linsensalat mit mariniertem Ziegenkäse".

Zur Coopzeitung muss man sagen: Sie ist die Kundenzeitung von Coop, einem der beiden grossen Lebensmittelhändler der Schweiz. Der andere ist die Migros. Die Coopzeitung ist ein Gratisblatt, und sie ist gross: Sie hat eine Auflage von 2,5 Millionen Stück. Damit ist sie ist die auflagenstärkste Zeitschrift der Schweiz. Sie liegt hierzulande in fast jedem Mittelschichts-Haushalt auf - wird aber im allgemeinen Mediengetöse wenig wahrgenommen. Eine stille Riesin.

Aber an all das dachten wir nicht, als wir am Samstagmorgen zu einer weitläufigen kulinarischen Exkursion aufbrachen. Wir fragten uns bloss: Wo kaufen wir den Anis, den wir für das Rezept brauchen? Und wo die schwarzen Linsen?




Eher zufällig landeten wir beim exklusiven Globus. Ich bin seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Ist mir zu teuer. Dabei kann man dort das Staunen lernen. Sie nennen die männlichen Kunden dort jetzt "Sir". Zum Beispiel in: "Nein, das haben wir nicht, Sir, tut uns leid." Oder habe ich mich vielleicht verhört? Ich muss sagen: Ich finde das gewöhnungsbedürftig. Es lässt mich an Casino-Kapitalismus denken.

Schwarze Linsen fanden wir jedenfalls nicht. Aber im Gestell mit den Linsen gab es eine verdächtige Lücke zwischen den grünen und den roten Linsen. Plötzlich erinnerte sich Frau Frogg: Nicht nur ist die Coopzeitung enorm auflagenstark. Die Rezepte darin erfreuen sich breitester Beliebtheit. Und das Rezept mit den schwarzen Linsen war sogar Nicht-Hobbyköchin Frogg aufgefallen. Es war auf einer Seite, die beim ziellosen Blättern wie von selber aufging. Der Absatz schwarzer Linsen muss diese Woche in der Schweiz sprunghaft gewachsen sein.

Wir suchten im Gewürz-Gestell den Anis. Und siehe da: Das zweitletzte Gläschen schnappte uns ein Paar in unserem Alter vor der Nase weg. Ich musste lachen und fragte die beiden: "Und wo haben Sie die schwarzen Linsen gekauft?"

Die beiden lachten auch und sagten: "Bei Coop!" Natürlich. Coop hat doch sicherlich die Zutaten für die Rezepte in der Coopzeitung!

In der kleinen Filiale im Bahnhof hatten wir allerdings Pech. "Schwarze Linsen finden Sie wahrscheinlich in der grossen Filiale an der Stadtmauer", sagte die Verkäuferin dort freundlich, aber bestimmt. Kein Sir.

Herr T. wird unseren Salat mit roten Linsen anmachen müssen.

6
Aug
2011

Parasit auf dem Computer

Mein Computer spinnt. Er braucht ewig, bis er eine einziges, klitzekleines Mail gelöscht hat. Und er ist dabei so beschäftigt, dass man gar nichts mehr mit ihm machen kann. Er ächzt und murmelt und ein blaues Rädchen dreht sich, da wo der Cursor wäre. Man kann sein ganzes Büro aufräumen beim Warten! Und ein Mittagessen kochen! Erst wenn man essen will, ist er ennndlich fertig.

Computerdoktor T. runzelt die Stirn und sagt: "Da ist irgendein Käfer drauf, der den ganzen Arbeitsspeicher belegt." Vielleicht sei er Heimat eines jener Viren geworden, die klamheimlich Spam in der Weltgeschichte hinausschicken. Ohne mein Wissen und ohne, dass ich etwas tun kann. Ein Parasit. Unheimlich. Herr T. weiss: "Da hilft alles nichts. Wir müssen die ganze Maschine neu aufsetzen."

So hat Frau Frogg an diesem wolkigen Nachmittag angefangen, ihr in vier Jahren auf dem Laptop angehäuftes Zeugs auf einen externen Speicher zu laden. Zum Beispiel eine Menge Mails.

