20
Jul
2009

Vegetarierin in Venedig

Wir sitzen in der Trattoria al Mascaron. Das Lokal ist DER Touristen-Renner. Es steht in jedem Reiseführer, der etwas auf sich hält. Zu Recht: die Leckereien hier sind köstlich. Und kostspielig, aber das ist alles in Venedig. Es ist unser erster Abend. Herr T. haut hungrig in seine Leberchen mit Polenta, ich in meinen Tintenfisch in seiner eigenen Tinte. Nur schon die italienischen Wörter für diese Köstlichkeiten machen Spass: fegato, seppie, tinta.

Sie sitzt mit ihrem Neuen am Nebentisch. Dass er ihr Neuer ist, merkt man daran,dass sie einander nicht viel zu sagen haben. Sie stellen wahrscheinlich selber eben erst fest, dass sie im Grunde nicht zusammen passen. Aber sie wahrt noch den Schein. Wenn er etwas sagt, dann strahlt sie in süsslich an, als wäre er ein herziges Schosshündchen, das sie von einem lieben Bekannten zum Geburtstag bekommen hat.

Zum Kellner sagt sie mit einer unausstehlichen Mischung aus Sorge und Selbstbewusstsein: "I'm a vegetarian"

Der Kellner schaut sie mit einer Mischung aus 85 Prozent Missbilligung, 10 Prozent Verachtung und 5 Prozent Ratlosigkeit an. "Wer bei uns isst, hat zu essen, was auf den Tisch kommt! Ach, was sage ich 'essen"! Ich meine natürlich 'geniessen'!" sagt dieser Blick. Italiener sind Chauvinisten, wenns ums Essen geht. Meistens dürfen sie sich das erlauben.

Aber die Lady beharrt darauf. She's a vegetarian. Schliesslich bekommt sie als Vorspeise einen Teller verdure in Olivenöl serviert. Von denen tastet sie jeden Bissen mit Lippen und Zunge ab als wäre es Kaviar. Eine etwas überinszenierte Darstellung von Genuss. Bei uns weckt sie so etwas wie Schadenfreude. Wir hauen mit umso mehr Appetit in Fleisch und Fisch. Die Frau neben uns mag moralisch auf höherer Warte stehen als wir. Aber wir haben definitiv mehr vom Leben.

Als auch noch ein Teller mit Teigwaren und Hühnerfrikassee vor ihr landet, ("but she's a vegetarian!" lärmt ihr Beau empört den Kellner an) ist unser Abend perfekt.

Mir vergeht das Lachen erst, als der Kellner uns fragt, ob wir einen Kaffee wollen. Nein, ich will keinen Kaffee. Ich will irgendeinen Tee, keinen Schwarztee. Da trifft mich auch so ein Blick: 90 Prozent Missbilligung, 10 Prozent Verachtung, würde ich sagen.

18
Jul
2009

Blick in meine Handtasche

Meine Handtasche ist ganz genau betrachtet eine Schultertasche. Es ist eine Tausche Tasche. Eine grosse Tasche. Wenn ich darin grabe, staune ich immer über die Dinge, die ich in ihren Tiefen finde.

Heute Morgen fand ich:
- 10 gestern Abend ausgedruckte Seiten der Zeitung von heute
- einen Plan meiner Stadt mit Eselsohren, Marke Orell Füssli
- ein Diktiergerät Marke Sanyo
- eine Agenda Marke Bookbinders Design
- eine ausgedruckte Seite der Zeitung vom 15. Juli
- ein paar weisse Wollhandschuhe, total verkrümelt
- eine angebrochene Packung Papiertaschentücher Marke Paloma (vom Türken - mit Honigduft)
- meine Brille, Marke Dolce & Gabbana
- einen so genannten Concealer, Marke verblasst
- drei Rosskastanien, Geschenk von Tim, muss schon eine Weile her sein
- einen Kassabon der Hirschmatt-Buchhandlung vom 16. Juni über Fr. 19.80



Nicht gefunden habe ich einen karierten Knirps obskurer Marke mit ziemlich brüchigem Gerüst. Genau den hätte ich aber unbedingt gebraucht. Nicht nur, weil Regen drohte. Nein. Weil es ein ganz gewöhnlicher Samstag war. Ich brauchte eine Ahnung von Weltreichtum. Erinnerung. Etwas Nostalgie und Futter für die samstägliche Fabulierlust. Und genau das hätte mir der Schirm geboten. Denn ich habe ihn am 23. Juni auf diesem mächtigen Platz gekauft:

