8
Mai
2010

Burka-Debatte

Auch die Schweiz hat jetzt ihre Burka-Debatte. Vom Aargau aus breitete sie sich in Windeseile aus und erreichte sehr schnell auch die Innerschweiz - jene Weltgegend, wo die Schweiz noch wirklich Schweiz ist und es auch bleiben will. Unverzüglich taten die Sittenwächter der Region ihre Meinung zum Thema kund. "Burkas müssen jetzt verboten werden, sonst breiten sie sich auf unseren Strassen schnell aus, so wie es mit dem Islam passiert ist", schreibt etwa René Kuhn in einem Leserbrief.

Über Kuhn muss man sagen: Er weiss, was sich für Frauen gehört. Mit seinen Tiraden über "linke, verfilzte Weiber" sorgte er vor einiger Zeit schweizweit für Aufsehen. Sie brachten ihn etwas verfrüht um Amt und Würden als SVP-Präsident und Grossstadtrat der Stadt Luzern. Man kann davon ausgehen, dass Herrn Kuhn das Wohlergehen verschleierter Frauen nicht sehr am Herzen liegt. Wahrscheinlich eher das Wohlgefallen der hiesigen männlichen Frauen-Betrachter. Sollte es zu einer Abstimmung über Burkas kommen, prophezeit Kuhn allerdings, so sei einem Verbot eine "80-Prozent-Zustimmung" sicher. Burka-Gegner könnten dann aufatmen: Der Ganzkörperschleier würde verboten, bevor überhaupt je eine gänzlich verhüllte Frau den Boden der Urschweiz betreten hätte.

Doch schon zeichnen sich Probleme ab. Heute war es in der Zeitung zu lesen: Investoren aus Katar wollen die alten Hotelkästen auf dem Bürgenstock totalsanieren! "300 Millionen für neues Resort", titelt die Neue Luzerner Zeitung. Wer die wirtschaftliche Wetterlage am Vierwaldstättersee kennt, weiss: Da werden sich ein paar Innerschweizer jeden Finger einzeln lecken. Denn die Hotelkästen im Kanton Nidwalden sind seit Jahren marode. Auf Geld für ihre Sanierung wartet man schon lange sehnlichst.

Aber was soll man tun, wenn die schwerreichen Herren aus Katar dereinst mit ihren verschleierten Ehefrauen die Vorzüge ihrer Hotels geniessen wollen?

Man wird wohl beim Burka-Verbot Sonderregelungen für Investoren-Gattinnen einführen müssen. Die ehrenwerten Männer aus Katar werden sich nicht einfach vorschreiben lassen, welche Körperteile ihrer Frauen sie dem Blick der Alpensöhne aussetzen wollen. Und vielleicht wollen sich ja die Gattinnen sogar selber verhüllen. Eine Spezialkommission wird einen Ausnahmenkatalog erarbeiten müssen. Um glaubwürdig zu bleiben, wählt man dann am besten Herrn Kuhn zu ihrem Präsidenten.

6
Mai
2010

Gänsehaut beim Lesen

Neulich war ich in meiner heiss geliebten Leihbibliothek mit Englischen Büchern. Dort entdeckte ich diesen Titel:

'Scuse Me While I Kiss The Sky

Das Buch musste ich haben! Die Musik von Jimi Hendrix finde ich so befreiend, beglückend und beklemmend wie kaum etwas anderes. Klar, dass ich mehr über den Mann wissen wollte. Ich freute mich richtig, den Wälzer gefunden zu haben. Und den Titel fand ich hinreissend poetisch für eine Biografie. Ein Zitat aus dem Song "Purple Haze".

Im Zug nach Hause knöpfte ich es mir sofort vor. Doch war ziemlich schnell ziemlich irritiert. Denn glaubt mir: das Buch ist grottenschlecht geschrieben. Es strotzt vor unglücklich gebauten Abschnitten, holprigen Sätzen und hinkenden Metaphern. Nur ein Beispiel: "Jimi was at the center of a number of dilemmas at the time of his death, and most of those dilemmas were chronic situations that had been going on consistently for a good while in his life as a star." (S. 12) Ist das ein schöner englischer Satz? Oder wenigstens einer, der halbwegs funktioniert? Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich einen solchen Satz lese. Als würde jemand mit einer harten Kreide auf einer Schiefertafel herumkratzen. Und die kleine Redaktorin Frogg in meinem Hirn beginnt sofort an ihm herumzureparieren. Das Buch ist voll von solchen Sätzen.

Ich hätte es weglegen können. Ich habe noch andere. Zu Hause las ich trotzdem weiter. Ich konnte nicht aufhören. Auch wenn ich oft nicht begriff, was der Autor mir erklären wollte. Aber er versteht das Milieu, in dem Hendrix aufwuchs. Das schwarze, grauenhaft arme Amerika der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Das hat gelegentlich komische Seiten: Etwa, wenn Henderson den "chitlin circuit" beschreibt, die "Kutteltour", die Hendrix als Anfänger machte: Die Tingelei durch billigste Provinzlokale für Schwarze. Die hiessen so, weil die Schwarzen sich auch beim Feiern nur Kutteln leisten konnten.

Hin und wieder aber bekommt man beim Lesen Gänsehaut vor Entsetzen. Mittlerweile bin ich sicher: Wenn es eine Hölle gibt, dann war Hendrix schon zu Lebzeiten ein paarmal da.



