16
Jun
2011

Autostop am Pragelpass

Ich habe auf diesem Blog schon Klischees über die Muotataler verbreitet. Ich habe hier nahe gelegt, dass mein erster Eindruck von diesem Tal nicht gerade herzerwärmend war. Es ist jetzt an der Zeit, dass ich eine Lanze für die Muotataler breche. Ohne die Hilfsbereitschaft Einheimischer wären wir nie ans Ziel unserer Wanderung - die Silberen - gekommen. Ausgangspunkt der Wanderung ist der Pragelpass. Und dorthin fährt kein einziges öffentliches Verkehrsmittel. "Ach, machen Sie einfach Autostop. Es wird Sie schon jemand mitnehmen", sagte die Wirtin im "Alpenblick" in Muotathal.

Das klang einfach. Aber wer in der Schweiz per Anhalter reisen will, begibt sich in eine hochnotpeinliche Situation. Er erwartet von wildfremden Leuten, dass sie etwas mit ihm teilen. Etwas, was er nach den Regeln des helvetischen Durchschnitts selber besitzen müsste. Auch für den Besitzer des Autos ist die Lage unbequem. Da sollte er mit Fremden Small Talk betreiben. Aber die Fragen, die er eigentlich stellen möchte, muss er sich verkneifen: "Sind Sie so arm, dass Sie sich kein eigenes Auto leisten können? Oder etwa krank? Sie sind doch nicht ansteckend, oder?"

Es wird wenig per Anhalter gereist in der Schweiz.

Doch an der Pragelstrasse war es anders. Zunächst hielt zwar keiner. Aber es gab keinen Einheimischen, der nicht wenigens ein Handzeichen gab - dass seine Karre voll sei. Oder dass er gleich um die Ecke wohne. Und dann lud uns wirklich jemand auf - an einer verdammt engen, verdammt steilen Stelle. Zum allerersten Mal in meinem Leben war ich froh, dem Besitzer eines Autos mit Vierradantrieb zu begegnen. Er hatte Frau und Sohn im Wagen. Es waren Leute aus dem Tal. Die Frau hinten im Auto sagte einfach: "Ach wissen Sie, vielleicht wäre man ein andermal auch froh, wenn einen jemand mitnähme."

Nach einiger Zeit entdeckte ich auf der anderen Talseite ein paar Häuschen. Sie standen über einer mindestens 200 Meter hohen Felswand. Ich konnte sie nicht fotografieren, aber glaubt mir: Über so einer Fluh möchte Frau Frogg nicht eine einzige Minute einer einzigen Nacht verbringen. Sie würde sich ohne Unterlass davor fürchten, am Morgen in den schwindelerregenden Abgrund zu blicken. "Das sind Wildheuer-Häuschen", sagte die Frau. Offenbar gehen dort oben noch heute ein paar Unerschrockene ohne Aufhebens diesem lebensgefährlichen Handwerk nach. Würde das einer aus dem Tal tun, wäre es ein Extremsport, würde gehyped und käme am Fernsehen. Aber unten im Tal weiss kaum einer, dass ein paar Leute hier oben heute noch wildheuen - obwohl es sogar einen Film darüber gibt.



Als wir oben auf dem Pragelpass aus dem Auto stiegen, hatte ich die Hilfsbereitschaft unserer Gastgeber schätzen gelernt. Es herrschte eine Atmosphäre von Einfachheit und Zusammenhalt. Kein Status-Gelabere. Kein Drama. Und ich wusste: Wenn ich auch nie ein Fan der Politik sein werde, die hier mehrheitsfähig ist - wer das harte Landleben in diesem Tal führen kann, hat meinen Respekt verdient.