Dabei habe ich gemerkt, wie unglaublich schnell wir alle vernetzt sind. All dieses Facebook-Zeugs! Und wir twittern und xingen und plingen und smsln ohne Unterlass. Und doch haben wir einander so schnell wieder vergessen. Da war zum Beispiel einmal ein Zimtlilawasserfroschabend. Als ich meine Mails löschte, habe ich die Reste unserer Korrespondenz dazu gefunden.

canela, acqua, madamelila: Erinnert Ihr Euch noch?

Dazu ein uralter Soundtrack - zur Beruhigung, gewissermassen.

3
Aug
2011

Ein erfülltes Leben

Treue Leser erinnern sich: Vor ein paar Jahren habe ich einen Krimi geschrieben. Er war fertig und lag zur Überarbeitung bereit in meiner Schublade, als ich im Herbst 2009 einen schweren Menière'schen Schub auf meinem guten Ohr hatte.

Es wurde klar: Ich musste mich schonen. Da vergass ich den Krimi einfach.

Neulich begann ich dieses Buch zu lesen.

Ich will Euch nicht mit einer Inhaltsangabe langweilen. Die findet Ihr hier. Hier nur soviel: Mir hat es eine neue, erfrischende Wahrnehmung des Gemeinplatzes "Lebe jeden Tag als wäre es Dein letzter" ermöglicht.

Yalom kommt auch auf die Frage nach dem so genannten ungelebten Leben zu sprechen.

Da erinnerte ich mich plötzlich an den Krimi. Der Krimi ist für mich einmal sehr bedeutsam gewesen. Ich habe immer einen Roman schreiben wollen. Ich glaubte, dazu sei ich da. Ich glaubte, ich hätte mein Leben nicht gelebt, wenn ich kein Buch schriebe.

Aber die Hörstürze von 2009 haben meine Prioritäten total verändert.

Wichtig ist mir jetzt:
1) meinen Lebensunterhalt zu verdienen, so gut ich kann
2) Musik zu hören
3) zu bloggen
4) zu spazieren
5) mich dafür zu engagieren, dass dieses reiche Land jene Menschen würdig versorgt, die nicht mehr arbeiten können

Es mag merkwürdig klingen. Aber ich finde, ich habe ein erfülltes Leben.

Was den Krimi betrifft: Ich habe ihn ja fertig geschrieben. Ich weiss jetzt, dass ich ein Buch schreiben könnte. Ich weiss auch, wie viel Kraft es braucht. Das reicht.

1
Aug
2011

Die Türkei - mal anders

Wer an der türkischen Küste unterwegs ist, landet immer wieder an heiteren Ferienorten. Man fühlt sich wie im Westen. Die Leute sind gut drauf, das Essen ist prima, die sanitären Anlagen mindestens passabel.

Gelegentlich - meist am Stadtrand - sieht man wacklige Holzhäuschen auf Stelzen. Oder zeltartige Bauten. Touristin Frogg fand sie stets charmant. Die Überreste einer Nomadenkultur, die selbst die Türken mit Nostalgie zu pflegen schienen. Schliesslich ist die Türkei eine Industrienation mit traumhaftem Wirtschaftswachstum. Dieses Land scheint seine armseligen Jahre hinter sich zu haben.

Als wir mit unserem rasenden Bäcker unterwegs waren, bekamen wir ein anderes Bild. Er nahm uns mit auf eine lange Fahrt durch abgelegenes Gebiet östlich von Kaş. Nur einige Gewächshäuser zeugten davon, dass die Moderne hier angekommen war. Einmal hielt er unerwartet zwischen ein paar Häusern. Tatsächlich stand hier einer dieser durchsichtigen Plastik-Kästen, in denen Türken Brot feilbieten.

Der Kasten schien das Zentrum dieses Dorfs zu sein. Denn neben ihm sassen vier oder fünf Männer reglos und blickten gegen Süden. Sie redeten wenig und bewegten sich auch kaum, als der Bäcker anhielt. Es war gegen Mittag. Die Männer hatten wohl keine Arbeit.