Übrigens: Wer etwas wirklich verstörendes sehen will, schaut sich das YouTube -Video am besten bis zum Schluss an. Und vergisst dabei nicht, dass Hendrix in jungen Jahren gelegentlich seine einzige Gitarre verpfänden musste, um überhaupt essen zu können.

5
Mai
2010

Alarm im Ohr

Ich kann nicht klagen. Es geht mir gut. Seit einem Monat höre ich rechts tiptop. Ich höre sogar links besser. Und schwindlig ist mir nur selten.

Ich bin glücklich. Fast kann ich mich selbst glauben machen, es sei alles in Ordnung. Als sei nie etwas gewesen.

Aber dann sind da plötzlich wieder Schreckmomente. Ein jäher Schwindel.

Oder dieser Moment heute Mittag an der Tagblattstrasse: Plötzlich begann mein Ohr zu pfeifen. Es war ein lautes Pfeifen. Es übertönte den Verkehr, und ich biss mir vor Schmerz auf die Zähne. Ich kenne dieses Pfeifen. Es ist ein gellendes Pfeifen, ein Schrei im Ohr. Damals, im Herbst gehörte es zu den ganz schlechten Zeichen. Es setzte jeweils direkt vor dem Totalabsturz ein.

Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben.

Nichts ist passiert.

Es geht mir gut.

Aber jetzt sitze ich wieder vor meiner Musik-Notration.

3
Mai
2010

An alle Hundehalter

Ein Hund versperrt mir den Weg. Ich bin eben um die Kurve im Pärkchen gebogen, und da steht er. Gross wie ein Kalb.



So einer. Ein Dobermann (leider nicht angeleint wie das Exemplar auf dem Bild). Ich kann ihm nicht ausweichen. Ich habe zwei Taschen, und der Weg ist schmal. Ausserdem komme ich der Töle lieber nicht zu nahe. Die Besitzerin ist vorerst nirgends zu sehen. Erst Sekunden später entdecke ich sie, zehn Meter weit weg. Sie beginnt zu rufen: "Hierher! Fuss! Hierher!" Gehorcht der Köter? Ach, wo denkt ihr hin?! Er schnüffelt weiter munter an irgendetwas am Wegesrand. Ich muss warten, bis die Frau da ist und ihr Hundeli am Halsband nimmt.

Sofort beginnt sie zu beteuern, was für ein liebes Tier ihr Tierchen doch sei! "Er macht nüt!" und all das Zeug. Ihr wisst schon.

Ich muss es jetzt einmal in aller Deutlichkeit schreiben: Das interessiert mich nicht. In einer solchen Situation lautet das einzige Wort, das ich von einem Hundehalter hören will: "Entschuldigung!" Laut und deutlich. Denn in einem solchen Moment missbraucht der Hundebesitzer seine Freiheit.

Was haben wir doch gelernt in der Grundschule des bürgerlichen Daseins? Die Freiheit des einen hört da auf, wo sie die Freiheit des anderen einschränkt. In einem solchen Moment schränkt ein Hundebesitzer meine Bewegungsfreiheit ein.

Zu der Frau sage ich: "Ihr Hund gehört an die Leine". Und gehe weiter. Endlich.

1
Mai
2010

Weinen Männer nicht?

Er sei "sexuell komplett übersteuert" gewesen, berichtet Georges im "Tagesanzeiger" vom letzten Samstag. Plötzlich habe er nur noch Geschlechtsteile gesehen. Und: "Auf einmal explodierte ich fast vor Energie, wurde schneller aggressiv und konnte nicht mehr weinen." Georges war 33 und bis dato eine Frau gewesen. Nun hatte er begonnen, sich mit Testosteron zu behandeln. Er ist ein Transsexueller.

Nicht weinen ist also eine Begleiterscheinung des Mannseins?! Frau Frogg staunte nicht schlecht. Sie hatte immer geglaubt, das mit dem Weinen sei Erziehungssache. "Männer weinen nicht!" und all das Zeug. Doch offenbar haben Männer ihrer Hormone wegen weiter vom Wasser weg gebaut als Frauen.

Das würde mich mit meinem neuen Vorbild Seneca versöhnen. Der hat es nämlich gar nicht mit dem Weinen. "Auch im Hinblick auf das All der Dinge zeigt derjenige doch einen höheren Geistesschwung, der mit dem Lachen als der mit dem Weinen nicht an sich halten kann", schrieb er in "von der Seelenruhe". Dazu sagt Frau Frogg: "Pardon, aber wer lacht und nie weint, ist ein Zyniker." Nichts gegen das Lachen. Nichts gegen eine gesunde Portion Zynismus im richtigen Moment! Aber nur wer weint, lernt die tiefsten Tiefen seiner Seele kennen. Glaubt mir. Ich habe eine Zeit lang viel geweint, und es ist noch nicht lange her. Ich weiss es.

Überhaupt: Mir scheint, Gemütsruhe im Sinne von Seneca eher wie Gefühlsunterdrückung von der übelsten Sorte. Ich bin froh, dass ich mich nicht mit so viel Gelassenheit durch die Welt zwingen muss wie er empfiehlt. Ich käme mir vor, als hätte ich einen Mühlstein in der Brust.

Vielleicht liegt es einfach daran, dass er hormonell ein bisschen übersteuert war?

Der Soundtrack dazu:

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ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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