14
Jun
2011

Hahn im Körbchen

"Güggeli im Chörbli"* ist im Restaurant Alpenblick in Muotathal Haus-Spezialität. Darüber war Frau Frogg zunächst nicht begeistert. Ich meine: Man geht ja nicht nur wegen landschaftlicher Schönheiten in die Berge. Sondern auch, um in Form zu bleiben. Klar, ich hätte einen Fitness-Teller haben können. Aber glaubt Meister-Kalorienzählerin Frogg: Fitness-Teller sind die reine Gesundheits-Heuchelei. Der Salat ist zwar meist leicht angerichtet. Aber fast immer gibts dazu richtige Kalorienbomben: reichlich Schweinefleisch, triefende Panaden oder mayonnäsige Tartare-Sosse.

Also lieber gleich mit Genuss sündigen und zum Güggeli greifen, sagte sich Frau Frogg.

Das Güggeli im Chörbli ist ein kulinarischer Anachronismus. Als Delikatesse galt das Gericht Mitte der Siebziger, als auch klein Moni Frogg es einmal zu essen bekam. Müsste ich zu Güggeli im Chörbli frei assoziieren, würden mir orange Tapeten, haarige Männerbrüste oder etwas in der Art einfallen:



Doch das Güggeli im "Alpenblick" gehört zu den fleischigen Vergnügungen, die man sich mehr als einmal in einem halben Leben zu Gemüte führen sollte. Der Korb ist innen diskret mit Metzgerpapier ausgelegt. Zuunterst lächelt ein See aus köstlicher Béarnaise-Sauce. Darin ruhen knusprig gebratene Poulet-Teile. Man isst zwangläufig mit den Fingern. Dazu gibts Pommes Frites und Maienfelder Wein.

Wir assen und bekamen gute Laune. Als eine Abteilung der lokalen Feuerwehr eintraf, wurde der Abend feuchtfröhlich. Und der Arm des Gesetzes reicht anscheinend nicht bis nach Muotathal: Stammgäste dürfen hier noch rauchen.

Wir gingen dann doch früh aufs Zimmer. Wir wollten ja am nächsten Tag beizeiten in die Berge.

Übrigens: Alles über unsere Wanderung auf die Silberen gibts jetzt bei Herrn T.

* Für österreichische Leser: Hendl; für Deutsche: Hähnchen im Korb

13
Jun
2011

Ein Höllentrip ins Mutotatal

Verdammt, ich glaube, mir fallen die Beine ab! Heute morgen konnte ich erst gar nicht aufstehen. Ich fürchtete, auf den Knien zum WC robben zu müssen. Aber ich bin selber schuld. Ich wollte auf die Silberen. Ich wollte das berühmte Kalkgebirge leuchten sehen. Und wirklich: Herr T. und ich waren auf der Silberen.

Herr T. auf der Silberen

Das Bild (von mir) zeigt Herrn T. beim Gipfelkreuz. Wie man gut sieht, leuchteten die Felsen gerade nicht. Dennoch muss ich jetzt büssen und meinen Muskelkater ein paar Tage lang rückwärts Treppen auf- und abführen.

Doch der Reihe nach. Um nicht um fünf Uhr früh aufstehen zu müssen, organisierten wir uns eine Übernachtung in Muotathal. Dort beginnt die Strasse zum Pragelpass. Dort liegt auch der Eingang eines riesigen Höhlensystems, des Höllochs.

Nun ist das Muotatal ein Tal mit einem Ruf. Es ist gewissermassen die Innerschweiz der Innerschweiz. Gelten die Innerschweizer als konservativ und nicht so weltoffen, so sollen die Muotataler diese Eigenschaften im Quadrat haben. Böse Zungen behaupten, sie seien engstirnig und rückständig. Selbst wir Städter aus dem nicht allzu fernen Luzern besuchten diesen Ort als Fremde, als Touristen.

Wir stellten fest: Die Globalisierung hat auch vor dem Muotatal nicht Halt gemacht. Der erste Muotataler, dem wir begegneten, war ein Deutscher: der Busfahrer. Er schien allerdings schweres Heimweh zu haben. Mit Trauermiene fuhr er uns ins wolkenverhangene Tal.

