6
Mai
2010

Gänsehaut beim Lesen

Neulich war ich in meiner heiss geliebten Leihbibliothek mit Englischen Büchern. Dort entdeckte ich diesen Titel:

'Scuse Me While I Kiss The Sky

Das Buch musste ich haben! Die Musik von Jimi Hendrix finde ich so befreiend, beglückend und beklemmend wie kaum etwas anderes. Klar, dass ich mehr über den Mann wissen wollte. Ich freute mich richtig, den Wälzer gefunden zu haben. Und den Titel fand ich hinreissend poetisch für eine Biografie. Ein Zitat aus dem Song "Purple Haze".

Im Zug nach Hause knöpfte ich es mir sofort vor. Doch war ziemlich schnell ziemlich irritiert. Denn glaubt mir: das Buch ist grottenschlecht geschrieben. Es strotzt vor unglücklich gebauten Abschnitten, holprigen Sätzen und hinkenden Metaphern. Nur ein Beispiel: "Jimi was at the center of a number of dilemmas at the time of his death, and most of those dilemmas were chronic situations that had been going on consistently for a good while in his life as a star." (S. 12) Ist das ein schöner englischer Satz? Oder wenigstens einer, der halbwegs funktioniert? Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich einen solchen Satz lese. Als würde jemand mit einer harten Kreide auf einer Schiefertafel herumkratzen. Und die kleine Redaktorin Frogg in meinem Hirn beginnt sofort an ihm herumzureparieren. Das Buch ist voll von solchen Sätzen.

Ich hätte es weglegen können. Ich habe noch andere. Zu Hause las ich trotzdem weiter. Ich konnte nicht aufhören. Auch wenn ich oft nicht begriff, was der Autor mir erklären wollte. Aber er versteht das Milieu, in dem Hendrix aufwuchs. Das schwarze, grauenhaft arme Amerika der fünfziger und frühen sechziger Jahre. Das hat gelegentlich komische Seiten: Etwa, wenn Henderson den "chitlin circuit" beschreibt, die "Kutteltour", die Hendrix als Anfänger machte: Die Tingelei durch billigste Provinzlokale für Schwarze. Die hiessen so, weil die Schwarzen sich auch beim Feiern nur Kutteln leisten konnten.

Hin und wieder aber bekommt man beim Lesen Gänsehaut vor Entsetzen. Mittlerweile bin ich sicher: Wenn es eine Hölle gibt, dann war Hendrix schon zu Lebzeiten ein paarmal da.



Übrigens: Wer etwas wirklich verstörendes sehen will, schaut sich das YouTube -Video am besten bis zum Schluss an. Und vergisst dabei nicht, dass Hendrix in jungen Jahren gelegentlich seine einzige Gitarre verpfänden musste, um überhaupt essen zu können.

Trackback URL:
https://froggblog.twoday.net/stories/6325880/modTrackback

nömix - 7. Mai, 17:14

Der zitierte Satz über Jimi Hendrix' Dilemmas ist tatsächlich selber ein Dilemma. Obwohl Hendersons Hendrix-Biografie durchwegs enthusiastische Kritiken gekriegt hat - aber wohl eher für die Story als für den Satzbau. Ein energischer Lektor hätte dem Text sicher gutgetan. Eine gute Geschichte, die in schlechter Prosa daherkommt, ist wie ein schönes Mädchen mit einem ungewaschenen Hals.

diefrogg - 8. Mai, 10:50

Nicht ganz alle...

Kritiken waren enthusiastisch. Auch der Mann von der FAZ merkt an, dass dem Buch ein guter Lektor gut getan hätte (bei der deutschen Übersetzung, die wahrscheinlich auch nicht mehr zu retten war).
Was den Vergleich mit dem ungewaschenen Hals betrifft... ich denke gerade über einen Beitrag über das Burka-Verbot nach. Und da kommt er mir ein bisschen schräg herein, ein bisschen altväterisch, muss ich gestehen. Aber Ihnen verzeihe ich das natürlich, Herr nömix!
turntable - 10. Mai, 00:01

Jimi´s leben und werdegang gab schon einiges her, darum gibt es nicht nur unzählige platten, obwohl er zur lebzeiten nur 3 studioalben veröffentlichte, sondern auch eine menge bücher.
Hendrix sells ;-)
grüße

diefrogg - 10. Mai, 15:01

Hendrix sells -

Das entspricht ganz bestimmt den Tatsachen! Und die Leute können nie genug über ihn reden. Neulich habe ich auf Radio DRS 3 (immerhin helvetisches Staatsradio) einen zweistündigen (!) Verriss über das neue Album mit teils bisher unveröffentlichtem Studiomaterial gehört. Ich meine: Wenn ein Album angeblich schon obermies ist, dann soll man den Erben von Hendrix (die scheints aus Geldgier haben herausgeben lassen) nicht noch die Ehre eines zweistündigen Werbeblocks erweisen. Ich habe dann irgendwann weggezappt, weil die längste Zeit kein einziger guter Song gespielt wurde... Wirklich, sowas kann mich stundenlang ärgern!
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