DSCN1190

der Piazza Unità d'Italia in Triest (Bild von Herrn T., einen Tag später). Als ich den Schirm kaufte, standen wir am Rande des Platzes, es war früher Abend und es regnete, und zwar richtig. Auch wenn Herr T. aus Gründen der Reisemoral hartnäckig das Gegenteil behauptete. Auf Regen hatte ich mich beim Packen bewusst nicht vorbereitet. Wir reisten schliesslich in den Süden. Doch hier standen wir, und der Regen machte Triest zu einer abweisenden Stadt, die Piazza lag riesig, grau und leer vor uns. "Das ist gar nicht Italien!" klagte die Frogg. Das einzige, was hier gegen die Nässe anzukommen schien, war ein leiser Duft von Jägermeister. Ein deutscher Duft. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

Da huschte wie aus dem Nichts ein Afrikaner auf uns zu und hielt mir eben jenen Schirm unter die Nase. "Ten Euro", sagte er oder vielleicht auch "Dieci Euro", ich weiss es nicht mehr. Ich schüttelte den Kopf. "Too expensive", sagte ich. Da sagte er "eight" und ich kaufte den Schirm. Ich hätte ihn noch weiter hinunterhandeln sollen, aber was solls. Wahrscheinlich hatte der Mann Schulden bei seinem Schlepper, und ich war erschöpft und wie erstarrt vor Fremdheit. Ich kaufte den Schirm. Er lächelte und bedankte sich sehr.

Ich brauchte das Ding später noch ein paarmal.

Heute Morgen habe ich ihn dann doch noch gefunden: In meinem kleinen Rucksack. Auch er hat eine Geschichte. Aber die erzähle ich ein andermal.

17
Jul
2009

Der Cisalpino

Gerade ist der Cisalpino wieder in aller Munde. Kein Wunder: Eine Fahrt in diesem Zug ist der unverschämt hohe Preis, den wir Schweizer zahlen, wenn wir ein bisschen Italianità tanken wollen. Er ist die Hölle, durch die jeder muss, der mit dem Zug in die Paradiese des Südens gelangen will.

Unser Cisalpino war der 9.10-Uhr-Zug am 20. Juni. Wir bestiegen ihn in Arth Goldau. Er hatte bereits zehn Minuten Verspätung, und er war gerammelt voll. Als ich einsteigen wollte, brüllte ein Kondukteur mich an, ob ich eine Platzreservation hätte. Sonst dürfe ich nicht einsteigen. Sonst müsste ich den Entlastungszug nehmen, der eben auf dem anderen Gleis hielt. Ja, ich hatte eine Platzreservation. Aber ich war halt mit dem Rucksack unterwegs und deswegen auch mit fast 44 noch suspekt. Weniger suspekt war offenbar das Pärchen gewesen, das auf unseren reservierten Plätzen sass: Zwei schwer angejahrte Gotthard-Veteranen. "Wir sind schon immer in diesem Zug gereist", erklärte Madame Gotthard-Veteranin dezidiert und in breitem Baseldeutsch, als wir sie baten, unsere Plätze freizugeben.

Fünf Minuten sah es so aus, als wollten die beiden überhaupt nicht aufstehen. Natürlich gab es einen Stau im Korridor, weil wir mit unseren Rucksäcken nirgendwohin ausweichen konnten.

Dann stemmten sich die beiden endlich auf ihre Hinterbeine."Pass uff, Beppi", sagte sie noch zu ihrem Mann, "Heb Di doo, Beppi, heb Di! Du gheisch sunscht no um!*" Was wohl ein Versuch war, uns ein schlechtes Gewissen einzujagen, verscheuchten wir doch hier offenbar greise und gebrechliche Menschen von einem Platz, auf den sie ein Gewohnheitsrecht hatten.

Doch Herr T. blieb unbarmherzig. So sassen wir irgendwo im Kanton Uri dann doch endlich auf unseren Plätzen, und unsere Rucksäcke waren verstaut. Auch unsere beiden reisefreudigen Senioren hatten noch irgendwo ein Plätzchen gefunden.

Die Fahrt wurde dennoch zum Megastress. Denn der Cisalpino ist so eng, dass er der Frogg jedesmal klaustrophobische Anfälle zu bereiten droht. Und dass man im Cisalpino besser Gummistiefel anzieht, wenn man aufs WC will, ist ohnehin notorisch. Allzu häufig sind die Toiletten überschwemmt.

Als wir die Grenze bei Chiasso überquerten, hatten wir laut dem Cisalpino-Fehlermelder cessoalpino 17 Minuten Verspätung. Was auch sein Gutes hatte: Der Unmut über die Cisalpino-Verspätungen ist ein Lieblingsthema von Herrn und Frau Schweizer. Er führte zu einem netten Gespräch mit den Mitreisenden, die in Lugano zugestiegen waren. So konnten wir gleich anfangen, unser Italienisch ein bisschen aufzuwärmen.

Als wir in Milano ankamen, betrug unsere Verspätung gefühlte zwei Stunden, faktisch aber harmlose 35 Minuten, wenn ich mich recht erinnere. Trotzdem stöhnte Herr T: "Es ist jedesmal dasselbe! Da planst Du in Milano genügend Zeit zum Umsteigen ein! Und am Schluss musst Du trotzdem seckeln**!"