Die Häuser an der Strasse blickten schmucklos und feindselig talauswärts. Die Bauernhäuser an den Hängen sehen heimeliger aus. Doch am meisten Sinn für Gestaltung legen die Einheimischen bei der Einfärbung ihrer Sportwagen an den Tag: Wir sahen später ein paar spektakuläre Modelle vom Pass herunterbrausen.

Mitten in Muotathal steht die Möbelfabrik Betschart. In fetten Lettern steht auf der Fabrikfront: "Inh. Peter Föhn". Herr Föhn ist schweizweit berühmt. Weniger wegen seiner Möbel. Eher, weil er Politiker ist. Nationalrat jener Partei, die zu wissen glaubt, was ein Schweizer ist.

Wir waren die letzten im Bus. An der Endstation begrüsste uns dieses Schild.

Muotathal

Wir stiegen im Hotel Alpenblick ab. Ein Schild verkündete: "Tagesteller / Zimmer frei". Das Zimmer war schlicht und sauber. Die Wirtsstube auch.

10
Jun
2011

Nachts auf der Königin der Berge

Am Abend verzog sich der Nebel. Wir gingen hinaus und schauten von der Rigi hinunter ins Tal. Es war phantastisch. Die Nacht war schwarz und riesig gross. Wir sahen, wie die Lichter von Arth das Seeufer zeichneten. Wir zeichneten sie mit den Fingern nach. Wir sahen die Lichter von Steinen und Seewen und die Autobahn. Und die Umrisse der Urner Berge.

Ich musste die ganze Zeit an Wilhelm Tell für die Schule denken. An seinen dicklichen Helden Gessler, der im Büchlein Konrad von Tillendorf heisst und eigentlich eine liebenswerte Figur ist. Wie ich beim Lesen seinen Widerwillen gegen die Reise in die Innerschweiz verstand! Wie er im Schiff nach Uri sitzt und ihm der Anblick der Berge Kopfschmerzen bereitet. Und da ist ja noch dieser einheimische Gastgeber, der es sich "nicht nehmen liess" und ihm "dies und das" zeigte, "was den Einheimischen besonders sehenswert vorkam." Tillendorf nickt höflich*. Er langweilt sich. Der Idiot, dachte ich. Wie kann man diese Landschaft nicht grossartig finden?

Ich musste die ganze Woche an diese grossartige halbe Stunde auf dem Berg denken. Und an die Genialität von Max Frischs Erzählung. Wie sie uns zum Nachdenken über die Frage zwingt, wer wir sind und wo wir stehen.




* Max Frisch: "Wilhelm Tell für die Schule", Frankfurt am Main, Suhrkamp 1971, S. 8.

6
Jun
2011

Stimmungskanone und Schlaftablette

Ich bin gesund und munter. Zuweilen breche ich sogar aus meiner Einsiedlerinnenklause auf und besuche gesellige Anlässe.

Da habe ich manchmal merkwürdige Erlebnisse. So traf ich neulich eine richtige Stimmungskanone, ein Energiebündel, ein Lippenstiftgewitter.

Um die Kraft und Modulierbarkeit ihrer Stimme hätte sogar Stephanie Glaser sie beneidet - etwas mehr als um ihre Pointen, vielleicht.



Die Stimmungskanone redete ohne Unterlass. Das heisst: Zuweilen unterbrach sie sich, indem sie in explosionsartiges Gelächter ausbrach. Daran erkannte jeweils sogar Frau Frogg, dass sie einen Witz gemacht hatte.

Sie setzt bei ihren Witzen stark auf den running-gag-Effekt häufiger Wiederholungen. Mit Erfolg. Die anderen Anwesenden schienen sie alle amüsant zu finden. Sie habe für ihren Humor sogar einmal eine Auszeichnung der Lokalzeitung bekommen, sagte sie.

Ich wurde nicht so warm mit ihr und erging mich in Selbstzweifeln. Bin ich eine eitle Schurni-Tusse geworden und einfach nicht zufrieden mit der geringen Aufmerksamkeit, die ich am Anlass bekam?

Oder eine humorlose Schlaftablette?
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Journal einer Kussbereiten

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Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

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