Auf der anderen Strassenseite sass eine ältere Frau vor ihrer Haustür auf dem Boden. Sie hatte eine Schüssel im Schoss und formte Teigbällchen. Gelegentlich stand sie auf und ging zu einem Wäsche-Zuber beim Gartentor. Sie stampfte ein bisschen im Waschwasser herum und ging dann wieder zu ihren Teigbällchen zurück. Auf der Strasse sassen zwei junge Hunde mit hungrigen, gelben Augen und kratzten sich ständig hinter den Ohren.

Von solchen Dörfern also waren die Söhne Anatoliens in Scharen nach Deutschland aufgebrochen. Und: Es gibt sie noch, diese Dörfer.

Wir kamen von einem anderen Planeten. Wir gehörten nicht hierher.

Das Schlimmste aber war: An der nächsten Strassenkreuzung standen zwei alte Männer und hielten den Bäcker an. Sie hatten gehofft, er würde sie in seinem Auto mitnehmen. Wir hatten ihnen die Fahrgelegenheit weggenommen.

Nächstes Mal, schwor ich mir, nächstes Mal leiste ich mir ein Taxi.

Wegen meiner Ohrengeschichte weiss ich nicht, ob es ein nächstes Mal geben wird. Ich weiss nur: Hier beende ich mein Türkei-Epos. Es war trotz allem eine gute Reise.

Aber es gibt ja auch von zu Hause Geschichten zu erzählen.

27
Jul
2011

Der rasende Bäcker

Improvisation gehört zum täglichen Brot der Türken. Kein öffentliches Verkehrsmittel vom winzigen Dorf Üçağız nach Kaş? "Kein Problem. Ihr könnt mit dem Bäcker fahren", sagte der junge Mann, der in der in der Pension Onur für die Improvisation zuständig ist. Er spricht ungefähr fünf Sprachen, eine davon Flämisch. Und er jongliert die verschiedenen Bootstouren der Gäste. Naja, vielleicht nicht grad im ganzen Hafen.

türkei2011 086

Aber oft sind es mehrere. Meistens taucht dann ein Cousin oder Neffe auf und führt den Gast zu einem der Boote. Und wenn ein Gast Nadel und Faden braucht, dann geht der Improvisator zur Frau am Marktstand mit den Halsketten. Und so weiter. Meistens finde ich diese Lebensart sympathisch. Sie lässt den Alltag als feines Gewebe von Begegnungen und Verhandlungen erscheinen. Eines, das zuweilen nur an einem Faden zu hängen scheint. Was aber für Gäste kaum je stressig ist. Denn Gäste werden stets bevorzugt behandelt.

Auch die Aussicht auf die Fahrt mit dem Bäcker zauberte ein breites Lächeln auf das Gesicht von Frau Frogg. Ihr geliebter Grossvater Walholz selig ist Bäcker gewesen - und die Fahrten mit ihm und dem frischen Brot gehören zu ihren Lieblings-Kindheits-Erinnerungen.

Gegen 11 Uhr fuhr der Bäcker mit seinem klapprigen Kastenwagen vor und lud ein paar Kisten duftendes Weissbrot aus. Und wir durften zusteigen.

Frau Frogg knallte eine verbeulte Tür zu. Dann erlosch ihr Lächeln.

Denn ehrlich: Es war eine Höllenfahrt.

Der Mann schien nicht glücklich, uns mitnehmen zu müssen. Und ich konnte ihn auch nicht mit Geschichten von meinem Grossvater günstig stimmen. Er sprach keinen Brocken Deutsch oder Englisch. Wir viel zu wenig Türkisch.

Und - wie hatte ich Depp auch etwas anderes erwarten können: Der Mann war ein Raser. Wenn es abwärts ging, schaltete er in den Leerlauf, hängte sich übers Steuerrad, zündete sich eine Zigarette an und stöhnte leise auf. Alle Fenster waren offen, weit und breit kein Sicherheitsgurt. Frau Frogg ertappte sich bei sehr westlichen Gedanken. Zum Beispiel: Wird überhaupt irgendeine eine Versicherung bezahlen, wenn wir hier über eine Böschung donnern und uns einen Rückenwirbel brechen?

Wir bekamen auf dieser mehr als halbstündigen Fahrt auch eine ganz andere Türkei zu sehen als die sonnigen Kleinstädtchen-Südtürkei, die wir bisher kennen gelernt hatten. Aber davon erzähle ich nächstes Mal.
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