Ich sagte etwas provokativ: "Da würde ich glatt den Stau vor dem Gotthard-Strassentunnel vorziehen!" Aber davon wollte Herr T. gar nichts hören. Und auf Besserung ist offenbar noch lange nicht zu hoffen. Es scheint, als wolle die Firma Cisapino eine moralische Aufgabe übernehmen und uns verwöhnte Schweizer wieder lehren: Das Paradies muss man sich mit Leiden verdienen. Allerdings frage ich mich, ob eine solche Aufgabe zum Kerngeschäft eines Unternehms des 21. Jahrhunderts gehören sollte.

* Pass auf, Beppi, halt Dich fest, Du fällst sonst noch hin!
** Rüdes Schweizerdeutsches Wort für "rennen".

14
Jul
2009

In der Touristenhorde

Früher hat sich die Frogg ja immer vorgemacht, ihre Reisen seien wenigstens ein bisschen anders als die Reisen ihrer biedereren Mitmenschen. Ich meine, eine Gotthardwanderung, wer macht das schon?! Und wer ist in New Orleans, zwei Monate vor dem Ausbruch von Katrina? Und wer macht schon eine Expedition nach Asien... naja, jedenfalls an den Westrand von Asien, in die Türkei? Doch schon in der Türkei bröckelte die Illusion. Wer sich einmal unter 1000 anderen Reisenden mit hitzegeröteten Gesichtern durch Ephesos gewälzt hat, weiss warum. Es mag versnobbt klingen, aber die Gegenwart von so vielen Mittouristen entwertet die eigene Erfahrung. In Kroatien aber krachte Frau Froggs Selbstbild endgültig und mit Getöse in sich zusammen.

Denn an der kroatischen Küste ist man als Tourist nirgendwo allein. Egal, wie individuell zu fühlen man sich entschliesst, man ist und bleibt Massentourist. In Istrien und Kroatien sieht es nicht selten so aus:

DSCN1394

Die Mittouristen verstellen den Blick auf das, was man eigentlich sehen möchte. Das Bild habe ich bei den Krka-Fällen in der Nähe von Sibenik gemacht. Ja, dort wurden ein paar Szenen der Winnetou-Filme gedreht. Aber nicht nur deswegen gab es dort so viele Schaulustige. Nein. Kroatien ist nicht nur ein Reiseziel deutscher und österreichischer Massentouristen. Kroatien wird auch von Engländern, Spaniern, Italienern und Skandinaviern besucht - also von Leuten, die über Winnetou gar nichts wissen. Nach Kroatien reisen zudem angefressene Segler, wichtigtuerische Yachtbesitzer und Kreuzfahrten-Gruppen. Und Kroatien ist die Riviera der slawischen Völker: In Scharen strömen im Sommer Menschen aus Russland, Polen und Tschechien hierher, aus der Slowakei, Slowenien und Slawonien. Biblisch, sage ich Euch. Biblisch.

Ich überlegte mir schon, ob ich auch wirklich eine gute Touristin sei (gute Touristen sind für Touristiker jene, die im Schnitt 50 Euro im Tag oder mehr ausgeben). Glücklicherweise war ich am Ende aber doch zu faul zum Rechnen.

Klar, es gibt gute Gründe nach Kroatien zu reisen. Kroatien zehrt von einer architektonisch beeindruckenden Vergangenheit. Schon die Römer haben hier Spuren hinterlassen, später auch die Venezianer, und dann hatten die Kroaten ein paar hervorragende Baumeister. Und landschaftlich? Wunderschön!

Nur: Die Frogg hatte in Kroatien kaum je das Gefühl, etwas entdeckt zu haben. Wenn sie kam, waren immer schon Hunderte da.

Aber das hatte auch gute Seiten: Nie habe ich mir mehr Gedanken gemacht über Sinn und Zweck des Reisens.

Und dann habe ich ja zum Glück meinen Blog, auf dem ich diese Reise wenigstens auf meine eigene Weise dokumentieren kann.

12
Jul
2009

Auf dem Meer

DSCN1458

Auf blaue Wassermassen blicken
In den schäumenden Schlagrahm hinter der Schiffsschraube
Sich von den Wogen wiegen lassen
Dazu die Melodie von "Azzurro" trällern und kichern, weil es passt - und weil es doch nicht passt
Die Wärme spüren
Den Wind spüren
Mit der Zunge Salzkörner vom Handrücken pflücken, er ist sonnenbraun
Dem Song des Schiffsmotors lauschen

Kirschen essen
An den letzten Pfirsichen vom Markt in Dubrovnik riechen
Sie sind sonnenwarm

Zum Horizont blicken

Nichts tun. Nicht einmal fragen

Vielleicht gebe ich mich doch damit zufrieden, eine Suchende zu sein und nicht eine Findende.

(Auf der Fähre von Dubrovnik nach Bari, am 10. Juli 2009)
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